Das Berliner Münzkabinett: Geschichte, Gegenwart, Zukunft

Bernhard Weisser (Hrsg.), Münzkabinett. Menschen, Münzen, Medaillen. Das Kabinett (Schriftenreihe des Münzkabinetts) Bd. 17. Battenberg Gietl Verlag, Regenstauf 2020. 384 S., farbige Abbildungen. Hardcover, 24,5 x 17 cm. ISBN: 978-3-86646-202-1. 39,90 Euro.
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Auch wenn die Wurzeln der Berliner Münzsammlung bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen, wurde das Münzkabinett als eigenständiges Museum erst im Jahr 1868 gegründet. Dies war Programm, auch Deutschland sollte – immerhin war die Reichsgründung von 1871 in Preußen durchaus schon geplant – eine nationale Münzsammlung haben. Was als Prestigeobjekt einer aufstrebenden Nation begann, ist heute ein Forschungszentrum, das sich selbst gerne als Leuchtturm der Numismatik in Deutschland beschreibt.

Im Jahr 2018 jährte sich die Gründung des Münzkabinetts zum 150. Mal. Aus diesem Anlass initiierte Dr. Bernhard Weisser eine Festschrift, die 2020 erschienen ist. Sie thematisiert viele Aspekte rund um die Sammlung. Der Blick ist dabei nicht nur in die Vergangenheit gerichtet. Der aus 23 einzelnen Aufsätzen bestehende Sammelband beschäftigt sich auch mit den Erfolgen, Sorgen und Nöten der Gegenwart. Er gibt ein ausgezeichnetes Bild davon, welch vielseitige Talente Numismatiker heute haben müssen, um ihr wunderschönes Fach in die Zukunft zu führen.

Die Vergangenheit: Wurzeln im 16. Jahrhundert, Weltgeltung unter Wilhelm II.

Wie viele Münzsammlungen, die ihren Ursprung auf eine zu Repräsentationszwecken gegründete Kunstsammlung zurückführen, hat auch das Berliner Kabinett seine Wurzeln im 16. Jahrhundert, und zwar unter Joachim II.

Auch wenn es natürlich schon vor dem Jahr 1868 jede Menge Ankäufe und Erwerbungen gab, beginnt die große Zeit unter dem ersten Direktor der Neugründung Julius Friedländer. Wer die Ankäufe der Jahre zwischen 1873 und 1875 betrachtet, muss beeindruckt sein: 5.800 antike Münzen aus der Sammlung Gansauge, 11.500 griechische Münzen aus der Sammlung Charles Richard Fox, 22 römische Medaillons aus Wien, die Sammlung Prokisch-Osten und vieles mehr.

Bernhard Weisser weist darauf hin, dass vieles durch den berühmten Historiker und Nobelpreisträger Theodor Mommsen ermöglicht wurde, der als Abgeordneter seine politischen Verbindungen nutze, um den Reichstag davon zu überzeugen, immer wieder zusätzliche Mittel zu sprechen, um das Berliner Münzkabinett mit London, Paris und Rom auf Augenhöhe zu bringen.

Es wäre in diesem Zusammenhang sicher von größtem Interesse die Briefe und Reichstagsreden von Theodor Mommsen einmal daraufhin zu untersuchen, mit welchen Argumenten er es den Herren Abgeordneten schmackhaft machte, ihr Geld lieber für Münzen als für eine solide Sozialpolitik auszugeben. Schließlich wurden diese Ankäufe nicht in ahistorischer Geschichtslosigkeit getätigt. Am 9. Mai 1873 fand der finanzielle Aufschwung des neuen deutschen Kaiserreichs ein jähes Ende. Der „Gründerkrach“ brachte soziale Nöte und Ängste, die die sozialistische Bewegung befeuerten. Es wäre durchaus von erheblichem historischen Interesse, zu wissen, welch große Rolle ein Münzkabinett für die nationale Identität spielen musste, dass ein Parlament derart viel Geld für Ankäufe sprach, und das in einer Periode des wirtschaftlichen Niedergangs, die durchaus mit der Zeit nach unserer Bankenkrise von 2008 vergleichbar gewesen sein dürfte.

Solche historischen Komponenten fehlen in den meisten Beiträgen vollständig, auch wenn sich natürlich historische Hintergründe andeuten. So schreibt Bernd Kluge in seinem Beitrag zur Glanzzeit des Münzkabinetts im Kaiser Friedrich-Museum, dass es Kaiser Wilhelm II. persönlich war, der sich zugunsten des Kabinetts einschaltete. Wilhelm II. soll von der Schönheit der Dekadrachmen von Syrakus derart begeistert gewesen sein, dass er spontan den Ankauf der Sammlung Löbbecke für 700.000 Mark genehmigte, sehr zum Ärger der Beamten des Finanzministeriums. Auch in so einem Fall wäre es spannend, die sozialhistorischen Implikationen zu betrachten, die es mit sich bringt, wenn ein Staatsoberhaupt einer Nation, die für sich Weltmachtstatus postulierte, die Zeit fand, in ein Münzkabinett zugehen, um persönlich den Ankauf einer Sammlung zu begutachten. Man darf durchaus fragen, welche Rolle die diplomatische Niederlage Deutschlands in der Marokkokrise für Wilhelms Entscheidung spielte, die Sammlung, die man damals für die größte Privatsammlung aller Zeiten hielt, für Deutschland zu sichern?

Der große Einschnitt

Die Wende kam mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Bestände des Münzkabinetts wurden im Rahmen der Kriegsreparationen in die Sowjetunion überführt und dem sozialistischen Bruderstaat und Mitglied des Warschauer Pakts, in dem sowjetische Truppen seit 1957 ganz offiziell stationiert waren, im Jahr 1958 zurückgegeben.

Die Gegenwart

Mit dem weltweiten Rückgang der Bedeutung der Numismatik für das Nationalbewusstsein ist auch die Bedeutung des Berliner Münzkabinetts zurückgegangen, das bis heute mit über 540.000 Münzen und Medaillen, Papiergeldscheinen und Prägewerkzeugen das „größte Archiv alten Geldes in Deutschland“ ist, wie Direktor Bernhard Weisser in seinem Vorwort schreibt.

Als solches teilt es das Schicksal aller deutschen Münzkabinette, die unter der ständigen Mittelverknappung im Kultursektor zu leiden haben. Wir können an ihm mustergültig verfolgen, was derzeit alle Museen unternehmen, um von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und finanziert zu werden: Die Digitalisierung der Sammlung, die Suche nach potenten Sponsoren, das Erforschen von Provenienzen und vieles mehr.

Wer wissen möchte, wie es aktuell um die Numismatik in Deutschland bestellt ist, bekommt mit diesem Band eine hervorragende Übersicht.

Eine hervorragende Übersicht, das ist es, was der Jubiläumsband „Münzkabinett – Menschen, Münzen, Medaillen“ darstellt. Er bietet eine Zusammenfassung der Geschichte und Erwerbungen dieser wichtigen Institution. Was hier geleistet wird, ist Faktengeschichte vom Feinsten. Ihre Interpretation wäre ein anderes Projekt. Eine Geschichte, welche politische Rolle das Berliner Münzkabinett in den Jahren zwischen 1868 und heute spielt, bleibt ein Desiderat.

 

Kaufen können Sie das Buch am besten im Webshop des Berliner Münzkabinetts. Die Museen freuen sich in dieser wirtschaftlich bedrängten Zeit über jede Einnahme.

Teil des Buchs ist ein Interview, das Ursula Kampmann für die MünzenRevue im Jahr 2009 führte. Es ist 2014 von der MünzenWoche neu veröffentlicht worden.