Der alte Nussknacker-König – Eine kleine Weihnachtsgeschichte

Nussknacker und Engel zur Weihnachtszeit. Foto: Angela Graff.
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Ein Weihnachtsfest ohne Nüsseknacken ist für uns heute kaum vorstellbar. Allerdings gab es Zeiten, wo vielen das Geld fehlte, um sich diese kleine Freude an den Weihnachtstagen zu gönnen. Unsere Tante Rosi hat uns Kindern die Geschichte vom Nussknacker-König oft erzählt, wenn wir am Heiligen Abend in der Küche beisammensaßen und auf den Weihnachtsmann warteten. Viele Jahre habe ich die Geschichte mit mir herumgetragen, doch heuer habe ich sie endlich einmal aufgeschrieben:

Er war ein Husar, aus kernigem Buchenholze geschnitzt und mit bunten Lackfarben bemalt. Alt war er, sehr alt und seine Farben hatte man schon einige Male erneuern müssen. Er gehörte noch nicht zu den modernen breitscherigen Zangen mit nüchterner Form, wie man sie heute oft auf den Weihnachtstischen liegen sieht. Er war eher der Urtyp und darauf war er stolz. Die Familie, in der er von Generation zu Generation vererbt wurde, bewahrte ihn zusammen mit den Glaskugeln und dem Lametta in einer schmucklosen Pappschachtel auf. War die Weihnachtszeit vorbei, dann lag die Schachtel das Jahr über vergessen auf dem Dachboden. Erst vor dem 1. Advent holte man alles wieder in die Stube. Frisch abgestaubt, stand er stets würdevoll neben dem Adventsengel und zeigte sein schnurrbärtiges Gesicht mit den riesigen Zähnen. Wie jedes Jahr freute er sich auf die vielen Nüsse, welche er nun bald wieder zermahlen konnte, so dass sie krachend auseinandersprangen.

Der Mann der gerade den Nussknacker auswickelte, tat es stets mit großer Freude. Denn dann wurden in ihm wieder alte Erinnerungen wach. Dann sah er sich selbst als Knabe staunend vor dem Christbaum stehen, wie er den bunten Nussknacker darunter bewunderte. Damals hatte er den Nussknacker-König den gesamten Heiligen Abend nicht aus den Händen gelassen und er nahm ihn auch spät abends mit in sein Bett. Alle Nüsse, die an den Festtagen in der Familie gegessen wurden, schob er persönlich dem hölzernen Gesellen zwischen die Zähne. Sogar die einzelnen leeren Schalen mussten noch einmal durchgekaut werden, weil es ja so schön prasselte, wenn der Nussknacker zubiss. „Wie lange ist das nun schon her?“, seufzte der Mann leise auf.

„Vor einigen Jahren habe ich Dir noch eine neue Uniform angemalt. Nun, wir sind beide in die Jahre gekommen, alter Knabe.“ Der Mann strich dem Nussknacker-König liebevoll über das Gesicht. Allerdings war die Zeit inzwischen auch an den Zähnen des Königs aus Buchenholz nicht spurlos vorübergegangen. Harte Walnussschalen hatten tiefe Rillen in das Gebiss hineingerissen. Vorsorglich hatte man ihm damals kleine eiserne Ringe um die Zähne gelegt und seitdem kaute der alte König nun auf Plomben weiter. Doch in diesem Jahr schien es, als sollten die eisernen Zähne keine Arbeit bekommen. In den Geschäften war in den letzten Monaten alles sündhaft teuer geworden. Ein einfaches Brot kostete beim Bäcker bereits Milliarden an Mark und es sollte noch schlimmer kommen. Man brauchte in dieser Zeit andere Dinge notwendiger als Nüsse.

Die Frau des Hauses war schon lange an Rheumatismus erkrankt, oft konnte sie nur mit Schmerzen für einige Stunden das Bett verlassen. Der Mann arbeitete damals bei der Eisenbahn, bekam aber nur wenig Geld. Als an einem Abend der Mann den Nussknacker-König sorgsam aus dem Zeitungspapier wickelte, überlegte er, ob es nicht besser wäre, er würde den Nussknacker gar nicht auf den Tisch stellen, sondern gleich wieder in die Schachtel zurücklegen. Schnell überrechnete er das wenige Geld und sprach mit seiner Frau, doch sie schüttelte ihr Haupt. „Ach, Kurt, die Wirtschaft erlaubt uns keinerlei unnütze Ausgaben – selbst an den Weihnachtstagen nicht.“ Sie hatte ja so recht. Leise ging der Mann in die Stube zurück, packte den Nussknacker-König wieder ein und brachte alles auf den Boden. Doch heimlich beschloss er ab sofort nicht mehr zu rauchen, obwohl er zum Feierabend doch gern sein Pfeifchen rauchte. Sein Entschluss stand fest. Das ersparte Geld für den Tabak erlaubte es ihm, dafür ein halbes Pfund (250 g) Haselnüsse beim Kaufmann zu holen. Gesagt, getan.

Fast ängstlich verwahrte er nun diesen Schatz, um ihn am Heiligen Abend auf den Tisch legen zu können. Als es am Weihnachtstag dunkel wurde, schlich er heimlich auf den Boden, um den geliebten Nussknacker-König, der mit Zeitungspapier bedeckt noch immer in der Schachtel träumte, herunterzuholen. Allerdings fand er ihn nicht. Aufgeregt wühlte er fast den ganzen Boden um, doch der Nussknacker war fort. Offenbar war er wie eine Märchenfigur in den Boden gesunken. Er war weg, wie ein alter Hausgeist, der auf den Boden stampft und verschwindet, wenn man ihn nicht mehr braucht.

Das machte den alten Mann ganz traurig, denn er glaubte, dass der Nussknacker durch irgendein Versehen bestimmt fortgeworfen worden sei. Wo sollte er denn sonst noch sein? Langsam, ganz langsam, ging er die Stufen vom Boden hinab. Als er die Stube betrat, zündete seine Frau gerade die dünnen Wachskerzen am Tannenbaum an. Immer noch traurig ging er zum guten Stubenschrank, holte aus einem Versteck seinen kleinen Schatz hervor und legte ihn stumm in die Hände der Frau. „Was ist das?“, fragte mit erschrockenem Gesicht die Frau, aber der Mann schaute zur Seite. Nachdem die Frau in die bunte Tüte mit den kleinen Haselnüssen geblickt hatte, stand sie auf und ging mit einem sanften Lächeln zum Stubentisch. Dort wo sonst immer die Geschenke aufgebaut wurden, war in diesem Jahr nur eine einzige Stelle mit einer großen Weihnachtsserviette abgedeckt. Langsam hob die Frau nun das Deckchen auf und siehe da – da stand der gute alte Nussknacker-König in leuchtend hellen Farben, die ganz frisch aufgemalt waren, inmitten eines Tellers mit großen Walnüssen. Fragend und mit Tränen in den Augen blickte der Mann seine Frau an. Wie war es nur möglich, dass seine Frau dieses Wunder vollbracht hatte? Doch auch sie schaute ihn nicht an, sondern senkte ihr Haupt und gab ihm stumm die Hand – und nun erst bemerkte er, dass der schmale Silberring, den sie als Geschenk einer lieben Tante immer in Ehren gehalten hatte, ihren schlanken Finger nicht mehr zierte. Fast schämte sich der Mann ein wenig, denn war doch das Opfer der Frau viel größer gewesen als das seine. Vor dem Fenster ertönte plötzlich ein leiser Gesang, der immer lauter wurde. Kinder, die gerade auf dem Weg zur Kirche waren, sangen mit heller Stimme „Stille Nacht, heilige Nacht.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gesegnete Weihnachtszeit.

 

Die Weihnachtsgeschichten unseres Autors numiscontrol haben Tradition. Hier finden Sie die Geschichten der letzten Jahre:

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