von numiscontrol
23. Dezember 2015 – In der kleinen sächsischen Stadt Pulsnitz riecht es seit 1558 besonders in der Vorweihnachtszeit nach frisch gebackenen Leb- und Honigkuchen. Noch heute gibt es in der Stadt zahlreiche Pfefferküchlereien, welche nach alten, von Generation zu Generation überlieferten Rezepten, den Pulsnitzer Pfefferkuchen backen. In den meist kleinen Familienbetrieben lagert der Grundteig aus Mehl und Honig über Monate hinweg, bis er dann endlich verarbeitet wird. Eine lange Lagerung und die nach einem Geheimrezept beigegebenen Gewürze geben dem Pfefferkuchen sein typisches Aroma. Die Pfefferküchler waren und sind noch heute gern gesehene Händler auf den regionalen Festen und Wochenmärkten.
Werbeanzeige von Café Rüdrich von 1910. Quelle: Angela Graff.
Pfefferkuchen isst man in Sachsen gern und zwar das ganze Jahr über. Und trotzdem waren die Pfefferküchler früher gerade in der Weihnachtszeit oft mit Pferd und Wagen unterwegs, um in Dresden auf dem berühmten Dresdner Striezelmarkt ihre Waren zu verkaufen. Begleiten Sie doch einfach Maria, die Heldin meiner kleinen Geschichte, auf ihrer Reise zum Dresdner Striezelmarkt, und lesen Sie, was sie dort erlebte.
Rathaus und Marktplatz von Pulsnitz. Foto: Anaximander / https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en
Es war noch dunkel, als ein Pferdegespann über den Marktplatz von Pulsnitz ratterte. Die meisten Fenster der Häuser waren ohne Licht. In dieser frühen Morgenstunde schlief noch alles. Im kleinen Geschäft der Pfefferküchlerei von Moritz Rüdrich war es allerdings schon taghell. Die Tür war geöffnet und vor dem Geschäft standen einige große Kisten bereit, um verladen zu werden.
„Hast Du auch an die großen Honigkuchenherzen gedacht?“, fragte der Vater. Vor seinem geöffneten Mund waren für einen Augenblick kleine weiße Wölkchen zu sehen.
„Die sind alle in der braunen Kiste Nummer drei!“, kam die Antwort aus dem Geschäft. Kurz darauf erschien die Mutter mit einem Weidenkorb, der mit einem Tuch bedeckt war.
„So, und nun noch das Wechselgeld und die Kasse.“ Mit diesen Worten verschwand sie wieder im Geschäft. Es war in den letzten Tagen kalt geworden. Oft war am frühen Morgen die Wiese hinterm Haus wie von Puderzucker bestreut. Während der Vater die vielen Kisten und Kartons auf den Pferdewagen packte, hatte der Kutscher den beiden Pferden bereits die Futtersäcke über den Kopf gezogen. Die Pferde ließen sich das zusätzliche Futter schmecken, als ahnten sie schon eine längere Reise.
Maria und ihren kleinen Bruder Max schien das alles wenig zu interessieren. Noch ganz verschlafen und müde erschienen beide an der Ladentür. Maria rollte vorsichtig ihren Puppenwagen die beiden Stufen zum Geschäft herunter, während Max beide Hände tief in den Taschen vergraben hatte.
„Na, endlich ausgeschlafen, ihr Langschläfer?“ Der Vater lachte und steckte sich seine Tabakspfeife an. Sein Gesicht war dabei kurze Zeit hell erleuchtet und die dicken Rauchwolken kringelten sich um seinen Kopf. Marie sah gern zu, wenn sich der Vater die Tabakspfeife stopfte, um beim Anzünden die dicksten weißen Wolken zu zaubern.
„So, es kann losgehen. Maria, hast Du deine Puppe? Und Max, hör endlich auf, die Pferde zu ärgern! Ab auf den Wagen, aber zügig!“
Oh, die Mutter war wieder aus dem Laden gekommen und trug ein dickes Tuch um den Kopf. Als die beiden Kinder hinten im Wagen Platz genommen hatten, gab die Mutter Maria noch eine kleine Holzkiste und sagte dabei: „So, hier bleibst Du drauf sitzen, die ganze Zeit, bis wir da sind, hörst Du? Das ist die Kasse mit dem Wechselgeld!“
„Ja“, antwortete Maria. Dem kleinen Max hatte die Mutter mit einigen Decken zwischen den Körben und Kisten ein Lager gebaut. Die Müdigkeit am frühen Morgen, die wohlige Wärme der Decken und der Geruch von frisch gebackenen Pfefferkuchen ließen Max schnell einschlafen. Er freute sich auf die Oma, bei der er einige Tage bleiben sollte. Maria sah viel lieber nach vorn zum Kutschbock, auf dem Mutter und Vater saßen, und auf die schon leicht verschneiten Wiesen und Wälder, welche in langsamer Fahrt vorbeizogen. Jedes Jahr fuhren die Eltern zum Striezelmarkt nach Dresden und schon im letzten Jahr hatte Maria sie begleiten dürfen, um dann in Dresden noch einige Tage bei der Oma zu verbringen.
Pulsnitzer Spitzen (Pfefferkuchen). Foto: Karl Brause / https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en
Gemeinsam standen sie am Abend in ihrer großen Bude und verkauften die Pfefferkuchen, welche der Vater und Paul der Geselle in der heimischen Küchlerei gebacken und mit Zuckerguß verziert hatten. Auf dem Markt fragte man ständig nach den besonders großen Herzen oder den Honigkuchenpferden. Am Stand hatte Maria die Aufgabe, auf die alte Holzkiste, die Geschäftskasse, genau acht zu geben. Es blinkte immer geheimnisvoll, wenn der Deckel im Schein der Petroleumlampe geöffnet wurde. Am liebsten mochte Maria die kleinen goldenen Münzen und nahm sie gern in die Hand, um das Bild darauf genauer zu betrachten. Oma sagte dann oft lachend: „Na, Maria, himmelste mal wieder unsern Geenich an? Der kann noch auf dich warten. Leg ihn mal schön nach unten in de Kiste!“
Am späten Nachmittag kam die Familie endlich in Dresden an. Die Oma wartete bereits und der kleine Max strahlte, als ihn die Oma auf den Arm nahm. Der Vater fuhr gleich weiter zum Striezelmarkt, um die Ware am Stand auszuladen. Mutter, Maria und Max wärmten sich an Omas warmem Ofen auf und es wurden die wichtigsten Neuigkeiten ausgetauscht. Nach einer kurzen Rast liefen die Mutter und Maria auch hinüber zum Platz mit der großen Weihnachtstanne und den vielen kleinen Buden. Maria musste ihren Puppenwagen mitnehmen, denn unter Kissen und Puppe lag die Kiste mit dem Wechselgeld. Ein gutes Versteck und vor Langfingern sicher.
Noch war der Markt nicht geöffnet und trotzdem herrschte überall emsiges Treiben. Der Vater freute sich über das gebratene Hähnchen und über die Kanne mit dem heißen Tee. Er goss sich ein, schnupperte daran und strahlte: Die Oma hatte dem Tee einen ordentlichen Schluck Rum beigegeben, genau richtig bei diesem nasskalten Wetter. Vater griff in seine Manteltasche und gab Maria einige Münzen, welche er schon für die ersten verkauften Pfefferkuchen erhalten hatte.
„Es scheint ein gutes Geschäft zu werden. Als ich ankam wartete schon ein gutgekleideter Herr auf unsere Honigkuchen. Er nahm eins von jeder Sorte und versprach, am Abend wiederzukommen. Komische Leute gibt es.“
Maria nahm das Kissen aus dem Puppenwagen und legte das Geld in die Kiste. Ein goldenes 5-Mark-Stück wanderte dabei gleich nach unten. „So, wenn ihr nun da seid, dann gehe ich einmal zum Richard hinüber. Mal sehen, was er so alles zu bieten hat.“
Richard Köhler war ebenfalls ein Pfefferküchler aus Pulsnitz, auch er kam immer mit seiner Ware auf den Dresdner Striezelmarkt.
„Passt schön auf und verkauft gut!“ Der Vater ging, und im gleichen Augenblick begann es leicht zu schneien. Die Mutter zündete die kleinen Lampen am Stand an. Alles sah nun ganz feierlich aus und die kleinen Päckchen mit den Pfefferkuchen dufteten nach Anis, Zimt und Kardamom. Die ersten Leute kamen an den Ständen vorbei und wieder wanderten Münzen in die Holzkiste. Andere dagegen wurden aus der Kiste herausgenommen und begannen ihre Reise um die Welt.
Die Zeit verging und es wurde dabei nicht langweilig. Immer wieder holte Maria neue Pferde, Herzen und Pfefferkuchenmänner aus den Kisten und Körben, um sie am Stand aufzuhängen. „Ist denn auch der Meister zu sprechen?“, wurde plötzlich laut am Stand gefragt. Maria eilte nach vorn, um zu sehen, wer da fragte. Vorn standen drei Herren und daneben warteten zwei Polizisten.
„Ja was ist denn um Himmels Willen geschehen? Ist etwas nicht in Ordnung?“, hörte sie die Mutter rufen.
„Keine Aufregung, gute Frau, alles in Ordnung“, sagte einer der Männer. Die Mutter war ganz aufgeregt und schickte Maria, um den Vater zu holen. Gott sei Dank war er nicht weit.
„Schnell Vater, die Polizei ist am Stand…“ Weiter kam sie nicht, denn der Vater nahm Maria auf den Arm und rannte in Richtung Pfefferkuchenstand. Schon von weitem sah man, wie sich die Leute umdrehten oder gar stehenblieben. Die beiden Polizisten riefen immer wieder „Bitte weitergehen, gehen Sie doch weiter!“ Alle lächelten und einige verbeugten sich sogar.
„Was war hier nur los?“, fragte sich Maria. Schnell sauste sie an allen vorbei in den Stand, um sich gleich auf die wohl zu behütende Kiste zu setzen. Von hier aus konnte sie alles genau verfolgen, was nun geschah. Einer der Männer schien jemanden vorzustellen. Der Vater nahm nun seine Pelzmütze ab und verbeugte sich leicht. Maria sah ganz deutlich wie sich einer der Herren immer wieder von den kleinen gefüllten Spitzen nahm. Schon griff er nach einem weiteren Stück und die Mutter lächelte dabei.
Das kann doch wohl nicht sein, der fr… doch noch alle Probierstücke auf und bezahlt am Ende nicht, dachte Maria. Sie sprang von ihrer Geldkiste und stand schon bei den Männern, um die Schale mit den restlichen Spitzen zu retten.
„Oh wie reizend, das ist wohl das Fräulein Tochter?“, sagte der Mann und wollte wieder zugreifen. Doch traute er sich nicht wirklich, zu gefährlich blitzten die Augen von Maria. Mutter nahm das Mädchen schnell auf den Arm und sagte: „Aber gewiss doch, königliche Hoheit, sie heißt Maria.“ Dann zischte sie Maria „Das ist ein Prinz!“ in das Ohr und setzte sie wieder auf den Boden. Nun begriff Maria gar nichts mehr, hilflos blickte sie zum Vater. Der zwinkerte ihr zu und nickte kurz.
„Also Meister Rüdrich, wir sind von ihren Pfefferkuchen überzeugt und das Hofmarschallamt wird ab sofort die Bestellungen bei ihnen anfordern. Liefern sie pünktlich zum Fest!“ Der Vater dankte für das Vertrauen und verbeugte sich. Dann beugte sich der Prinz zu Maria herunter und sagte: „Sie scheinen ja hier das Geschäft mit großer Umsicht zu besorgen und auf die finanziellen Dinge zu achten. Gut, gut, das ist brav. Also gnädiges Fräulein Maria, was bin ich Ihnen für den außergewöhnlichen Schmaus von gefüllten Spitzen schuldig?“ Dabei reichte er ihr ein großes Goldstück hin.
„Aber Prinz, königliche Hoheit, das ist doch zuviel, da bekommst du noch etwas zurück“, stammelte Maria. Die Eltern wollten gerade im Boden versinken, die beiden Polizisten blickten diskret zur Seite. Der Prinz aber lachte und erwiderte, sie könne es ruhig annehmen und als Vorauszahlung für die zukünftigen Lieferungen an den Hof betrachten. „Ich wünsche Ihnen ein Frohes Fest.“ Mit diesen Worten ging der Prinz weiter und die beiden Polizisten bahnten ihm dabei den Weg durch die Leute. Noch einmal drehte sich der königliche Besucher um und winkte dem Mädchen kurz zu, dann war er im Gewirr von Menschen verschwunden.
Der Vater gab nun Maria einen kleinen Beutel mit Geld, welches er vom Hofmarschallamt als Vorauszahlung erhalten hatte. Das Mädchen schüttete alles in die Geldkiste und diese wanderte am Abend in ihren Puppenwagen. Unter Marias Puppe klapperten die Münzen leise, als die Familie gemeinsam über das holprige Dresdner Pflaster zur Wohnung der Oma lief. Hier im Puppenwagen waren die Münzen sicher verstaut. Maria war glücklich: Endlich war sie einmal einem richtigen Prinzen begegnet.
Die Eltern freuten sich vor allem über den guten Verkauf. Nun lieferten sie auch an den Königlich Sächsischen Hof.
Köhler-Haus. Ansichtskarte von 1910. Quelle: Angela Graff.
Wahr oder nicht wahr? Die Handlung habe ich frei erfunden, doch hätte sie sich damals schon so in etwa zugetragen haben können. Die Pulsnitzer Pfefferküchlerei Moritz Rüdrich und auch Richard Köhler hat es wirklich gegeben. Beide Pfefferküchler sind einst auf vielen Märkten der Region Sachsen mit ihren Pfefferkuchen gewesen, auch regelmäßig auf dem Dresdner Striezelmarkt.
Prinz Johann Georg von Sachsen in seinem Arbeitszimmer, um 1900. Foto: James Aurig.
Dabei wurde Moritz Rüdrich mit seinen Produkten im Jahre 1913 Hoflieferant Sr. Kgl. Hoheit Prinz Johann Georg von Sachsen. Im Jahre 1918 wurde er per Dekret zum Kgl. Sächs. Hoflieferanten des letzten sächsischen Königs Friedrich August III. ernannt. Auch den Pulsnitzer Pfefferkuchen gibt es noch heute.
Ein weiterer Fakt ist die Tatsache, dass ohne Lebkuchen, Honigkuchen und Pfefferkuchen, ein Weihnachtsfest fast undenkbar wäre. Ein wenig Fantasie und Träumerei in der Weihnachtszeit ist doch gestattet. Oder?
In diesem Sinne wünsche ich den Lesern der MünzenWoche eine gesegnete Weihnachtszeit.