14. Februar 2019 – BWM Architekten zeichnen, als Sieger eines EU-weiten Wettbewerbes, für die architektonische Gestaltung des Haus der Geschichte Österreich am Wiener Heldenplatz verantwortlich. Das Konzept ist aus dem Spannungsfeld des Standortes heraus entwickelt: dominante imperiale Räume treffen auf republikanische Gegenwart. Beim Aufgang im Prunkstiegenhaus wird die historische Architektur mit inszeniert, im ersten Ausstellungsraum gezielt als erzählerischer Hintergrund instrumentalisiert und schließlich im modernen Geschichts-Laboratorium komplett ausgeblendet – als neutraler Raum inszeniert und ganz in Weiß gehalten, soll es die Entfaltung neuer, heutiger Blickwinkel unterstützen. 100 Jahre Geschichte wurden für die Ausstellung „Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918“ auf 750 Quadratmeter umgesetzt.
Das Haus der Geschichte Österreich in neuem Gewand. Foto: Hertha Hurnaus.
Imperiale Räume und republikanische Wirklichkeit
„Die dominante habsburgische Repräsentationsarchitektur der Neuen Burg stellt für ein zeitgenössisches Museum, das die Vergangenheit aus dem Blickwinkel der Gegenwart für die Zukunft untersuchen möchte, durchaus eine Herausforderung dar,“ bringt Johann Moser, BWM Architekten, es auf den Punkt. „Wir versuchen dieses – typisch österreichische – Spannungsmoment von imperialer Repräsentationshülle und republikanischer Wirklichkeit produktiv einzusetzen und die monumentale Umgebung als Schwungmasse sowohl für ein beeindruckendes Raumerlebnis als auch für aufklärerischen Erkenntnisgewinn zu nutzen.“
Bereits im Prunkstiegenhaus zeigen sich im Lichtspiel erste Neuerungen der Architekten. Foto: Hertha Hurnaus.
Vom Gestern ins Heute
Die Dramaturgie der Annäherung erklärt Moser wie folgt: „Wer die Neue Burg betritt und das Prunkstiegenhaus hinaufsteigt, der kann die manipulative Wirkung dieser Beeindruckungsarchitektur am eigenen Leib erleben. Bei den ersten Schritten in der labyrinthischen Treppenanlage ist man noch etwas desorientiert und verwirrt, beinahe bedrückt, aber steigt man Treppe für Treppe höher, vergrößert sich der Überblick und mit ihm auch die Selbstsicherheit – bis sich, am höchsten Punkt angelangt, ein Gefühl der Erhabenheit und Souveränität einstellt, in einem sich schier ins Endlose biegenden marmornen ‚Raumschiff’.“
Um dem Anspruch auf Aktualität und Eigenständigkeit des hdgö inmitten dieser dominanten, monarchischen Vergangenheit gerecht zu werden, bedienen sich die Gestalter u.a. der Leichtigkeit des Lichts: Eine rot-weiß-rote Wolkenprojektion (Werbeagentur: Jung von Matt/Donau) leitet die Besucher symbolisch bedeutungsvoll und gleichzeitig überraschend leicht durch das labyrinthische Prunkstiegenhaus hinauf durch das Ephesos-Museum in das hdgö. Ein mediales Leitsystem wurde entwickelt, das mit dem Gebäude inszenatorisch verschmilzt und zugleich den neuen Schwung, der hier einzieht, ankündigt. Am Eingang des neuen Museums sind Empfang, Vermittlung, Café, Veranstaltungs- und Allgemeinbereiche untergebracht. Auch diese Räume sind durch das klassizistische Dekor stark repräsentativ, die funktionell-moderne Möblierung unterstreicht wiederum den Blick aus der Gegenwart.
Die Ausstellung beginnt mit der Ausrufung der Republik Österreich am 12. November 1918. Foto: Hertha Hurnaus.
Bewegter Übergang – mit einem Schritt im 12. November 1918
Betritt man den ersten Ausstellungsraum findet sich der Besucher inmitten der Geschehnisse des 12. November 1918 wieder – ein mobiles Gerüst mit Filmprojektionen ist Dreh- und Angelpunkt im Raum. Alle Ausstellungselemente sind aus kräftig dimensionierten, metallenen Gerüstrohren zusammengefügt und mit Rädern ausgerüstet. „Der Aufbruch ins Ungewisse“, der Titel der Eröffnungsausstellung, ist Programm. Die Dissonanz zwischen feudalem Raumdekor und provisorisch anmutenden, mobilen Gerätschaften, macht das Generalthema dieses Raumes sinnlich erfahrbar, der bewegte Übergang von der Monarchie zur Demokratie wird mitinszeniert.
Die Einrichtung der neuen Ausstellungsräume kann problemlos umgebaut werden. Foto: Hertha Hurnaus.
Ein modernes Geschichtslabor
Vom Raum des 12. November 1918 aus betritt man eine völlig andere Szenerie. Ein heller Ausstellungsraum mit weißen Wänden, weißer Decke, weißem Boden, weißer Ausstellungsarchitektur: das Geschichtslabor. Ein dichtes Laboratorium, das nicht als starre Einrichtung konzipiert ist, sondern vielmehr den jeweiligen Untersuchungsthemen angepasst und entsprechend umgebaut werden kann.
Ein Blick in das „Bildgedächtnis“ der Ausstellung. Foto: Hertha Hurnaus.
Das Herzstück der Ausstellung ist atmosphärisch völlig dem Kontext der Beeindruckung durch die klassizistische Neue Burg entzogen und bewusst als neutraler Raum gestaltet. Der Raum ist in zwei verschiedene Erzählstränge geteilt: Rechter Hand führt das chronologisch aufgebaute „Bildgedächtnis“ in Form eines großen Regalsystems bis ans Ende des Ausstellungsraums – 100 Jahre Geschichte auf 60 Laufmetern sind hier untergebracht. Neonziffern in 10-Jahres-Schritten helfen bei der Orientierung. Eine Vielzahl an interaktiven Elementen ermöglicht eine vertiefende Beschäftigung wie auch persönliche Anknüpfungspunkte, so können z.B. eigene Bilder für die Sammlung des Hauses elektronisch übergeben und damit Teil des öffentlichen Bildgedächtnisses werden.
Die Ausstellung bietet Informationen zu unterschiedlichsten Themen. Hier der Bereich „Grenzen verändern?“. Foto: Hertha Hurnaus.
Themenschwerpunkte als Mikro-Inszenierungen
Die Hauptfläche des Labors ist nicht chronologisch, sondern in 7 Themeninseln strukturiert, jede einzelne unterschiedlich als eigenständige Labor-Einheit gestaltet. Die Farbe Weiß bildet die gestalterische Klammer. Einzelne Labor-Anordnungen werden durch Mikro-Inszenierungen inhaltlich lesbar gemacht: Häuschen mit abstrahiertem „Kitschdekor“ greifen so zum Beispiel das Thema „Das ist Österreich!?“ augenzwinkernd auf, im Bereich „Grenzen verändern?“ fungieren Gitterelemente als Objektträger und bilden Barrieren im Raum. Andere Themeninseln wiederum sind funktional „neutral“ als Tischvitrinen oder Raumgestelle gestaltet. Auch die Farbe der Grafikelemente (Grafik: Stefan Fuhrer) wird je nach Themenbereich differenziert und unterstützt so die Orientierung des Besuchers. Tribünenelemente am Anfang und am Ende der Ausstellung unterstreichen die diskursiven Vermittlungsansätze – hier können gezielt Besuchergruppen angesprochen werden.
Das stolze BWM Architekten-Team, das das neue Konzept des Museums erarbeitet hat. Foto: BWM Architekten, Renee del Missier.
Veränderter Blickwinkel
Die Ausstellungsräume bilden eine Sackgasse und erlauben somit keine klassische Wegeführung als Rundgang. Daher wurde von den Gestaltern bewusst keine fixe Wegeführung vorgesehen, sondern die Themeninseln als „offenes Feld“ angeordnet, sodass der Besucher nach Lust und Interesse seinen eigenen Weg wählen kann. Zugleich bietet der Rückweg das Potential zuvor nicht Gesehenes neu zu entdecken, bzw. bereits Gesehenes neu zu bewerten. „Betrachtet man den Weg vom Heldenplatz durchs Prunkstiegenhaus ins Haus der Geschichte Österreich als architektonisch begleitete Reise durch die Zeit in die Gegenwart, so hoffe ich, dass nach dem Besuch der Ausstellung, beim Weg zurück durch die gleichen monumentalen Räumlichkeiten, der Blick des Besuchers möglicherweise doch ein veränderter, jedenfalls keiner zurück ins Gestern, sein möge …“ schließt Johann Moser.
Weitere Informationen über die neu gestalteten Ausstellungsräume des hdgö finden Sie online.
DIE BWM Architekten stellen weitere Projekte auf ihrer Internetseite vor.
Die Republik Österreich hatte für ihr Jubiläum von 2018 eine eigene Internet-Seite.