von Ursula Kampmann
9. Oktober 2014 – Selbst vielen Historikern wird nicht allzu viel mehr als der Name „Attila“ einfallen, wenn sie das Wort „Hunnen“ hören. Dass es daneben hunnische Reiche im Grenzgebiet zwischen Iran, Zentralasien und Indien gab, ist den wenigsten bewusst. So ist auch das, was Münzsammler und Numismatiker über das Königreich der Kidariten und das der Alchan wissen, zumeist ziemlich begrenzt, was schon daran leicht zu erkennen ist, dass ähnliche Münzen dieser Königreiche in Auktions- und Sammlungskatalogen meist ziemlich unterschiedlich beschrieben werden, je nachdem welchen Forschungsstand das Referenzwerk spiegelt, das dem Katalogersteller zur Beschreibung der Münze zur Verfügung stand.
Matthias Pfisterer, Hunnen in Indien. Die Münzen der Kidariten und Alchan aus dem Bernischen Historischen Museum und der Sammlung Jean-Pierrre Righetti. Mit typologischen Zeichnungen von Theresa Eipeldauer. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, 2013. 30,2 x 22,2 cm, 335 S. Abbildungen in Schwarz-Weiß. Hardcover. ISBN: 978-3-7001-7372-4. Preis: 89 Euro.
Man hofft also auf ein neues Referenzwerk, das endlich ein Ende des katalogisierten Durcheinanders böte. Die Voraussetzungen dafür wären gegeben. Matthias Pfisterer, der den Katalog der Sammlungen des Bernischen Historischen Museums und des Privatsammlers Jean-Pierre Righetti aufarbeitete, hat nicht nur diese beiden Sammlungen konsultiert, sondern – wie aus den Dankwörtern zu ersehen – viele andere dazu, in Islamabad, New York, Tokyo, um nur einige Städte zu nennen.
Durch die ungeheure Verbreiterung der Materialbasis, steht der zur Zeit auf diesem Gebiet sehr aktiven Numismatik ein Schatz an neuer Erkenntnis offen. Erst 2010 zum Beispiel publizierte Joe Cribb seinen grundlegenden Artikel über die Kidariten (Joe Cribb, The Kidarites, the Numismatic Evidence. With an Analytical Appendix by A. Oddy, in: Coins, Art and Chronology II – The first millennium C.E. in the Indo-Iranian borderlands. Wien 2010), so dass der Autor von „Hunnen in Indien“ dieses Kapitel auf 5 Seiten Zusammenfassung beschränken kann.
Seine Studie der Münzprägung der Alchan umfasst dagegen rund 170 Seiten und geht auf Grund der wesentlich größeren Materialbasis, die heutzutage zur Verfügung steht, wissenschaftlich weit darüber hinaus, was Robert Göbl in seinem vierbändigen Werk „Dokumente zur Geschichte der iranischen Hunnen in Baktrien und Indien“ von 1967 niederlegte.
Wohlgemerkt, Matthias Pfisterer hat nicht den Ehrgeiz, eine neue Geschichte des vergessenen Volkes der Alchan zu schreiben. Er beschränkt sich auf nicht mehr, aber auch nicht weniger als auf eine möglichst exakte Beschreibung der Münzgeschichte inklusive einer Rekonstruktion von Struktur und System der Münzprägung der Alchan nach den Regeln des „Wiener Aufbaus“. Dies ist schwer zu lesen, aber ein wunderbarer Ausgangspunkt für weitere Forschungen. Der Leserkreis dieses Textes ist deshalb extrem beschränkt. Praktisch alle Katalogersteller werden gleich S. 207 aufschlagen, wo der Sammlungskatalog Bern / Righetti beginnt.
Sie finden einen nach den von Göbl erarbeiteten Typen geordneten Katalog. Wer nun allerdings erwartet, sich endlich das schwer erhältliche Werk Göbls von 1967 sparen zu können und mit dem neuen Band ein Kompendium aller Typen der Kidariten und Alchan zu erhalten, der wird enttäuscht. Nur die Typen sind im Katalog zu finden, die in Bern oder in der Sammlung Righetti liegen. Die anderen Typen fehlen. Immer wieder gibt es große Lücken, so zwischen 19A und 24, zwischen 24 und 28, zwischen 28 und 33, zwischen 38 und 41 und an vielen anderen Stellen. Schade. Denn auch der von Cribb erarbeitete Typenkatalog zu den Kidariten ist alles andere als einfach zu benutzen. Hier hätte man sich sehr gefreut, wenn das Material, das in Sammlungen zwischen Islamabad, New York und Kyoto zusammengetragen wurde, nicht nur für die Forschung benutzt, sondern ergänzend auch für einen umfassenden Katalog zur Verfügung gestanden hätte, der dem Katalogersteller die komplizierte, meist unter Zeitdruck zu leistende Arbeit erleichtert hätte.
Immerhin, es sind gute Fotos vorhanden, anhand derer man einen Typ relativ schnell finden kann. Es ist eine genaue Beschreibung gegeben sowie gelegentlich ein Kommentar, dazu die Referenzzitate bei Göbl und Cribb. Alle Stücke der Sammlungen Bern und Righetti sind abgebildet und ein Index hilft schnell weiter, die Kapitel – ja Kapitel und nicht Seiten – zu finden, in denen der relevante Typ behandelt ist.
Alles in allem ein wunderbar wissenschaftliches Buch, das viel Neues für die Forschung bringt. Dies hat vermutlich auch die anonyme und internationale Peer-Review ergeben, der das Manuskript vor der Publikation unterzogen wurde. Als Nutzer wünscht man sich allerdings manchmal, es würde vor der Durchlegung eine Art „Impeer-Review“ geben, sollte dieses Wort in der englischen Sprache überhaupt existieren. Ich bin mir sicher, einige Wissenschaftler wären sehr überrascht, dass ihre Werke nicht nur von ihresgleichen, sondern auch von normalen Menschen benutzt werden und die ganz andere Wünsche an ein Buch haben.