von Ursula Kampmann
21. August 2014 – Marco Polo war in China: So lautet der Titel des 2013 erschienenen Buchs des Tübinger Sinologen Hans Ulrich Vogel. Er wendet sich mit seinem inhaltsschweren Werk vehement gegen all die Forscher, von denen die sicher hervorragend verkäufliche These verbreitet wird, Marco Polo sei auf seiner Reise gar nicht bis China gekommen, sondern habe sein Werk nur aus anderen Quellen zusammengeschrieben. Sie wollen das daraus schließen, dass Marco Polo einiges, was uns heute als besonders typisch für die chinesische Kultur erscheint, mit Stillschweigen übergeht. So gäbe es bei ihm keinerlei Hinweis darauf, dass die Chinesen gerne Tee tränken und ihren Frauen die Füße einbänden. Man muss es zugeben, hier hat Marco Polo eindeutig nicht die Klischees bedient, die unsere Zeitgenossen vom alten China haben.
Hans Ulrich Vogel, Marco Polo Was in China. Brill Leiden – Boston 2013. 15,5 cm x 24 cm. Hardcover. 643 S. mit schwarzweiß und Farbabbildungen. ISBN 978-90-04-23193-1. 167 Euro.
Was all diese Forscher vergessen, ist die Tatsache, dass der Blick auf eine fremde Kultur von den eigenen Prioritäten geprägt wird. Auch heute noch. Der Feinschmecker interessiert sich für die lokale Küche, der Kulturbeflissene für historische Bauten. Und natürlich hatte auch Marco Polo seinen eigenen Blickwinkel. Er war Kaufmann. So interessierte er sich weniger für die Füße der Chinesinnen als für die monetären Verhältnisse des Landes. Und hier wartet Messer Milione mit einem Detailreichtum auf, der bis heute noch nicht erschöpfend für die Rekonstruktion des chinesischen Zahlungsverkehrs genutzt worden ist. Dieser Aufgabe stellt sich nun Hans Ulrich Vogel mit einer Geduld und Tatsachenverliebtheit, die keine Frage offen lässt. Er konfrontiert die exakten Berichte des venezianischen Reisenden mit chinesische Quellen und nutzt archäologische Funde, um seine Thesen zu überprüfen.
Was sich dabei vor unseren Augen entfaltet, ist ein differenziertes Bild eines ausgeklügelten Währungssystems, das sich von Provinz zu Provinz unterschied. Das berühmte chinesische Papiergeld lief zum Beispiel nicht im gesamten Reich des Großkhans um, sondern nur in einem Teil des Landes. Marco Polo beschreibt genau, in welchen Städten man mit den Geldscheinen zahlen konnte – und seine Aufstellung deckt sich exakt mit dem, was wir heute über andere Quellen rekonstruiert haben.
Natürlich liefert der Venezianer noch viele andere Details zu dieser für ihn sehr ungewöhnlichen Währung. Er beschreibt die Herstellungstechnik des Papiergelds, das von Kublai Khan nach der großen Finanzreform von 1260 herausgegeben wurde. Er notiert, dass sowohl Fälscher mit dem Tode bestraft werden als auch Personen, die sich weigerten, die Scheine anzunehmen. Er widmet sich detailliert dem Aussehen der Noten mit Unterschriften der Beamten und dem Siegel des Großkhans und fügt an, in welchen Denominationen diese Scheine umgelaufen sind. All diese Aussagen sind anhand neuester Forschungen überprüfbar, und Hans Ulrich Vogel stellt fest, dass keine weitere Quelle so viele Details liefert wie Marco Polo. Als Händler interessierte er sich eben dafür.
So beschrieb Marco Polo auch den Gebrauch der Kaurischnecken in Yunnan und Südostasien, dem Vogel sein drittes Kapitel widmet. Und hier ist Marco Polo tatsächlich der einzige nicht-chinesische Autor vor dem 19. Jahrhundert, der diese Währung überhaupt erwähnt. Praktisch orientiert, wie ein Kaufmann nun mal ist, gibt er den Umrechnungskurs für Kauris an: 80 Schnecken für eine Gewichtseinheit Silber, die zwei venezianischen Groats entspricht bzw. 24 Piccoli. Und in der Tat bestätigen chinesische Quellen diese Wertangabe, wobei der Wert in späterer Zeit stark fallen sollte. Hatten die Mongolen zunächst versucht, Kauris durch Papiergeld zu ersetzen, waren sie in der Provinz Yunnan damit gescheitert. Der Staat hatte auch gar nicht ernsthaft auf die Durchsetzung seines Fiat-Geldes gepocht, weil in Yunnan das Gold im Verhältnis zum restlichen Reich so günstig war. Dies war übrigens auch Marco Polo aufgefallen, der seine Leser informiert, dass es sich hier lohne, Kauris gegen Gold einzutauschen.
Gleich mehrere Kapitel widmet Hans Ulrich Vogel der Verwendung von Salz als Zahlungsmittel und der Rolle, die das Salz für das chinesische Staatseinkommen spielte. Auch hier bietet Marco Polo eine Fülle von Details und das als einziger nicht-chinesischer Autor. Kein Wunder, Venedig war durch den Salzhandel reich geworden. So war Marco Polo an diesem lebenswichtigen Rohstoff natürlich sehr interessiert.
Bescheiden gibt Hans Ulrich Vogel in seinem Schlusswort zu, dass eigentlich nur eine Erwähnung Marco Polos in einer zeitgenössischen chinesischen Quelle den endgültigen Beweis liefern könne, dass er in China gewesen sei. Zwar gäbe es einen chinesischen Wissenschaftler, der genau das behaupte, nämlich eine solche Quelle gefunden zu haben, aber seine Forschungen seien umstritten. Auch würde es ihm, Hans Ulrich Vogel, ziemlich unwahrscheinlich scheinen, dass einem doch relativ kleinen Beamten, wie Marco Polo es war, die Ehre zuteil geworden wäre, in so einer Quelle erwähnt zu werden.
Aber die Detailgenauigkeit, mit der Marco Polo sein China schildere, sei wesentlich höher als die aller anderen westlichen Autoren, deren China-Reise von Wissenschaftlern nicht bestritten sei. Welchen Grund gäbe des dann, Marco Polo die Authentizität abzusprechen? Welchen anderen Grund (und diesen Schluss zieht nicht der Autor, sondern die Rezensentin) als mit einer spektakulären These in der populärwissenschaftlichen Literatur viel Geld zu verdienen?
Hans Ulrich Vogel jedenfalls hat alles andere als ein populärwissenschaftliches Buch geschrieben. Auch wenn sein Englisch klar strukturiert und gut lesbar ist, muss man Zeit und Mühe investieren, um ihm auf seinen 425 Seiten zu folgen. Der Lohn für diese Anstrengung ist ein völlig neues Bild des chinesischen Wirtschaftssystems mit unglaublichen Einblicken in das alltägliche Geschehen. Ich möchte wirklich jedem Interessierten raten, sich dieser Mühe zu unterziehen, auch wenn der Verlagspreis von 176 Euro für das Buch wirklich ein wenig hoch scheint.
Sie können das Buch direkt beim Verlag bestellen über diesen Link.
Man kann dieses Buch auch als e-Book bestellen, leider zum gleichen Preis.