von Björn Schöpe
4. Oktober 2012 – Was für ein herrlicher Tag! Es ist 8 Uhr morgens, die Arbeit beginnt, die Sonne scheint … naja, draußen spazierengehen oder schwimmen wäre natürlich auch prima, aber so ein paar Pressemeldungen vorzubereiten über Münzneuheiten, Veranstaltungen und Ausstellungen, ist ja schließlich auch nicht schlecht. Also, dann schauen wir mal, was im E-Mail-Postfach heute so auf uns wartet.
Die hier scheint wichtig zu sein: eine Auktion, die noch diese Woche stattfindet, das müssen wir unbedingt bringen. Dann laden wir mal die angehängte Datei herunter … ein Pdf, mhm. Naja, wenigstens ist da alles an Informationen drin, was wir brauchen, und es ist ansprechend gestaltet. Mhm, vielleicht doch nicht ganz so ansprechend, aber was kümmert uns das? Mich interessiert ohnehin nur der Text: Da komme ich wohl nicht drum herum, ich muss die Liste der 25 Top-Stücke von Hand nach Word kopieren; aber da geraten eine Menge Absätze rein und seltsame Zeichen – das wird mindestens eine halbe Stunde dauern, diesen Salat wieder rauszukriegen. Und die Bilder? Ich kann sie natürlich gleich aus dem Pdf ziehen. Aber die stehen bestimmt auch online. Ja, so klappt es! Aber die Auktion zu finden, sich durch die Details der angebotenen Stücke zu klicken, wieder zurück zum nächsten Stück … Uff. War das wirklich nötig? Huch, was ist das? Das Datum im Text stimmt nicht überein mit dem auf der Webseite. Aber welches ist das richtige? Auf der Webseite geben sie völlig andere Tage an! Dann mal los und eine E-Mail geschrieben, die Ansprechperson ist immer froh, wenn sie helfen kann. Und nebenbei frag ich auch gleich nach hochauflösenden Bildern von vier bestimmten Stücken, die ich noch für eine Printversion brauchen kann. So, jetzt erstmal die Dateien speichern und auf Antwort warten. Zeit für eine weitere Pressemeldung.
Eine Einladung zu einer Ausstellungseröffnung. Sehr schön, sieht doch klasse aus. Sie haben sogar eine Word-Datei geschickt, die ich ganz bequem bearbeiten kann. Aber gibt es da irgendwelche Infos, um was für eine Ausstellung es eigentlich geht? Die Uhrzeit steht da, der Ort auch, aber was für eine Art Ausstellung ist es? Webbrowser – öffne Dich! Ein schönes Museum, eine schöne Ausstellung, aber nichts über die Eröffnung an diesem Datum. Auf welche Eröffnung wird es sich also wohl beziehen? Vielleicht ist es doch Zeit, die nächste E-Mail zu schreiben. Ah, dann kommt noch die Zeitverschiebung zwischen Europa und den westlichen USA – vor morgen kann ich nicht mit einer Antwort rechnen. Kein Problem, wir brauchen den Text sowieso erst übermorgen. Hoffen wir mal, dass sie bald antworten. Oder ist da grad Feiertag? Urlaub? Nun, wir werden ja sehen.
Was steht dann an? Nur eine E-Mail, kein Link, kein angehängter Text. Man bittet uns freundlich, ob wir nicht über ein neues Buch, einen Autor, einen Verlag berichten könnten. Warum nicht? Auf den ersten Blick hört sich der Titel ja sehr spannend an. Aber Geld regiert die Welt – und diese E-Mail sagt nichts über den Preis. Mhm, auf der Verlagsseite steht der Preis, aber keine ISBN. Man kann ja bei einem großen Onlinegeschäft kontrollieren und bei noch einem … keine ISBN, hat das Buch wirklich keine ISBN? Nicht zu viel drüber nachgedacht, zu viele Mails müssen noch heute Vormittag bearbeitet werden. Na schön, dann nehmen wir halt den eher kurzen Text (hoffen wir mal, dass das Buch so gut ist, dass es für sich selbst spricht, denn der Text wird nicht grad Interesse wecken, diese drei Sätze und das Inhaltsverzeichnis), kopieren ein Coverbild rein und fügen alle Informationen hinzu, die wir finden. Dann hoffen wir mal das Beste.
Oh, noch eine Auktionsvorschau! Toll. Sogar die Bilder sind beigefügt. Für eine Onlineveröffentlichung brauchen wir sowieso keine hohe Auflösung, das reicht also völlig aus. Aber welches Bild gehört zu welcher Auktionsnummer? Verflixt, warum habe ich mich nicht mal eingehender mit chinesischen Münzen des 18. Jahrhunderts beschäftigt? Ich spreche ja nicht einmal Chinesisch. (Also genau genommen ist es so, dass ich nicht nur kein Chinesisch spreche, sondern nicht einmal die Zeichen lesen kann …) Vielleicht könnte ich das Standardwerk auf die Stücke hin befragen, warum nicht eine Masterarbeit darüber schreiben, der Text ist wirklich spannend. Nein, Trottel, vergiss es! Wir machen hier nur eine Pressemeldung, und Zeit ist Geld. Aber die Bilder, was zum Teufel sind das jetzt für komische Münzen? Uff, dann gehen wir eben wieder einmal zu der Webseite. Können wir da nach Nummern suchen? Nein! Warum nicht??! Na schön, dann probieren wir es eben nach Prägejahr, Erhaltungszustand, Nominal … Ah ja, na endlich. Noch eine Viertelstunde, und das nur, um die Bilder mit den richtigen Beschriftungen zu versehen. Wenigstens ist das jetzt erledigt.
Immer noch keine Antwort? Nur Geduld. Ich habe noch nicht einmal die acht E-Mails gelesen, die in den beiden letzten Stunden eingingen, wie ich aus den Augenwinkeln wahrgenommen habe. Nun, was ist noch zu tun? Ein neuer Managing Director in der Gedenkmünzenabteilung einer Münzstätte. Ah ja, eine sehr schöne Neuigkeit. Ein beigefügtes Foto, ein Text als Worddatei – aber jede Menge Formatierungen, Logos, fest eingefügte Elemente. Das ist ja ganz hübsch – aber hier vollkommen überflüssig. Also löschen wir das erstmal alles raus. Ein Link zum Profil des Direktors wäre auch nicht schlecht. Kein Link? Mhm, auf der Internetseite gibt es keinen Punkt „Presse“, oder doch – ah ja, ganz klein da unten in der Ecke: „Medien“. Aber keine Pressemeldungen, die jüngste ist vom letzten Sommer … ähem, kein Kommentar. Aber vielleicht in der Abteilung „Über uns“, nein, „Personen“, „Mitarbeiter“, „Team“ – überhaupt nichts … „Kontakt“: Pressereferent. Noch eine E-Mail? Nein, dann halt keinen Link. Warum zeigen sie nicht die Mitarbeiter, wenigstens diejenigen, über die sie Pressemeldungen rausbringen?
Oh, habe ich da richtig gesehen? Die E-Mail sollte ich sofort öffnen: Änderungen der letzten Auktionsvorschau, die ich eben erst vorbereitet habe. Ein falsches Datum: sechs Wochen später. He, Leute, warum schickt Ihr das jetzt schon raus?? Wen interessiert das denn so früh? Dann speichern wir es mal und versuchen uns im Kalender dran zu erinnern: in zwei Monaten wieder hervorholen! Ansonsten wird niemand an so einen fernen Termin denken, wenn es Zeit ist.
Oh, Achtung, das muss wohl wichtig sein: eine E-Mail mit 9 MB. Oh, auf den zweiten Blick eher ein wenig enttäuschend, ich hatte schließlich gar nicht um hochauflösendes Bildmaterial gebeten, ich will den Text eigentlich gar nicht veröffentlichen, weil er unsere Leser nicht betrifft. Warum fragt Ihr nicht wenigstens vorher, ob man wirklich 9 MB an Bildern braucht, drei Pdf-Dateien und zwei Versionen in Word- und Rtf-Format auf Englisch und Französisch?
Eine neue E-Mail, die Auktionsvorschau von vorhin: vier hochauflösende Bilder und das korrekte Datum – jawohl!! Aber – was ist das? Ich habe kein Bild eines kaiserzeitlichen Denars erfragt. Ich will das nicht. Ich wollte vier Bilder, ich habe sogar die Nummern angegeben: zwei griechische, ein mittelalterliches Schweizer Stück und eine wundervolle Achtreales-Münze. Aber von dem Achtreales ist nur die Vorderseite gekommen, die Rückseite gehört eindeutig zu einer anderen Münze. Und anstelle der Tetradrachme aus Sizilien habe ich diesen Denar des Vespasian bekommen. Mist …! Noch eine E-Mail.
Oh, Zeit fürs Mittagessen. Dann schauen wir eben später, was noch zu tun ist. Sicher jede Menge E-Mails schreiben, lesen, wieder schreiben – und all das, um die Informationen zusammenzubekommen, die wir brauchen. Ginge das nicht auch viel einfacher? Man schickt einfach eine E-Mail herum, hängt ein Pdf an, besser eine unformatierte Word-Datei, vielleicht ein paar niedrigauflösende Bilder, und wer größere Dateien braucht, fragt nach. Oder noch besser – man kann ja immer noch besser werden! – schickt man einen Link, wo die Bilder zum Herunterladen bereitstehen. Und in jedem Fall bitte mit eindeutigen Beschriftungen und Dateinamen – das macht unser Leben sehr viel einfacher.
Und Fehler? Die sind menschlich. Wir machen alle Fehler, und – das können Sie mir glauben – ich weiß, wovon ich spreche, wie vielleicht der eine oder die andere in der Vergangenheit schon bemerkt hat … Aber man kann zumindest die E-Mail oder den Text ein zweites Mal lesen. Das hilft nicht immer, um Tippfehler oder andere Irrtümer zu beheben. Aber manchmal eben doch.
Und natürlich: All diese Beispiele haben nichts zu tun mit mir, meinem Leben oder all den wundervollen Leuten, mit denen ich zusammenarbeiten darf. Es handelt sich um reine Fantasie, eine Art Traum; aber manchmal flüstert uns die Fantasie ja auch Ideen ein, wie wir die Welt verändern können. Und hoffen wir einmal, dass wir sie zum Besseren ändern.
Und jetzt – auf zum Mittagessen!