von Dietrich O. A. Klose
6. Juni 2013 – Am 1. April 2013 verstarb im Alter von 91 Jahren in Memmingen der langjährige ehemalige Direktor der Staatlichen Münzsammlung, Dr. Harald Karl Albert Küthmann.
Harald Küthmann wurde am 31. Januar 1922 in Hannover als Sohn des Direktors des städtischen Kestner-Museums, des Ägyptologen Dr. Carl Küthmann, und seiner Ehefrau, der Klassischen Archäologin Dr. Hedwig Küthmann, geb. Kusel, geboren. Im Herbst 1937 wurde der Vater von den Nationalsozialisten aus dem Amt gejagt, weil seine Frau als Jüdin galt. Die Familie zog daraufhin nach Grenzach bei Lörrach; dort lebte sie bis zum Ende der Nazidiktatur immer bereit zur Flucht in die Schweiz, falls ihr Gefahr drohen sollte. Diese Erfahrungen der Jugendzeit haben Harald Küthmann zeitlebens tief geprägt und mögen das verschlossene Wesen erklären, das später für ihn charakteristisch war.
Harald Küthmann besuchte ab Ostern 1938 das Humanistische Gymnasium in Basel; die Abiturprüfung legte er, bedingt durch den inzwischen ausgebrochenen Krieg, am Hebel-Gymnasium in Lörrach ab. Als den „Nürnberger Gesetzen“ unterworfener „Halbjude“ (so die Diktion des Dritten Reiches) kamen weder Kriegsdienst noch Studium für ihn in Betracht. So begann Harald Küthmann eine kaufmännische Lehre, die er 1943 abschloss; bis Herbst 1945 verblieb er in der Lehrfirma als kaufmännischer Angestellter.
Danach begann Harald Küthmann, Altphilologie, Alte Geschichte und Archäologie zu studieren. Im September 1949 begann er mit seiner Dissertation zum Thema „Untersuchungen zur Toreutik des zweiten und ersten Jahrhunderts vor Chr.“, am 21. Dezember 1953 schloss er in Basel das Studium mit der Promotion ab.
Gleich im Anschluss konnte er zum 1. Januar 1954 seine erste Stelle antreten. Hans Gebhart, Direktor der Staatlichen Münzsammlung München und stellvertretender Vorsitzender der Numismatischen Kommission der Länder, stellte Harald Küthmann als wissenschaftlichen Mitarbeiter der Numismatischen Kommission an dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Forschungsauftrag „Kritische Neuaufnahme der Münzfunde der römischen Zeit in Deutschland“ ein. Sein Arbeitsplatz lag bereits an seinem späteren Wirkungsort, der Staatlichen Münzsammlung als dem Dienstsitz von Hans Gebhart.
Küthmann, der sich bislang noch kaum mit Numismatik beschäftigt hatte, lernte sie so quasi „von der Pike“ auf direkt an der Praxis mit dem undankbarsten Material, bei der Bestimmung von Fundmünzen. Er ist in dieser Stellung, die er zwei Jahre bis Ende 1955 innehatte, zu einer ganzen Reihe wichtiger Fundstätten gereist, um die dortigen Fundmünzen zu bestimmen, so etwa (zusammen mit Peter Robert Franke) zur Saalburg.
Küthmann übernahm an der Staatlichen Münzsammlung auch noch weitere Aufgaben; es war eine regelrechte Ausbildungszeit, wie Paul Grotemeyer, der stellvertretende Direktor der Staatlichen Münzsammlung, am 2. Juli 1960 auch ausdrücklich schrieb: „Dr. H. Küthmann hat in diesem Unternehmen vom 1.1.1954 bis 31.12.1955 nach seiner Promotion als klassischer Archäologe seine Ausbildung erhalten und wurde hier zugleich durch Vorbereitung von Teilbeständen der Staatlichen Münzsammlung zur Inventarisation sowie Auskunftserteilung an Besucher mit den Aufgaben des Instituts vertraut.“
Zum 1. Januar 1956 erhielt Harald Küthmann die Stelle als wissenschaftlicher Assistent der römischen Abteilung des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz. Dort blieb er bis zum 30. September 1957. Zu diesem Zeitpunkt schied er in Mainz wieder aus, um – nun endgültig – an die Staatliche Münzsammlung München zu gehen. Fritz Volbach, der Geschäftsführende Direktor des Zentralmuseums, schrieb am 2. Oktober 1957 in Küthmanns Zeugnis: „Wir sehen Dr. Küthmann nur mit großem Bedauern aus seinem Dienst scheiden, denn er hat sich in der kurzen Zeit, in der er dem wissenschaftlichen Stab des Zentralmuseums angehörte, durch seinen Fleiß, seine Kenntnisse und durch sein liebenswürdiges Benehmen nur Freunde erworben.“ Die wissenschaftlichen Arbeiten seiner Mainzer Zeit erschienen 1958 im Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz: Beiträge zur hellenistisch-römischen Toreutik Teil I und Teil II, Die sogenannten Hildesheimer Humpen.
In der Mainzer Zeit, Anfang 1957, wurde Küthmanns Tochter Beatrix geboren; seine aus Basel stammende Frau Doris Küthmann hatte er am 16. Juli 1954 geheiratet. Das zweite Kind, der Sohn Andreas, wurde Ende 1961 bereits in München geboren.
Harald Küthmann wechselte zum 1. Oktober 1957 an die Staatliche Münzsammlung in München. Konrad Kraft, bis dahin Konservator für den Bereich Antike Münzen, war bereits zum 1. August 1957 in die universitäre Laufbahn übergetreten. Küthmann trat Krafts Nachfolge als Betreuer der antiken Münzen an. Obwohl von Hause aus ja Klassischer Archäologe und nicht Numismatiker, hatte er sich doch in seinen zwei Jahren beim Fundmünzenunternehmen vollständig in die Numismatik eingearbeitet: „Nur aufgrund dieser Ausbildung konnte er dann als vollausgebildeter Numismatiker die durch den Weggang von Dr. Kraft verwaiste Stelle einnehmen“, so der stellvertretende Direktor Paul Grotemeyer in der bereits zitierten Stellungnahme vom 2. Juli 1960. Küthmann begann in München zunächst als wissenschaftlicher Angestellter, am 1. Januar 1960 wurde er als Konservator verbeamtet, am 1. Januar 1963 Beamter auf Lebenszeit und am 1. Dezember 1963 zum Oberkonservator befördert.
Sein Vorgesetzter, Paul Grotemeyer, beurteilte ihn im November 1962 so: „Vielseitig gebildet, ausgestattet mit sehr guten wissenschaftlichen und organisatorischen Fähigkeiten, hat sich Dr. Küthmann in den wenigen Jahren seiner Tätigkeit in der Münzsammlung als ausgezeichneter Mitarbeiter erwiesen. Besondere Fähigkeiten als Praktiker wie in Fragen der Verwaltung hat er bei der Verlegung der Münzsammlung und beim Neuaufbau des Institutes in der Residenz gezeigt.“ Der Umzug der Staatlichen Münzsammlung aus dem provisorischen Nachkriegsdomizil in der Arcisstraße in die noch heute von der Münzsammlung genutzten Räume in der Residenz fiel in Küthmanns Zeit als Konservator.
1964 unternahm Harald Küthmann (zusammen mit Peter Robert Franke) eine sechswöchige Studienreise nach Griechenland, die vor allem der Mithilfe an der Katalogisierung der Fundmünzen aus den vom Deutschen Archäologischen Institut unternommenen Grabungen in Olympia dienen sollte. Ferner besuchte er eine Reihe von weiteren Museen, ließ sich hier Neufunde und Münzen zeigen und konnte etwa die vom deutschen Generalkonsul stammende Münzsammlung des Museums von Volos zumindest grob ordnen. Über seine Reise schreibt er abschließend am 6. November 1964 in seinem Reisebericht: „Zusammenfassend möchte ich sagen, daß zwar allgemein die Möglichkeit, ein Land kennenzulernen, mit dessen künstlerischer und oekonomischer Hinterlassenschaft man täglich erneut konfrontiert wird, eine wesentliche Ergänzung des Wissens darstellt. Darüber hinaus bedeuten aber außer den aus den Bestimmungsarbeiten in Volos, Theben und Olympia gewonnenen Erkenntnissen über den Geldumlauf im griech. Mutterland in den verschiedenen Epochen insbesondere die Kontakte mit den griechischen wie auch vielen anderen Kollegen […], der verschiedenartige Gebiete betreffende Gedankenaustausch und die häufigen Diskussionen um fremde und eigene Thesen einen erheblichen Nutzen für die eigene Arbeit.“
Die eigene wissenschaftliche Arbeit, für die Küthmann durch Besuch der griechischen Sammlungen profitieren wollte, bestand vor allem in der Publikation und damit wissenschaftlichen Bereitstellung der Bestände der Staatlichen Münzsammlung. Dies geschah im Rahmen größerer nationaler und internationaler Unternehmungen. Für die griechischen Münzen ist dies die von der British Academy begründete Reihe „Sylloge Nummorum Graecorum“, in der zwischen 1970 und 1985 eine Vielzahl von Bänden unter Beteiligung Küthmanns erschien. Die Veröffentlichung der bedeutenden Sammlung antiker Gemmen von Paul Arndt, die 1956 für die Staatliche Münzsammlung erworben worden war, zusammen mit weiteren antiken geschnittenen Steinen der Münchner Bestände, in der Reihe „Antike Gemmen in deutschen Sammlungen“ wurde von Harald Küthmann veranlasst und koordiniert. Die drei Bände erschienen zwischen 1968 und 1972, bearbeitet von Elfriede Brandt, Evamaria Schmidt u. a. Dem Münzsammler am geläufigsten ist der Name von Harald Küthmann durch dessen Mitarbeit an dem erstmals 1970 und 2011 bereits in 27. Auflage erschienenen Großen Deutschen Münzkatalog von 1800 bis heute, den „Arnold / Küthmann / Steinhilber“, abgekürzt AKS, für den er die Münzen von Baden, Braunschweig, Hannover, Lippe, Nassau, Oldenburg, Schleswig-Holstein, Waldeck-Pyrmont, Westfalen und andere kleinere Gebiete bearbeitete.
Paul Grotemeyer, Direktor der Staatlichen Münzsammlung seit 1960, trat zum 31. Mai 1969 in den Ruhestand. Harald Küthmann, bereits langjähriger Stellvertreter des Direktors, wurde – auch auf ausdrückliches Anraten Grotemeyers hin – in seiner Nachfolge mit der Leitung der Münzsammlung betraut. Grotemeyer hatte am 4. März 1969 an das Kultusministerium geschrieben, „daß Dr. Küthmann über die erforderlichen wissenschaftlichen und charakterlichen Eigenschaften verfügt, die Leitung der Münzsammlung zu übernehmen und das Haus in allen anfallenden Angelegenheiten in solider und würdiger Weise zu repräsentieren.“ Küthmann wurde zum 1. Juni 1969 zunächst weiter als Oberkonservator mit der Leitung betraut, zum 1. September 1969 dann zum Sammlungsdirektor und zum 1. August 1977 zum Leitenden Sammlungsdirektor befördert.
In Küthmanns Zeit als Direktor fallen die ersten Schritte zu einer breiteren Präsentation der Staatlichen Münzsammlung in der Öffentlichkeit durch die Veranstaltung von Sonderausstellungen, die auch von einem Katalogbuch begleitet waren. Das hatte es bei der trotz einer seit 1963 ständig präsentierten Dauerausstellung immer noch recht in einem akademischen Dornröschenschlaf liegenden Münzsammlung bis dato noch nicht gegeben – unter Küthmanns Nachfolgern sollten die Sonderausstellungen mit ihren Katalogen dann zu einem regelmäßigen und besonders wichtigen Medium der Darstellung der Staatlichen Münzsammlung in der Öffentlichkeit werden.
Den Anfang machte 1972 eine Ausstellung in der Stadtsparkasse München, „Olympische Spiele auf Münzen und Medaillen“ mit einem kleinen Begleitbuch, bearbeitet von Harald Küthmann für die antiken und Walter Grasser für die neuzeitlichen Prägungen. Die beiden in der Staatlichen Münzsammlung gezeigten Ausstellungen und die dazugehörigen Kataloge waren gemeinschaftliche Arbeiten von Harald Küthmann und den Konservatoren Wolfgang Heß, Bernhard Overbeck, Dirk Steinhilber und Ingrid Szeiklies-Weber, und beide Kataloge sind bis heute grundlegende Handbücher für ihre Thematik. Die erste dieser Ausstellungen war 1973 „Bauten Roms auf Münzen und Medaillen“ gewidmet, im Jahr 1982 war der 175. Jahrestag der Neuorganisation des Königlichen Münzkabinetts als Attribut der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Anlass für die Sonderausstellung „Vom Königlichen Cabinet zur Staatssammlung 1807-1982“, die der Geschichte des Münzkabinetts bzw. der Staatlichen Münzsammlung von den Anfängen bis 1982 gewidmet war und den Anstoß gab, sich intensiver als bis dahin jemals geschehen mit der über 400-jährigen Geschichte dieser Institution zu beschäftigen.
Seit dem Wintersemester 1974/75 hielt Harald Küthmann für die LMU München regelmäßige Lehrveranstaltungen ab, Übungen zur Numismatik der Antike, mit Schwerpunkt auf griechischer Numismatik. Diese Veranstaltungen fanden in der Staatlichen Münzsammlung statt, sehr praxis- und materialbezogen direkt mit den Beständen der Staatlichen Münzsammlung. Der Verfasser dieses Nachrufs hat 1977/78 selbst diese Übung bei Harald Küthmann besucht und sie als vielleicht ein wenig trocken, aber als äußerst intensiv und eine Fülle von Wissen vermittelnd im Gedächtnis. In dankbarer Erinnerung blieb auch die allgemein gerühmte große Hilfsbereitschaft von Harald Küthmann, die der Verfasser bei der Durcharbeit der Münchner Bestände für die Materialsammlung zu seiner Dissertation über die Münzprägung von Smyrna in der römischen Kaiserzeit sowie bei der Unterstützung bei speziellen Sachfragen erfahren durfte.
Zum 30. April 1984 ging Harald Küthmann vorzeitig in den Ruhestand, seine Nachfolge als Direktor trat Wolfgang Heß an, als Nachfolger für die Betreuung der griechischen Münzen trat der Verfasser zum November 1984 in die Staatliche Münzsammlung ein. Nach seiner Pensionierung kam Küthmann nur noch selten, mit größer werdenden Abständen, in die Münzsammlung. Mitte der 1990er Jahre zog er schließlich nach Memmingen, an den Wohnort seines Sohnes. Dort lebte er sehr zurückgezogen, zuletzt betreut in einem Pflegeheim.
Harald Küthmann steht – wenn wir die Reihe 1807 mit Franz Ignaz von Streber beginnen lassen – an achter Stelle in der Reihe der Direktoren der Staatlichen Münzsammlung (der Verfasser dieses Nachrufs mittlerweile schon an elfter): eine nun schon über zweihundertjährige Geschichte, die Weiterentwicklung mit Kontinuität verbindet und in der auch Harald Küthmann dauerhaft in Erinnerung bleiben wird.
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