von Ursula Kampmann
15. Juni 2017 – Geben wir es zu, Lorca ist nicht gerade die erste Wahl, wenn ein Spanien-Urlauber an einen Stützpunkt für die Reise denkt. Ein Fehler, denn zum einen verfügt es über einen prachtvollen Parador, zum anderen liegt es in angenehmer Entfernung zu einigen wichtigen Zentren phönizischer Herrschaft in Südspanien. Cartagena ist zum Beispiel nur knappe 100 Kilometer entfernt, und das, wenn man an der Küste entlang fährt…
Der Parador von Lorca thront hoch über der Stadt. Foto: KW.
Freitag, 24. März 2017
Wir fahren von Sagunt nach Lorca – und verfahren uns mehrfach. Oder glauben zumindest, uns verfahren zu haben. Es ist nämlich gar nicht so einfach, zu verinnerlichen, dass es in Spanien parallel verlaufende Autobahnen gibt: Eine, für die man bezahlen muss, und eine, die kostenlos, aber dafür überlaufen ist.
Am Nachmittag kommen wir in Lorca an. Dort weiß jeder, wo der Parador ist, deshalb verzichtet man auf Hinweisschilder. Wir wissen es nicht, haben aber schon mal in einem Parador gewohnt. Also halten wir uns in Richtung Innenstadt. Und während wir uns noch durch die engen Straßen quälen, fällt mein Blick auf die Burg weit über der Stadt. Ich weiß sofort: Dort muss der gesuchte Parador sein. Glücklicherweise habe ich recht, denn die Fahrt auf den Burgberg ist ein wenig aufwändig, wenn man nicht mit den Tücken der Einbahnstraßenregelungen von Lorca vertraut ist.
Und wenn Sie jetzt fragen, warum wir unser GPS nicht angeworfen haben: Ganz einfach, der Parador ist neuer als mein Auto, und mein GPS kennt ihn noch nicht.
Visigoten. Sisebut (612-621), Iliocrici (= Lorca). Triens. Aus Auktion Aureo & Calicó 242 (2012), Nr. 17 – Das außergewöhnlich seltene Stück wurde mit 27.000 Euro zugeschlagen!
Ich gebe es zu. Nach Lorca lockt uns eigentlich nur die strategische Lage auf dem Weg nach Südspanien. Von oben sieht die Stadt wie viele andere spanische Städte aus: Jede Menge barocker Bauten, dazu reichlich Mittelalter und eine Prise Modernismo. Es gibt natürlich eine weit zurückreichende Geschichte.
Taifas. Ibn Asli, Emir von Lorca, 1241-1245 AH. Kupfer-Dirham. Aus Auktion Aureo & Calicó 267 (2015), 2117.
Der Platz rund um den eindrucksvollen Burghügel ist bereits seit der Jungsteinzeit besiedelt. Die Römer waren hier, die Visigoten, die Araber und dann natürlich die Spanier. 1244 eroberte Ferdinand III. von Kastilien und Leon die Stadt. Lorca wurde seine Speerspitze im Kampf gegen das Königreich Granada und behielt die militärische und wirtschaftliche Bedeutung bis weit ins 18. Jahrhundert.
Karl IV. Lorca 1 Real 1789. Gefüttert. Aus Auktion Aureo & Calicó 267 (2015), Nr. 2803.
Erst im 19. Jahrhundert kam der Niedergang. Am 30. April 1802 brach der Damm eines nahe gelegenen Wasserreservoirs und überschwemmte die Stadt. 700 Menschen starben. Der Unabhängigkeitskrieg und eine Epidemie von Gelbfieber kosteten weitere Opfer, auch wenn mehr Menschen nach Lorca strebten, als wegstarben. Lorca wurde das Auffangbecken der vielen kleinen Bauern, die vor dem Elend Murcias flohen. Die Stadt war überbevölkert und arm. Sie ist es, wenn man vom äußeren Ansehen schließen darf, auch geblieben. 1973 wurde sie wieder überschwemmt, 2005 und 2011 erschütterte sie ein Erdbeben.
Blick auf Lorca. Foto: KW.
Vielleicht ist das der Grund, warum Lorca dafür bekannt ist, dass seine Bewohner die Semana Santa seit dem 19. Jh. mit großer Hingabe feiern. Einige Reiseführer sprechen sogar davon, dass man hier die eindrucksvollste Prozession zu sehen bekäme. (Sogar bis hinauf zum Parador hörte man ständig die eifrig übenden Musikkapellen.)
Eine Rekonstruktion des phönizischen Handelsschiffes, das im Hafen von Mazarrón gefunden wurde. Foto: KW.
Samstag, 25. März 2017
Ein wundervoller Tag! Unser erstes Ziel, Mazarrón, entdecke ich durch einen Zufall im Internet. Sonst nicht gerade meine erste Wahl, wenn es darum geht, Sehenswürdigkeiten aufzutun. Aber der Lonely Planet Reiseführer schweigt sich über die Umgebung von Lorca aus, und im Hotel zuckt man mit den Schultern als wir fragen, was wir denn in der Nähe besichtigen könnten. Man habe ein ganz neues Spa, erfahren wir. Ob wir das nicht probieren möchten?
Phönizische Glasperle. Foto: KW.
Wir möchten nicht. Wir fahren nach Mazarrón. Mazarrón war in der frühen Neuzeit ein wichtiges Bergbauzentrum. In der Nähe gab es ergiebige Alaunvorkommen. Und Alaun war für das Färben von Stoffen unentbehrlich. Was bedeutete, dass er enorm wertvoll war, denn bis weit ins 19. Jahrhundert waren Woll- und Baumwolltuche die wichtigsten Massenhandelswaren. Und wer sie produzieren wollte, brauchte eben Alaun.
Heute ist der Abbau von Alaun längst aufgegeben. Puerta de Mazarrón macht sein Geschäft mit dem Tourismus. Es ist eine der vielen Siedlungen, in denen sich alles um Sonne, Meer und Lebensabend dreht. In jedem zweiten Büro hat sich ein Immobilienmakler eingenistet. Überall sieht man winzigste Ferienhäuschen, die aus nichts anderem als Küche, Schlafzimmer und Wohnzimmer bestehen können. Alle Jalousien sind heruntergelassen. Schließlich ist es zu kalt, um im Meer zu baden, auch wenn die Sonne ihr Bestes gibt.
Das tut auch die Stadtverwaltung. Sie ist sichtlich bemüht, ein attraktives Ambiente zu schaffen. Man hat grünen Teppich in Grasoptik auf den Verkehrsinseln verlegt und ein kleines Museum erbaut. Schließlich ist Mazarrón durch den Fund zweier phönizischer Schiffswracks bekannt geworden.
Das Museum ist leicht zu finden, offen(!) und mit einer freundlichen Dame am Empfang ausgestattet. Dafür ist der Inhalt etwas mager, aber sehr hübsch aufbereitet. Wir sehen ein Modell des rekonstruierten phönizischen Schiffs unter Segeln. Es gibt ein paar hübsch gemachte Schautafeln mit spanischem und englischem Text. Und in einer Ecke sind sogar ein paar Exponate ausgestellt, bei denen wir uns nicht einigen können, ob es sich um Kopien oder Originale handelt.
Becken, in denen Garum eingedickt wurde. Man möchte nicht wissen, wie das gestunken hat. Foto: KW.
Als wir die nette Dame fragen, wo denn die Originale der Schiffe zu bewundern sind, ist sie sichtlich überfordert. „Noch im Meer“, vermutet sie. Entschuldigend drückt sie uns einen Stadtplan in die Hand und so erfahren wir, dass es direkt neben dem Hafen ein weiteres Museum gibt. Es beinhaltet eine römische Garum-Fabrik, was ich natürlich unbedingt sehen muss.
Garum war das Maggi der Antike. Man stellte es aus Thunfisch, Makrele oder Sardelle her, indem man die Fische in Salzlake einlegte und der Sonne aussetzte (ich möchte nicht wissen, wie das gestunken hat!!!). Das Eiweiß zerfiel durch diesen Vorgang und das, was übrig blieb, filterte man mehrmals, bis eine klare, bernsteinfarbene Flüssigkeit zurückblieb, mit der die Römer einen ähnlichen Kult trieben, wie wir ihn heute für Aceto balsamico kennen. Der Preis von Garum bestimmte sich nämlich nach der Herkunft, der Fischsorte, der Dauer des Zersetzungsprozesses, der Bekanntheit des Herstellers und sonst noch so dies und das…
Dieses Museum ist jedenfalls nicht so einfach zu finden. Wir umrunden mehrfach die rechte Seite des Hafenbeckens, bis wir die Tür sehen. Wir haben Glück, uns bleiben genau 10 Minuten, bis sich eben diese Tür wieder schließt, damit der Aufseher Mittagspause machen kann. Aber das Museum ist übersichtlich, so dass die 10 Minuten (zuzüglich der 5 Minuten, die der Aufseher extra für uns seine Mittagspause verschiebt) durchaus reichen.
Der Hafen von Cartagena. Foto: KW.
Danach fahren wir weiter nach Cartagena. Große Erwartungen hegen wir nicht. Der Lonely Planet Guide mag diese Stadt nicht besonders. Was wieder einmal zeigt, dass man sich selbst ein Urteil bilden soll und nicht jeden Mist glauben muss, nur weil er geschrieben steht.
Cartagena ist nämlich wunderschön. Schon der prachtvolle Tiefwasser-Hafen, den bereits die Karthager nutzten. Er beherbergt heute noch Schiffe.
Der größte Dreimaster der Welt. Foto: KW.
Selbstverständlich keine großen Containerschiffe. Aber immerhin das eine oder andere Kriegsschiff und jede Menge Yachten. Highlight ist die in Kiel gebaute „Sailing Yacht A“, die derzeit größte Segeljacht der Welt, die dem russischen Milliardär Andrei Melnitschenko gehört. Sie stach erst Ende Januar 2017 in See und soll laut Presseberichten 400 Millionen Euro gekostet haben.
Punisches Spanien. Shekel, unbestimmte punische Münzstätte, ca. 237-209. Männlicher Kopf mit Diadem (Hamilkar?) n. r. Rv. Prora n. r., darunter Delphin. Aus Auktion CNG, Triton XVIII (2015), Nr. 301.
Eben dieser großartige Naturhafen veranlasste den spanischen Feldherrn Hadrubal im Jahr 228 v. Chr. dort, wo heute Cartagena liegt, ein Emporium mit dem Namen Qart Hadasht (= Neue Stadt) zu gründen.
Cartagena. AE, 220-215. Aus Auktion Künker 104 (2005), Nr. 28.
Von hier aus wurde der Handel zwischen Spanien und Karthago organisiert. Nahe Cartagena gab es nämlich bedeutende Silberminen, deren Ausbeute es den Karthagern ermöglichte, die hohen Reparationszahlungen, die nach dem Ersten Punischen Krieg an die Römer gezahlt werden mussten, aufzubringen. Ob damals schon Olivenöl exportiert wurde? Wir wissen es nicht. Unter den Römern sollte es jedenfalls eines der wichtigsten Exportprodukte Hispaniens werden…
Cartagena. Tiberius, 14-37. Mit Caligula. AE. Aus Auktion Gorny & Mosch 245 (2017), Nr. 1405.
Apropos Römer. 209 v. Chr. eroberte Scipio Africanus Qart Hadasht. Die Stadt wurde zu Carthago Nova und blieb immer noch ein wichtiger Exporthafen für die Produkte Spaniens. Die Römer exportierten nicht nur Silber, sondern auch Garum und das begehrte Esparto-Gras, das man zur Herstellung von Körben, Schuhsohlen, Seilen und Feuerlösch-Matten benutzte.
Iustinian I., 527-565. Tremissis. Spanische Münzstätte (Cartagena?), 550-565. Aus Auktion CNG 100 (2015), Nr. 286.
Wir sparen uns jetzt unsere Exkursion in die Geschichte. Es ist das Übliche: Vandalen, Visigoten – ein kurzes Zwischenspiel als Hauptstadt des byzantinischen Spaniens – dann Moslems, Reconquista usw.
Der Eingang ins Museo Nacional de Arqueologia Subacuatic. Foto: KW.
All das verblasst numismatisch nämlich im Vergleich zu dem nationalen Unterwassermuseum, und das obwohl der Lonely Planet es folgendermaßen charakterisiert hat: „Zu sehen gibt’s alte Tonwaren, eine grelle Beleuchtung, Filme und die Nachbildung eines phönizischen Handelsschiffs.“ So sehr ich zugespitzte Bemerkungen ansonsten zu schätzen weiß, demonstriert diese Aussage eher das fehlende Interesse des Autors. Sie ist ungerecht und überheblich gegenüber einem wirklich durchdacht konzipierten Museum.
Blick in den Teil der Ausstellung, wo die Methoden der Unterwasserarchäologie erklärt werden. Foto: KW.
Es bietet durchaus ein paar Highlights, die freilich für denjenigen, der keine Ahnung hat, nicht so spektakulär wirken, wie sie eigentlich sind. Und dazu gibt es dem Besucher einen didaktisch ausgezeichnet aufbereiteten Überblick darüber, wie sich die Seefahrt von phönizischer bis zur frühneuzeitlichen Zeit entwickelt hat.
Eines der bei Mazarrón gefundenen phönikischen Wracks. Foto: KW.
So sehen wir nach unserem Besuch in Mazarrón die Originale der versunkenen phönikischen Schiffe. (Sie liegen also nicht mehr im Meer, sondern haben es doch ins Museum geschafft.)
Elfenbein – kein Fall für CITIS, es stammt aus dem 7./6. Jh. v. Chr. Foto: KW.
Außerdem ausgestellt: die Überreste einer Ladung von Elfenbein, die ein phönizisches Schiff von Afrika nach Europa transportieren wollte.
Elfenbein, auf dem der Besitzer anscheinend seinen Namen eingeritzt hat. Foto: KW.
Sie glauben nicht, dass das Elfenbein mehr als 2.500 Jahre alt ist? Nun, wir wissen es, weil der phönizischer Besitzer auf einem Zahn seinen Namen eingeritzt hat.
Ein karthagisches Schiff im Vergleich mit einem griechischen. Foto: KW.
Sehr gut gelöst ist die Darstellung der Entwicklung der Schifffahrt. Die Museumsmacher haben aus den entscheidenden Epochen fünf Querschnitte beladener Schiffe maßstabsgetreu rekonstruiert: Phönizisch, griechisch, römisch, mittelalterlich und frühneuzeitlich.
Der Hafen von Cartagena in phönikischer und römischer Zeit. Foto: KW.
Man sieht sofort, wie sich die Größe des Stauraums vervielfacht. Zusätzliche Informationen bieten drei Modelle, die den Hafen von Cartagena in phönizischer, römischer und griechischer Zeit zeigen.
Modell und Vitrine zur Seefahrt in griechischer Zeit. Foto: KW.
Den Querschnitten sind Vitrinen zugeordnet, die typische Transportgefäße, Waren und das Geld der Epoche enthalten.
Der Untergang der Nuestra Senora de las Mercedes am 5. Oktober 1804.
Unbestreitbarer Höhepunkt – zumindest für einen numismatisch interessierten Menschen – ist der Inhalt eines untergegangenen Schiffes. Ein Teil des Schatzes der Nuestra Senora de las Mercedes – überschaubare 160.000 (sic!) Münzen – liegt in Cartagena.
Ungereinigte Münzen aus der Mercedes. Foto: KW.
Gefunden hat man noch weit mehr. Die restlichen knapp 350.000 Münzen sollen auf andere Museen und Sammlungen verteilt worden sein.
Während der Überfahrt lagerten die Münzen in Säcken und Kisten, was die Funde bezeugen. Foto: KW.
Um die Ladung der Mercedes entspann sich übrigens ein langwieriger Prozess zwischen den Entdeckern des Wracks, Odyssey Marine Exploration, die das Material auch geborgen hatten, und der spanischen Regierung, die Anspruch auf den Inhalt des Schiffes erhob. Ein US-Berufungsgericht in Atlanta sprach die Münzen, deren Wert auf mehr als 350 Mio. Euro geschätzt wird, Spanien zu. Wenn Sie die Begründung interessiert, warum ausgerechnet Spanien – und nicht Peru, das ebenfalls Anspruch erhoben hatte – die Münzen erhielt, lesen Sie unseren Bericht über den Rechtsstreit.
Auf römische Ausgrabungen stößt man in Cartagena auf Schritt und Tritt. Foto: KW.
Cartagena hat aber noch viel mehr zu bieten. Es gibt jede Menge kleiner Ausgrabungen, auf die man zufällig während eines Stadtspaziergang stößt, sollte man keine Lust mehr haben, sie systematisch zu suchen. (Wir haben ganz sicher keine Lust mehr dazu.)
Bauten des Modernismo findet man nicht nur in Barcelona. Foto: KW.
Darüber hinaus haben sich eine ganze Reihe von prachtvollen Bauten des Modernismo erhalten.
Und die Stadt ist lebendig! An diesem Samstag sind unzählige Familien unterwegs. Touristen sehen wir keine. Auch für die Kellner in unserem Restaurant sind wir die Exoten. Dabei essen wir ganz spanisch zu Mittag: kurz vor 16.00!
Und dann geht es zurück in den Parador, der sich zum Wochenende mit spanischen Paaren und Familien gefüllt hat. Nur ein deutsches Auto steht auf dem riesigen Parkplatz, und das gehört uns.
Etwas später lerne ich unser Spa doch noch zu schätzen: Während gefühlt Hunderte von Kindern in den warmen Becken des mit einer Glaswand abgetrennten Spas quietschen und plantschen, habe ich den Swimming Pool ganz für mich allein.
In der nächsten Folge nehme ich Sie mit zu einem neolithischen Abri, zu Höhlenwohnungen, die Göreme alt aussehen lassen, und mitten hinein ins Herz der spanischen Olivenölproduktion.
Alle Folgen des numismatischen Tagebuchs „Auf nach Südspanien“ finden Sie hier.