Erwin Dietrich verstarb am Donnerstag, 26. September 2019 im Pflegheim in Grüneck (Gossau ZH).
Mit ihm verließ ein weiteres Glied aus den Reihen der wirklich alten Garde unser irdisches Dasein. Aus meiner Anfangszeit in der Numismatik erinnere ich mich noch an die Namen Winterstein, Stuker, Mildenberg, Wenger, Breithaupt, Silk, Zimmermann, Merk, Dietrich, Brand, Brosi, Rahm, Zürcher, Schneider, Bucher etc. Das waren diejenigen, welche dazumal die Numismatik in Schwung gehalten haben. Einige der Aufgezählten weilen zum Glück immer noch unter uns.
Ein Quereinsteiger in die Numismatik
Erwin Dietrich hat seinen ganz eigenen Weg gemacht.
Er wuchs in einfachsten Verhältnissen in Zürich Wiedikon auf. Diese harten Jahre prägten ihn zeitlebens. Er hatte oft eine harte Schale. Doch wer ihn kannte, wusste, dass er damit nur sein verletzliches Inneres schützte. Nach der Schule zwang man ihn, den Beruf des Drechslers zu lernen. Nach der Lehre blieb er nur kurz im Beruf, verlor den Job, schlug sich mit verschiedenen Arbeiten durch und fand schließlich im Seefeld bei Elektrowatt eine Anstellung als Ausläufer. Diese ließ ihm einige Zeit für Nebenbeschäftigungen. In ihm steckte ein gewiefter Händler! Schon in dieser Zeit kaufte er vor Ostern palettenweise Schokoladenhasen im Fabrikladen bei Lindt & Sprüngli und verkaufte sie mit ein paar Rappen Gewinn an seine Kollegen weiter.
Erwin war schon in jungen Jahren sehr belesen und so führte ihn der Weg in den Buchhandel. In der Folge eröffnete er 1957 ein Buchantiquariat im Zürcher Niederdorf. Dazu kamen noch Antiquitäten, welche er vor allem aus dem Südtirol herankarrte. Während seine Frau Mia den Laden hütete, fuhr er mit dem Citroen 2CV (Döschwo) nach Italien und kaufte soviel ein, dass er einem Motorboot ähnlich, mit erhobener Motorhaube und runter hängendem Heck den Gotthard erklomm und sich dann auf der anderen Seite den Schwung holte, um bis nach Zürich zu kommen. Kaum hatte er ausgeladen, standen die Sachen schon mit magerer Marge im Schaufenster und er sattelte wieder seine Döschwo Richtung Italien.
Dubletten aus der Sammlung Tobler
Ein damals etwa gleichaltriger Münzensammler namens Edwin Tobler stand oft vor dem Antiquariat und fragte die Dietrichs eines Tages, ob sie nicht seine Doubletten ausstellen und verkaufen wollten. Der tüchtige Geschäftsmann Dietrich war zwar skeptisch, doch nahm er ein Tablar voller Metallscheiben in Kommission und stellte diese ins Fenster. Der rasche Verkaufserfolg brachte Erwin auf den Geschmack, und er begann, auf eigene Rechnung Münzen zu handeln. Langsam gerieten Bücher und Antiquitäten in den Hintergrund. Erwin setzte von nun an voll auf die numismatischen Werte. Dies ging auch einher mit dem Wechsel vom Niederdorf an den Werdmühleplatz. Dank einem Sammler, welcher bei der städt. Liegenschaftenverwaltung angestellt war, konnte er sich für das Ladengeschäft bewerben und erhielt 1967 einen langjährigen Mietvertrag.
Ein „Kind“ des Silberbooms
In dieser Zeit waren die Gebrüder Hunt im weltweiten Silberhandel aktiv und da der Silberwert der ½ – 5 Franken Münzen höher als der Nominalwert war, begann man am Werdmühleplatz, Silber aufzukaufen und zu schmelzen. Die Familie wohnte in dieser Zeit im Städtchen Grünigen. Auch da engagierte sich Erwin aktiv im lokalen Heimatverein für die Forschung und Erhaltung historischen Wissens.
Der Boom war nicht nur im Silberankauf, die Leute begannen, Schweizer Münzen zu sammeln und merkten bald, dass einige Jahrgänge seltener waren als andere. HMZ und Münzenrevue entstanden, und dies befeuerte wiederum den Münzenhandel. Es ging hoch her zu in dieser Zeit. Den Tag durch kaufte man die Münzen und warf sie in die vorgesehenen Töpfe. In der Nacht sortierte man die Jahrgänge heraus und fuhr um drei Uhr früh zur Valcambi ins Tessin zum Schmelzen. Um 8 Uhr öffneten dort die Tore, und man lieferte ab. War das Silber eingetroffen, telefonierte der Direktor nach Zürich und die Bank gab frisches Geld frei, um den neuen Tag bestreiten zu können! Einige mögen sich sicher auch noch an die treuen Helfer, Frau Seiler und Werner Weber, erinnern. Während dieser Boomzeit hatte Erwin noch die Kraft und Nerven sein wunderschönes Haus in Uhwiesen umzubauen.
Die harte Zeit
1974 war dann der Höhepunkt – ich erinnere mich noch an die Versteigerung der Stukerschen Sammlungen 1974, welche für heutige und damalige Zeiten unglaubliche Höchstpreise brachten. Als dann der Silberpreis aufgrund von unfairen Praktiken der Banken implodierte, zerfiel auch der Münzenhandel. Auch Erwin erlebte eine harte Zeit, und er erzählte mir, wie er zu dieser Zeit drauflegte und vom „Fett“ zehren musste. Er erkannte, dass sich der Münzenhandel neu organisieren musste und so wurde der Verband Schweizerischer Münzenhändler gegründet: Präsident Heiner Stuker, Sekretariat Erwin Dietrich.
Journalistisch befasste sich Erwin mit den verschiedensten Themen, oft unter Pseudonym. In der HMZ unter dem Pseudonym Fritz oder als legendärer Kiebitz, welcher verdeckt mit spitzer Feder die Eigenheiten im Münzenhandel beleuchtete. Im Eigenverlag schrieb er über Sparkassen, vormünzliche Geldformen und Primitivgelder. Nebst seiner Kässeli-Ausstellung (Kässeli = Sparkassen) wirkte er auch an verschiedenen weiteren Ausstellungen mit, so z.B. über Papiergeld und Fälschungen an der Münzenbörse Zürich. Ende der 80er Jahre bis anfangs der 90er Jahre kamen noch Auktionen dazu, erst in Bern, dann auch in Zürich. Hervorzuheben sind da vor allem die außerordentlichen Sammlungen mit Notgeld, aber auch Telefon- und Taxkarten kamen später unter den Hammer.
Der Verkauf der Sparkassen-Sammlung
Eigentlich wollte sich Erwin anfangs der 80er Jahre zurückziehen, um seine Sparkässeli-Sammlung zu pflegen. Manch einer erinnert sich noch an die unendliche Vielzahl seiner Kässeli. Schlussendlich waren es beinah 10.000 Stück, unter dem Giebel seines Hauses, kreativ ausgestellt. Wie es die Art von Erwin war, konnte er aus heiterem Himmel links umkehrt machen. Er trug hart die Konsequenzen – aber machte das, was sein harter Schädel wollte. So erzählte er mir, dass er einmal ein Haus im Tessin hatte. Sein Nachbar hatte einen Hund, welchen dieser immer schlug. Erwin als großer Tierliebhaber – er hatte zwei Collies – konnte das nicht ertragen und verkaufte das Haus innert einer Woche. Gleiches machte er einmal mit seiner Bank. Der Anlageberater kaufte Titel, welche Erwin untersagte zu kaufen – Erwin ging zur Bank rüber – verkaufte alle Titel bestens, holte das Geld bar ab und brachte es zu einer anderen Bank! So war er! Dasselbe geschah eines Tages auch mit den Sparkässeli. In seinem Sparkassenverband gab es einen Japaner und aufgrund einer Laune verkaufte er diesem Knall auf Fall die ganze Sammlung.
Erwin Dietrich verkauft seine Sammlung an Hermann Häberling
1983 verkaufte Erwin seine Münzenhandlung an Hermann Häberling. Die Firma wurde nun internationaler und Richtung USA und Asien ausgerichtet. Erwin war aber immer noch im Hintergrund für Hermann tätig und half im Geschäft und auch an Messen im Ausland.
Als ich dann das Geschäft, mitten in der Rezession, von Hermann Häberling übernahm, war Erwin wieder da und ich fuhr oft zu ihm nach Uhwiesen. Am Kaminfeuer saßen wir zusammen. Ich konnte ihn alles fragen, und er beriet mich wie ein Vater. Ohne ihn wären meine Wege bestimmt in ganz andere Richtungen verlaufen. Über all die Jahre hatte Erwin immer einen Arbeitsplatz in der Firma. So kam er meistens am Freitagmorgen und brachte angeschriebene Münzen. Er nahm alle anfallenden Münzen nach Hause, beschrieb sie auf einem „Fresszettel“ mit Krause Mishler Nummer, sodass man dann Rähmchen machen konnte oder sie auf dem Tablar auflegte. Konnte er ein Stück nicht bestimmen, was selten war, kamen dann aber auch immer wieder lustige Kommentare aufs Papier, wie z.B. „seltener Batzen auf die österreichische Skifahrerdelegation ohne Jahr und Wert“. Zum Mittagessen ging’s dann regelmäßig mit seinem Freund Oskar zu Tisch und zur Zigarre.
Nach dem Jahr 2005 wurde es etwas stiller um ihn. Mit der Zeit ließ ihn sein Kopf immer mehr im Stich und er kam nicht mehr aus Uhwiesen weg. Das letzte Jahr verbrachte er in der Nähe seiner Tochter im Zürcher Oberland. Den Tod seiner Frau Mia letztes Jahr, nahm er nicht mehr wahr und der Kreis zu ihr schloss sich letzten Donnerstag.