von Björn Schöpe
14. Dezember 2017 – Bei Heritage war man stolz, eine der ältesten Nobelpreismedaillen anzubieten (wir berichteten). Am 6. Januar 2018 sollte in New York die Medaille versteigert werden, die der deutsche Althistoriker Theodor Mommsen 1902 für seine schriftstellerischen Leistungen, insbesondere für seine „Römische Geschichte“ erhielt.
Diese Medaille wollte Heritage anbieten.
Es handelt sich um die älteste Literaturnobelpreismedaille (im ersten Jahr, 1901 wurde noch keine vergeben), eine der ganz wenigen, die bis heute für Sachliteratur verliehen wurden, und die vermutlich älteste Nobelpreismedaille, die bisher auf einer Auktion zu sehen war. Der erhoffte Erlös von $400.000 erschien realistisch.
Die Originalmedaille, die im Deutschen Literaturarchiv Marbach liegt. Foto: Chris Korner/DLA Marbach.
Doch dann der Paukenschlag: Mommsens Medaille liegt seit 14 Jahren in den klimatisierten Räumen des Deutschen Literaturarchivs in Marbach. Der Urenkel Theodor Mommsens, Peter Mommsen, hatte sie dem Archiv damals überlassen. Nach einem Artikel des „Südkurier“ forderte Mommsen von der Institution eine Klarstellung, dass „deren Stiftungsgüter nicht verscherbelt werden“. Der Zeitung gegenüber erklärte der Stifter: „Die Familie Mommsen ist betroffen von dieser Dreistigkeit, ausgerechnet zum 200. Geburtstag Theodor Mommsens eine offensichtlich gefälschte Medaille auf den Markt bringen zu wollen.“
Ganz so einfach liegen die Dinge allerdings nicht. Heritage zog das Stück sofort aus der Auktion zurück und überprüfte es. Die Experten des Auktionshauses kamen ebenso wie die Nobelpreisstiftung zu dem vorläufigen Ergebnis, dass die Medaille eine echte Nobelpreismedaille ist.
Da die Medaille für den Literaturnobelpreis im ersten Jahr der Vergabe, 1901, noch nicht bereit war, erhielt Mommsen im folgenden Jahr die erste Medaille, geschaffen von Erik Lindberg. Seither ist das Motiv unverändert und zeigt bis heute einen schreibenden Jüngling und wohl eine Muse mit Leier. So sieht die Marbacher Medaille aus. Ganz anders hingegen das bei Heritage angebotene Stück.
Eine Personifikation der Natur steigt aus den Wolken empor, daneben der Genius der Wissenschaft. Die Wörter „Scientia“ (Wissenschaft) und „Natura“ (Natur) verweisen auf die Naturwissenschaften. Dieses ebenfalls von Erik Lindberg gestaltete Motiv findet sich ausschließlich auf den Nobelpreismedaillen, die für Leistungen auf den Gebieten der Physik oder Chemie verliehen werden.
Die echte Medaille Mommsens in Marbach. Foto: Chris Korner/DLA Marbach.
Unstrittig ist, dass die echte Mommsen-Medaille in Marbach verwahrt wird. Unklar hingegen ist, warum Mommsens Name auf der von Heritage angebotenen Medaille steht. Der „Südkurier“ vermutete, falls das Stück keine Fälschung sei, müsse man es wohl mit einer wahren „Räuberpistole“ erklären, einer Fehlprägung, die einst ersetzt wurde, verschwand, dann wieder auftauchte …
Die numismatische Literatur gibt dazu etwas besser recherchierte Hinweise. So bemerkte Lars O. Lagerquist in seinem 2001 publizierten Katalog der Nobelpreismedaillen folgendes: „Darüber hinaus wurde zu einem frühen Zeitpunkt (möglich nur 1902, heutzutage ist dies verboten) eine Reihe von Medaillen in Silber und vergoldetem Silber für Museen und Sammler angefertigt.“ Vielleicht hat man damals auch Goldmedaillen angefertigt, von denen bisher keine bekannt geworden ist. Es besteht also durchaus der Hauch von einer Möglichkeit, dass es sich doch um ein zeitgenössisches Produkt handelt, wenn auch nicht um eines, das Mommsen selbst in der Hand hatte.
Wie auch immer. Tatsache ist: Wir wissen momentan nicht, in welchem Zusammenhang die Medaille angefertigt wurde und wieso Mommsens Name auf ihr genannt ist. Eric Bradley, der Pressesprecher von Heritage Auctions, erklärte zu dem Vorfall: „Obwohl das Objekt eine echte Nobelpreismedaille aus Gold ist, kam Heritage Auctions zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um die Medaille handelt, die an Theodor Mommsen verliehen wurde. Anders als die meisten Auktionshäuser stellt Heritage Auctions regelmäßig alle Lose auf einer Vorschauseite online, noch bevor die Auktionskataloge abgeschlossen werden; normalerweise geschieht das, sobald die Objekte fotografiert und katalogisiert sind. Diese Firmenpolitik gibt Sammlern und Händlern zusätzliche Zeit, um die angebotenen Lose gründlich zu durchleuchten. In diesem Fall konnten wir dank der Aufmerksamkeit unserer Kunden und Anderer die betroffene Medaille aus dem Katalog nehmen, bevor der Katalog überhaupt veröffentlicht wurde. Jedes Jahr untersuchen wir Hunderttausende Objekte und es ist völlig normal, dass manche von ihnen sich nicht als das herausstellen, was sie zu sein vorgaben. Wenn wir feststellen, dass etwas von den Angaben abweicht, handelt Heritage Auctions sofort, um das zu korrigieren und nimmt das Los umgehend aus der angekündigten Auktion. Wir werden diese Medaille weiter untersuchen und sie danach dem derzeitigen Eigentümer zurückerstatten.“
Zwei Dinge zeigt der Fall: Gerade in der riesigen Masse an eingeliefertem Material kann ein Objekt auftauchen, das aus guten Gründen wieder entfernt wird. Und zweitens: Heritage handelt vorbildlich, weil es die Lose frühzeitig publik macht und auf Hinweise schnell reagiert.
Ob es sich, wie von Peter Mommsen vermutet, um eine gezielte Fälschung handelt, oder ob die Hintergründe komplizierter sind, wird sich zeigen. Klar ist: Eine solide Provenienzforschung ist wichtig, mag sie auch aufwendig sein.
Auch wenn Sammler nun nicht darauf hoffen dürfen, Mommsens Medaille zu ergattern, könnte hinter diesem Stück eine spannende Geschichte stecken. Wir dürfen gespannt sein.
Zur Seite von Heritage Auctions kommen Sie hier.
Mehr über Theodor Mommsens Medaillen lesen Sie in diesem Artikel.
Im Zuge der Tübinger Ausstellung ist auch ein Katalog erschienen, der online verfügbar ist. Dort können Sie alles zum Thema „Mommsen auf Medaillen und Plaketten“ nachlesen und sich auf Seite 19 und 20 kundig machen zu Mommsens Nobelpreismedaille.
Ausführlich berichtete der Südkurier.