von Ursula Kampmann
6. September 2018 – Die Numismatik ist etwas ganz Besonderes. Sie kann zu einer Leidenschaft werden, die das Leben erfüllt und sinnvoll macht. Sie verbindet Menschen, die sich vorher nicht kannten und überwindet dabei selbst die größten Distanzen. Nur so kann man es sich erklären, dass ein Australier, der mit seiner Familie 1951 von Malta nach Australien zog, ein Corpus der maltesischen Münzen erstellt, das den alten Standardkatalog von Restelli & Sammut aus dem Jahr 1977 ersetzen wird. Unzählige Kilometer ist John A. Gatt geflogen, um das gewaltige Material zusammenzustellen. Er hat 16.600 Münzen gesammelt, um einen Katalog zu erarbeiten, bei dem es sich um einen als Typen-Corpus getarnten Stempel-Corpus handelt.
John Gatt, Coins Minted by the Knights in Malta. A comprehensive catalogue 1530 to 1798. Melbourne 2018. 427 S., durchgängig farbige Abbildungen. Hardcover. 21,7 x 30,6 cm. ISBN: 978-0-646-98799-6. 200 Euro plus Porto.
Was ist der Unterschied zwischen einem Typen- und einem Stempel-Corpus?
Zunächst ein wenig zur Theorie (tut mir leid, aber manchmal muss das sein): Unter einem Typen-Corpus versteht man einen Katalog, der über Stempelvarianten hinweg die wichtigsten Typen einer Emission erarbeitet. Typische Typen-Corpora wären der gute, alte Davenport, Krause’s World Coins vor 1900 oder der HMZ-Katalog für die Schweizer Münzen. Eigentlich sind 99 % aller Kataloge, die sich mit den mittelalterlichen und neuzeitlichen Münzen beschäftigen, Typenkataloge. Vor der Einführung der maschinellen Prägung, die identische Stempel erlaubt, mussten nämlich derart viele Stempel von Hand geschnitten werden, dass es einen enormen Aufwand bedeutet, alle Stempel einer Emission zu erfassen.
Eine so aufwändige Arbeit scheint für die frühneuzeitliche Münzprägung nicht notwendig, da wir Stempel-Corpora hauptsächlich für die Beantwortung von zwei Fragestellungen brauchen: Wir können mit ihrer Hilfe den Umfang der Prägung ermitteln (kurz gesagt: viele Stempel – viele Münzen), und wir sind in der Lage dank der Kombination von Vorder- und Rückseitenstempel eine relative Chronologie der Münzen zu erarbeiten.
Bei frühneuzeitlichen Münzen verlassen wir uns für die Prägezahl auf die Archive. Und die auf der Münze erscheinende Jahreszahl ist genauer als Stempelkopplungen jemals datieren könnten.
Wo hören die Stempelvarianten auf und fangen die Typen an?
Natürlich ist es nicht immer einfach, zu entscheiden, wo die Variante eines Münzbilds anfängt. Hat der Stempelschneider sich nur dafür entschieden, die Buchstaben etwas anders zu verteilen? Oder sagt die Zahl der Punkte im Abschnitt etwas darüber aus, welches Team für die Herstellung welcher Münzgruppe verantwortlich war? Ist die Verwendung eines anderen Kreuztyps Zufall oder chronologischen Unterschieden geschuldet?
Ein Stempel-Corpus der Münzprägung der Malteserritter
Die frühneuzeitliche Münzprägung ist nicht so gut dokumentiert, dass wir nicht manchmal gerne auf einen Stempel-Corpus zurückgreifen würden. Und das können wir nun bei der maltesischen Münzprägung, denn John A. Gatt hat uns unbeabsichtigt ein Stempel-Corpus geliefert. Mit kleinen roten Pfeilchen und Kommentaren demonstriert er uns auch noch für jede einzelne Münze, worauf wir achten müssen, um den Stempel einer bestimmten Münze zu identifizieren.
Der Aufbau von Gatts Katalog
Der Autor hat sein schwergewichtiges Buch stringent gegliedert: Jeder Großmeister hat eine eigene Nummer, unter der alle Prägungen in seinem Namen gelistet werden. Als Einführung liefert Gatt Namen, Porträt, Wappen, Regierungszeit, Vita und die Nominale, die unter dessen Herrschaft herausgegeben wurden.
Es folgt der Katalog. Lesen Sie vor seiner Nutzung unbedingt die Einleitung! Denn er ist anders aufgebaut als wir es von Typen- und Stempelkatalogen gewohnt sind. Erst wird die Gesamtheit der ermittelten Stücke genannt, durchschnittlicher Durchmesser und durchschnittliches Gewicht angegeben. Es folgen die Vorder- und Rückseiten als Abbildung ohne Beschreibung, lediglich mit einem Hinweis auf die Unterschiede zu den anderen, typenidentischen Vorder- bzw. Rückseiten. In einer abschließenden Tabelle werden die „Münznummern“ angegeben, also die Nummer der Koppelung zwischen Vorder- und Rückseitenstempel – zusammengesetzt aus Nummer des Großmeisters, Zahl der ermittelten Stücke (gegliedert nach Museen und Privatsammlungen), durchschnittliches Gewicht und durchschnittlicher Durchmesser.
Es ist eine unglaubliche Arbeit, die der Autor geleistet hat – und doch muss man als Numismatiker fast weinen, wenn man denkt, wie viel seiner Arbeit es nicht bis ins Buch geschafft hat und so für die wissenschaftliche Nachwelt verloren ist. Statt tatsächlich jedes Exemplar zu listen und so die Möglichkeit zu geben, die Provenienzen all der Münzen von Malta nachzuvollziehen, hat der Autor sich entschieden, eine Zusammenfassung zu geben und die verschiedenen Stempel als Varianten zu behandeln. Wer den nächsten Katalog der Münzen von Malta in einem halben Jahrhundert schreiben will, der muss nun wieder bei „Null“ anfangen und kann nicht auf von John A. Gatt geleistete Arbeit aufbauen. Was für ein Verlust!
Ganz abgesehen davon ist es natürlich auch juristisch nicht ganz unbedenklich für einen Autor, Bilder von Auktionshäusern zu benutzen, ohne offenzulegen, welches Bild woher ist.
Bitte an den Autor
Deshalb, lieber Autor, ergänzen Sie doch Ihren Katalog um eine kleine unbebilderte Broschüre, in der Sie aufschlüsseln, in welchen Museen und Privatsammlungen, in welchen Auktionen und auf welchen Websiten Sie die unter der Kategorie „Qty M/P“ gelisteten Exemplare gefunden haben – bitte inklusive Gewicht und Stempelstellung, die Ihre Frau so sorgfältig gelistet hat. Es ist ein großartiges Buch, das da entstanden ist, aber durch so eine Ergänzung würde es zu einem Buch, auf dem alle Wissenschaftler, die sich zukünftig mit der Münzprägung von Malta beschäftigen wollen, aufbauen werden.
„Coins Minted by the Knights in Malta“ zeigt zwei Dinge. Zum einen, welcher Enthusiasmus bei Münzsammlern vorhanden ist. Sie sind erfüllt von ihrer Leidenschaft und fähig, in ihrer Freizeit Dinge zu tun, die kaum ein Wissenschaftler bereit wäre zu leisten.
Auf der anderen Seite ist dieses Buch die Illustration des Auseinanderklaffens der Welten von Wissenschaft und Sammlern. Jeder, der auch nur ein Proseminar in antiker Münzbestimmung durchlaufen hat, sollte wissen, wie die verschiedenen Formen eines Katalogs aussehen, und welche Daten es braucht, um sie zusammenzustellen. Es gibt dafür feste Gewohnheiten, die durchaus ihren Sinn haben.
Wie kann es kommen, dass John Gatt während seiner Recherchen 26 Münzkabinette von internationaler Reputation besucht hat, und niemand ihn auf die technischen Details eines Katalogs angesprochen hat? Schon allein um sicherzustellen, dass die eigenen Münzen in dem Katalog aufgefunden werden können, was bei der aktuellen Version nicht möglich ist!
Es ist gut, dass die heutige Technik es so leicht macht, Ergänzungen zu produzieren. Lieber Autor, ich interpretiere das so, dass es sich bei diesem Werk um den ersten Band handelt, dem in Kürze der zweite Band mit einer zuordnenden Liste aller für den Stempelkatalog benutzten Stücke folgen wird.
Dass jeder, der die Münzen des Malteserordens auf dem neuesten Stand der Wissenschaft beschreiben will, dieses Buch kaufen muss, muss ich wohl nicht eigens erwähnen.
John A. Gatt unterhält eine eigene Website, auf der alle Münzen, die in diesem Buch abgebildet sind, in hoher Auflösung zu finden sind.
Über diese Website kann das Buch auch bestellt werden.