von Ursula Kampmann
3. September 2015 – Nach kurzer Krankheit und im Kreise seiner Familie verstarb der bekannte Historiker, Numismatiker und Epigraphiker Harold B. Mattingly in Truro / Cornwall.
Harold Braithwaite Mattingly war die Numismatik geradezu in die Wiege gelegt. Bereits sein Vater war einer der herausragenden britischen Numismatiker. Und der Sohn stand ihm nicht nach. Er studierte an der Universität Cambridge, wo er 1947/8 den Bachelor und 1952 den Master machte. Bis 1970 lehrte er an der Universität von Nottingham, danach an der Universität von Leeds.
Numismatiker kennen ihn vor allem wegen seiner Serie von entscheidenden Artikeln zur Neudatierung der Münzmeisterprägungen der römischen Republik. Doch die wissenschaftliche Kontroverse seines Lebens drehte sich nicht um Münzen, sondern um eine für die Numismatik entscheidende Inschrift. Wir sprechen vom Athenischen Münzdekret. Das war von einer epigraphischen Detailfrage betroffen, die als die „Three-bar Sigma“ Kontroverse in die Forschungsgeschichte einging. Diese beschäftigte sich mit der Inschriftendatierung auf Grund der darin benutzten besonderen Form des griechischen S. Traditionell waren Wissenschaftler davon ausgegangen, dass das dreigestrichene Sigma seit 446 v. Chr. nicht mehr für attische Inschriften verwendet wurde. Mattingly konnte beweisen, dass dies nicht stimmt, sondern dass beide Formen nebeneinander existierten. Er hatte mit starkem und energisch vorgetragenem Widerspruch zu kämpfen, ehe seine Auffassung heute zur Communis Opinio wurde. Seine Entdeckung kann in ihrer Bedeutung eigentlich nicht überschätzt werden. Dadurch musste die Geschichte des Athener Imperialismus neu geschrieben werden. Das Münzdekret wurde eben nicht bereits kurz nach 449 v. Chr. erlassen, als Athen nach dem Kalliasfrieden seine Machtstellung im Seebund auszubauen begann. Es ist vielmehr ein Zeugnis der sich steigernden Radikalität der Athener im Verlauf des Spartanischen Krieges, als man durch solche Maßnahmen versuchte, die Mitglieder des Seebundes auf Linie zu bringen.
Wer nun glauben möchte, Harold B. Mattingly sei ein streitbarer Wissenschaftler gewesen, der die scharfe Diskussion über alles liebte, der würde sich täuschen. Er war ein äußerst liebenswerter Mann, der stets dafür plädierte, das Leben zu genießen. Andrew Burnett, bis 2013 Vizedirektor des British Museum, erinnert sich gerne an eine Geschichte, die sich 1979 während des Internationalen Numismatischen Kongresses in Bern zutrug. Der junge Burnett arbeitete damals als Research Assistent im British Museum und besuchte seinen ersten INC. Der wesentlich ältere Mattingly klärte ihn darüber auf, dass diese Veranstaltung vor allem dazu da sei, Menschen kennenzulernen und dies zu genießen. Dieser gute Rat wurde bei einem opulenten Dinner gleich in die Tat umgesetzt.
Es spricht für den Menschen Harold B. Mattingly, dass er nicht nur die Leidenschaft seines Vaters für das Altertum erbte, sondern diese auch an seine Kinder weitergab. Seine Tochter Joanna Mattingly ist eine große Kennerin der mittelalterlichen Kunst Cornwalls. Sohn David Mattingly lehrt heute an der Universität von Leicester Römische Archäologie.
Die Beerdigung fand im engsten Familienkreise statt. Um den Wissenschaftler zu ehren und seinen Freunden die Möglichkeit zu geben, Erinnerungen an einen wirklich bemerkenswerten Menschen zu teilen, wird in Cambridge in naher Zukunft eine Gedächtnisfeier veranstaltet werden.