von Björn Schöpe
28. Juni 2018 – Im Frühjahr 2018 berichteten die Medien erregt über das geplante Gipfeltreffen zwischen dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und dem „Obersten Führer“ Nordkoreas. Unglücklicherweise erschien eine in den Medien als „Münze“ vorgestellte Prägung auf dieses „historische Ereignis“ gerade in dem Moment, als das Treffen von koreanischer Seite abgesagt wurde. Es hagelte Häme und Spott. Vor allem außerhalb der USA hatte man den Eindruck, Donald Trump habe eine solche Prägung aus Marketinggründen erfunden. Doch tatsächlich steht eine ganz andere Tradition dahinter, die in der alten Welt in Vergessenheit geraten ist, obwohl sie von dort kommt.
Am 3. Februar 1917 verkündete US-Präsident Woodrow Wilson vor dem Kongress den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Deutschland. Kurz darauf traten die USA in den Krieg ein.
Eine Geschichte zu schön, um wahr zu sein
In den USA wird dieses Erinnerungsstück als „challenge coin“ bezeichnet, also „Herausforderungsmünze“. Zur Entstehung dieser challenge coins gibt es verschiedene Geschichten. Die vielleicht schönste führt uns zurück ins Jahr 1917, als die USA Deutschland den Krieg erklärten. Ein Leutnant prägte damals auf eigene Kosten für alle Soldaten seiner Abteilung Bronzemedaillen, um den Zusammenhalt in der Truppe zu stärken.
Einer seiner Soldaten, ein Kampfflieger, trug diese Medaille in einem Lederbeutelchen um den Hals. Als er wenig später von den Deutschen abgeschossen wurde, geriet er in Gefangenschaft, konnte jedoch nahe der französischen Grenze fliehen. Da man ihm alle seine Habseligkeiten weggenommen hatte, konnte er sich gegenüber den Franzosen nicht ausweisen. Ihm drohte die standrechtliche Erschießung als vermeintlicher Saboteur. Doch seine challenge coin rettete ihn: Im letzten Moment zeigte er sie den Franzosen, die seinen Beteuerungen nun doch Glauben schenkten. Nachforschungen belegten seine Identität und der Mann wurde mit einer Flasche Wein wieder freigelassen. „Se non è vero, è ben trovato! – Wenn es nicht stimmt, ist es doch gut erfunden!“
Seitdem gaben zahlreiche Einheiten solche Prägungen aus und die Soldaten waren angehalten, diese immer bei sich zu tragen. Es kam zu einer spielerischen Form der Kontrolle: Wer seine Medaille nicht vorweisen konnte, musste eine Runde ausgeben. Daher die „Herausforderung“. Dies ändert nichts daran, dass es sich bei challenge coins nicht um Münzen handelt.
Wer genau hinschaut, stellt fest: Diese challenge coin erhielt ein Soldat bei seinem Eintritt in die US Airforce 1947. Sie weist keinen Nennwert auf, ist also eine Medaille.
Münzen oder Medaillen?
Der traditionelle Name „challenge coin“ führt auch in den Medien immer wieder zu dem Missverständnis, es handele sich dabei um Münzen. Münzen sind aber ein gesetzliches Zahlungsmittel und weisen einen Nennwert auf, sie müssen in ihrer Ausführung bestimmten Normen entsprechen.
In den USA ist nur die US Mint für die Ausprägung der Umlaufmünzen zuständig. Die challenge coins aber werden von privaten Unternehmen geprägt.
Auch der völlig unmilitärische Motorradclub National Buffalo Soldiers Motorcycle Club gibt mittlerweile challenge coins aus. Die muss man sich aber verdienen.
Das Revival der 90er
Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg waren challenge coins äußerst beliebt bei den US-Streitkräften. Seit den 90er Jahren traten sie vermehrt auch im zivilen Bereich auf und erlebten einen regelrechten Boom nach 9/11. In dieser Phase strömten ehemalige Soldaten in Sicherheitsberufe bei zivilen Unternehmen und führten die Tradition der challenge coins dort ein.
Damals entdeckten auch die US-Präsidenten die challenge coins für sich. Seit 2003 lassen die US-Präsidenten Medaillen für ihre Auslandsreisen prägen. Die Gestaltung liegt in den Händen der WHCA. Die White House Communications Association gewährleistet seit 1942, dass das Staatsoberhaupt im Ausland sicher kommunizieren kann und untersteht der militärischen Defense Information Systems Agency (DISA). Die WHCA präsentiert dem Weißen Haus die fertigen Medaillen, die von einem externen Anbieter produziert werden.
Verteilt werden die Medaillen üblicherweise an alle, die an der Planung einer Auslandsreise direkt involviert sind bzw. daran teilnehmen. Daneben werden zusätzliche Stücke geprägt, die an Fans und Sammler über den Shop des Weißen Hauses angeboten werden.
Korea in drei Auflagen
Die challenge coin auf das Gipfeltreffen sorgte für ein Medieninteresse, das offenbar auch die zuständigen Stellen überraschte. Nach der Absage des Gipfels gab es zwar jede Menge Spott über eine Medaille auf ein historisches Treffen, das nie stattgefunden hätte. Aber für Sammler und Fans bedeutete das natürlich erst recht: Kaufen! Der Ansturm war so gewaltig, dass die Server des White House Gift Shops (WHGS) überlastet waren, weil Spekulanten davon ausgingen, dass sich diese Stücke zu gefragten Sammlerobjekten entwickeln würden.
Zwar werden zwei weitere Auflagen nachgeschoben, aber mit anderen Motiven, wie der Leiter des Tony Giannini in einer Pressemeldung erklärte. Giannini betonte, dass diese Prägungen dazu dienten, die „diplomatische Kommunikation zu feiern“. Außerdem klärte er auf, dass das WHSG selbst zwei weitere Versionen in Auftrag gegeben habe. Die unterschiedlichen Motive wurden anscheinend von demselben Künstler gestaltet. Dessen Name ist übrigens nicht bekannt, obwohl seine erste Fassung von einem Experten hoch bejubelt wurde.
Dieses goldene Medaillon des Valens zu 9 solidi (wohl ein Unikum) wurde 2009 als Losnr. 839 in der Auktion 158 bei Künker für 360.000 Euro versteigert.
Diplomatische Kommunikation, die bleibt
Obwohl die Medaillen der US-Präsidenten zunächst auf eine Tradition des Militärs zurückgehen, können wir natürlich weit in der Geschichte zurückgehen und uns erinnern, wie schon die frischgebackenen römischen Kaiser den Soldaten, vor allem den hohen Offizieren, ihren Regierungsantritt mit Geschenken schmackhaft machen wollten. Der finanzielle Wert der ausgeteilten Medaillons war das eine. Mindestens ebenso wichtig war Botschaft des Bildes, die einen Zusammenhalt mit der Truppe schaffen sollte. Solche Medaillons Trajans oder Constantins sind heute gesuchte Sammlerstücke.
Die heftigen Reaktionen auf die jüngste Medaille zeigen aber auch, wie viel diplomatisches Feingefühl die Gestaltung verlangt, denn auch heute ist eine challenge coin eben nicht primär ein „Verkaufsschlager“, wie die Medien nahelegen, sondern vor allem ein Kommunikationsmedium. In der Antike wird so mancher Princeps diese Ausgabe ernster genommen haben als die heutigen US-Präsidenten. Aber Donald Trump, der Macher, könnte vielleicht dieses ebenfalls zur Chefsache machen. Immerhin wurde die Gestaltung der challenge coins, die an den Mitarbeiterstab im Weißen Haus ausgegeben wurde, im Herbst 2017 komplett geändert. Statt der traditionellen Symbole für die Bundesstaaten und das Motto „E pluribus unum“ liest man heute das Trump’sche „America First“.
Über die „Gipfel-Gedenkmünze“ berichtete in Deutschland beispielsweise der Spiegel, in den USA Time.
Das Weiße Haus wies sogar jede Verantwortung für die Ausgabe der challenge coin zurück, als heftige Kritik einsetzte.
Die New York Times berichtete ausführlich über das veränderte Design der Presidential Challenge Coin unter Donald Trump.
Die aktuell verfügbare Challenge coin zu dem Gipfeltreffen und die Erklärung von Tony Giannini finden Sie auf der Seite des White House Gift Shop.
Dort wird auch über die Bedeutung der dort erhältlichen unterschiedlichen challenge coins aufgeklärt.