von Ursula Kampmann
20. September 2018 – Eigentlich ist es eine Binsenwahrheit: Die Münzbilder sind für unser Verständnis der römischen Politik existentiell. Und doch werden sie in ihrer Aussagekraft oft unterschätzt oder missverstanden. Die Berichte römischer Historiker – häufig erst wesentlich später geschrieben – überlagern unseren frischen Blick auf das numismatische Material, das zusammen mit den Inschriften wohl die wichtigste zeitgenössische Quelle für die politischen Vorhaben und das Selbstverständnis eines Kaisers ist. Was für entscheidende neue Erkenntnisse aus den Münzen gezogen werden können, führt uns der Autor Nathan T. Elkins beispielhaft für den Herrscher Nerva vor, der wegen seiner kurzen Regierungszeit oft nur als unwichtiges Zwischenspiel zwischen den Flaviern und den Adoptivkaisern abgehandelt wird. Der 65jährige hatte durchaus seine eigene Agenda, als er auf den Thron gelangte, und diese Agenda spiegelt sich in seiner Münzprägung.
Nathan T. Elkins, The Image of Political Power in the Reign of Nerva, AD 96-98. Oxford University Press 2017. 224 S. und 91 ill. Leinen. 16 x 24 cm. ISBN: 9780190648039. 85 $. Der Titel kann auch als E-Book geordert werden.
Elkins nimmt diese Münzprägung ernst, liest sie ganz neu, natürlich nicht ohne aufzuführen, was seine Vorgänger schon dazu gesagt haben. Und er setzt sie in einen größeren Zusammenhang. Das Buch – und damit das Münzmaterial – ist eingeteilt in drei große Kapitel:
- Nerva als oberster Befehlshaber des römischen Militärs,
- Nerva und sein Verhältnis zu Senat und Volk von Rom sowie Italien,
- Nerva und das römische Reich
Die Titel sprechen für sich. Und die Kapitel bieten eine Fülle von Neuinterpretationen bekannter Münzbilder.
Nerva. Sesterz. FISCI IVDAICI – CALVMNIA SVBLATA / S-C Dattelpalme. RIC 82. Aus Auktion Numismatik Lanz 123 (2005), Nr. 542.
Nehmen wir als Beispiel die wohl bekannteste Prägung Nervas: Die Dattelpalme mit der Umschrift „FISCI IVDAICI CALVMNIA SVBLATA“. Der Autor erklärt diese Prägung als ein Echo darauf, dass eine besonders unbeliebte juristische Praxis endete: Römische Bürger wurden wegen irgendwelcher Anschuldigungen peinlichen Verhören unterzogen, in denen festgestellt werden sollte, ob sie wegen ihres Bekenntnisses zum jüdischen Glauben die Tempelsteuer zahlen mussten. Es waren die höchsten Kreise involviert! Sueton überliefert einen Prozess gegen einen 90jährigen, der die öffentlich Toga lüpfen musste, um zu beweisen, dass er nicht beschnitten war.
Wenn man an solche Ereignisse denkt und weiß, dass „Calumnia“ ein juristischer terminus technicus ist, der eine falsche Anschuldigung bezeichnet, wird klar, so führt Elkins aus, dass Nerva mit dieser Prägung nicht das Ende der Steuer meint, sondern lediglich die Tatsache, dass unter seiner Herrschaft die falschen Anschuldigungen wegen des Fiscus Iudaicus nicht mehr vorkommen würden.
Elkins Buch ist also mehr als eine Untersuchung des numismatischen Materials zur Regierungszeit Nervas. Es ist eine Antwort auf die Frage, was muss ich wissen, um ein Münzbild korrekt einordnen zu können.
Und es ist eine Studie, in der auch die Hortevidenz einbezogen wird. Wie verteilen sich die unterschiedlichen Münzmotive mit ihren an verschiedene Zielgruppen gerichteten Botschaften in den verschiedenen Teilen des Reichs? Stimmt die Verteilung mit den postulierten Zielgruppen überein? Bewusst nutzt der Autor nicht die in öffentlichen und privaten Sammlungen vorhandenen Münzen, um die Mengenverhältnisse der geprägten Typen zu bestimmen. Er geht davon aus, dass jede Münzsammlung gleichzeitig eine positive Auswahl des Materials ist: Der Sammler (bzw. der Kurator) konzentriert sich auf spannende, historisch interessante und eher seltene Stücke und verfälscht so die Mengenverhältnisse. Was man nicht brauchte, schmolz man früher gerne ein…
Erschwert wird ihm die Arbeit durch die unterschiedliche Qualität der Überlieferung. Italien glänzt durch die Menge an unpubliziertem Material, so dass die Aussagen zu Verhältnissen immer nur versuchsweise sein können. So muss also die geographische Verteilung der Münztypen mit Vorsicht genossen werden. Ein einziger großer Münzfund könnte die Verhältnisse jederzeit verändern.
„The Image of Political Power in the Reign of Nerva“ ist ein spannendes Buch, in dem man viel über Nervas Herrschaft und seine Münzen lernen kann. Deshalb ist es allen zu empfehlen, die sich für diese Epoche interessieren. Für alle anderen Numismatiker ist es methodisch interessant. Es lehrt, genau hinzusehen, den Hintergrund einer Prägung komplett zu recherchieren, die historischen Quellen genauso ernst zu nehmen wie die Darstellung und die Umschrift der Münze. Und dann kann es gelegentlich gelingen, eine neue Deutung des bekannten Materials zu versuchen. Und das ist wichtig. Denn gerade die seit Jahrhunderten wiederholten numismatischen Deutungen brauchen von Zeit zu Zeit eine Überprüfung.
Bestellen können Sie das Buch hier über diesen Link.