Auf nach Südspanien! Folge 4: Valencia

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von Ursula Kampmann

1. Juni 2017 – Eigentlich ist die Frage, wo der heilige Gral zu finden ist, schon längst gelöst: Im Jahr 1399 tauschte Martin I., König von Aragón, ein großes goldenes Gefäß gegen den heiligen Gral ein. 

Der hl. Gral wird heute noch in der Kathedrale von Valencia gezeigt. Foto: KW.

Den verfrachtete Petrus der Tradition nach direkt nach dem letzten Abendmahl von Jerusalem nach Rom. Der heilige Laurentius soll ihn dann, während der Christenverfolgung unter Kaiser Valerian, nach Spanien exportiert haben (ohne Exportlizenz! ein Alptraum für heutige Kulturpuristen!). Dort hielt man ihn während der Besetzung durch die Mauren im Pyrenäenkloster San Juan de la Pena versteckt, ehe ihn Martin I. nach Valencia bringen ließ. Unsere erste Nachricht über seine Verehrung in Valencia stammt aus aus dem Jahr 1437!

Der hl. Gral von Genua. Foto: KW.

Zyniker könnten jetzt erwidern, dass auch in der Kathedrale von Genua ein heiliger Gral ausgestellt ist, …

Chalyx von Antiochia, um 1900 ebenfalls als Gral bezeichnet. Foto: UK.

… dass man die Chalyx von Antiochia, heute im Metropolitan Museum, bei ihrem Auftauchen auf dem Markt um 1900 ebenfalls als Gral bezeichnet hat, und dass es im walisischen Aberystwyth eine hölzerne Schale gibt, die seit 1905 ebenfalls als Gral gehandelt wird. Nun, es gibt heute einfach mehr Zyniker als Romantiker, aber selbst für die schlimmsten von ihnen bietet Valencia genug, so dass der hl. Gral nicht ins Gewicht fällt. Ich sage nur Lonja de la Seda (= Seidenbörse), für mich eines der eindrucksvollsten säkularen Gebäude, die ich jemals gesehen habe…

Die prächtige Schalterhalle der Bahnstation von Valencia. Foto: KW.

Donnerstag, 23. März 2017

Heute machen wir einen brillanten Schachzug. Wir nehmen nicht das Auto, um nach Valencia mit seinen rund 800.000 Einwohnern zu kommen, sondern den Zug. Von Sagunt aus gibt es eine S-Bahn, die im Halbstundentakt ins Stadtzentrum von Valencia fährt.
Es gibt in Sagunt jede Menge Touristen, die nach Valencia wollen. Und natürlich sind darunter auch einige besonders sparsame. Eine italienische Matrone, die nur einen ziemlich mageren Ehemann mit sich führt, hat entdeckt, dass die spanische Renfe eine Art Minigruppen-Rabatt anbietet. Jetzt verdonnert sie zwei schüchterne Amerikanerinnen und einen Mann, mit ihr eine Minigruppe zu bilden. Natürlich will sie von denen das Fahrgeld haben, bevor sie das Ticket kauft, … auf den Cent genau. Während alle nach ihrem Kleingeld kramen, wird die Schlange hinter der Matrone immer länger und die Stimmung gereizter. Schließlich soll der Zug bald kommen… Doch endlich, endlich hat auch noch die letzte die notwendigen 5 Cents aus ihrem Portemonnaie gekramt und die Matrone kauft das Ticket.

Die Kachelgemälde, die den Bahnhof von Valencia schmücken, sind einfach nur schön. Foto: KW.

Wir zahlen den vollen Preis! Und erwerben für 7 Euro pro Person hin und zurück unser Ticket, was gerade noch im Reisebudget drin liegt. Dann eilen wir zum Gleis, auf dem der Zug schon wartet. Und es verschafft mir einen Schub reinster Schadenfreude, die fünf Spar-Touristen am falschen Gleis warten zu sehen, während unsere S-Bahn an ihnen vorbei ins schöne Valencia fährt.

Es gibt wunderschöne und dazu prachtvoll renovierte Häuser aus dem 19. Jahrhundert. Foto: KW.

Wenn Sie die Chance haben, Valencia zu besuchten, tun sie es. Valencia ist wunderschön. Es ist großstädtisch, ohne unübersichtlich zu werden, hat wunderschöne Bauten vom Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts und bietet an allen Ecken und Enden Unerwartetes.

Der barocke Eingang verrät nicht, welche Schätze die Kathedrale von Valencia birgt. Foto: KW.

Wir besuchen natürlich zuerst die Kathedrale. Die hat sich ein reizendes Suchspiel ausgedacht, um die Touristen bei der Stange zu halten. Irgendwo in dieser riesigen Kirche sind zwei Gemälde von Goya versteckt, und die möchte man doch gesehen haben… 

Ein echter Goya, auch wenn er nicht so aussieht. Foto: KW.

Um die Spannung nicht ins Unermessliche zu steigern, verraten wir schon jetzt, dass wir erst den kleinen Führer durch die Kathedrale kaufen mussten, um sie zu lokalisieren. Ohne es vorher zu wissen, würde wohl niemand die beiden Gemälde in der Kapelle des hl. Francisco de Borja (ein Urenkel des wesentlich bekannteren Borgia-Papstes, der tatsächlich seine Wurzeln in Valencia hatte) als Goyas identifizieren.

Ein Blick in die Kuppel. Foto: KW.

Aber auch wenn uns die Goyas entgangen wären, hätte es genug zu sehen gegeben. Für alle Berner: Vom hl. Vinzenz, dem das Berner Münster einmal geweiht war, liegt hier immer noch ein Arm, auch wenn die restlichen Gebeine 1160 nach Lissabon transportiert wurden.

Wappen von Lissabon. Sergio Horta / CC BY-SA 3.0.

Was übrigens heute noch auf dem Wappen von Lissabon zu sehen ist.

2001 malte Garcia Lledo dieses Bild der Märtyrer des Spanischen Bürgerkriegs. Foto: KW.

Von ganz anderen Märtyrern zeugt eine unauffällige Kapelle hinter dem Altar. Dort hängen zwei Bilder mit Porträts vieler Menschen, die im spanischen Bürgerkrieg ihr Leben verloren.

Ablassbrief, entstanden zwischen 1309 und 1312. Foto: KW.

Die Kathedrale von Valencia hat übrigens ein sehr sehenswertes Museum, in dem es nicht nur religiöse Bilder, Statuen und eine Replik des hl. Grals zu sehen gibt, sondern auch einen Ablassbrief. Theologisch korrekt bedeutet Ablass Folgendes: Die vielen Heiligen der katholischen Kirche haben in ihrem Leben mehr gute Taten auf der himmlischen Bank angehäuft, als sie gebraucht hätten, um in den Himmel zu kommen. Auf dieses Guthaben erhebt die Kirche Anspruch und gibt es weiter an die, die nicht genug auf ihrem himmlischen Konto haben, natürlich nur gegen eine kleine Zahlung auf das irdische Konto der Kirche. (Und da behaupte noch einer, die katholische Kirche verstünde nichts von Ökonomie!)
Und wer jetzt über die Dummheit der damaligen Gläubigen lacht, der möge mal ganz kurz an die Klimazertifikate von heute denken. Wer sie kauft, braucht zwar nicht weniger Energie für seinen Flug oder seine Bahnfahrt, aber er kann sich allen anderen Klimasündern haushoch überlegen fühlen.

Das archäologische Museum liegt an der Placa de Decimo Junio Bruto – das hat doch was! Foto: KW.

Wir hätten viel länger in der Kathedrale bleiben können, aber Valencia bietet ja noch so viel mehr. Schließlich reicht seine Geschichte bis in die Antike zurück. Gegründet wurde die Stadt als römische Kolonie im Jahr 138 v. Chr. von Decimus Iunius Brutus Galaico, dem der Platz gewidmet ist, an dem das archäologische Museum liegt.

Eingang zum Museo de la Amoina. Foto: KW.

Dort stand im Mittelalter ein Spital, nach dem der moderne Bau seinen Namen trägt: Amoina – Almosen. Auch dieses Museum ist in eine Grabung integriert mit der neckischen Idee, dass das Licht für die unterirdischen Räume nicht nur durch Fensterglas fällt, sondern durch ein großes Wasserbecken, …

Eben dieses Wasserbecken verursacht die Lichteffekte auf den Thermen. Foto: KW.

… das den darunter zu Tage gekommenen Thermen die nötige Stimmung geben soll.

Ein Hortfund mit Dirhems des 12. und 13. Jahrhunderts. Foto: KW.

Wie überall in Spanien ist auch hier die Numismatik prominent in das Museum integriert. Gleich in einer der ersten Vitrinen liegt ein kleiner Münzschatz aus dem Hochmittelalter.

Skelett, in dem Pfeilspitzen von einem gewaltsamen Tod zeugen. Foto: KW.

Die römische Kolonie wurde 75 v. Chr. während des Krieges gegen Sertorius von Pompeius zerstört. Dies illustriert im Museum eine Vitrine mit Waffenfunden sowie ein Skelett, in dem noch die Pfeilspitzen stecken. Valencia soll Sertorius die Treue gehalten haben, was Pompeius dazu veranlasste, die Stadt bis auf ihre Grundmauern niederreißen zu lassen. Erst mehr als ein halbes Jahrhundert später siedelten sich wieder Bewohner hier an.

Monumentale Gräber aus der Westgotenzeit nahe der Begräbniskirche des hl. Vinzenz. Foto: KW.

Es waren die Westgoten, die sich hier ansiedelten und Valencia zu einem lokalen Zentrum ausbauten.

Visigothen. Swinthila, 621-631. Tremissis, Valentia. Aus Auktion CNG Triton XX (2017), Nr. 1113.

Tatsächlich gibt es Münzen der Westgoten aus Valencia, die allerdings geradezu unverschämt selten sind.

Überreste der Fallas von Valencia. Foto: KW.

Und damit Schluss mit dem Bericht aus dem Museum. Es wird laut. Eine Schulklasse entert die Grabung, eine italienische Reisegruppe stößt dazu, und beide geben sich redlich Mühe, sich gegenseitig zu übertönen. Wir flüchten ans Tageslicht, verlassen im Sturmschritt das Museum und biegen zweimal um die Ecke. Dort entdecken wir Massen von Blumen, leicht angewelkt bis völlig vermodert, die sich mit Hilfe einer kurzen Recherche im Internet als Überreste der Fallas entpuppen.
Die Fallas sind ein lokales Frühlingsfest, das wir Gott sei Dank verpasst haben. Es lockt nämlich jedes Jahr Millionen von Menschen auf die Straße. Stars der Veranstaltung sind gigantische Puppen aus Holz, Gips und Pappe, die unsere Zeit auf die Schippe nehmen – ähnlich wie die deutschen Karnevalswägen oder die Basler Laternen der Cliquen.

Das noch ziemlich frische Holzgestell für das Blumenopfer – mit Füllung. Foto: KW.

Teil der Veranstaltung ist eine Prozession zu Ehren der hl. Jungfrau der Schutzlosen, Stadtpatronin von Valencia. Dafür wird auf der Placa de la Virgen ein Holzgestell aufgebaut, in das all die gestifteten Blumen gesteckt werden. Rund 50 Tonnen Blumen soll man für den Spaß benötigen. Und die beblumte Madonna stand noch zum Bewundern und Selfies Schießen herum.

Taifa von Valencia. Abd al-Aziz al Mansur. Dinar-Teilstück. Aus Auktion Aureo & Calico 291 (2017), Nr. 5.

Aber zurück zur Geschichte Valencias. 714 wurde Valencia islamisch. Und in dieser Zeit entwickelte es sich zu einer internationalen Handelsmetropole. Exportartikel wurden gleich vor Ort hergestellt, und zwar Papier und Seide, Leder und Keramik, Glas und Silberwaren.
Nach dem Tod von al Mansur, von dem die hier gezeigte Goldmünze stammt, ging die Herrschaft auf kleine Lokalfürsten über, deren berühmtester wohl Rodrigo Diaz de Vivar wurde. Wir kennen ihn als den Cid. Er beherrschte Valencia von 1094 bis 1099, und die maurischen Quellen haben wenig Gutes über seine Herrschaft zu erzählen.

Martin I., 1396-1410. Gulden, Valencia. Aus Auktion Aureo & Calico 291 (2017), Nr. 286.

Sparen wir uns das Hin und Her zwischen Mauren und Christen, das nach dem Tod des „Campeador“ begann. Gehen wir gleich ins Jahr 1238, als Jakob I. das Königreich von Valencia gründete, das später im Königreich Aragon aufgehen sollte. Valencia, die Hauptstadt, war damals eine Weltstadt und soll fast 200.000 Bewohner gehabt haben.

La Lonja de la Seda. Foto: KW.

Doch als das goldene Zeitalter der Stadt wird erst das 15. Jahrhundert bezeichnet, als die lokale Textilindustrie und der daraus resultierende Handel Valencia so richtig reich machten. Wir dürfen nicht vergessen, dass Leinwand und Tuch, Seide und Filz zu den wichtigsten Handelswaren der frühen Neuzeit gehörten. Jeder brauchte Bekleidung, je höher der soziale Status war, umso öfter, umso exquisiter und umso teurer. Während viele andere Waren des täglichen Bedarfs noch im eigenen Haushalt produziert werden konnten, war die Tuchherstellung wegen der dafür sinnvollen Arbeitsteilung zu hause nicht rentabel. Deshalb wurden die Zentren der Stoffproduktion zu den großen Handelsstädten des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit. Und zu diesen gehörte eben auch Valencia.

Der Vertragssaal der Lonja de la Seda. Foto: KW.

Wie reich die Bürger von Valencia waren, das zeigten sie in ihrem Palast, den sie zwischen 1482 und 1548 bauen ließen. Nie ist ein prächtigeres Gebäude für den profanen Handel errichtet worden. Man suchte bewusst das kirchliche Vorbild. Damit zeigte man den engstirnigen Geistlichen den Stinkefinger. Sollten sie doch darüber lamentierten, dass es Sünde sei, Zinsen zu nehmen und mit Geld Geld zu verdienen. Die reichen Kaufleute wussten es besser.

Kein Foto ist in der Lage, den Eindruck, den dieser unglaublich hohe Saal auf einen Besucher macht, wiederzugeben. Foto: KW.

Davon zeugt das gigantische, in bestem Latein verfasste Spruchband, dessen Botschaft selbstbewusst vom Ethos des redlichen Kaufmanns spricht und ihm das Himmelreich verheißt: „Ich bin ein hervorragendes Haus, das in 15 Jahren gebaut wurde. Versucht es und seht, ihr Mitbürger, welch gutes Ding der Handel ist, wenn keine Lüge in der Rede ist, wenn der Schwur, den du dem nächsten leistest, ihn nicht betrügt, wenn man Geld nicht zu Wucherzinsen verleiht. Der Kaufmann, der sich so verhält, wird Reichtum im Überfluss erwerben und dennoch des ewigen Lebens teilhaftig werden.“

Überquellende Details an allen Ecken und Enden: Hier hält eine Hexe ihre Katze, der ein Teufel mit dem Blasebalg Luft einbläst. Wo? Schauen Sie doch selbst! Foto: KW.

Und so sind – wie in einer Kirche – überall kleine moralische Skulpturen angebracht, die von den Gefahren der Hölle und dem Lohn des ewigen Lebens sprechen. Wir gehen herum, staunen, können uns gar nicht satt sehen – und wundern uns wieder einmal über all die Selfie-Tanten, die nur Fotos von sich machen …

Ein Frosch, die Flöte blasend. Foto: KW.

… und nicht von all den liebenswerten Gesellen, die man erst sieht, wenn man genau hinschaut. Mein Favorit ist ein kleiner Frosch, der in einem Türsturz sitzt und seine Flöte bläst.

Der Saal, in dem das Tribunal del Mar tagte. Foto: KW.

Plötzlich hören wir ein altes deutsches Weihnachtslied – mitten im März, kurz vor Ostern. „Es ist ein Ros’ entsprungen“. Automatisch will ich mitsingen, mein Schatz tritt mir gerade noch auf die Füße, als er merkt, dass mit diesem Weihnachtslied der Film, in dem die Geschichte der Lonja erzählt wird, hinterlegt ist. Tja, da haben die Produzenten wohl daneben gegriffen. Sie suchten irgendein Lied, das sich archaisch-mittelalterlich anhörte und vergaßen nachzuforschen, woher es stammt. Wir schauen uns ein bisschen unter den Besuchern um, und erkennen sofort all die vielen Deutschen, die ihre Nationalität verraten, indem sie schmunzeln und leise mitsummen / mitsingen / mitpfeifen…

Die Holzdecke des Tribunal del Mar. Foto: KW.

Gleich neben der Seidenbörse tagte übrigens das Tribunal del Mar, eine Art Handelsgericht, vor dem Streitigkeiten sofort und im Eilverfahren entschieden wurden. Ein reisender Händler hatte ja meist nicht die Zeit zu warten, bis sich das normale städtische Gerichte dazu bequemte, endlich zusammenzutreten. Viele Handelsstädte besaßen so ein Handelsgericht. Es bedeutete einen großen Zuwachs an Rechtssicherheit für Ausländer, und war damit ein echtes Argument, diesen Handelsplatz zu benutzen.

Das Highlight für Starwars-Fans: Lord Vaders Helm überlebensgroß. Foto: KW.

Wir machen noch viel an diesem Tag in Valencia. Wir spazieren durch die Markthalle aus dem 19. Jahrhundert, die auch hier wieder eröffnet und neu belebt wurde. Wir genießen eine Paella, denn schließlich stammt dieses spanische Nationalgericht von hier. Und wir fahren zur Ciudad de las Artes y de las Ciencias, die von Santiago Calatrava entworfen wurde, der übrigens auch aus Valencia stammt. 33 Museen listet das Internet für Valencia auf. Wir lassen alle links liegen und fahren zurück nach Sagunt. Und wieder einmal schwören wir uns, dass wir noch einmal nach Valencia kommen. Mindestens eine Woche lang! Langweilig wird es uns sicher nicht werden.

Die nächste Folge unseres numismatischen Tagebuchs führt uns nach Lorca. Ich kann Ihnen eine steinzeitliche Höhle, Überreste zweier phönizischer Schiffe und 600.000 Münzen bieten. Ist das was?

Alle Folgen des numismatischen Tagebuchs „Auf nach Südspanien“ finden Sie hier.