von Ursula Kampmann
22. September 2016 – 188 Archäologen und Archäologinnen aus 22 Nationen arbeiteten vom 4. Mai bis zum 30. November 2015 in Ephesos. Sie fanden Spektakuläres und Unspektakuläres, erkundeten eine spätantike Residenz südlich der Marienkirche, gruben im Serapeion und an der Kuretenstraße. Der Domitiansbrunnen wurde restauriert genauso wie die Wandmalereien im Hanghaus 2. 1.392 Fundmünzen wurden bestimmt, 126 restauriert. Trägerorganisation dieses internationalen Forschungsprojekts ist seit rund 120 Jahren das Österreichische Archäologische Institut. Mehr als ein Jahrhundert lang wurde mit Ephesos nicht nur eine der bedeutendsten Grabungen des Mittelmeerraumes erforscht. Hier erhielten darüber hinaus Hunderte von Archäologen aus aller Herren Länder ihre praktische Ausbildung.
Die Celsusbibliothek. 1905/6 ausgegraben wurde sie in den Jahren 1970 bis 1978 auf Kosten des österreichischen Bau-Tycoons Anton Kallinger-Prskawetz und der österreichischen Gesellschaft der Freunde von Ephesos wieder errichtet. Foto: KW.
Das ist nun Geschichte. Zum 31. August 2016 mussten die österreichischen Archäologen auf Anordnung des Außenministeriums ihre Arbeit einstellen, wie die türkische Nachrichtenagentur Dogan am 4. September 2016 meldete. Als Grund dafür wurden „andauernde politische Spannung mit Österreich“ angegeben. Die Leitung der äußerst komplexen Ausgrabungsarbeiten soll vom Direktor des Ephesos Museums übernommen werden.
Das Südtor der Agora. Die Kosten für dessen Wiedererrichtung trugen ebenfalls Anton Kallinger-Prskawetz und die Gesellschaft der Freunde von Ephesos. Foto: KW.
Tatsächlich herrscht zwischen Ankara und Wien Eiszeit. Anfang August hatte der österreichische Bundeskanzler Christian Kern einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefordert. Er kritisierte die demokratischen Standards der Türkei, die bei weitem nicht ausreichend seien, um einen Beitritt zur EU zu rechtfertigen. Ferner konstatierte er, dass auch die Wirtschaft der Türkei weit entfernt sei vom europäischen Durchschnitt. Der Abstand zum Lohnniveau sei zu hoch, womit Kern implizierte, dass bei einem EU-Beitritt mit einem Zustrom an türkischen Einwanderern zu rechnen sei.
Auf Initiative der Gesellschaft der Freunde von Ephesos wurde unter dem Motto „Ein Dach für Ephesos“ die Überdachung der Hanghäuser finanziert. Foto: KW.
Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu bezeichnete daraufhin Österreich als „Zentrum des radikalen Rassismus“. Kern zeigte sich unbeeindruckt, man müsse bei einem Abbruch der Verhandlungen nichts fürchten. „Wir sind gegenüber der Türkei keine Bittsteller.“
Tatsächlich scheinen dem seine Wähler zuzustimmen. Was die Türkei noch mehr verärgert. Nach einer pro-kurdischen Demonstration mit lediglich 600 Teilnehmern rief Ankara den türkischen Botschafter aus Wien „zu Konsultationen“ zurück. Im Mittelpunkt weiterer Auseinandersetzungen steht der Wiener Flughafen Schwechat. Eine Werbung der österreichischen Krone-Zeitung hatte dort das Ergebnis einer Umfrage folgendermaßen zusammengefasst: Mit Türkei-Urlaub unterstützt man nur Erdogan. Kurz zuvor hatten sich türkische Zeitungen über Fotos empört, die in sozialen Netzwerken aufgetaucht waren. Darin hatte jemand eine Botschaft des offiziellen News-Ticker des Flughafens festgehalten: „Die Türkei erlaubt Sex mit Kindern unter 15 Jahren“.
Opfer dieses politischen Hickhacks ist nicht nur eine 120jährige Tradition, sondern auch die vielen Archäologen, deren Abschlussarbeiten sich in irgendeiner Form mit der Grabung von Ephesos beschäftigen. Opfer ist auch die Weltkulturerbe-Stätte Ephesos selbst, denn durch den Rausschmiss des Österreichischen Archäologischen Instituts gehen mehr als ein Jahrhundert gesammelte Erfahrung verloren.
Zahlreiche Tagesmedien schrieben über den Entzug der Grabungsgenehmigung: So die Süddeutsche Zeitung, Fokus und natürlich auch die österreichische Kronen-Zeitung.
Wenn Sie in Erinnerungen an das schöne Ephesos schwelgen wollen, empfehlen wir Ihnen die Lektüre unseres numismatischen Reiseführers.
2013 verloren bereits italienische Archäologen ihre Grabungsgenehmigung in Hierapolis.
Dass kulturelles Erbe in der Türkei im Schatten von Politik und Religion steht, zeigt unser Beitrag „Byzantinische Kirche in der Türkei in Moschee zurückverwandelt“.
Wie die Türkei ihr kulturelles Erbe bewahrt, lesen Sie in „Steine des Anstoßes“ und „Hungerstreik türkischer Archäologen abgewendet“.