Gestohlener Big Maple Leaf wieder im Museum?

Hans Hs Winkler: Big Maple Leaf – Replikat, 2017, Foto auf Holz. Aufnahme: Doreen Reichenbach/RBH.
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Beim Betreten der großen Ausstellungshalle im Berliner Stadtteil Oberschöneweide, in der im Sommer 2018 die Ausstellung „GELD – WAHN – SINN: Die Sammlung Haupt in den Reinbeckhallen Berlin“ gezeigt wurde, trauten Besucher ihren Augen nicht: War da an einer der Längsseiten etwa die einige Monate vorher unter spektakulären Umständen aus dem Bode-Museum entwendete, zwei Zentner schwere und über drei Millionen Euro wertvolle Münze Big Maple Leaf aufgebaut?

Beim näheren Herantreten wurde schnell deutlich, dass es sich bei dem – zumindest aus größerer Distanz – täuschend echt wirkenden Objekt um eine Nachbildung handelte, für die Ausstellung vom Künstler Hans Hs Winkler zur Verfügung gestellt. Ein Exemplar dieser Rekonstruktion, wie Winkler die Arbeit (mit Bezug auf unmittelbar nach dem Diebstahl bereits kolportierten Meldungen zum Zustand des Goldschatzes) nennt, ist jetzt in den Bestand der Sammlung Haupt integriert worden.

Blick in die Ausstellung „GELD – WAHN – SINN: Die Sammlung Haupt in den Reinbeckhallen Berlin“. Arbeit von Hans Hs Winkler ganz links. Foto: Doreen Reichenbach/RBH.

„Mit Geld spielt man nicht“

Bereits Ende 2017/Anfang 2018 hatte das Replikat in der Personalausstellung Hs Winklers „Mit Geld spielt man nicht“ in der Galerie M für Aufsehen gesorgt: besonders während der Schließzeit drückten sich Passanten an den Fensterscheiben förmlich die Nasen platt. Bei der Polizei, so wird berichtet, seien Hinweise eingegangen, die verschwundene Supermünze befinde sich in einer Galerie im Berliner Stadtbezirk Marzahn-Hellersdorf. Auf Reaktionen der Verunsicherung und Irritation ist das ambitionierte Schaffen des Künstlers fokussiert, der damit über den abbildhaften Umgang mit bildkünstlerischen Mitteln hinausgeht. Hinter Aktionen und Objekten stehen sehr wohl kalkulierte Konzepte, die den Betrachter und Rezipienten provozieren und zum aktiven Teil des Geschehens machen (sollen). Zur Präsentation der Goldmünzen-Replik in Marzahn schrieb Winkler: „Diebstahlversuch: Die 100 Kilogramm schwere Goldmünze Big Maple Leaf, die aus dem Bode-Museum in Berlin gestohlen wurde, ist in der Galerie M ausgestellt worden. (Als Reproduktion?) Dies stiftete einige Verwirrungen hinsichtlich eines vereitelten Diebstahlsversuchs“, und fährt in einem auf seiner Website veröffentlichten „Bekennerschreiben“ fort:

„Hans Winkler war’s. Er hat die Big Maple Leaf aus dem Bode-Museum gestohlen. Die Polizei war damals schon nah an ihm dran, hatte ihn sogar kurz nach dem Diebstahl zu Hause besucht. Man wusste, dass er Fotos von der Münze gemacht hatte. Kurz, bevor sie gestohlen worden war. Alle Spuren führten nach Neukölln. Wir wissen, dass er es war, denn wir haben ihn aus dem Haus gegenüber beobachtet, wie er die Münze versteckt hat: in seiner Kunst! Was wochenlang in der Galerie M in Marzahn zu sehen war, die angebliche Nachbildung der Big Maple Leaf, umhüllte die wertvolle Münze. Wir haben mit angesehen, wie er die Ummantelung erstellt hat. (…)“

Im Rahmen der Ausstellung kreierte Winkler unter Beteiligung von Besucher*innen und Anwohner*innen auch eine Eigenwährung: während der Ausstellungseröffnung wurde aus einer Vielzahl von eingereichten Zeichnungen und Vorschlägen das Motiv für die Regionalwährung „Marzahner“ gewählt und anschließend in Druck gegeben. Exemplare davon befinden sich im Bestand der Sammlung Haupt.

Hans Hs Winkler: Seit der Wirtschaftskrise 2008 beschäftige ich mich mit komplementären Währungssystemen, regionalen Ökonomien, die zwar hochaktuell, aber weitgehend unbekannt sind und eine realistische Alternative zu dem vorhandenen Währungs- und Handelssystem und der „überdrehten“ Finanzwelt, darstellen. Mit dem Langzeitprojekt in Marzahn wird der Versuch unternommen eine neue Währung (Regionalgeld: „Marzahner“), neben dem „offiziellen“ Euro, in Marzahn einzuführen und in Umlauf zu bringen.

„Schwundgeld“

1931-33 erregte ein erfolgreicher Versuch der österreichischen Gemeinde Wörgl großes Interesse, da diese sich selbst durch die Einführung eines eigenen, regionalen „Schwundgeldes“ von den Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise befreit hatten. Die Krise wurde durch den Börsencrash im Jahre 1929 ausgelöst. Die Ideen dieses „Schwund- oder rostenden Geldes“ beziehen sich auf den Sozialreformer und Begründer der Freiwirtschaftslehre Johann Silvio Gesell (1862-1930). Seine Theorie besagt, dass eine Währung nur tragbar und stabil bleibt, wenn sie, als klassisches Tauschmittel, ständig im Umlauf gehalten wird und das Geld und der Warenaustausch in der Region bleiben. Wodurch das räumlich begrenzte Zahlungsmittel auch den regionalen Wirtschaftskreislauf fördert. Die Währung hat aber auch eine soziale Komponente: 3-5 % der Umsätze fließen in gemeinnützige und kulturelle Projekte. Bei Nichtnutzung verliert sie aber stetig an Wert. Gesell war auch Finanzminister in der Münchener Räterepublik 1919. Neben den klassischen Ansätzen des Marktes gibt es weltweit Initiativen mit dem Ziel, zusätzliche Gütermärkte zu erzeugen, brachliegende Ressourcen zu nutzen, wenn reguläre Währungssysteme außer Funktion geraten sind. Erstaunlicherweise wird in den Medien davon nur wenig berichtet.

Winklers Regionalgeld-Kreation kann in direkter Linie zum so genannten Knochengeld (eines der höchst raren Musterbücher befindet sich in der Sammlung) gesehen werden: im Jahr 1993 initiierte die Gruppe Ioë Bsafott bzw. die Galerie „o zwei“ die Knochengeldaktion im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. In mehr als 20 Geschäften und Kneipen wurden über zwei Monate lang von Künstlern kreierte Geldscheine als paralleles Zahlungsmittel akzeptiert. Insgesamt 54 Künstler, darunter Anne Jud, Olaf und Carsten Nicolai, A. R. Penck, Gerd Sonntag und Klaus Staeck beteiligten sich an der Aktion.

Hans Hs Winkler lotet die Grenzen der Kunstfreiheit aus, stellt absichtsvoll „Fake“-News in den Dienst seines Ansinnens, nicht nur um gesellschaftliche Mechanismen und Rituale zu hinterfragen und auf deren Sinn hin zu prüfen, sondern auch, um das Publikum einer Art Intelligenz-Test zu unterziehen. Seine Interventionen, Aktionen und Projekte – seit 1984 in zahlreichen Ländern durchgeführt – haben dabei nicht selten mit Währungen bzw. dem Kontext von Geld und (Gegen)Wert zu tun.

„Wir machen mehr aus Ihrem Geld“

Spektakulär zu nennen ist die zusammen mit Peter Kees und Uwe Jonas 2007 initiierte Aktion „Wir machen mehr aus Ihrem Geld“ in der Galerie Weißer Elefant, Berlin-Mitte. Anknüpfend an Medienberichte über Banknoten, die sich kurz nach Entnahme aus Geldautomaten bei Berührung aufzulösen begannen, führten die drei Künstler ihre Geldschein-Zersetzung willkürlich mit Schwefelsäure herbei. Interessierte hatten die Möglichkeit, einen Geldschein bei dem Künstlertrio abzugeben und ihn dann säurebehandelt als künstlerische Arbeit in die Ausstellung integrieren zu lassen. Im Verkaufsfall wurde der Besitzer des Scheines am Erlös beteiligt und hatte so die Chance auf einen Gewinn, der den Nennwert der Banknote übersteigt. Ironischerweise wird dieser Mehrwert durch die Zerstörung des Geldscheines in seiner Funktion als Zahlungsmittel generiert. Für die Ausstellung und die Wohnungen der Akteure interessierte sich in der Folge die Polizei. Das Ganze brachte dem Projekt gehörige mediale Aufmerksamkeit bis hin zu einem Bericht in der FAZ.

In Gestalt zweier so überformter Banknoten (im ursprünglichen Wert von 20 und 50 €) ist der künstlerisch-provokativen Zersetzungs- und Wertsteigerungsprozess ebenfalls in der Sammlung Haupt dokumentiert.

Mit „GRENZZIEHUNG“ wurden im August 2020 im Rahmen der Reihe Re-imaging America im Berliner Galerie- und Projektraum Spor Klübü exemplarisch vier in den USA zwischen 2001 und 2018 realisierte Projekte/Interventionen des Künstlers vorgestellt, die sich mit der Geschichte der Vereinigten Staaten und ihren Grenzen auseinandersetzen.

Hans Hs Winkler

Hans Hs Winkler, geboren 1955 in Rott am Inn, lebt und arbeitet seit 1995 sowohl in Berlin als auch in New York. Sein Hauptinteresse gilt dem öffentlichen Raum und dessen Symbolen. Von 1988 bis 2000 realisierte er unter dem Namen p.t.t.red (paint the town red) zusammen mit Stefan Micheel unter anderem die Stadtraum-Installationen goldener Schnitt durch Berlin, 1988-1990, und 1996 die Statue of Liberty in Red in New York. Hans Hs Winkler co-kuratierte Ausstellungen wie legal/illegal (2004) in der NGBK Berlin und „looking for mushrooms“ – Counterculture in San Francisco der 1950er bis 1960er-Jahre im Museum Ludwig, Köln (2008). Zwischen 2005 und 2008 publizierte er unter dem Titel Walking Newspaper Zeitungsprojekte in Istanbul, Johannesburg, New York, Havanna, Bonn und San Francisco.

 

Den Diebstahl der Big Maple Leaf Münze haben wir in der MünzenWoche schon oft thematisiert. Immer noch bleiben Fragen offen.

In unserem Archiv finden Sie ebenfalls zwei Artikel zum Thema Schwundgeld: Einer behandelt auf spielerische Art die Thesen von Silvio Gesell und die Gründung der WIR-Bank, der andere setzt sich mit dem Freigeld-Experiment in Wörgl auseinander.

Weitere Informationen zu dem Künstler und seinen Aktionen finden Sie auf seiner Website.