von Ursula Kampmann
27. November 2014 – „Wir sind am Rande der Verzweiflung“, so hatte die türkische Archäologin Binnur Celebi am 5. April 2014 ihre Situation auf Twitter beschrieben. Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse prägten ihre Zukunftsaussichten – genauso wie die von 99 % aller ausgebildeten Archäologen der Türkei. Lediglich 1 % der gut ausgebildeten Archäologen fände Arbeit. Nicht recht viel anders sieht die Situation im Fach Kunstgeschichte aus.
2.100 ausgebildete Archäologen verließen 2009 die Universität, 2014 waren es 2.765 hoffnungsvolle Altertumswissenschaftler. Sie haben Schulden für ihre Ausbildung auf sich geladen; diese zurückzuzahlen, haben sie nicht viele Chancen, wie Sam Hardy berichtet. Der Türkisch sprechende Autor erzählt in der Internetzeitung „Hyperallergetic“ am 10. November 2014 eine Geschichte, die so gar nicht zum Image des Landes passen will, das mit seinen atemberaubenden Ruinen um Touristen wirbt.
„Ich habe nicht studiert, um ohne Versicherung zu einem Minimallohn zwölf Stunden am Tag zu arbeiten,“ schreibt der Kunsthistoriker Ibrahim Halil und ein bekannter türkischer Kolumnist beschreibt die wachsende Zahl arbeitsloser Archäologen als eine „Armee von Graduierten, die von einer Mentalität zur Arbeitslosigkeit verurteilt werden, die Kunst als Töpfe und Pfannen behandelt.“ Dieses Zitat bezieht sich auf eine Äußerung des türkischen Premierministers Erdogan, der ziemlich aufgebracht darüber war, dass archäologische Forschungen seinen Tunnel unter dem Marmarameer aufhielten. Und auch Archäologen kritisieren die Haltung der türkischen Regierung, die auf der einen Seite Restitutionsansprüche an andere Länder stellt, aber nicht die Mittel zur Verfügung stellt, um die Ausgrabungsstätten im Lande zu überwachen. Oder wie Yasin Yildiz es ausdrückt: „Wir zahlen Millionen von Dollars um Antiken zurückzuerhalten, die außer Landes geschmuggelt wurden. Sollten wir nicht Archäologen anstellen, damit diese gar nicht erst geschmuggelt werden?“
In einem Artikel vom 28. Oktober 2014 stellte Hardy einige Zahlen zusammen. In den 1930er Jahren waren 300 Spezialisten und Beamte für etwa 30 türkische Museen verantwortlich. In den 1990er Jahren standen 500 Spezialisten 300 Museen gegenüber. Auf 17.683 Angestellte des Ministeriums für Kultur und Tourismus im Jahre 2013 kamen 141.911 Angestellte des Direktorats für religiöse Angelegenheiten, gar nicht zu sprechen von den 300.000 Polizisten und 700.000 Soldaten, die für die Sicherheit der türkischen Regierung sorgen.
Zieht man dazu in Betracht, dass die 17.683 Mitarbeiter des Ministeriums für Kultur und Tourismus für 13.000 Stätten von Kultur- und Naturerbe sowie für mehr als 300 Museen und 135 Ruinenkomplexe wie Ephesos oder Pergamon zuständig sind, dann wird die Bedeutung, die die türkische Regierung ihrem Kulturerbe zumisst (bzw. nicht zumisst), nur noch deutlicher.
Nach öffentlichen Protesten war die Gruppe der aufgebrachten Archäologen so weit, dass sie mit einem Hungerstreik drohte. Den hat die türkische Regierung nun glücklich abgewendet, indem sie Sofortmaßnahmen zur Anstellung von rund 524 Archäologen ankündigte. Damit hat ein Fünftel aller Abgänger des Jahrgangs 2014 eine Aussicht auf eine Stelle. Man fragt sich, was mit den anderen vier Fünfteln ist. Und vor allem mit den Abgängern des Jahrgangs 2015.
Zu den lesenswerten Originalartikeln kommen Sie hier und hier.
Über die merkwürdige Art der türkischen Regierung mit ihrem kulturellen Erbe umzugehen, haben wir schon in einem ausführlichen Artikel zu den Grabungen von Hierapolis berichtet.