von Ursula Kampmann
29. November 2012 – Allmählich neigt sich die Reise durch Nordspanien ihrem Ende entgegen. Heute besuchen wir ein paar berühmte Orte am Jakobsweg, darunter das mysteriöse Eunate. Aber unser erstes Ziel ist das Pantheon der Könige von Navarra, Najera.
Mittwoch, 18. April 2012
Heute war es keine holländische Reisegruppe, die uns nervte, sondern eine deutsche. Sie kam aus dem Rheinland, und der Reiseleiter war sichtlich bemüht, seinen uninteressierten Pauschaltouristen etwas Bildung einzuflößen, indem er ihnen das Informationsblatt vorlas, das am Eingang zum Kloster Santa María La Real in Najera freigebig verteilt wurde.
Die Wehrkirche von Najera, direkt in den Fels gebaut. Foto: KW.
Najera bedeutet eigentlich „Stadt zwischen den Felsen“ und kommt aus dem Arabischen. Hier lebten also im 8. und 9. Jahrhundert Moslems, was sich vielleicht in der Legende spiegelt, dass Roland hier im Auftrag Karls des Großen gegen den Riesen Ferragut gekämpft haben soll. Die Sage erinnert ziemlich an die Geschichte von David und Goliath, und tatsächlich behauptet eine Chronik aus dem 12. Jahrhundert, der Emir von Babylon hätte Ferragut, den Nachkommen Goliaths, geschickt, um die Festung Najera zu halten.
Der Kampf Rolands gegen Ferragut in Estella am Palast der Könige von Navarra. Foto: KW.
Dieser Ferragut war stark wie 40 Männer, hatte eine Nase von der Länge einer Hand und jeder Finger maß drei Hände eines normalen Mannes. Er brachte mehr als 20 Ritter um, ehe Karl der Große seinem Helden Roland erlaubte, gegen ihn zu kämpfen. Man turnierte am Tag und ruhte in der Nacht. Am zweiten Abend war der Riese von der Höflichkeit Rolands, der ihm einen Stein als Kissen herbeiwälzte, so berührt, dass er ihm den einzigen Punkt verriet, wo er verwundbar war: am Nabel. Überhaupt schwatzten die beiden gerne miteinander, wenn sie nicht gerade kämpften. Über die Dreifaltigkeit, die unbefleckte Empfängnis und die Auferstehung Christi. Am dritten Tag stieß Roland dann seinem Gegner einen Speer durch den Nabel, und die Christenheit hatte gesiegt (oder so ähnlich).
Sancho IV., 1054-1076. Dinero. Aus Auktion Künker 137 (2008), 3485.
Tatsächlich wurde Najera erst 923 durch Sancho I. von Navarra erobert. Das Königreich von Navarra hatte bereits ein Jahrhundert existiert, doch damit stieg es zu einer der wichtigsten Mächte Spaniens und Südfrankreichs auf. Die Bewohner von Najera sind heute noch stolz darauf, dass das Königreich Navarra auch das Reich von Najera genannt wurde.
Sancho III. gelang es, Navarra und Kastilien unter seiner Herrschaft zu vereinen. Doch dann folgte eine Erbteilung, bei der Sancho IV. das Königreich Pamplona erhielt. Der junge Herrscher wurde ermordet, das Königreich zwischen seinen Brüdern aufgeteilt und erst 1134 wieder unabhängig mit García IV. an der Spitze.
Thibaut II., 1253-1270. Denier. Aus Auktion Künker 152 (2009), 5191.
1234 starb der letzte „spanische“ König von Navarra. Ihn beerbte sein Neffe, ein Sohn seiner Schwester, die Thibaut III., den politisch hoch bedeutenden Graf der Champagne, geheiratet hatte. Navarra geriet dadurch unter französischen Einfluss.
Jeanne I., 1274-1305. Denier. Aus Auktion Künker 152 (2009), 5192.
Als deren Nachkomme Heinrich I. von Navarra 1274 ohne einen Sohn starb, erbte seine erst zwei Jahre alte Tochter Johanna. Sie war also ein fetter Brocken auf dem Heiratsmarkt, den sich der französische König für seinen Erben Philipp IV. – besser bekannt als der Schöne – schnappte. Seit damals waren alle Kapetinger gleichzeitig Könige von Navarra. Erst 1328 gelang es Navarra, sich wieder von Frankreich zu lösen. In den Pyrenäen waren Frauen erbberechtigt (da mag noch einer über die Rückständigkeit von Bergvölkern spotten!), in Frankreich nicht. Damit war nach dem Tod Karls IV. in seiner Nichte Johanna eine Erbin für Navarra vorhanden, die aber auf dem französischen Thron nicht anerkannt wurde.
Heinrich II. und seine Gattin Margarete von Navarra. Doppeldukat Heinrichs VI. von 1577 zu Ehren seiner Großeltern. Aus Auktion Künker 218 (2012), 5149. Foto: KW.
Und danach wurde es erst einmal völlig unübersichtlich. Konkurrierende Adelsparteien, ein Bürgerkrieg und eine Teilung, 1515 kam der südliche Teil Navarras an Ferdinand von Aragon, der durch seine Heirat mit Isabella von Kastilien-León Spanien vereinigen sollte. Der nördliche, jenseits der Pyrenäen gelegene Teil ging auf im französischen Königreich, oder sollte man vielleicht sagen, Frankreich ging in Navarra auf? Immerhin beerbte Heinrich II. von Navarra, Heinrich III. von Frankreich, nannte sich von da an Heinrich IV. und zog – nachdem er zum Katholizismus konvertiert war – in der Hauptstadt Paris ein. Schließlich sei „Paris eine Messe wert“…
Das sagenhafte Madonnenbild von Najera in der Felsengrotte. Foto: KW.
Najera war bis 1076 Residenz der Könige von Navarra. Gegründet wurde das Kloster Santa Maria La Real 1052 – und natürlich gibt es eine hübsche Sage dazu. König García III. war auf der Falkenjagd. Auf einmal verschwand der teure Vogel in einer Felshöhle. Dort fand ihn der König friedlich vereint mit der eben noch gejagten Taube unter dem Marienbild sitzend, das heute das Zentrum der Gruft darstellt.
Die Gruft der Könige von Navarra. Foto: KW.
Tatsächlich war die Gründung viel politischer. Hier zog – besiedelt vom Kloster Cluny – der früheste Ritterorden ein, der im Rahmen der spanischen Reconquista geschaffen wurde, der Orden de la Terraza. Von hier aus verbreitete sich die kluniazensische Reform über Spanien und drängte den bisher noch weit verbreiteten mozarabischen Messritus zurück.
Bereits 1889 wurde das Kloster und sein königliches Pantheon zum nationalen Erbe erklärt.
Der Sarkophag der Dona Sancha. Foto: KW.
Bedeutendstes Kunstwerk dürfte der romanische Sarkophag der Dona Sancha sein, die 1156 bei der Geburt ihres Sohnes starb. Immerhin handelte es sich dabei um Alfons VIII., der mit dem Sieg über die Almohaden bei las Navas de Tolosa Geschichte schrieb.
Gitter im Kreuzgang. Foto: KW.
Mindestens genauso attraktiv wie die Sarkophage sind die Gitter des Kreuzgangs, von denen jedes anders, aber alle mit viel Phantasie und Können gestaltet sind.
Der Palast der Könige von Navarra in Estella. Foto: KW.
Ungefähr 80 Kilometer weiter im Osten auf dem Jakobsweg liegt Estella, im Mittelalter eine beliebte Raststation für Pilger. Und tatsächlich liest sich ein Zitat aus einem Pilgerführer des 13. Jahrhunderts wie die perfekte Reklame: „Von dort (erreicht man) Estella, das gutes Brot (bietet), den besten Wein, Fleisch und Fisch reichlich, und aller Glückseligkeiten voll ist.“
So viel Lob sollte vorsichtig stimmen. Und tatsächlich wurde die Stadt ausdrücklich gegründet, um am reichen Pilgergeschäft Anteil zu haben. Ein Gnadenbild und ein eindrückliches Himmelszeichen, nach dem diese 1090 gegründete Stadt benannt wurde, unterstrichen das Vorhaben. Estella wurde mit reichen Privilegien ausgestattet und zu einer Boomtown.
Eingang zu San Pietro de la Rua. Foto: KW.
1270 landete man den nächsten Coup. Wieder einmal gab es ein Himmelszeichen. Ein Stern blinkte das Grab eines anonymen Pilgers an, und – oh Wunder! – darin fand man den Bischof von Patras, ausgestattet mit allen notwendigen Papieren, um seine Identität zu beglaubigen. Und noch beeindruckender, der anonym reisende Bischof hatte im Gepäck ein paar Reliquien des Apostels Andreas, der ja schließlich in Patras 62 den Märtyrertod erlitten hatte.
Sofort annektierte man die Reliquien für die eigene Hauptkirche, San Pietro de la Rua. Das Geschäft damit blühte. 1354 gab es in Estella sechs Pilgerhospize! Pamplona war dagegen tiefste Provinz; Burgos, ja damit konnte man sich messen.
Doch mit dem Niedergang des Jakobswegs verschwand auch die Bedeutung Estellas.
Eine Kirche – keine Ahnung welche, auf jeden Fall geschlossen. Foto: KW.
Nun, auf uns machte die Stadt eher einen verlassenen Eindruck. Es war 14.00, und alle Spanier zogen sich zur Siesta zurück. Alle Kirchen geschlossen, der Himmel verhangen. Uns blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls essen zu gehen. Doch wir schafften es einfach nicht, das Essen lang genug hinzuziehen.
Die Brücke der Königin – Puenta la Reina. Foto: KW.
Deshalb konnten wir in Puenta la Reina eben nur die berühmte Brücke besichtigen. Welche Königin diese Brücke gebaut hat, ist im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen.
Jedenfalls gilt der Ort heute als eigentlicher Anfang des „Camino Francés“ nach Santiago, des Franzosenweges, wie man ihn im Mittelalter nannte. Natürlich benutzten ihn nicht nur Franzosen, sondern alle, die zu Fuß über die Pyrenäen gekommen waren. Deshalb zieht man im heutigen Spanien auch das politisch korrektere „Camino de Santiago“ vor.
Immer noch ein ungelöstes Rätsel: Eunate. Foto: KW.
Nicht weit entfernt liegt die kleine Kapelle von Eunate, die in der einschlägigen Literatur immer noch gerne als ein Mysterium und ein „Kraftort“ bezeichnet wird.
Tatsächlich liegt (bzw. besser lag; heute ist Eunate ein äußerst beliebtes Ziel für Reisegruppen) die kleine, achteckige Kapelle ziemlich einsam in den Feldern. Sie umgibt ein ebenfalls achteckiger Bogenkranz. Über die Entstehung des Baus ist wenig bekannt, was den Spintisierern natürlich jede Menge Spielraum lässt. Die früheste Quelle zur Kirche stammt aus dem Jahre 1487, als der Jakobsweg schon längst seine große Bedeutung verloren hatte.
Also konnte man herrlich fabulieren, von den Templern, die hier die Kirche des hl. Grabes nachbauten. Tatsächlich spricht allerdings vieles dafür, dass nicht die Templer, sondern die Johanniter hier ein Hospital besaßen. Es gibt eine Urkunde, die sich auf diese Gegend bezieht, ohne allerdings Eunate explizit zu nennen. Wie auch immer, Archäologen haben um Eunate zahlreiche Gräber von Pilgern entdeckt, was ganz gut zu einem Hospital passen würde.
Sos del Rey Católico – mitten in den Bergen. Foto: KW.
Und damit hatten wir genug für heute. Wir fuhren in unseren Parador, Sos del Rey Católico, wobei ich bis heute noch nicht herausbekommen habe, was das Wörtchen Sos wohl bedeuten könnte.
Und damit sind wir fast am Ende unserer Reise. Nur noch über eine Etappe gibt es in Spanien zu berichten. In der nächsten Folge unserer numismatischen Reise durch Nordspanien besuchen wir Pamplona, das Ernest Hemingway berühmt gemacht hat.
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