14. Juli 2016 – Jürg Richter, Numismatiker und Gründer des Schweizer Auktionshauses SINCONA AG, hat den Otto-Paul-Wenger-Preis 2016 erhalten. Mit diesem Preis ehrt der Verband der Schweizer Berufsnumismatiker (VSBN) Persönlichkeiten, die sich um die Vermittlung der Numismatik besonders verdient gemacht haben.
Jürg Richters langjähriger Freund, Co-Autor und Mitarbeiter Dr. Ruedi Kunzmann hielt die Laudatio. Foto: UK.
Ruedi Kunzmann hielt anlässlich der Übergabe des Preises im Rahmen der Generalversammlung des VSBN die Laudatio auf Jürg Richter. Wir geben sie im Folgenden wieder:
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Jürg Richter erhält die Ehrenurkunde aus den Händen von Marcel Häberling (li.), dem Präsidenten des VSBN, und von Lutz Neumann-Lysloff (re.), dem Generalsekretär des VSBN. Foto: UK.
Ich habe heute die Ehre und wunderbare Aufgabe, Ihnen den diesjährigen Preisträger des Otto-Paul-Wenger-Preises 2016, Jürg Richter, vorstellen zu dürfen. Dabei muss ich Sie allerdings vorwarnen, denn man kann Jürg Richter nicht einfach nur in die Schublade „Numismatik“ stecken, nein, da würde man ihm nicht gerecht. Und so bin ich gezwungen, etwas weiter auszuholen.
Kurz nach 1800 kommt ein mittelloser junger Mann namens Johann Christoph Richter (1768-1853) nach Königsberg, dem heutigen russischen Kaliningrad, und lernt dort die junge Witfrau Louise Caroline Quassowski kennen und lieben und heiratet sie denn auch 1806. Diese junge Witwe ist nicht nur hübsch, nein, sie bringt auch ein beträchtliches Vermögen in Form des schönsten Hauses von Königsberg, Königsberger Schloss genannt, und einer Weinhandlung in die Ehe. 20 Jahre später zieht diese Handlung in den Nordflügel des Schlosses, und gleichzeitig entsteht dort zusätzlich ein Feinschmeckerlokal mit Weinausschank, welches man „Blutgericht“ nennt. Die Herkunft des Namens ist bis heute noch nicht ganz genau geklärt. Das Gasthaus jedoch wird weitherum bekannt und berühmte Persönlichkeiten speisen dort, von Richard Wagner über E.T.A. Hofmann bis zu Prinz Heinrich von Preußen. Johann Christoph Richter macht Karriere, wird sehr reich und 1832 sogar geheimer Kommerzienrat. Bitte behalten im Gedächtnis die Stichworte: Wein und gutes Essen.
Drei Generationen später leben Teile der Familie Richter immer noch in Königsberg. Ein Mitglied heißt Christoph Julius Hugo Richter (1841-1921), und dieser Hugo Richter, wie er gerufen wird, ist erfolgreicher Buchhändler, aber leider lungenkrank. Während einer Erholungskur liest er ein Buch des Davoser Arztes Dr. Spengler, welcher beschreibt, wie Lungenkranke in der guten Schweizer Höhenluft geheilt werden, und so beschließt er, in die Schweiz zu ziehen. Im Februar 1865 kommt er in Davos an, bleibt dort längere Zeit und lernt die Tochter des Gemeindepräsidenten kennen und lieben. Die Heirat macht den jungen Mann reich, gleichzeitig ist er sehr arbeitsam und engagiert sich überall. Bald besitzt er das Hotel „Strela“, eine Buchdruckerei und gründet zwei Zeitungen: die Davoser Zeitung und das Bündner Wochenblatt. Er beschließt, dass jeweils der Erstgeborene der nachfolgenden Generation ebenfalls den Namen Hugo tragen soll, was bis heute gilt. Bitte behalten im Gedächtnis die Stichworte: Buchstaben, Bücher und Hugo.
Es führte zu weit, die vielen Mitglieder der großen Familie Richter mit ihren Besonderheiten aufzuzählen, ich muss mich beschränken. Aber jede Familie hat auch ein schwarzes Schaf dabei, und, Jürg, bitte entschuldige, dass ich da halt einhake, ich muss auch Deinen Großvater erwähnen, den Hugo Richter (1897-1960). Er erlernt nie einen Beruf und wandert 1923 in die USA aus, wo er ein Leben als Bohemien genießt. Schöne Frauen und schnelle Autos sollen Steckenpferde von ihm gewesen sein. Er heiratet dort heimlich eine reiche Schweizerin und finanziert so jahrelang sein aufwändiges Leben. Offenbar hat er jedoch gewisse Talente und arbeitet nach seiner Rückkehr in die Schweiz beim amerikanischen Generalkonsulat. Später macht er allerdings eine größere Dummheit, worauf sein Schwiegervater die Trennung des Paares veranlasst. Die restliche Familie Richter jedoch führt den Spitzbuben wieder auf den richtigen Pfad und vermittelt ihm eine seriöse Lebensstelle, nämlich diejenige des Bahnhofvorstehers von S’Chanf. Bitte behalten im Gedächtnis die Stichworte: Bohemien, schöne Autos und starke Familienbande.
Jürgs Vater, natürlich ebenfalls namens Hugo (1929-2000), habe auch ich gekannt. Er ist ebenfalls mit den Buchstaben, sprich dem geschriebenen Wort in Verbindung, so betreut er als Abschluss-Redaktor die Zeitung „Sport“, hat eine Offsetdruckerei in Wetzikon und ist später Werbechef bei der BBC/ABB. Aber offenbar ist da eine Generation etwas übersprungen worden, denn Jürgs Vater trinkt zwar manchmal ein Gläschen Wein, aber als besonderer Liebhaber solcher Tropfen gilt er nicht. Dafür ist er im Militär Hauptmann, und auch Jürg wird später eine kurze Offizierskarriere einschlagen. Bitte behalten im Gedächtnis das Stichwort: Organisationstalent.
Und sieben Generationen nach dem Königsberger Dynastiegründer Johann Christoph Richter wird Jürg Ralf Hugo Richter am 1. Oktober 1963 in Zürich geboren. Die Weltgeschichte vermerkt zu diesem Datum eigentlich gar nichts, wenn man davon absieht, dass Nigeria an diesem Tag Republik innerhalb des britischen Commonwealth wird, in Deutschland der Milchpreis um 5 Pfennig pro Liter erhöht wird und die Sängerin Gitte Nr. 1 der Schallplattenhitliste wird, mit dem Schlager „Ich will ’nen Cowboy als Mann“!
Nun, über die Jugendzeit von Jürg ist nur zu berichten, dass er in Oberengstringen und in Zollikerberg zur Schule geht. Bereits als Bub ist er fasziniert vom Geld unseres Landes und holt in seiner Freizeit immer wieder auf der Post Münzenrollen, um nach Jahrgängen, welche ihm fehlen, zu suchen (wie viele von uns vermutlich auch).
Als Jugendlicher entdeckt er irgendwann die Münzenhandlung von Herrn Werner Merk im Zürcher Oberdorf, und er darf dort in den Schulferien mithelfen, will heißen, dass er im Keller aufräumen und Münzen ordnen kann, was ihm offensichtlich viel Spaß macht. Es scheint, dass in diesen Jahren endgültig die Infektion mit dem sehr gefährlichen Influenzavirus typus numismaticus, stattgefunden hat. Diese Krankheit ist in ihrem Verlauf übrigens hochansteckend, sie zeigt akute Phasen, geht dann in chronische Stadien über, welche jedoch von rezidivierend auftretenden Fieberschüben und Rückfällen begleitet werden. Erhöhung der Körpertemperatur, Rötung der Haut, insbesondere des Kopfgebietes, Seh- und Herzfrequenzstörungen, Kurzatmigkeit, trockene Schleimhäute und Händezittern sind die unangenehmen Begleiterscheinungen dieser weltumspannenden Seuche.
Jürg geht im Rämibühl/Zürich in die Mittelschule, und nach der Matura hat er sogar den Plan zu studieren. Nicht in Zürich, da wäre er wohl zu einfach zu kontrollieren gewesen, nein, er schreibt sich an der Handelshochschule St. Gallen ein; in der Nähe wohnt übrigens eine seiner ersten Freundinnen! Weiteres dazu, nun, da schweigt des Sängers Höflichkeit.
Allerdings wird es Jürg in St. Gallen schnell zu theoretisch und langweilig, und er kommt zurück nach Zürich und sucht nach einer Stelle, wo er seine Passion, die Numismatik, wirklich ausleben kann. In der Zwischenzeit hat er auch gelernt, wie man mit Münzen ein bisschen handeln kann, und mit seinem ersten selbst verdienten Geld kauft er sich auch sein erstes Auto mit der Nummer ZH 237 189, einen schnellen Audi Quatro.
Jürg findet ab Mai 1985 im Monetarium der SKA an der Bahnhofstrasse 1 eine Stelle als Numismatiker. Das Team dieser Münzenabteilung ist sicher mitverantwortlich, dass Jürgs Talent, Münzen mit scharfem Auge zu untersuchen und zwar auf allen drei Seiten, gefördert wird.
Dieses Geld genau zu betrachten zeigt sich auch in seinem ersten Buch, das 1988 unter dem Titel „Fehlprägungen und Fälschungen von Schweizer Münzen“ herauskommt. Weitere Werke folgen zu den Themen Banknoten, Schützenmedaillen und -jetons sowie über alle Gepräge der Schweiz von den Anfängen, sprich den Kelten, bis in die neueste Zeit, dem HMZ-Katalog, dieses Jahr sind zwei Bände über die Proben und Materialvarianten der Münzen der Schweiz erschienen, und sie sind alle zu Standardwerken der Numismatik unseres Landes geworden.
1996 wird das Monetarium geschlossen, und Jürg muss sich nach einer neuen Stelle umsehen. Er findet diese kurzfristig in der traditionsreichen Münzenhandlung des 1994 verstorbenen Numismatikers Frank Sternberg, verlässt diese jedoch bereits zwei Jahre später wieder. Ab Juli 1998 arbeitet er in der Numismatischen Abteilung der UBS in Basel.
Nach der Pensionierung seines Vorgängers, Christian Winterstein, wird Jürg Leiter der Abteilung und führt viele erfolgreiche Auktionen für seine Bank durch. Schlussendlich wird ihm auch die Leitung der Gold- und Numismatikabteilungen in Zürich und in Genf übertragen, wahrlich eine schöne Karriere.
In der Zwischenzeit hat Jürg mit seiner ersten Gattin Monika zwei Kinder geschenkt bekommen, Tochter Angela, geboren 1991 und Sohn Claudio, geboren 1994 und natürlich mit Zweitnamen Hugo. Angela arbeitet übrigens unterdessen auch in einer Münzenhandlung und tageweise in Jürgs Auktionshaus SINCONA AG; offenbar ist die Viruskrankheit auch für die nächsten Generationen infektiös!
Ich bin bei der SINCONA angelangt. Per Ende April 2011 entscheidet sich die UBS AG aus geschäftspolitischen Gründen, den Numismatik-Bereich nicht mehr weiterzuführen. In gutem Einvernehmen übernimmt Jürg Richter einzelne Kolleginnen und Kollegen aus dem UBS-Team und eröffnet bereits Anfang Mai 2011 sein eigenes numismatisches Geschäft und Auktionshaus, die SINCONA AG. Kurz darauf wird die erste Auktion erfolgreich durchgeführt.
Ich habe selber vom ersten Tag an die SINCONA AG mitbegleiten dürfen. Jürg leitet sein Auktionshaus und sein Team in einer Art und Weise, dass man tagtäglich mit Spaß zur Arbeit gehen kann. Er ist das, was man als echten Patron bezeichnen kann, weit entfernt vom Ausdruck Chef, nahe beim Wort Freund und das für alle Mitarbeiter unseres Teams. Wir sind beim „heute“ angekommen. Die SINCONA AG ist aufstrebend, steht blendend da und Jürg ist zurzeit sicher einer der erfolgreichsten Numismatiker der Schweiz, Europas oder noch mehr!
Ich möchte diese Laudatio nicht abschließen, ohne einige der oben erwähnten Stichworte nochmals anzusprechen:
Stichwort Wein und gutes Essen. Jürg hat ein paar Gene vererbt bekommen, die dazu geführt haben, dass er einer der besten Weinkenner unseres Landes geworden ist, vor allem was Süßweine und alte Bordeauxtropfen anbetrifft. Außerdem unterstützt er seine zweite Frau Susi, die das berühmte Restaurant Farnsburg im Kt. Basel-Land führt, mit einem Weinkeller, den Sie einfach einmal besuchen müssen. Die Laudatio würde noch lange dauern, wenn ich mehr darüber berichten müsste.
Stichwort Buchstaben: Glauben Sie ja nicht, dass Jürg Richter sein letztes Buch geschrieben hat.
Stichwort Hugo: Da kann ich noch nichts dazu sagen, denn sein Sohn Claudio hat die Generationenerweiterung noch nicht in Angriff genommen, und vielleicht heißt Jürgs’ Enkel ja dann einmal auch Hugo.
Stichwort schöne Autos: Jürg besitzt nicht nur ein Auto, nein, es ist eine Freude, mit ihm an einer Oldtimer-Rallye teilzunehmen, so etwa jeweils im Sommer beim Raid Basel-Paris.
Stichwort Bohemien: Wussten Sie, dass Jürg, trotz des regelmäßigen 14-Stunden-Arbeitstages kein bisschen auf „Sun and Fun“ verzichtet? Vielleicht treffen Sie ihn mal auf einer Reise in Australien an oder an einem Konzert der Rolling Stones oder von ACDC, wo er mit-rockt!
Stichwort Organisationstalent: Unterdessen ist unsere SINCONA AG schon fünf Jahre alt, und wir haben eine Reihe spannendster Auktionen erleben dürfen. Der neue Geschäftsstandort am Limmatquai ist unterdessen bezogen, die SINCONA Trading AG als zusätzliche Abteilung betreut den Handel mit Edelmetall und unzählige Schließfächer im Kellergeschoss, und regelmäßig diskutieren wir mit Jürg über neue Projekte und Ideen, die Numismatik erfolgreich weiter zu führen. Und das alles mit nur acht fest angestellten und zwei freien Mitarbeitern.
Stichwort Familienbande: Seine Familie ist Jürg Richter sehr wichtig. Trotz der täglichen Riesenarbeit vergisst Jürg keines seiner Familienmitglieder. Auch wir vom Team spüren, dass wir nicht nur als Angestellte zur Arbeit kommen, sondern als Kollegen und Freunde angesehen werden.
Ich bin sicher, dass es höchste Zeit war, dass Jürg Richter diesen schönen Preis erhalten darf!
Das wär’s, Jürg, ich gratuliere Dir ganz herzlich!
Wenn auch Sie Jürg Richter gratulieren möchten, dann schreiben Sie ihm doch eine E-Mail.
Mehr über den Otto-Paul-Wenger-Preis finden Sie hier.
Und hier geht es zur Website des Verbands Schweizer Berufsnumismatiker.
Das ist die Seite der SINCONA AG.