Ein Pilotprojet von eBay und dem Schweizerischen Bundesamt für Kultur

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14. Oktober 2009

Scheinbar willkürliche Löschungen von Auktionen sorgen für Aufregung unter eBay-Nutzern

Das Problem ist bekannt. Über eBay kann jeder ganz einfach das, was er nicht braucht, zu Geld machen. EBay hat in den vergangenen Jahren den Handel von Verkäufer zu Käufer revolutioniert und den Zwischenhändler ausgeschaltet. Doch was eigentlich im Sinne der privaten Benutzer ist, läßt sich auch ganz einfach mißbrauchen, nämlich dann, wenn der Verkäufer Waren vertreibt, die auf dem offiziellen Markt verboten sind.

Gefahr des illegalen Kulturgüterhandels
Besonders die vielen Lots von ungereinigten Münzen und die kleinen verdreckten Metallobjekte lassen die Archäologen in aller Welt aufschreien. Sie sehen im Geiste jedes Mal ein tiefes Loch, das ein Detektorgänger im Boden hinterlassen hat.
Kein Wunder, daß sie dagegen etwas unternehmen möchten. Eines ihrer Opfer war Sylvio Müller. Sein Fall hat in Deutschland Rechtsgeschichte geschrieben. Er reinigte nach Feierabend Münzlots, die er bei eBay kaufte, um sie für wenig Geld einzeln weiter zu verkaufen. Die hessische Polizei leitete ein Untersuchungsverfahren wegen Hehlerei in 711 Fällen ein. Nachdem seine Anzeige 347 Ermittlungsverfahren ausgelöst hatte, die zum Teil mit Haussuchungen und Sicherstellungen ganzer Münzsammlungen verbunden waren, wurde er am 21. September 2009 – sogar auf Antrag der Staatsanwaltschaft – freigesprochen. In Deutschland, so das Ergebnis des Prozesses, ist ein Herkunftsnachweis für den An- und Verkauf von Münzen nicht notwendig – und das auch bei eBay.

Die schweizerische Lösung
In der Schweiz ging man dieses Problem anders an. Man machte eBay Deutschland und Schweiz deutlich klar, daß man die Firma nicht als Plattform, sondern als Händler verstünde. Und als solcher sei eBay zu einer besonderen Sorgfalt beim Kulturgüterhandel verpflichtet. Würde es diese, seine Pflicht erwiesenermaßen vernachlässigen, würden Ermittlungsverfahren, Prozeß und hohe Strafe unvermeidlich sein.
Sand im Getriebe mag eBay nun überhaupt nicht. Es ließ sich also ein auf die hohen Auflagen, die zu einer Firmenpolitik in Sachen Kulturgüterschutz führten, die nichts mit deutschem, österreichischem oder schweizerischem Recht zu tun hat. Wiederholen wir es noch einmal: Der Herkunftsnachweis bei eBay ist eine rein private Vorschrift, die eBay seinen Verkäufern aufnötigt. Als Hausherr der Plattform hat eBay das Recht dazu. Es könnte ohne ein juristisches Problem genauso nur Verkäufer zwischen 45 und 50 Jahren zulassen, deren Nachname mit einem W beginnt.
Die Überwachung überließ das schweizerische Bundesamt für Kultur nun nicht eBay selbst, das gar nicht willens scheint, einen Fachmann für Kulturgüter einzustellen, sondern übertrug sie der Konferenz der Kantonsarchäologen und -archäologinnen. Diese beauftragten eine erfahrene Archäologin – sie hatte in provinzialrömischer Archäologie promoviert und kannte als solche zumindest das Spektrum der römischen Fundmünzen. Sie führte drei Monate lang ein Monitoring durch, sprich sie guckte sich alles neu eingestellten Auktionen auf dem Bildschirm an. Alles, was ihr nicht gefiel, meldete sie direkt an eBay, das ohne weitere Kontrolle und Berufungsmöglichkeit das Objekt aus dem Netz nahm – und das auf Nachfragen mit der freundlichen Bemerkung reagierte: „Wir haben Ihre Angebote auf Aufforderung des Bundesamt für Kultur, Eidgenössisches Departement des Innern (EDI), Hallwylstr. 15, CH-3003 Bern, beendet. … Wenn Sie der Meinung sind, dass die Entfernung Ihrer Angebote auf einem Irrtum beruht oder sonstige weitere Fragen diesbezüglich haben, wenden Sie sich bitte direkt an das Bundesamt für Kultur. …“.

Begeisterung über einen vermeintlichen Erfolg
Am 4. November 2009 jubelte das BAK in einer Presseerklärung: „Das dreimonatige Pilotprojekt des Bundesamtes für Kultur (BAK) und der Internet-Auktionsplattform eBay zur Kontrolle des Angebots von antiken Kulturgütern hat sich bewährt: Der Handel mit mutmasslich illegalen archäologischen Antiquitäten hat sich in den kontrollierten Kategorien deutlich verringert.“
Daß sich nicht nur der Handel mit illegalen Kulturgütern verringert hatte, sondern der ganze Handel, weil kein Verkäufer die Forderungen der privaten Firmenvorschriften von eBay erfüllen kann, überging man dabei. Man verlängerte das Projekt stattdessen um weitere sechs Monate.

Jede Menge Mißgriffe
Inzwischen wurde die Empörung in Sammler- und Händlerkreisen immer lauter. Die kontrollierende Archäologin hatte bei ihrem Monitoring, bei dem sie mit einem Blick aufs Foto und den Text feststellen zu können glaubte, ob es sich um ein illegales Kulturgut handeln könne oder nicht, natürlich auch jede Menge völlig legaler Münzen aus Sammlungen erwischt, für die es zum Teil sogar ganz offizielle Rechnungen gab.
Der Fall von „indiacoins“ kam in die Presse. Seine Auktion war gelöscht worden, obwohl er nach seiner Aussage eine Kaufrechnung vorlegen konnte, in der sogar stand, daß diese Art von Münzen legal von Indien aus geliefert worden waren, weil sie für den Handel freigegeben seien. Andere Fälle wurden bekannt, bei denen häufige Stücke betroffen waren, die zum Teil von bekannten Münzhändlern eingestellt worden waren.

Fehlende Transparenz und keine Berufungsmöglichkeit

Die merkwürdige Konstellation eines privaten Unternehmens, das sich von einer staatlichen Stelle kontrollieren läßt, erzeugt einen bitteren Nachgeschmack: Ohne jegliche Kontrolle und ohne Angabe von Gründen und natürlich ohne Möglichkeit zur Berufung wurden da Kunden geschädigt – bei Verletzung der (nicht einhaltbaren) hauseigenen Regeln wurden sie mit einem Strafvermerk versehen; bei einem Zuviel von solchen Vermerken drohte ihnen der Verlust ihrer eBay-Identität. Das kommt einem Reputationsverlust gleich, da eBay sorgfältig die positiven Bewertungen sammelt, zählt und mit ihnen die Glaubwürdigkeit seiner Anbieter bewirbt.

Pyrrhussieg

Auch wenn das Schweizerische Bundesamt für Kultur glaubt, es habe dem Handel mit illegalen Kulturgütern schwer geschadet, ist der Erfolg dieser Aktion wohl mit höchster Skepsis zu betrachten. Unzählige eBay-Kunden fühlen sich zu Unrecht bestraft. Das Recht des Staates, sein Kulturgut zu schützen, wird nicht als solches wahrgenommen, sondern als kleinliche Schikane, die ohne Ansicht des Sachverhaltes jeden treffen konnte. Damit verwischt man die Grenzen zwischen Verbrechen und legalem Tun. Wozu so etwas führen kann, zeigt die Geschichte:
Am 16. Januar 1920 trat in den Vereinigten Staaten von Amerika das Verbot alkoholischer Getränke in Kraft. Ihre Herstellung, ihr Im- und Export sowie ihr Genuß wurden mit Strafen belegt. Nun tranken aber ein großer Teil der US-Amerikaner ohne irgendein Unrechtsbewußtsein weiter. Die Verfolgung durch die Behörden wurde als „Spiel“ wahrgenommen, die Gesetzesbrecher, die den Alkohol lieferten, mit einem zwinkernden Auge in Schutz genommen. Wir müssen nicht darüber reden, wie schnell diese Haltung zu untragbaren Zuständen führte. Das Verbot mußte rückgängig gemacht werden, um dem Gesetz wieder Glaubwürdigkeit zu verschaffen.
Der beste Schutz von Kulturgütern wäre es, wenn ihr Schutz einer breiten Bevölkerung ein Anliegen wäre. Nur dafür braucht es endlich neue Argumente, neue Ansätze und die Zusammenarbeit aller Beteiligten. Vielleicht besucht das schweizerische Bundesamt für Kultur ja einmal England oder lädt ein Mitglied des Portable Antiquities Scheme zum Erfahrungsaustausch ein. Es würde feststellen, daß es noch ganz andere Möglichkeiten zum Kulturgüterschutz gibt als Repression und Zwangsmaßnahmen.

von Ursula Kampmann