von Ursula Kampmann
18. August 2011 – Stageira, Neapolis, Mesembria, Maroneia und Abdera, das sind die Ziele der heutigen Folge. Wir sehen prachtvolle Ausgrabungen, die bestens in Schuß gehalten werden. Erleben aber auch manch eine Enttäuschung. Wie immer aber gibt es ein buntes Kaleidoskop von Eindrücken aus Nordgriechenland…
24. Tag, 4. Juli 2011, die Geburtsstadt von Aristoteles
Man möchte meinen, daß viereinhalb Wochen endlos sind. Und doch gibt es einen Punkt in der Reise, an dem man auf einmal feststellt, daß für das, was man eigentlich noch alles sehen wollte, die Zeit allmählich knapp wird. Man setzt sich hin, bespricht, welche Ausgrabungen man noch unbedingt besuchen will, und realisiert, daß man dringend wieder Quartier wechseln muß. Schade, einen schöneren Ort als die Sithonia gibt es in Griechenland nicht.
Blick auf die Stadtmauer von Stageira. Foto: KW.
Wir fuhren die Küste entlang in Richtung Osten, vorbei an Stageira, das vor allem dafür bekannt ist, daß Aristoteles hier geboren wurde. Ein Standbild gibt es hier nicht von ihm, das steht im modernen Stageira etwa 30 Kilometer entfernt in machtvoller Überlebensgröße. Warum es so weit weg errichtet wurde? Nun, die meisten altgriechisch scheinenden Namen erhielten die modernen Kommunen erst im 19., im Norden sogar erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals wurde eine gezielte Umbenennung der Gemeinden durchgeführt, um all die aus verschiedenen Sprachen stammenden Namen künstlich zu gräzisieren. Ziel war es, aus einer ethnisch sehr vielfältigen Bevölkerung ausschließlich Griechen zu machen, die sich bewußt als Erben des antiken Griechenlands begriffen, was perfekt gelungen ist.
Gut, ein paar Mißgriffe gab es bei der Neubenennung natürlich auch. Man hatte das antike Stageira einfach noch nicht gefunden, als man Dogatzi etwa um 1920 nach der antiken Stadt benannte, die man in der Nähe vermutete. Damit liegt das moderne Stageira mit seiner gewaltigen Gedenkstätte für Aristoteles vom antiken eine halbe Stunde Autofahrt entfernt.
Stageira. Tetradrachme, ca. 520-500. Löwe, einen Eber reißend. Rv. Quadratum Incusum. Aus Auktion NAC 52 (2009), 96.
Stageira wurde Mitte des 7. Jh. gegründet. Ionier von der griechischen Insel Andros sollen hier eine neue Heimat gesucht haben. Sie trafen eine gute Wahl. Der hervorragende Hafen, die Nähe zu den Ressourcen des Nordens – Gold, Silber und Holz – machte die Stadt reich. Wir kennen nur archaische Münzen, die mit Stageira in Verbindung gebracht werden. Am berühmtesten sind die Tetradrachmen, die denen aus Akanthos so sehr ähneln. Aber es gibt andere, die ein stehendes Wildschwein zeigen. Daß dies mit der waldreichen Umgebung der Stadt in Verbindung steht, wird jedem klar, der die Grabung von Stageira besucht.
Stageira(?). Trihemiobol, 520-480. Protome eines Pferdes mit drei Blüten. Rv. Florales Ornament. Aus Auktion Tkalec AG Mai 2011, 15.
Ein weiterer Münztyp, der mit Stageira in Verbindung gebracht wird, sind Münzen, die auf der Vorderseite ein charmantes Blütenmuster zeigen.
Wir wissen nicht, ob Stageira sich Xerxes unterwerfen mußte. Nach Herodot soll er an der Stadt einfach vorbeimarschiert sein. Jedenfalls war Stageira Mitglied des Attischen Seebundes mit einem Tribut von einem Talent im Jahr. Während des Peloponnesischen Krieges unterstützte es Sparta und wurde so nach dessen Ende eine freie Stadt, ehe es sich der Chalkidischen Liga anschloß. 349 eroberte und zerstörte Philipp II. auch Stageira. Zu diesem Zeitpunkt lebte schon ein Sohn der Stadt am Königshof: Aristoteles, der Lehrer Alexanders. Der soll seinen Vater gebeten haben, Stageira neu zu gründen, was auch geschah. Aber zur alten Blüte stieg die Stadt nie mehr auf, ja Strabon schrieb um die Zeitenwende, daß die Gegend verödet sei. Erst rund 1000 Jahre später entstand an der Stelle eine neue Siedlung, zu der die prachtvolle mittelalterliche Mauer gehört, die schon von weither sichtbar ist.
Die frühklassische Befestigung von Stageira. Foto: KW.
Es gibt wenige Grabungen, die so idyllisch liegen wie Stageira. Überwachsen mit dichtem Grün, sind gute Wege angelegt, auf denen die wenigen Touristen, die sich hierher verirren, die Ruinen erkunden können.
Detailaufnahme vom so genannten „ägyptischen Mauerwerk“. Foto: KW.
Besonders die Mauer, an der entlang ein moderner Weg führt, ist sehr eindrucksvoll.
Plan der Ausgrabungen. Foto: KW.
Wir wären schrecklich gerne die ganze ausgedehnte Grabung abgelaufen, aber der Mensch ist ein Produkt seiner Erfahrungen. Stageira liegt einsam. Unser für die Fahrt in den Osten voll gepackter Wagen stand gut von der Straße aus einsehbar, aber trotzdem völlig unbeobachtet da. In einer ganz ähnlichen Situation hatte man uns im Jahr zuvor in Südfrankreich die Scheiben eingeschlagen, um an die „Reichtümer“ im Wageninneren zu kommen. Wir hatten einfach keine Ruhe, auch wenn wir uns die gesamte halbe Stunde, die wir uns in den Ruinen herumtrieben, versicherten, daß sowas in Griechenland gar nicht vorkommen könne. Irgendwann merkten wir, daß uns der Gedanke an einen Einbruch die Freude verdorben hatte.
Blick auf den Stadthügel mit den Ruinen von Stageira. Foto: KW.
Wir warfen einen letzten Blick auf die Grabung, verfluchten den südfranzösischen Einbrecher dafür, daß er unseren Glauben an die Menschheit ruiniert hatte, und zogen ab.
Der Burgberg des antiken Neapolis, Foto: KW.
Wir quartierten uns in der Nähe von Kavala ein. Dort lag einst, wie wir von Inschriftenfunden wissen, das antike Neapolis, das vermutlich von Thasos aus gegründet wurde.
Neapolis. Obol, ca. 525-490. Gorgoneion. Rv. Gevierteltes Quadratum Incusum. Aus Auktion Lanz 149 (2010), 101.
Wir kennen viele Prägungen des makedonischen Neapolis, so daß es sehr verwundert, daß die Stadt im Attischen Seebund nur einen Tribut von 1.000 Drachmen zu zahlen hatte, einen Bruchteil dessen, was Akanthos (18.000 Drachmen) oder gar Terone (36.000 Drachmen) abliefern mußten. Vielleicht war der mäßige Beitrag der Grund, warum Neapolis im Peloponnesischen Krieg zu Athen hielt und auch während der Auseinandersetzungen mit Philipp II. auf der Seite Athens stand. 355 eroberte der Makedonenkönig die Stadt.
Neapolis. Triobol, spätes 5.-4. Jh. Gorgoneion. Rv. Stadtnymphe. Aus Auktion Lanz 151 (2011), 346.
Die spätere Geschichte der Stadt Neapolis wurde von der Via Egnatia beherrscht. Neapolis war eine wichtige Station auf dem Weg. Hier ankerten Brutus und Cassius, ehe sie in der Schlacht beim nahegelegenen Philippi besiegt wurden. In der römischen Kaiserzeit war Neapolis nicht unabhängig, sondern wurde als Hafen Philippis verwaltet.
Mosaik, in dem Paulus von einem Alexanderähnlichen Christus aufgefordert wird, die Makedonen zu bekehren. Besonders hübsch im Hintergrund eine Stadt „Troas“. Foto: KW.
Hier landete der Apostel Paulus, ehe er nach Philippi zog. Kavala ist heute stolz, die erste Stadt zu sein, die Paulus in Europa betrat. Seit dem 9. Jh. hieß die Stadt Christupolis und war Sitz eines Bischofs. Während Philippi längst der Vergangenheit angehörte, blühte der Hafen. Allerdings war er damit ein beliebtes Opfer während der Kreuzzüge. Seinen Namen Kavala hat die Stadt aus der Zeit der Franken, die hier eine Pferdewechselstation eingerichtet hatten. 1387 eroberten es die Osmanen, von deren Herrschaft heute noch viele Bauten zeugen.
Wegweiser nach Istanbul. Foto: KW.
Vielleicht muß man eben wegen der osmanischen Vergangenheit, die übrigens durch ausgedehnte Renovierungen in Kavala sehr präsent ist, dem griechischen Nationalismus huldigen. Jedenfalls ist direkt unter dem großen Aquaedukt ein riesiger Wegweiser aufgestellt, der die Kilometer zur Kaiserstadt Konstantinopel angibt und in nichts den anderen Straßenzeichen gleicht, die man in Griechenland findet.
Der Aquaedukt des Süleyman. Foto: KW.
Dieser große Aquaedukt ist nicht römisch, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Er wurde unter Süleyman dem Prächtigen (1520-1566) nach römischen Vorbildern erbaut, um die Wasserversorgung Kavalas zu sichern. Dies war ein Teil der Baumaßnahmen, die Süleyman zur Wiederherstellung der Festung und des Hafens anordnete.
Parken auf Griechisch. Foto: KW.
Über steile Gassen steigt man hinauf zur Burg und wundert sich, daß hier, wo jeder Deutsche eine Fußgängerzone vermuten würde, Massen von Autos einen Parkplatz gefunden haben.
Die Burg von Kavala. Foto: KW.
Wir waren ja schon viel an Freundlichkeit gewohnt, aber daß uns eine wildfremde Frau, die auf dem Balkon saß und unsere suchenden Blicke aufgefangen hatte, ansprach und den richtigen Weg zur Burg zeigte, das fanden wir doch besonders nett. Und das steigerte sich sogar noch. Ich hatte meine Fototasche in die Hosentasche gesteckt, und irgendwie war sie herausgerutscht. Ohne es zu bemerken gingen wir weiter, bis vielleicht fünf Minuten später ein Motorradfahrer hupte. Er hatte die Fototasche gefunden, sie mit uns beiden Touristen in Verbindung gebracht, war uns nachgefahren und übergab sie mir jetzt strahlend. Ich habe mich noch den ganzen Tag über diese Freundlichkeit gefreut.
Der Innenhof der Burg. Foto: KW.
Hauptsehenswürdigkeit von Kavala ist die auf die Franken zurückgehende Burg. Sie sollen für ihren Bau antike Spolien verwendet haben. Man kann gegen ein geringes Entgelt die Anlage besichtigen, von der aus man einen wundervollen Blick auf den Hafen hat.
Frisch renovierte Moschee auf dem Burgberg. Foto: KW.
Kavala ist die Geburtsstadt von Mehmet Ali, der von 1805 bis 1848 als Vizekönig von Ägypten amtierte. Sein Vater war ein reicher Händler in Kavala gewesen, der Tabak exportierte, wie er immer noch in der Gegend angebaut wird. Mehmet Ali machte in der Verwaltung und beim Militär Karriere und nutzte das Vakuum, das in Ägypten nach dem Abzug Napoleons entstand, um hier ein praktisch unabhängiges Reich aufzubauen.
Mit den Reichtümern Ägyptens gesegnet, unterstützte Mehmet Ali seine Heimatstadt Kavala und ließ dort einige prächtige Gebäudekomplexe erbauen, die heute noch zu besichtigen sind.
Und schon wieder war ein langer und ereignisreicher Tag zu Ende gegangen. Wir hatten für den nächsten Tag eine noch längere Tour nach Thrakien vor. Von Kavala aus wollten wir nach Mesembria, Maroneia und Abdera fahren, um die Orte kennenzulernen, aus denen so prachtvolle Münzen stammen.
25. Tag, 5. Juli 2011, Thrakien
417 Kilometer mußten wir heute fahren, um unseren Ausflug nach Thrakien zu machen. Diese weite Strecke konnten wir nur bewältigen, weil es über die neue Autobahn in Richtung Osten ging. Maut ist für diese Autobahn zwar vorgesehen, wird aber derzeit noch nicht erhoben. Was für einen Fortschritt die Straße in Sachen Infrastruktur gebracht hat, wird einem eigentlich erst so richtig klar, wenn man entdeckt, daß die in den Straßenkarten als weiße Straßen eingezeichneten Strecken tatsächlich – wie in der Kartenlegende zu lesen – „schlecht befahrbare Feldwege“ sind, die unseren gut ausgebauten Radwegen in nichts ähneln.
Die Ausgrabung von Mesembria-Zone. Foto: KW.
Unsere erste Station war Mesembria, das am weitesten entfernt liegt von Kavala. Wir waren sehr früh aufgestanden, so früh wie es in griechischen Hotels eben möglich ist, wenn man noch gerne ein Frühstück hätte. Inzwischen hatten wir ja gelernt, daß fast alle griechischen Grabungen die einheitliche Öffnungszeit von 8.00 bis 15.00 haben. Was natürlich insofern ein Problem darstellt, als kein Hotel früher als 8.00 sein Frühstück anbietet. Aber immerhin, kurz nach 10.00 waren wir in Mesembria.
Die Grabung von Mesembria-Zone – vorbildlich gepflegt. Foto: KW.
Das Brummen unseres Autos scheuchte ein paar Leute in der Grabung auf. Sofort rannte der Wärter, um nachzusehen, ob wirklich Touristen gekommen waren. Er sprang, um die Toiletten aufzuschließen (sehr vernünftig!) und eilte in seine Kasse, um uns die Tickets zu 2 Euro zu verkaufen. Es wirkte nicht so, als würde er das all zu häufig tun. Tatsächlich blieben wir in den knapp 2 Stunden, die wir durch Mesembria liefen, die einzigen Touristen.
Mesembria. AE, ca. 450-350. Korinthischer Helm. Rv. Vierspeichiges Rad. Aus Auktion Gorny & Mosch 191 (2010), 1175.
Erste griechische Siedlungen soll es auf der gegenüber liegenden Insel Samothrake bereits um 700 v. Chr. gegeben haben, um den Handel mit den reichen Getreideanbaugebieten des Schwarzen Meers zu kontrollieren. Und die Siedler von Samothrake gründeten ihrerseits Kolonien auf dem fruchtbaren Festland. Zu ihnen gehörten Mesembria, Drys, Zone, Sale, Tempyra und Charakoma. Die Geschichtsschreiber bewahrten Stillschweigen über diese Siedlungen. Mit einer markanten Ausnahme: Herodot schreibt, daß die Perser bei ihrem Marsch vom Hellespont nach Griechenland zuerst Mesembria passierten.
Mesembria. Tetradrachme nach alexandrinischem Typ, 250-175. Münzzeichen: Korinthischer Helm und DI. Aus Auktion Gorny & Mosch 186 (2010), 1279.
Damit überzeugte man die Archäologen, daß es sich bei den am weitesten im Osten Thrakiens liegenden Ruinen um die Stadt Mesembria handeln müsse. Leider wiesen die Ausgrabungsergebnisse in eine andere Richtung.
Zone. Bronze, um 350. Apollonkopf. Rv. Lyra. Aus Auktion CNG 145 (2006), 49.
Man fand mehr als 2.000 Münzen der Stadt Zone. Und das ist überraschend, denn auf dem Markt sind diese Münzen überaus selten, ja praktisch nicht vorhanden. Es liegt also die Vermutung nahe, daß es sich bei der Ausgrabung nicht um Mesembria, sondern um Zone handelt. Damit müßte man die gesamte traditionelle Anordnung der Kolonien über den Haufen werfen. Doch es gibt eine andere Möglichkeit, vielleicht war Mesembria auch der alte, Zone der neue Name der Stadt, was aber Herodot widersprechen würde, der in einem Atemzug beide Städte nennt.
Blick auf die Ausgrabung. Foto: KW.
Wie auch immer, Mesembria-Zone ist eine ausgezeichnet für Besucher geeignete Grabung, die zu Unrecht kaum besucht wird. Man hat aufwändig Holzwege angelegt, auf denen die Touristen zu den verschiedenen Sehenswürdigkeiten der Grabung geführt werden, und davon gibt es reichlich. Sie alle sind ausgezeichnet mit griechisch-englischen Tafeln erklärt.
129 Amphoren stehen Kopf. Foto: KW.
Die Attraktion sind zwei Räume, in denen riesige Mengen von Amphoren auf dem Kopf stehen. Sie stammen aus dem späten 6. und 5. Jahrhundert, und einige hat man einer Werkstadt auf Chios zuordnen können. Die Archäologen nehmen heute an, daß diese Hohlkörper unter dem Boden aufgestellt wurden, um den Raum vor Feuchtigkeit zu schützen.
Eine antike Amphore als moderner Bienenkorb genutzt. Foto: KW.
Den Bienen ist das ziemlich gleichgültig. Sie haben die Amphoren als Behausung entdeckt.
Sieb zur Weingewinnung. Foto: KW.
Ein flaches Tonobjekt mit Löchern, das gleich neben den Amphoren zu sehen ist, soll dazu gedient haben, den Most von den Trauben zu gewinnen.
Antike Traubenpresse. Foto: KW.
Auch diese Wanne diente einst der Weingewinnung. Hier wurden die Trauben gepresst.
Satyrn bei der Weinkelter. Foto: KW.
So ähnlich wie auf diesem Bild, das auf einer Erklärungstafel abgebildet ist, muß man sich das Keltern der Trauben mit so einer flachen Wanne vorstellen.
Blick auf die Grabung, im Hintergrund Samothrake. Foto: KW.
Ich bin ein Meister des Kartenlesens. Deshalb traute ich es mir durchaus zu, Maroneia nicht über die Autobahn mit einem Umweg von 40 km anzufahren, sondern die kleine, weiße Straße zu nehmen, die Mesembria in etwa 14 km mit Maroneia verband. Ein Fehler, den wir ziemlich schnell einsahen, als wir auf einem miserablen Feldweg, den man hierzulande nicht einmal einem Mountainbiker zumuten könnte, feststeckten. Mühsam fanden wir eine Stelle, an der wir wenden konnten, und fuhren nun doch den Umweg, der uns mit Sicherheit schneller nach Maroneia brachte, als wir es auf dem kürzeren Feldweg gewesen wären.
Die alte Via Egnatia verlief in Thrakien parallel zur Autobahn. Foto: KW.
Belohnt wurden wir dafür mit einem Blick auf die alte Via Egnatia, die hier in Teilen ausgeschildert und begehbar ist.
Maroneia. Stater, 386-347. Aufspringendes Pferd. Weinstock, darum Beamtenname und Zikade. Aus Auktion Gorny & Mosch 195 (2011), 107.
Wer schwärmt nicht begeistert von der Schönheit der wundervollen Münzen Maroneias. Das Pferd auf der Vorderseite, die üppige Weinrebe auf der Rückseite, eine Zikade als Zugabe: Natürlich waren wir begierig darauf zu sehen, was heute in Maroneia noch erhalten ist, vor allem weil unser Kunstreiseführer verheißungsvoll schrieb:
Zikade, diesmal nicht auf einer Münze, sondern in echt. Foto: KW.
„Nicht wenige archäologische Ausgrabungsstätten Griechenlands liegen an landschaftlich herausragenden Plätzen. Maroneia aber übt einen besonderen Zauber aus, dem sich wohl kaum ein Besucher entziehen kann.
Das abgesperrte Theater von Maroneia, nur über eine Piste zu erreichen. Foto: KW.
Um es kurz zu machen. Wir konnten. Von einem Zauber verspürten wir rein gar nichts. Die archäologischen Reste von Maroneia liegen so weit auseinander, daß man sie mit dem Auto abfahren muß. Und schlechte Fahrwege – nein, keine Straßen, eher nach dem Prinzip Schlagloch an Schlagloch zur Förderung der einheimischen Autoreparaturindustrie – machten die Besichtigung zu einer Tortur, an die man nicht gerne zurückdenkt.
Bilder geben keinen Eindruck von der tatsächlichen Situation. Foto: KW.
Bergauf, bergab, und immer in Angst, ein Fahrzeug könnte einem entgegen kommen, weil an den Straßenrändern tückische Gräben darauf lauerten, einem die Ölwanne zu demolieren.
Hinter dem Zaun ist irgendwo ein Teil der 10 km lange Stadtmauer. Foto: KW.
Die Ruinen lohnten die Strapazen nicht. Von der berühmten, 10 km langen Stadtmauer sahen wir nichts. Dabei ist die Größe des Stadtgeländes von Maroneia wirklich beeindruckend. Allein der Höhenunterschied betrug 700 m!
Das Wohnhaus einer reichen Familie mit Mosaikschmuck. Foto: KW.
Leicht zugänglich ist dagegen ein Mosaik, das in einem Wohnhaus gefunden wurde.
Römische Toranlage zu Ehren Kaiser Hadrians. Foto: KW.
Und natürlich die römische Toranlage zu Ehren Hadrians, der Maroneia im Jahr 124/5 besuchte. Unten am Hafen waren endlich ein bißchen mehr Mauerreste zu sehen als in der Oberstadt. Aber wir hatten unser Interesse auf den holprigen Straßen schon verschlissen. Dazu wollten wir ja noch nach Abdera, auch wenn es sich mittlerweile der magischen 15-Uhr-Grenze näherte. Aber vielleicht waren die Ruinen ja auch in Abdera außerhalb gelegen.
Blick von außen auf Museum und Grabung von Abdera. Foto: KW.
Natürlich waren sie es nicht. Das Museum in der Stadt war bereits geschlossen (wir kamen auch eindeutig nach 15.00). Und die Grabung auch, so daß wir nur durch den Gitterzaun ein Bild darauf erhaschten.
Der Hafen von Abdera. Foto: KW.
Enttäuscht fuhren wir hinunter zum Hafen. Zu gerne hätten wir die Reste der Stadt gesehen.
Abdera. Stater, ca. 411/410-386/5. Greif. Rv. Herakles. Aus Auktion LHS Numismatik AG 102 (2008), 104.
Ich gebe zu, die Münzen von Abdera gehören für mich zum Schönsten, was jemals geprägt wurde. Ich liebe die abwechslungsreichen Darstellungen der Rückseiten. Hier ist der erschöpfte Herakles abgebildet, der nach lokaler Überlieferung die Stadt Abdera dort gründete, wo sein Gefährte Abderos von den Rossen des Diomedes zerrissen worden war. Mitte des 7. Jh. sollen dann Siedler aus Klazomenai nach Abdera gekommen sein, doch sie wurden vertrieben. Erst die Kolonie der Stadt Teos, gegründet um 543, konnte sich halten.
Wie bedeutend Abdera als geistiges Zentrum war, wird klar, wenn man liest, welche Philosophen alle aus Abdera stammten oder hier lehrten: Anaxarchos, Demokrit und sein Lehrer Leukippos, Hekataios, Protagoras und Leukippos von Milet. Nichtsdestotrotz galten die Abderiten als die Schildbürger der Antike.
Abdera. Stater, ca. 390. Greif. Rv. Tänzerin. Aus Auktion Leu Numismatik AG 81 (2001), 127.
Abdera war die reichste und wichtigste griechische Siedlung an der Nordküste der Ägäis. Es blühte und gedieh, auch unter persischer Herrschaft. Der Tribut, den es später dem Attischen Seebund zahlen mußte, spricht für sich. 90.000 Drachmen (= 15 Talente). Man reduzierte ihn später auf 10 Talente. Abdera erlitt ein ähnliches Schicksal wie viele der thrakischen Städte: Man versuchte sich von Athen loszusagen, wurde erobert, von thrakischen Nachbarn bedrängt, von Philipp II. erobert. Und dann gingen unter den Diadochen die Wirren erst richtig los. Kurz nach Hadrian endete seine Münzprägung, und die Stadt verschwand aus den schriftlichen Quellen.
Jungstörche im Nest. Foto: KW.
Aber auch wenn wir nicht so viel von der Archäologie Abderas gesehen haben, die Natur war wieder überwältigend. In jedem Dorf stand eine Allee von Strommasten, und auf jedem Strommast war ein Nest, in dem Störche ihre Jungtiere aufzogen. Auch bei uns ist ein Storch ja nicht mehr so selten wie noch vor 20 Jahren, aber so viele auf einmal, das hatte ich wirklich noch nie erlebt.
Es war also ein großartiger Tag, den wir in einer Taverne am öffentlichen Strand von Abdera beendeten. Gut, wir aßen nicht allzu umfangreich, kein Fleisch, kein Wein, aber so daß zwei hungrige Personen gut satt werden konnten. Und dann kam die Rechnung zusammen mit einem riesigen Teller Obst gratis. 6,80 Euro für das gesamte Menü. Wir schämten uns geradezu, für wie wenig Geld hier ein Koch kochte und ein Kellner bediente.
Die nächste Folge des kleinen numismatischen Tagebuchs ist den Städten Amphipolis, Philippi und Pella gewidmet. Und damit nähern wir uns allmählich dem Ende. Die drei Ausgrabungen waren unsere letzten Stationen auf nordgriechischem Boden.
Thrakien steht zwar nicht auf unserem Programm, aber für diejenigen unter Ihnen, die mit eigenen Augen die Schätze Nordgriechenlands entdecken wollen, führe ich im Herbst im Auftrag von Klingenstein eine Reise. Wenn Sie daran interessiert sind, klicken Sie hier.
Alle weiteren Teile des Tagebuchs finden Sie hier.