von Ursula Kampmann
26. Oktober 2017 – Wir vergessen manchmal, dass Künstler nicht nur ihre Werke schaffen, sondern eingebunden sind in eine Familie; dass sie Menschen hinterlassen, denen sie etwas bedeutet haben; und dass diese Menschen oft einen Nachlass hüten, der für das Verständnis des künstlerischen Werks existentiell ist. So ein Künstler war Heinrich Zimmermann, der von 1900 bis 1944 für die Stuttgarter Metallwarenfabrik Mayer & Wilhelm arbeitete. Seine Nachkommen übergaben Bernd Kaiser dessen Nachlass, ein umfangreiches Ensemble, das nicht nur eine handschriftliche Biographie aus der Feder des Künstlers, sondern auch Fotos, Zeichnungen und Gipsmodelle enthält. Der Autor stellt das Werk Heinrich Zimmermanns in seinem Katalog vor, bereichert durch das zusätzliche Material, das dem Künstler wichtig genug war, um es aufzubewahren.
Bernd Kaiser, Mayer & Wilhelm Band 6: Heinrich Zimmermann. Graveur – Ziseleur – Modelleur – Medailleur – Bildhauer. Eigenverlag Bernd Kaiser, Fellbach 2017. 160 S., durchgängig farbig illustriert. 21,5 x 30,2 cm. ISBN: 978-3-00-056852-7. 36 Euro.
Thematisch und chronologisch geordnet, stellt Bernd Kaiser die von Heinrich Zimmermanns gestalteten Medaillen zusammen. Der Katalog ist lehrreich, und das in mehrerer Hinsicht. Zunächst dient der große Überblick zum Werk dazu, zu sehen, mit welch großer Kunstfertigkeit Zimmermann sich der Gebrauchsmedaillen annahm, die seine Kunden wünschten. Er schuf, was sich damals gut verkaufen ließ: Goethe, Schiller und Luther, heroische Soldaten im 1. Weltkrieg, Tauf-, Jagd- und Preismedaillen. Oft musste er dafür auf Material zurückgreifen, dessen Qualität zu wünschen übrig ließ, so beschwerte er sich 1908 darüber, dass er nur eine „armselige Postkarte“ als Vorlage besaß, um ein Porträt des Karl Graf von Linden zu gestalten.
Und das ist der andere Punkt, der für jeden kulturhistorisch interessierten Menschen spannend ist: Was verlangte damals das Publikum? Die vielen Porträts, die von Mayer & Wilhelm gefertigt wurden, würden bei heutigen Direct-Marketing-Gesellschaften zum Ladenhüter. Aktuelle Bestseller wie Sport und Tiere kommen dagegen nur am Rande vor – und dann im Bereich der Preismedaillen. So schuf schon ein Heinrich Zimmermann eine Fußballmedaille, allerdings nur einseitig, denn sie wurde nicht an die Fans, sondern an die Veranstalter verkauft, die so eine Medaille an die Mitglieder der siegreichen Mannschaft verliehen. Deshalb musste die Rückseite für eine Gravur freibleiben.
Wir können beim Blättern wunderbar nachvollziehen, wie stark sich in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts das Geschichtsbewusstsein der Bürgerschicht, die mit Vorliebe solche Medaillen kaufte, von dem unseren unterschied. Wer glaubt heute noch, dass der einzelne einen entscheidenden Einfluss auf die Geschichte hat?
Eingeleitet wird der Katalog von einer fünfseitigen Vita des Künstlers, die auf dessen Autobiographie beruht. Schade, Bernd Kaiser zitiert diese Schrift nur hin und wieder. In ihrer Gesamtheit ist sie nicht abgedruckt. Der interessierte Leser vermisst sie, denn wie viele Autobiographien von Medailleuren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben wir? Hier wäre ein Desiderat, diese wichtige Quelle in voller Länge der numismatischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Das Werk ist im Eigenverlag erschienen und kann beim Verfasser für 36 Euro bestellt werden.