von numiscontrol
21. Dezember 2017 – „Halt endlich die Fensterläden gerade!“, fauchte Oma mich an und dabei blitzten ihre Augen gefährlich. Um den Mund herum war aber noch immer die gütige Miene der alten Frau geblieben und daher bestand vorerst keine große Gefahr für mich. Oma war ein Gemütsmensch. Mit einigen Nägeln, die Oma erstaunlich gut in das Holz der Fensterläden schlug, war die Gartenlaube endlich winterfest verschlossen.
Noch immer hingen einige kleine Weintrauben an den Reben, welche zwei Fronten der Laube dicht umschlossen. Im Sommer hielten die Weinpflanzen die Hitze vom Haus fern, im Winter aber sah es aus, als würde das wirre Adergeflecht die gute alte Laube zusammenhalten, wenn der Ostwind gar zu sehr heulte.
DDR. 1 Deutsche Mark 1956. Foto: Angela Graff.
Gestern hatte ich noch einmal dem Sofa einige Münzen entlockt. Lustig waren beim Springen auf dem guten alten Stück erneut einige Mark- und Pfennigstücke unter dem Sofa hervorgekullert. Wieder war ein altes 10 Pfennigstück dabei, was wohl nicht zu gebrauchen war und bei Onkel Ernst eingetauscht werden musste. Onkel Ernst sammelte alles an alten Münzen und er tauschte dabei 1:1. Stand auf dem Stück 10 Pfennig, dann bekam man, egal wie alt das Stück auch war, 10 Pfennig in gültiger Währung ausgezahlt. So manches Eis im Sommer wurde von unserem Sofa in der Gartenlaube finanziert. Ja, wir hatten ein Geldsofa!
Natürlich wussten wir Kinder genau, dass es solch eine Zauberei nicht gab und alles eine natürliche Ursache haben musste. Wir Kinder glaubten in der Öffentlichkeit nicht mehr an den Weihnachtsmann, aber insgeheim doch noch ein wenig, weil Weihnachten mit einem gewissen Zauber, den wohl nur ein Kind verstehen kann, umgeben ist.
Angefangen hatte alles im Sommer. Es war heiß und viele unserer Freunde waren bereits im Urlaub. Da Mutter damals auch arbeiten ging, waren wir oft in den Schulferien bei Oma und Opa im Garten. Dort war es nie langweilig, denn Opa kannte viele Spiele, konnte Grimassen schneiden wie kein anderer, und er lachte gern. In diesem Jahr war aber alles anders. Im vergangenen Winter hatte sich Opa ein Bein gebrochen. Lange war er mit seinem Gipsbein, welches er „Geigenkasten“ nannte, an das Bett gefesselt. Langsam wurde es besser und er ging im Frühjahr wieder in den Garten hinaus, nun aber mit seinem „Freund“, einem Gehstock.
Aber ganz plötzlich, nach einer Erkältung, kam Opa in das Krankenhaus und starb wenige Tage später. Damals war es nicht üblich, dass Kinder an einer Beerdigung teilnahmen und so nahmen wir Geschwister ganz still und mit einer Kerze von Opa Abschied.
Oma war eine sehr tapfere Frau, sie war es gewohnt zu leiden. Da unsere Großeltern einst aus dem Sudetenland gekommen waren, hatten beide genug Leid und Ungerechtigkeit erfahren. Sie hatten gelernt, auf ihre Weise mit persönlichem Schmerz umzugehen. Oma war noch etwas stiller geworden, doch sonst war sie noch genauso geschickt im „Mühle“ spielen, und beim „Mensch ärgere Dich nicht!“ gehörte Sie zu den Besten. Sie behielt die Contenance und verzog keine Miene, auch wenn sie das dritte Mal verlor. Für uns eine bewundernswerte Frau.
Wie meist saßen wir damals mit unserer Oma am Abend bis zum Dunkelwerden auf dem Sofa in der Laube und spielten Karten. Oma stand plötzlich auf und sagte: „Also für uns Spieler gibt es noch einen Pudding mit Erdbeeren, und dann ist Schlafenszeit.“ Oh, das Zauberwort Pudding mobilisierte unsere müden Glieder. Mein Bruder begann, nachdem Oma im Haus verschwunden war, auf dem Sofa herumzuspringen. Es dauerte nicht lange und einige Geldstücke purzelten hervor. Einige rollten sogar aus der Laube heraus und lagen nun im Gras. Wir machten große Augen, war das schon geträumt? Nein, die schnell aufgesammelten Geldstücke waren insgesamt 3,52 Mark. Ich schaute sofort unter das Sofa, doch da lag nichts. Aber es konnte nur aus dem Sofa sein, denn wir alle hatten es ja gesehen, wie die Münzen unter dem Sofa hervorrollten. Zauberei also!
DDR. 50 Pfennig 1950. Foto: Angela Graff.
Wir beschlossen, vorerst Oma nichts davon zu erzählen und an den nächsten zwei Tagen freute sich der Eismann gewaltig über seine treuen Kunden. Ich kann es ja heute zugeben, denn ich bin am nächsten Tag gleich selbst etwas auf dem Sofa herumgesprungen und das brachte mir eine alte Markmünze ein, die ich vorsichtshalber Onkel Ernst zeigte und er mir wie der Kurs damals war, zwei Fünfziger dafür gab. Als Notgroschen wanderten diese wiederum in meine Spardose, für schlechte Zeiten. Doch das Sofa blieb ein Rätsel. Wo kam das Geld nur her?
Wir machten durch unsere Springerei ein kleines Vermögen und oft war es Oma zu seltsam, wenn wir am Abend sogar im heißgeliebten Milchreis mit Zimt und Zucker herumstocherten. Kopfschüttelnd befühlte sie abwechselnd unsere Stirn. Doch Fieber hatten wir nicht.
Mit großer Mühe hatten wir einmal das gesamte Sofa umgedreht, vergeblich. Am gleichen Abend, als wir wieder einmal Karten mit Oma spielten, bückte sich Oma plötzlich und hob ein Zweimarkstück auf. Oh, wie sie sich darüber freute, und natürlich spuckte sie sofort drauf, um es dann gleich in ihre Schürze zu stecken. Beim Kartenmischen sagte sie: „Na, ob das Geldstück nicht etwa aus dem Sofa kommt?“
Wir Kinder waren sofort hellwach. Wusste Oma etwa etwas vom Zaubersofa? „Wieso aus dem Sofa?“, fragte ich. „Ach, sagte Oma, weißt du, wenn Opa früher von der Arbeit kam, dann hatte er oft eine Menge an Kleinmünzen in der Hosentasche. Die rollte er im Sommer nach dem Abendbrot immer hier am Tisch und brachte sie am nächsten Morgen zur Sparkasse. Aber meist legte er sich noch bis zum Abendbrot eine halbe Stunde auf das Sofa und schlief ein wenig. Dabei muss ihm so manche Münze aus der Hosentasche in die Sofaritze geflüchtet sein. Oftmals haben wir beide das Ding gedreht, aber das Sofa gibt wohl nichts wieder her. Kinder, es gibt eben Dinge auf der Welt, die gibt es gar nicht.“ Damit war das Thema für Oma erledigt. Für uns fing aber alles erst an!
Na klar, unser Opa war ja noch bis zu seinem Beinbruch fast täglich im Sommer als Kellner im „Gambrinus“, unserer Dorfgaststätte mit Weingarten beschäftigt gewesen. Und richtig, immer wenn er am Abend zurückkam, machte er vor dem Abendessen sein Schläfchen auf dem Sofa. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte er dort unser Sofa mit Münzen „bestückt“. Klar war uns nun auch geworden, dass unser Sofa nur durch Drehen seine angesammelten Schätze nicht hergab. Man musste schon kräftig darauf herumspringen, damit die Münzen rollten. Und auch richtig: Unsere Großeltern hüpften mit großer Wahrscheinlichkeit niemals auf dem Sofa! Das Geheimnis war also gelöst.
Aber was steckte da noch alles an Geld drin und was war damit zu machen? „Komm Junge, es wird zu kalt, ich mache uns eine Tasse Kakao.“ Oma riss mich erneut aus meinen Gedanken, noch einmal wollten wir das gute alte Sofa bespringen, bevor endgültig die Tür abgeschlossen wurde. Ganze 12,87 Mark gab das Sofa nach „drei Durchgängen“ noch her.
Deutsches Kaiserreich. 10 Pfennig 1914; 1/2 Mark 1914; 1 Mark 1915. Foto: Angela Graff.
Und wieder war eine alte Münze, eine „½ Mark“ dabei. Solch ein Stück hatte ich noch nie gesehen. Aber die musste bei Onkel Ernst noch mindestens zwei Mark bringen. Brachte sie auch, nachdem ich Onkel Ernst alles erzählt hatte. Auch das, was wir mit dem Geld aus dem Sofa vorhatten. Wir hatten nun stolze 14,87 Mark. Nun mussten wir noch unsere Eltern über unser Vorhaben einweihen und auch sie waren sofort beide einverstanden. Von Mutter bekamen wir ein altes Foto, welches Oma und Opa nebst einem Schäferhund vor einem kleinen Haus zeigte. Im Hintergrund waren schneebedeckte Berge zu sehen. Mutter sagte uns, dass dieses Foto im einstigen Heimatort unserer Großeltern im Riesengebirge entstanden war. Das Bild und das Geld sollte nun ein Weihnachtsgeschenk für Oma werden.
Am Heiligen Abend wickelte Oma dann ganz langsam das geschmückte Papier auseinander und wunderte sich zunächst über einen glänzenden Rahmen. Als sie jedoch den Rahmen umdrehte, glänzten ihre Augen, als sie das alte Foto, nun schön gerahmt, in den Händen hielt. Dabei fielen noch einige übriggebliebene Münzen aus dem Päckchen. Oma konnte es gar nicht fassen, und wir Kinder mussten ihr die Geschichte vom geheimnisvollen Sofa in ihrer Laube immer wieder erzählen. Oma lachte immer viel, aber an diesem Heiligen Abend lachte sie wohl besonders gern.
Das Bild bekam bei ihr einen Ehrenplatz und stand fortan auf dem kleinen Nachttisch am Bett. Auch die Münzen, welche durch das Sofa berühmt wurden, gab sie nie aus und nahm sie gern in die Hand. Woher die ganz alten Münzen kamen, konnte nie geklärt werden, aber sicherlich hatten schon vorher andere Leute gern auf diesem Sofa geschlafen.
Es sind die vielen Geschichten, welche das Leben schreibt, die es wert sind, weiter erzählt zu werden – und wenn auch nur in der Weihnachtszeit.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gesegnete Weihnachtszeit.