Eine neue Geschichte der römischen Kaiserzeit

Hartwin Brandt, Die Kaiserzeit. Römische Geschichte von Octavian bis Diocletian 31 v. Chr. – 284 n. Chr. Handbuch der Altertumswissenschaft III.11. Verlag C.H. Beck, München 2021. 719 S., mit 3 Karten und 4 Stammtafeln. Hardcover, 16,5 x 24,5 cm. ISBN: 978-3-406-77502-4. 98 Euro.
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Eigentlich glauben wir ja alles zu wissen, was es über die römische Kaiserzeit zu wissen gibt. Schließlich haben wir ja Sueton, Tacitus und Bengtson gelesen und vielleicht noch die Serie „Ich, Claudius, Kaiser und Gott“ gesehen. Wir wissen, dass Caligula größenwahnsinnig war, Nero ein verwöhnter Egomane und Vespasian der nette Kaiser von Nebenan. Es ist erschütternd, dass viele Sammler römischer Münzen diese Sichtweisen nicht hinterfragen. Und noch erschütternder ist es, dass diese längst von der Forschung widerlegten Klischees immer noch in Auktionskatalogen als verkaufsfördernde Anmerkungen zu einzelnen Stücken erscheinen.

Ein Wagnis: Eine neue Geschichte der römischen Kaiserzeit

Wer jenseits von Sueton mehr über die römische Kaiserzeit wissen möchte, sah sich bisher einer ganzen Bibliothek von interessanten Neuerscheinungen gegenüber, in denen Teilaspekte der Epoche wissenschaftlich aufgearbeitet sind. Die Aufgabe zu übernehmen, diese unübersichtliche Flut von neuer und neuester Literatur zu sichten, ordnen, auszuwerten und in einem einzigen Buch zusammenzufassen, das verlangt schon fast so etwas wie Tollkühnheit. Tatsächlich musste der Erscheinungstermin des neuesten Bands zum Handbuch der Altertumswissenschaften auch mehrfach verschoben werden. Aber nun ist das gewaltige Werk vollendet und wird in Zukunft vielen Autoren mit wissenschaftlichem Anspruch das Leben erheblich erleichtern. Hartwin Brandt hat auf 585 Seiten das Geschehen und die politischen Entwicklungen während der römischen Kaiserzeit mit Mut zur Lücke zusammengefasst. Er tut dies nichtsdestotrotz in einer so kondensierten Form, dass ich niemandem empfehle zu versuchen, das Buch in einem Zug von vorne bis hinten durchzulesen. Jeder einzelne Satz verlangt höchste Aufmerksamkeit. Aber ich freue mich jetzt schon darauf, es zu nutzen, um bei Bedarf den aktuellen Stand der Forschung für den historischen Hintergrund einer Münzemission zu recherchieren.

Denn auch für die Numismatik ist diese Geschichte der römischen Kaiserzeit relevant. Ihr Autor nutzte neben den historischen und epigraphischen Quellen vorbildlich die Numismatik, um seine Sicht der römischen Geschichte zu begründen. Kein Wunder, ist er doch mit einer der renommiertesten deutschen Numismatikerinnen verheiratet.

Von Actium bis Diocletian

Das zeitliche Spektrum, das Hartwin Brandt abdeckt, entspricht der traditionellen Periodisierung. Seine Kaiserzeit reicht vom Sieg des Augustus in der Schlacht bei Actium bis zur Machtübernahme des Diocletian, der mit seinen Verwaltungsreformen etwas Neues schuf, auf dem die Spätantike und das byzantinische Reich aufbaute.

Wer eine traditionelle Form der Erzählung à la Bengtson erwartet, der wird bitter enttäuscht. Die Fülle des Materials und die Abkehr von einer auf die Person des Kaisers konzentrierten Geschichtsschreibung verlangten einen neuen Ansatz. Hartwin Brandt findet ihn mit seiner Konzentration auf die Kommunikation. Wie gelingt es einem Kaiser, mit den von ihm Regierten in Verbindung zu treten? Welche Mittel nutzt er wie? Wo glückt, wo scheitert die Zusammenarbeit zwischen Kaiser, Heer, Verwaltungsapparat in Rom und in den Provinzen? Natürlich behandelt der Autor so auch die reine Faktengeschichte, aber er ordnet die überlieferten und lieb gewordenen Deutungen dieser Fakten in einen neuen Zusammenhang und verzichtet dabei durchaus auch auf Informationen, die ihm für den Fortgang der Geschichte nicht wesentlich erscheinen. Dies ist eine anspruchsvolle und nicht immer dankbare Aufgabe. Denn dadurch wird die Lektüre dieses Textes enorm anspruchsvoll, verlangt eine Fülle von Vorwissen und macht das Handbuch ohne historische Ausbildung praktisch unbenutzbar.

Dies soll mit Sicherheit keine Kritik darstellen, da die Zielgruppe des Handbuchs der Altertumswissenschaften sicher nicht der interessierte Laie ist. Dieses Buch wurde von einem Wissenschaftler für andere Wissenschaftler geschrieben, und die werden sich freuen, dass sie nun eine leicht zugängliche Zusammenfassung zur Kaiserzeit haben, in deren prägnanten Fußnoten sie die jeweils aktuelle Sekundärliteratur zu jedem Spezialthema finden.

Ein gewaltiges Werk, das jeder Althistoriker und anspruchsvolle Numismatiker braucht

Fassen wir es noch einmal zusammen: Hartwin Brandt ist mit seinem Handbuch zur römischen Kaiserzeit ein großer Wurf gelungen, der für uns Numismatiker die aktuelle historische Forschung hervorragend zusammenfasst und gleichzeitig seinen Historikerkollegen beweist, welch enormen Stellenwert die Numismatik für die historische Forschung hat. Ich bin mir sicher, dass ich dieses Buch jedes Mal benutzen werde, wenn ich über römische Münzen zu schreiben habe. Und genauso sicher bin ich mir, dass ich dann kräftig fluchen werde, weil ich jeden Satz dreimal lesen muss, bis ich ihn in all seiner Komplexität verstanden habe.

 

Bestellen können Sie das Buch direkt beim Beck Verlag.

Eine wesentlich wissenschaftlichere Rezension verfasste Klaus-Peter Johne.

Hartwin Brandt lehrt an der Universität von Bamberg, die eine Fülle von Informationen über ihn zur Verfügung stellt.

Die entscheidende Frage der Kommunikation fasst Hartwin Brandt in seinem Vortrag zum Thema „Die Kunst des Regierens. Das kaiserzeitliche Imperium Romanum als Aktions- und Kommunikationsraum“ zusammen, den er 2022 an der Universität von Zürich hielt, und der über youtube abrufbar ist.