Diese Währung ist Tabu – Schneckengeld aus der Südsee

Tabu-Streifen. Foto: Sammlung Köhler-Osbahr/Kultur- und Stadthistorisches Museum Duisburg.
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Nicht alle Gelder funktionieren allein wie das uns vertraute Handelsgeld, sondern haben darüber hinaus auch eine soziale und/oder kultische Dimension. Ein gutes Beispiel für eine solche Währung, die auch diese beiden Aspekte vereint, ist „Tabu“ (auch: Tambu oder Diwarra), das bei den Tolai, einem auf Neubritannien (Papua-Neuguinea) lebenden Volk, in Gebrauch war und ist.

Um Tabu herzustellen, müssen zunächst im Meer lebende Nassa-Schnecken gesammelt oder mit Netzen aus dem Meer gezogen werden. Die nicht mehr als 75 mm großen Schnecken werden in der Sonne getrocknet, ihre Gehäuse zu etwa fingernagelgroßen Scheibchen geschliffen, manchmal gebleicht und schließlich auf Rattan-Streifen gefädelt. Dabei soll möglichst immer ein kleiner Zwischenraum zwischen den Schneckenscheiben verbleiben, um später das Zählen zu erleichtern. Eine von Fingerspitze zu Fingerspitze zwischen zwei ausgebreiteten Armen reichende Kette wird Pokono oder auch fathom (vom nautischen Längenmaß dt. „Faden“/engl. „fathom“) genannt und besteht aus 300 bis 400 Schnecken. Einst konnte ein Mann während der Fischsaison etwa 50 fathoms verdienen.

Dass Tabu als wertvoll gilt, liegt vor allem daran, dass die Herstellung sehr mühsam und zeitraubend ist. Zudem musste die Produktion früher von einem lokalen Anführer gestattet werden – auf diese Weise wurde einer Überproduktion und damit einhergehender Inflation vorgebeugt. Der lokale Anführer wiederum erlangte seine Position traditionell in erster Linie durch Demonstration seines unternehmerischen Geschicks – das sich darin zeigte, dass er große Mengen Tabu angesammelt hatte. Entsprechend dem mit dem Tabu-Besitz einhergehenden hohen sozialen Status wurden bereits die Kinder zur Sparsamkeit erzogen.

Nassa-Schnecke Nassarius arcularia. Foto: H. Zell / CC BY-SA 3.0.

Während kleinere Abschnitte des Geldes für Alltagsgeschäfte genutzt wurden, sparten die Tolai ihre Pokonos, indem sie zwischen 50 und 200 dieser „Fäden“ zu Reifen mit einem Durchmesser von etwa einem Meter banden und mit Blättern umwickelten. Diese Reifen werden als Loloi bezeichnet. Während das „Kleingeld“ zum Einkaufen im Haus – oftmals in dekorativen Kokosnussschalen oder Glasbehältnissen – aufbewahrt wurde, lagerte man die Loloi in dorf- oder familieneigenen Schatzhäusern, die Tag und Nacht bewacht wurden. Nur zu bestimmten Anlässen wurden sie herausgeholt, in feierlichen Prozessionen umhergetragen und an Schaugerüsten aufgehängt. Typische Anlässe, zu denen dies gemacht wurde, waren Initiationsfeste, Hochzeiten und insbesondere Totenfeiern. Zunächst war eine große Menge gesammelter Tabus die Voraussetzung für ein glückliches Leben nach dem Tod. Wer an seinem Lebensende nicht genügend Schneckengeld vorweisen kann, so die traditionelle Vorstellung, muss im immerwährenden Elend im „Land von IaKupia“ umherirren. Doch auch für die Hinterbliebenen war der Reichtum ihrer Ahnen von Bedeutung: Anlässlich der Totenfeiern wurden die Verstorbenen nämlich inmitten ihrer Ersparnisse aufgebahrt und diese anschließend an die Teilnehmer der Zeremonie verteilt – das konnten 400-500 Menschen sein. Auf diese Weise stellte geerbtes Tabu immer auch eine Verbindung der Lebenden mit den verstorbenen Vorfahren dar. Eine sprachliche Verwandtschaft von „Tabu“ mit „tabu“, dem melanesischen Wort für „heilig“, „unverletzlich“, liegt nahe und wird diskutiert.

Darüber hinaus konnte das Schneckengeld als Zeichen besonders großer Anerkennung verschenkt oder als Sühnegabe genutzt werden. Strafen richteten sich nach dem Vergehen: Ehebruch wurde mit 3-5 „Fäden“ veranschlagt, für einen Mord waren 50 zu zahlen. Auch Streitigkeiten zwischen Ortschaften wurden durch den Austausch von Loloi beigelegt. Auf Diebstahl von Tabu stand früher die Todesstrafe, obschon auch dieses Vergehen in der Praxis üblicherweise durch eine hohe Strafzahlung gesühnt wurde.

Präsentation von Loloi, 1913.

1884 wurde dieser Teil Neubritanniens vom Deutschen Kaiserreich „in Besitz genommen“ und in Neupommern umbenannt. 1902 wurde Tabu für den Handel mit Europäern durch die deutsche Kolonialregierung verboten. Das „Deutsche Kolonial-Lexikon“ von 1920 erklärt auch wieso: „An wichtigen Bestimmungen, die im Interesse der Eingeborenen erlassen wurden, ist vor allem die Abschaffung des Muschelgeldes zu nennen, dessen Benutzung im Verkehr mit Europäern bereits im Jahre 1902 verboten wurde, um die Eingeborenen dazu zu bringen, daß sie, wenn sie sich von Europäern etwas kaufen wollten, erst durch ordnungsmäßige Arbeit Geld verdienen mußten.“ Natürlich stand dahinter auch das Problem der Europäer, unabhängig von den Einheimischen an eigenes Tambu zu gelangen, ohne das der Handel vor Ort kaum möglich war. Doch die paternalistische Sichtweise der Kolonialherrscher hatte auch etwas Gutes, denn die modernen Fangmethoden und technischen Möglichkeiten der Europäer hätten vermutlich rasch zu einer Inflation und damit zu einem Verschwinden des Tabus geführt, wenn sie die Schnecken im Handel mit den Tolai hätten einsetzen können. Die Tolai selbst scherten sich ohnehin wenig um diese Erlässe und nutzten das Schneckengeld weiterhin untereinander.

Nach dem Ersten Weltkrieg kam das Gebiet durch ein Mandat des Völkerbundes unter australische Herrschaft. Nach einer wechselhaften Geschichte, insbesondere während des Zweiten Weltkriegs, wurde Papua-Neuguinea, zu dem Neubritannien heute zählt, 1975 unabhängig.

Die Christianisierung seit der Kolonialzeit hat dazu beigetragen, dass viele der traditionellen religiösen Strukturen mittlerweile verloren gegangen sind. Dennoch ist das Schneckengeld noch immer in Gebrauch; dabei tritt der Wert als tatsächliches Handelsgeld heute deutlich hinter seine kultische und kulturelle Bedeutung zurück. Im Alltag ist mittlerweile Kina als offizielle Währung Papua-Neuguineas üblich geworden. Der Name dieses Münz- und Papiergeldes ist vom einheimischen Namen für die Nassa-Schnecken abgeleitet. Doch unabhängig davon gibt es bis heute Zahlungen, die nur oder zumindest bevorzugt in der traditionellen Währung zu leisten sind. Beispielsweise hat der künftige Ehemann Loloi als Brautpreis an die Brauteltern zu übergeben. Diese Gabe darf nicht als „Kauf“ der Frau missdeutet werden; auf diese Weise wurde und wird vielmehr die neue Verbindung dokumentiert. Ähnlich sind auch Sühnegelder nach einem Mord als symbolische Anerkenntnis einer nicht begleichbaren Schuld zu sehen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch Wiedergutmachungen nach einem Streit und Ehrerweisungen gegenüber den Ahnengeistern den Austausch bzw. die Darbringung von Tabu erfordern können. In diesen Kontexten steht nicht der Handelsgeld-Charakter der Währung im Vordergrund, sondern ihr sozialer oder kultischer Aspekt: Der Austausch von Tabu bildet Beziehungen ab – eine wichtige Funktion des Geldes, die uns fremd erscheint, tatsächlich aber vielen nichtmünzlichen Zahlungsmitteln eigen ist.

Das Muschelgeld ist auch auf den modernen Geldscheinen abgebildet, wie diesem 10-Kina-Schein. Foto: Помор 2000 / CC BY-SA 4.0.

Seit 2002 wird Tabu in der Provinz East New Britain als regionale Komplementärwährung gefördert; man kann dort sogar die Einkommenssteuer in Tabu bezahlen. Da das natürliche Vorkommen der Nassa-Schnecken in der Region aufgrund des hohen Bedarfs in der Vergangenheit fast erschöpft ist, wird das moderne Tabu größtenteils von den Salomonen importiert. Bei der „Tolai Exchange Bank“, der weltweit ersten Schneckengeldbank, kann Kina seit 2002 gegen Tabu gewechselt werden, wobei 3 Kina, etwa 1 Euro, einem fathom entsprechen. Auf diese Weise können auch die heutigen Tolai, die keine andere Möglichkeit zur Beschaffung von Schneckengeld mehr haben, Tabu für den Gebrauch bei Riten oder Feierlichkeiten erstehen. Schätzungen zufolge läuft gegenwärtig Tabu im Wert von etwa 2 Millionen Euro um. Gerade in kleineren Dörfern kann man damit auch noch immer Reis, Süßigkeiten und andere Kleinigkeiten bezahlen.

Sind die Schneckenschnüre eines Tages abgenutzt, werden sie nicht achtlos entsorgt, sondern unter den Häusern vergraben – ihre spirituelle Kraft überdauert ihre Zeit als Zahlungsmittel.

 

Die Autorin Dr. Andrea Gropp ist stellvertretende Museumsleiterin des Kultur- und Stadthistorischen Museums Duisburg und Kuratorin der Sammlung Köhler-Osbahr.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf der Seite des Kultur- und Stadthistorischen Museums Duisburg.

Mehr zur umfangreichen Sammlung Köhler-Osbahr erfahren Sie auf der Seite der gleichnamigen Stiftung sowie auf der Seite des KSM Duisburg.