von Björn Schöpe
7. November 2013 – In den 1870er Jahren erlebte die Kantonalbank des Schweizer Kantons Wallis nach mehreren Fehlspekulationen eine Krise. (Man bedenke, damals hatte man so manche Erfahrung noch nicht gemacht, heute würde das natürlich nicht mehr passieren …) Jedenfalls setzten die Walliser in der Folge kein allzu großes Vertrauen in das Papiergeld, das die Bank ausgab. Sie bevorzugten die harte Münze – auch wenn die Münze gefälscht war. Von dieser psychologischen Ausgangssituation profitierte ein gerissener italienischer Falschmünzer, der aus seiner Heimat vor der Polizei in die unzugänglichen Täler der südlichen Schweiz geflohen war: Joseph-Samuel Farinet.
Gemälde, das möglicherweise Farinet darstellt, aufgetaucht 2007. Photo: Amis de Farinet / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en.
Farinet wurde 1845 im Aostatal als Sohn eines Schmiedes geboren, ein gewisses Talent für das Münzprägen mag ihm dadurch in die Wiege gelegt worden sein. Jedenfalls konnte er sich über viele Jahre produktiv auf diesem Gebiet betätigen.
Salle Farinet, Musée de la Fausse Monnaie in Saillon. © Yannick Broccard.
Seine Fälschungen sollen sehr gut gewesen sein und man sagt ihm nach, dass er ein regelrechter Robin Hood war. Seine Geschenke an die Armen dürfte er nicht ganz ohne Hintergedanken gegeben haben:
Salle Farinet, Musée de la Fausse Monnaie in Saillon. © Yannick Broccard.
Immerhin brauchte er Helfer nicht nur bei der Produktion (er selbst fertigte in der Regel nur die Stempel und ließ andere in verschiedenen Verstecken das eigentliche Prägen ausführen), sondern war auch auf die allgemeine Solidarität der Bevölkerung angewiesen. So konnte er sich weitgehend ungehindert bewegen und brauchte keine Obrigkeit zu fürchten. Obwohl er mehrfach im Gefängnis landete, gelang ihm stets die Flucht, unter anderem auch durch die Hilfe einer seiner zahlreichen Geliebten. Im Lauf des Jahrzehnts sollen seine Zwanzig-Räppler, seine Spezialität, die auch nach ihrem Macher „Farinets“ genannt wurden, rund ein Drittel aller Münzen im Wallis ausgemacht haben!
Schlucht der Salentze bei Saillon, wo Farinet ums Leben kam. Foto: Willi Wottreng / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en.
1880 nahm es dann doch ein böses Ende mit dem Volkshelden: Die Polizei stellte Farinet auf der Flucht, wobei er in einen Fluss stürzte und dabei zu Tode kam. Hartnäckig hält sich noch heute die Ansicht, dass es sich bei Farinets Tod nicht um einen Unfall gehandelt habe, vielmehr sei er durch einen Schuss aus einer Polizeipistole gestorben.
Salle Farinet, Musée de la Fausse Monnaie in Saillon. © Yannick Broccard.
Wie auch bei seinem englischen Pendant Robin Hood setzte die Legendbildung erst richtig nach diesem mysteriösen Tod ein. In den 1930ern feierten ein Buch und ein erster Film über Farinet Erfolge und noch heute kann man im lokalen Falschgeldmuseum viel Anregendes zu Farinets Leben und Fälschungen erfahren.
Der Stein zeigt den kleinsten Weinberg der Welt an mit 1,618 Quadratmeter Ausmaß und nennt seinen aktuellen Besitzer, den Dalai Lama. Foto: Ludovic Péron / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en.
Zum hundertjährigen Todestag 1980 heckte eine Gruppe, die sich die „Freunde Farinets“ nannten, etwas aus, was vielleicht im Sinn ihres Idols gewesen wäre. Sie kauften eine Weinberg-Parzelle bei Saillon, wo der Held bestattet wurde, etwa 1,6 Quadratmeter groß, die als kleinster Weinberg der Welt gilt. Dieser Wein wird als Cuvée mit anderen Weinen gestreckt, bis es für 1.000 Flaschen reicht, die teuer verkauft werden. Der Erlös kommt wohltätigen Zwecken zugute und bei der Weinernte hat schon alles mit angepackt, was Rang und Namen hat, von Claudia Cardinale bis Zinedine Zidane. Der erste „Ehrenbesitzer“ des Farinet-Weingartens und Mitbegründer der „Freunde Farinets“ war bezeichnenderweise Jean-Louis Barrault, der Schauspieler, der 1938 den Falschmünzer im Film dargestellt hatte. Nach seinem Tod 1994 ging diese Ehre über auf den bekannten Pierre Abbé, seit 1999 ist der Dalai Lama der offizielle Besitzer.
Der kleinste Weinberg der Welt ist gleichzeitig Endpunkt eines Wanderwegs zu Ehren Farinets. Der Weg beginnt auf der Place Farinet, einem kleinen Parkplatz im Tal, und schlängelt sich über drei Kilometer bis an den Weinberg in Saillon.
Das erste Schild des Wanderwegs Sentier des Vitraux: Invitation / Einladung. © SD Saillon.
An einundzwanzig Stationen thematisieren Schilder Aspekte von Farinets Leben, die gleichzeitig in ihrer Allgemeingültigkeit jeden Menschen ansprechen: Einladung, Liebe, Schweigen, Freundschaft, Tod, Unsterblichkeit. Die Schilder aus Glas – nach denen der Weg auch Sentier des Vitraux / Weg der Glasbildnisse heißt – sind eine Augenweide. Sie wiegen zwischen mehreren Hundert Kilo und einer Tonne! Nach Holzschnittvorbildern des Künstlers Robert Héritier fertigte Théo Imboden wunderbar funkelnde Glasbildnisse.
Das letzte Schild des Wanderwegs Sentier des Vitraux: Immortalité / Unsterblichkeit. © SD Saillon.
Den Farinet-Weg entlangzuspazieren heißt somit nicht nur, ein faszinierendes Stück Schweizer Geschichte zu erleben – denn Farinets Erfolg zu Lebzeiten sagt auch viel über die eigenwilligen Bewohner des Wallis aus – und sich an ein numismatisches Kuriosum zu erinnern, das außerhalb des Wallis weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Es kann den Wanderer auch inspirieren, über sich und das Leben nachzudenken. Wo könnte man wohl treffender zu einer solchen Reflexion geführt werden, als auf dem Weg zu den Weinreben des Dalai Lama …?
Touristen finden Informationen zum Farinet-Weg hier.
Der Ort Saillon stellt kurz auch die Glaskunstwerke vor …
… sowie den kleinsten Weinberg der Welt.
Eine schöne Reportage findet sich auf der Seite der Zeit.
Die „Freunde Farinets“ haben auch eine eigene Webseite.
Und auch Farinet selbst lebt noch in einem Blog weiter.