Die Sammlung Ebnöther in Schaffhausen

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von Ursula Kampmann

3. Oktober 2013 – Er muss ein bescheidener Mann gewesen sein, jener Marcel Ebnöther, der im Jahr 2008 starb und bereits zuvor dafür gesorgt hatte, dass seine Sammlung im Museum zu Allerheiligen / Schaffhausen eine neue Heimat fand.

Eingang zur neuen Ausstellung der Sammlung Ebnöther. Foto: KW.

Wer im Internet nach Marcel Ebnöther sucht, entdeckt nur wenige Informationen über ihn. Man liest, dass der Sammler 1920 geboren wurde und 1947 das Klebstoffunternehmen Ebnöther AG in Olten gründete, das ihm die Mittel einbrachte, seine Leidenschaft zu finanzieren. Marcel Ebnöther reiste viel, vor allem in Lateinamerika. Und ihn begann zu interessieren, in wie weit gewisse Phänomene in weit entfernten Kulturen sich ähnlich oder ganz anders ausgeformt hatten. Für seinen forschenden Geist spricht seine Sammlung mit 6.000 Objekten und seine archäologischen Tagebücher, in denen er detailliert und gekonnt Eindrücke in Wort und Bild festhielt.

Ein Blick in die Ausstellung. Foto: KW.

Nun ist ein knappes Zehntel der von ihm gesammelten Objekte in einer neuen Dauerausstellung im Museum zu Allerheiligen zu sehen. Ein guter Grund, den Zug nach Schaffhausen zu nehmen, wenn man das nächste Mal eine Auktion in Zürich besucht. Auch wenn sich Marcel Ebnöther leider nicht für Münzen interessierte, ist das ausgestellte Material für jeden interessant, der sich für die alten Kulturen Mesopotamiens, Griechenlands, Italiens und vor allem Altamerikas interessiert.

Peru. Cupisnique. Gabelhalsflasche in Form eines Jägers mit Beute; entstanden 1500- 700. v. Chr. Foto: KW.

Der erste Raum ist dem Konzept des Sammlers gewidmet. Marcel Ebnöther verglich die Ausformungen der verschiedenen Kulturen, mit denen er sich auseinandersetzte.

Tarent(?). Statuette eines Widderträgers. 2. Hälfte 5.-4. Jh. v. Chr. Foto: KW.

Ihn erfreuten die einander so ähnelnden Darstellungen eines altperuanischen Jägers, der auf den Schultern das Beutetier nach hause trägt, und eines Hirten aus Großgriechenland, der sich einen Widder über die Schultern gelegt hat.

Porträt des ersten römischen Kaisers Augustus. Foto: KW.

Den Zeitrahmen spannte der Sammler für seine Vergleiche im Westen von einer sitzenden Frau, die der syrischen Tell-Halaf-Kultur um 5.500 v. Chr. entstammt, bis hin zur römischen Kaiserzeit, vertreten hier durch ein Porträt von Kaiser Augustus. Für die neue Welt beginnen die Funde mit Keramikfiguren aus Ekuador, hergestellt um 2.000 v. Chr. Sie enden mit dem Untergang des Inka-Imperiums 1532 n. Chr.

Tarent (oder Canosa?). Steigendes Pferd, Ende des 4. bis Anfang des 3. Jh. v. Chr. Foto: KW.

Beeindruckend ist vor allem die Qualität der Objekte. Nehmen wir hier zum Beispiel dieses wunderbare, sich aufbäumende Pferd aus Ton, hergestellt wohl in Tarent. Der Reiter, der einst mit den Löchern im Pferderücken befestigt war, ist verloren.

Tarent. Didrachme, vor 300 v. Chr. Aus Gorny & Mosch 195 (2011), 14.

Wäre er das nicht, wäre die Ähnlichkeit zu den etwas späteren Münzen der Stadt Tarent noch deutlicher zu sehen.

Beschriftungstafel. Foto: KW.

Die meisten Objekte werden über Touchscreens beschrieben. Pro Vitrine steht ein Touchscreen zur Verfügung, der über eine zentrale Einstiegsseite andere Ansichten und Vergrößerungen sowie ausführliche Informationen in mehreren Sprachen gibt.

Mesopotamien. Ochsengespann, 2. Hälfte 3. Jt. v. Chr. Foto: KW.

Tiere und Menschen, Waffen und Krieger; diese Überschrift könnte über dem zweiten Raum der Ausstellung stehen. Oder mit anderen Worten: Leben im Frieden und Leben im Krieg. Spektakuläres Objekt ist hier ein von Ochsen gezogener Wagen mit großen Scheibenräder, wie er im bronzezeitlichen Mesopotamien vielleicht als Statussymbol bei einem Begräbnis benutzt wurde.

Nazca / Peru. Fischschale, 2.-7. Jh. n. Chr. Foto: KW.

Auch der Fischfang war für viele Völker Alltag, so zum Beispiel für die Nazca, die ihr Hauptnahrungsmittel stilisiert auf prächtigen Schalen darstellten.

Veracruz / Remojadas. Zwei Krieger, 6.-7. Jh. n. Chr. Foto: KW.

Nichtsdestotrotz, im künstlerischen Bereich wurde dem Krieg immer schon wesentlich mehr Platz eingeräumt. Bunte Bemalung im Gesicht, Streitkeule und Schild, so schrecken diese Krieger aus Mexiko ihre Gegner.

Etruskische Kriegerstatuette, vermutlich Umbrien, 5. Jh. v. Chr. Foto: KW.

Geradezu farblos, so wirkt auf uns dagegen diese Statuette eines etruskischen Soldaten mit Helm, Brustpanzer, Schild und Beinschienen, der im Gestus des Speerwerfens dargestellt ist.

Chimú / Peru. Pfeifgefäß mit Herrscher, einen Trophäenkopf haltend. 11.-15. Jh. n. Chr. Foto: KW.

Der in Altamerika herrschende Kopfkult und das Menschenopfer, diese Phänomene müssen Marcel Ebnöther fasziniert haben. Jedenfalls sind eine Reihe von Objekten dieser Thematik gewidmet.

Colima / Mexiko. Gefäß in Form eines Zweikampfs. 2. Jh. v.-3. Jh. n. Chr. Foto: KW.

Hier wird ein überlegener Krieger mit seinem Handbeil den Unterlegenen gleich enthaupten. Schädel, ob im rituellen oder im richtigen Kampf erbeutet, wurden danach auf besonderen Gerüsten zur Schau gestellt.

Nayarit / Mexiko. Bestattungsszene, 1. Jh. v.-5. Jh. n. Chr. Foto: KW.

Ein anderer Themenkomplex ist Tod, Bestattung, Religion und Jenseitsvorstellungen. Hier sehen wir eine eindrückliche Bestattungsszene aus dem Volk der Nayarit. Man erkennt einen Dorfplatz begrenzt von zwei Häusern, auf dem sich ein Bestattungszug formiert. Der Tote ist als Mumie eingewickelt und wird von sechs Männern getragen. Wenn man genau hinsieht, erkennt man am Rand des Geschehens überall Gestalten, die sich die Wange durchbohren, um anlässlich des Begräbnisses ihr Blut in Schalen zu opfern.

Weihende. Links: Etruskisch, um 350 v. Chr.; rechts: Syrien, um 2.000 v. Chr. Foto: KW.

Die Bitte an die Götter vertreten diese beiden Frauengestalten, getrennt durch mehr als 1000 Kilometer und mehr als 1000 Jahre. Trotzdem ist die Geste die gleiche: Mit dem Geschenk in der Hand tritt die Frau vor das Antlitz der Götter.

Kleinasien. Bettrahmenbeschlag mit griechischer Inschrift. 93 v. Chr. Foto: KW.

Der nächste Raum ist den Errungenschaften der Kultur gewidmet. In erster Linie der Schrift, dann Tanz und Musik. Vom Rollsiegel über das Keilschrifttäfelchen bis hin zu diesem bemerkenswerten Objekt ist die Entwicklung der Schriftzeichen zu beobachten. Diese griechischen Buchstaben zierten einst ein mit Silber beschlagenes Bett, das vielleicht als Votivgabe in einem Herakles-Heiligtum gestanden haben könnte. Die Inschrift benennt die Auftraggeber, Aphrodisios und Protion, dazu den ausführenden Handwerker, Pausanias, das genaue Datum, Jahr 205 der Seleukidenära, und den Preis – der leider nicht in der Beschreibung auf dem Touchscreen angegeben wird. Und mein Griechisch reichte nicht aus, um ihn zu erschließen. Aber vielleicht springt hier einer der Leser der MünzenWoche in die Bresche…

Quipu der Inka, 15.-16. Jh. n. Chr. Foto: KW.

Noch etwas romantischer ist dieser Quipu, eine Art Knotenschnur, mit der die Inka ihre Nachrichten festzuhalten pflegten. Spätestens seit Karl Mays „Vermächtnis des Inka“ kennt auch der letzte abenteuerlustige Leser in Deutschland die Funktion dieser besonderen Art von Schrift.

Vulci(?). Etruskischer Weihrauchständer mit Tänzer, um 500 v. Chr. Foto: KW.

Wie weit verbreitet der Tanz und die Musik war, dies darzustellen, scheint dem Sammler besondere Freude gemacht zu haben. Hier sehen wir ein Beispiel aus der etruskischen Welt, die anscheinend dem Tanz besonders zugeneigt war. Unser Jüngling trägt nichts außer Schnabelschuhen. In der rechten Hand hält er ein Räucherbecken, von dem die Schale abgebrochen ist.

Teotihuacán / Mexiko. Tanzende, 3.-5. Jh. n. Chr. Foto: KW.

Geradezu als Ausdruckstanz könnte man das bezeichnen, was diese stilisierten, aber unglaublich modern wirkenden Statuetten aufführen. Unzählige Köpfchen von solchen kleinen Tonbildern wurden in der Umgebung des Tempels von Teotihuacán gefunden. Wahrscheinlich hat man sie einst während einer Zeremonie rituell zerbrochen.

Der letzte Raum der Ausstellung. Foto: KW.

Geradezu eine Schatzkammer ist der letzte Raum der Ausstellung. Hier sind die kostbarsten Objekte untergebracht.

Urartu. Ensemble von Zeremonialeimer, um 810 v. Chr. Foto: KW.

Zum ersten Mal überhaupt ist ein Silberfund aus dem Grab des urartäischen Prinzen Inuspua vereint ausgestellt.

Zeremonialeimer mit figürlicher Darstellung, um 810 v. Chr. Foto: KW.

Sieben Zeremonialgefäße, darunter eines mit prächtigen figuralen Verzierungen, ein anderes mit der inschriftlichen Widmung, beeindrucken jeden Besucher.

Teotihuacán / Mexiko. Maske mit Ohrschmuckscheiben. 3.-7. Jh. n. Chr. Foto: KW.

Einen ganz modernen Brauch nehmen die vielen Pflöcke voraus, mit denen schon die alten Völker Amerikas ihre Ohren schmückten. Allerdings müssen ihre modernen Nachkommen noch viel tun, bis ihre Ohrlöcher so ausgeleiert sind, dass sie diese großartigen Kreationen tragen können:

Chimú / Peru. Zwei Ohrpflöcke. 11.-15. Jh. n. Chr. Foto: KW.

Huari / Peru. Ohrpflock-Zierscheibe. 6.-10. Jh. n. Chr. Foto: KW.

Chimú / Peru. Ohrpflöcke mit Motiven aus Federn. Foto: KW.

Moche / Peru. Porträtgefäß, 5.-7. Jh. n. Chr. Foto: KW.

Kunsthistorisch noch viel interessanter ist dieses Gefäß der Moche, das eine Persönlichkeit porträtiert, die als „Cut-Lip“ in die Archäologie eingegangen ist. Durch die charakteristische Lippennarbe, die auf über 40 bekannten Bildnissen auftaucht, wissen wir, dass die Moche-Gefäße reale Persönlichkeiten abbildeten. Unser Cut-Lip altert auf den Gefäßen sichtlich. Hier ist er in seinen späten Teenie-Jahren zu sehen.

Nazca / Peru. Krieger mit Trophäenköpfchen. 2.-7. Jh. n. Chr. Foto: Museum zu Allerheiligen.

Schließen wir mit diesem prachtvollen Krieger der Nazca, einem Miniaturkunstwerk von gerade einmal 4,5 cm Höhe. Das Stück besteht aus nicht weniger aus 35 Einzelteilen!

Am 7. November 2009 öffnete das renovierte Ashmolean Museum seine Pforten. Als höchste Errungenschaft der modernen Museologie feierte man damals die kulturübergreifende Präsentation von Themenkreisen wie zum Beispiel „das menschliche Bildnis“, „Lesen und Schreiben“ oder „Geld“. Es ist bemerkenswert, wie sich das Echo auf solch unkonventionelles Querdenken ändert, wenn ein Heer von hochdekorierten Forschern sich dafür entscheidet.  Noch in dem vom Sammler Marcel Ebnöther selbst redigierten und herausgegebenen Katalog seiner Sammlung aus dem Jahr 1999 begann der Innsbrucker Professor Peter W. Haider sein Vorwort mit diesen Zeilen: „Es mag den Besucher des Museums überraschen, ja fürs erste vielleicht sogar irritieren, dass die hier gezeigten Exponate nicht, wie sonst üblich, nach Kulturgebieten getrennt präsentiert werden, sondern dass die Objekte thematisch geordnet und damit aus unterschiedlichen Kulturen kommend in einer Vitrine vereint erscheinen.“

Nein, Herr Haider, mich überrascht eher, dass ein Sammler wie Marcel Ebnöther aller Kritik von „wissenschaftlicher“ Seite zum Trotz bei seinem Konzept blieb; und mich irritiert, dass man ihm für sein innovatives Sammlungskonzept nicht größere Aufmerksamkeit zollt.

Was Marcel Ebnöther zusammengetragen hat und nach Schaffhausen schenkte, hat Weltrang. Diese Ausstellung ist es mit Sicherheit wert, einen größeren Umweg zu machen als die eine Stunde Zugfahrt – von Zürich aus gesehen.

Mehr über das Museum zu Allerheiligen und seine neue Dauerausstellung finden sie hier.

Einen gut 3minütigen Audio-Clip zum Thema können Sie hier hören.