von Ursula Kampmann
28. August 2014 – Menschen lieben an der Fremde eigentlich vor allem, dass sie fremd und feindlich ist. Je fremder und feindlicher das Land, in das man gereist ist, umso größer das Staunen der Daheimgebliebenen. Ist es da ein Wunder, dass Schrumpfköpfe zu einem Exportschlager Südamerikas wurden? Seeleute und Reisende zahlten hohe Preise dafür. So hohe, dass zur Herstellung der Schrumpfköpfe nicht mehr nur „echte“ Trophäen aus Kopfjagden, sondern harmlose, bereits im Grab liegende Tote verwendet wurden. Seit den 1920er Jahren griff man auch auf Ziegen zurück, die Haut und Haar für täuschend ähnliche Schrumpfkopfrepliken lieferten.
Dies ist zweifellos kein Ruhmesblatt der Souvenir-Industrie. Man kann auch über den Geschmack der Reisenden streiten. Aber dies ist eben ein Teil unserer Geschichte. Menschen sind so, dass sie Ausgefallenes lieben, und der Handel Ausgefallenes liefert. Die Zeugnisse für dieses menschliche Verhalten liegen weltweit in Museen und Privatsammlungen verstreut. Vermutlich besitzt auch das Staatliche Museum für Völkerkunde / München, das über eine ausgezeichnete Südamerika-Sammlung verfügt, mehrere Schrumpfköpfe.
Dies ist nun nichts Besonderes. Menschliche Überreste haben in vielerlei Gestalt ihren Weg in Museen gefunden. Sie liegen als Knochen und Leichenbrand in Museen für Vor- und Frühgeschichte. Sie liegen als Mumien in ägyptologischen, in Alkohol säuberlich eingelegt in medizinhistorischen Sammlungen. Selbstverständlich stört sich der Staat dort nicht an den ausgestellten Leichenteilen. Nur wenn sie sich in privatem Besitz befinden, schlägt das staatliche Gewissen. So geschehen kürzlich in München.
Schrumpfkopf aus dem Pitt Rivers Museum, Oxford. Foto: Narayan k28 / Wikipedia.
Dort bot ein weithin bekanntes, auf Waffen spezialisiertes Auktionshaus einen Schrumpfkopf mit folgender Beschreibung an: „Schön erhaltener, eindrucksvoller Schrumpfkopf. Ein eindringliches Zeugnis für den bis in die 50er Jahre des 20. Jhdts. ausgeübten Brauch der Kopfjagd unter den südamerikanischen Indianerstämmen.“ Mit 2.500 Euro war das Stück geschätzt, und zog so den Unwillen einer Verwaltungsdirektorin der Städtischen Friedhöfe München auf sich. Die versuchte durch verschiedene Telefonate und ein E-Mail drei Tage vor der Auktion den Verkauf zu verhindern. Dies gelang. Der Auktionator zog das Stück zurück.
Doch was danach geschah war nicht im Sinne der Städtischen Friedhöfe. Der Auktionator fühlte sich nämlich seinem Einlieferer mehr verpflichtet als einer Verwaltungsdirektorin der Städtischen Friedhöfe München, die dazu weder einen Vorgang des Staatsministeriums vorlegen konnten noch eine Rechtsgrundlage des Ansuchens. Er retournierte das fragliche Stück an den Einlieferer, sehr zum Ärger des Amtes. Dieses hatte in seinem Schreiben gedroht: „Wir weisen Sie auch noch darauf hin, dass Sie nach Art. 18 Abs. 1 Nr. 11 BestG eine Ordnungswidrigkeit begehen, wenn Sie die vorgeschriebene Beseitigung des Schrumpfkopfes auf einem Friedhof verhindern oder zu verhindern versuchen.“ Da dies geschehen ist, will das Amt über das Auktionshaus ein Zwangsgeld von 2.500 Euro verhängen, sollte der Auktionator den Schrumpfkopf nicht sofort wieder herbeischaffen, um ihn „zur näheren Prüfung vorübergehend in die Obhut von Fachleuten des Kultusministeriums zu übergeben.“
Das Mädchen von Windeby. Museum Schloss Gottorf, Schleswig. Foto: Commander-pirx / Wikipedia.
Ganz abgesehen davon, dass man immer wieder verblüfft ist, über was für hoch spezialisierte Fachleute das Kultusministerium verfügt, fragt man sich schon, mit welchem Maßstabe bayerische Behörden messen. Wenn die Städtischen Friedhöfe schon eine Leiche haben wollen, warum holen sie sich nicht zum Beispiel die in Rottau ausgestellte „Frau von Peiting“? Da hätten sie wenigstens eine ganze, wohl erhaltene Leiche und müssten nicht bei einem Schrumpfkopf argumentieren, dass er „ein geschrumpftes menschliches Leichenteil ist, das nach Art. 6 Abs. 3 Bestattungsgesetz (BestG) i. V. m. Art. 5 BestG und Art. 149 Bayerische Verfassung (BV) unverzüglich in schicklicher und gesundheitlich unbedenklicher Weise auf einem Friedhof zu beseitigen ist.“
Man hat den Eindruck, dass in den Köpfen von Beamten wissenschaftlich untersuchte Leichen, die noch dazu über Museumseintritte Geld bringen, gut, Leichenteile in Sammlerhänden schlecht sind.
Ob es Ötzi eine Befriedigung ist, dass Tausende von Touristen täglich seine Leiche begaffen? Vermutlich leidet er darunter auch nicht mehr als der unfreiwillige Lieferant des strittigen Schrumpfkopfs, um den sich jetzt mit Sicherheit wieder ein kostspieliger und aufwändiger Rechtsstreit entwickeln wird. Und all das nur, weil manche Staatsvertreter den Balken in ihrem Auge nicht sehen, während sie der Splitter im Auge des anderen einfach unglaublich stört.
Vielleicht wollen die Städtischen Friedhöfe damit aber auch nur ihren Kundenkreis erweitern. Denn wollte man alle menschlichen Exponate aus den Sammlungen der Welt würdig bestatten, müsste man Zusatz-Friedhöfe anlegen.