von Ursula Kampmann
16. Juli 2015 – Man hat sie propagandistisch gut vorbereitet, die Novelle des Kulturgutschutzrechts. Man hat die Schandtaten des IS benutzt, um Otto Normalverbraucher zu suggerieren, Deutschland bräuchte dieses Gesetz, damit es nicht zu einem Hotspot des illegalen Handels würde. Tatsächlich ging es um etwas ganz anderes, wie der Gesetzesentwurf jetzt zeigt. Es geht vor allem darum, dass der deutsche Staat sein kulturelles Erbe zum Schnäppchenpreis erwerben will, indem er Eigentümer daran hindert, es außerhalb des Landes zu verkaufen.
Um dies zu verschleiern, spricht die Präambel von diplomatischen Verwicklungen: „Die Bundesregierung hat festgestellt, dass das Kulturgüterrückgabegesetz vom 18. Mai 2007 zu erheblichen Anwendungsproblemen geführt und die bilateralen Beziehungen Deutschlands zu zahlreichen anderen Vertragsstaaten der UNESCO-Konvention von 1970 belastet hat.“ Um dann gleich auf den Schutz des deutschen Kulturguts vor Abwanderung ins Ausland zu kommen. Und dann wird wieder in die Terrorkiste gegriffen: „Mit dieser Neuregelung soll nicht nur gegen den illegalen Handel mit Kulturgut in Deutschland vorgegangen werden, sondern es sollen auch Finanzierungsmöglichkeiten von Terrororganisationen eingeschränkt werden, die sich zunehmend aus Raubgrabungen archäologischer Stätten sowie durch den illegalen Handel mit diesen Kulturgütern finanzieren.“ Dass dies bis jetzt immer noch eine unbewiesene Vermutung ist, wird dabei nicht erwähnt. Die Terrorkarte sticht immer.
Worum es im Gesetzesentwurf tatsächlich geht, steht bei den Kosten zu lesen: „Einsparungen in unbekannter Höhe werden jedoch bei Bund und Ländern dadurch erzielt, dass durch die Schaffung einer genehmigungspflichtigen Ausfuhr von Kulturgut im EU-Binnenmarkt Rückkäufe von nationalem Kulturgut auf dem internationalen Kunstmarkt – die zum Teil zweistellige Millionenbeträge in den letzten Jahren erforderlich machten – zukünftig nur noch in sehr geringem Maße nicht nötig sein werden.“ [Wahrscheinlich handelt es sich beim unklaren Ausdruck in diesem Satz um einen typischen Computerfehler: Der Autor konnte sich nicht entscheiden, ob die Rückkäufe nicht oder in sehr geringem Maße nötig sein werden.] Dass diese Millionenbeträge den Eigentümern des nationalen Kulturgutes entzogen werden, wird jedenfalls nicht erwähnt.
Wie auch immer, deshalb trifft den Eigentümer von nationalem Kulturgut, das „von der obersten Landesbehörde“ in ein Kulturgutverzeichnis eingetragen wurde, die besondere Härte des Gesetzes. Nach welchen Vorgaben die Eintragung erfolgt, ist nicht Inhalt des Entwurfs, sondern wird durch eine Rechtsverordnung von Seiten des zuständigen Mitglieds der Bundesregierung, also Frau Grütters, geregelt.
Sobald das Kulturgut eingetragen ist, muss sein Eigentümer der obersten Landesbehörde alle Angaben zur eindeutigen Identifizierung des Kulturgutes und zum Aufenthaltsort machen. Er ist verpflichtet auf seine Kosten der Behörde Fotographien zur Verfügung zu stellen, das Objekt im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren zu erhalten, und die oberste Landesbehörde sofort über jeden Ortwechsel, bei einem Verkauf über den neuen Eigentümer zu informieren. Um sicherzustellen, dass ein Eigentümer ein Objekt nicht heimlich verkauft, hat die oberste Landesbehörde sowie sachverständige Personen Zutritt zu Wohnungen und Gebäuden, in denen das Kulturgut verwahrt wird. „Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Artikel 13 des Grundgesetzes … wird insoweit eingeschränkt.“
Der zweite Abschnitt des Gesetzesentwurfs ist dem Export von Kulturgut jeder Art gewidmet. Besonders viel Neues erfährt man in diesem Abschnitt nicht, denn – wie in § 24,2 festgelegt, werden die Details erst später geregelt: „Das für Kultur und Medien zuständige Mitglied der Bundesregierung wird ermächtigt, die Kriterien gemäß Absatz 1 Nummer 2 nach Kategorien, Wert- und Altersgrenzen des Kulturguts in einer Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf, festzulegen.“ Mit anderen Worten: Monika Grütters macht dafür zu einem späteren Zeitpunkt einen Vorschlag, der dann im Bundesrat abgestimmt wird.
Das richtige Problem kommt dann im dritten Abschnitt des Gesetzesentwurfs, der sich mit der Einfuhr beschäftigt. In § 29. steht zu lesen: „Die Einfuhr von Kulturgut ist verboten, wenn es 1. als nationales Kulturgut von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert von einem Mitglied- oder Vertragsstaat eingestuft oder definiert worden ist und unter Verstoß gegen dessen Rechtsvorschriften aus dessen Hoheitsgebiet verbracht worden ist,“
Das bedeutet, dass Deutschland für deutsche Behörden ausländische Gesetzgebung, wahrscheinlich sogar rückwirkend, zum Maßstab seines Handelns macht.
Nehmen wir ein Beispiel aus dem Alltag. In den 80er und 90er Jahren war die Schweiz ein Zentrum des Handels mit Kulturgütern aller Art. Sie hatte damals eine sehr liberale Gesetzgebung. Was offiziell in der Schweiz eingeführt war, war legal, wenn es in einer Auktion angeboten wurde und kein Eigentümer innert einer bestimmten Frist sein Eigentum an dem Objekt nachweisen konnte. Wie werden nun zum Beispiel die Bronzemünzen aus Sizilien behandelt, die in den 80er und 90er Jahren von italienischen Lieferanten gegen italienisches Gesetz aus dem Lande geschmuggelt wurden, um dann offiziell in der Schweiz importiert und in einer Auktion verkauft zu werden. Schlägt italienisches Gesetz schweizerisches Gesetz? Werden in Zukunft die Behörden, die sich mit der Einfuhr befassen, eine rechtshistorische Ausbildung erhalten, die sie befähigt, immer genau zu wissen, welches Recht in welchem Jahr in welchem Ursprungsland galt?
Welche Kriterien für die Einfuhr von Kulturgut ansonsten festgelegt werden, ist wieder mal in Frau Grütters Händen.
Was legal und was illegal ist, regelt Abschnitt 4 des Gesetzesentwurfs. Und hier ist sie, schwarz auf weiß, die Umkehr der Beweislast. §32.3 regelt, dass eine Ausfuhr nach Inkrafttreten der neuen Gesetzgebung angenommen wird, wenn „der Zeitpunkt der Ausfuhr nicht nachgewiesen oder nicht ermittelt werden“ kann.
Ferner heißt es in § 33: „Die Einfuhr von Kulturgut ist unrechtmäßig, 1. wenn das Kulturgut entgegen den in diesem Staat geltenden Rechtsvorschriften zum Schutz nationalen Kulturgutes verbracht worden ist a) nach dem 31. Dezember 1992 aus dem Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates [EU-Staat] oder b) nach dem 26. April 2007 aus dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates [Nicht EU-Staat, der die UNESCO-Konvention angenommen hat], oder 2. wenn die Einfuhr gegen die in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechtsvorschriften verstößt.“
Was dann geschieht, wird in § 34 festgelegt: Die zuständige Behörde stellt sofort das Kulturgut sicher, wenn hinreichender Verdacht auf eine Straftat besteht. Die Kosten dafür trägt übrigens nicht die Staatskasse, sondern wie § 39 regelt: „die Person, der der Gewahrsam entzogen worden ist.“ Ob ein Unterschied gemacht wird, falls der Staat dies zu Unrecht getan hat, konnte ich dem Gesetzesentwurf nicht entnehmen.
Die Preise für Kulturgüter werden in Zukunft wahrscheinlich steigen und kleinere Objekte aus dem Handel völlig verschwinden, denn die Sorgfaltspflichten, mit denen die Händler in § 42 konfrontiert werden, sind absurd.
Folgendes ist zu tun:
1. „Name und Anschrift des Veräußerers, des Einlieferers, des Erwerbers oder des Auftraggebers festzustellen,
2. eine Beschreibung und eine fotografische Abbildung anzufertigen, die geeignet sind, die Identität des Kulturgutes festzustellen,
3. die Provenienz des Kulturgutes zu prüfen,
4. Dokumente, die eine Ein- und Ausfuhr belegen, zu prüfen,
5. Verbote und Beschränkungen zur Ein- und Ausfuhr sowie zum Handel zu prüfen,
6. eine schriftliche oder elektronisch übermittelte Erklärung des Einlieferers oder Veräußerers einzuholen, dass dieser berechtigt ist, über das Kulturgut zu verfügen, und
7. zu prüfen, ob das Kulturgut in öffentlich zugänglichen Verzeichnissen und Datenbanken eingetragen ist.“
Diese Sorgfaltspflichten sind erleichtert, wenn der Wert des Kulturguts unter 2.500 Euro liegt, bzw. für archäologisches Kulturgut, wenn der Wert unter 100 Euro liegt, es sei denn man kann für letzteres jeden Aufenthalt der letzten 20 Jahre rekonstruieren, dann liegt auch hier die Wertgrenze bei 2.500 Euro.
Mit anderen Worten: Wenn ein Händler einen vorzüglich erhaltenen Antoninian des Gordianus III. ankauft, muss er nicht nur Name und Anschrift des Verkäufers festhalten. Er muss das Stück fotografieren, die Dokumente, die eine Ein- und Ausfuhr belegen, prüfen, die öffentlichen Datenbanken prüfen, ob das Stück in ihnen als gestohlen gemeldet ist und eine schriftliche Erklärung des Besitzers unterzeichnen lassen, dass ihm das Stück auch gehört.
Die Wertgrenzen werden hinfällig, wenn irgendein Objekt in den Roten Listen von ICOM erwähnt wird. Das wird für Münzen ein Problem werden, bei der unsachgemäßen Art und Weise, wie diese Objektgattung von ICOM behandelt wird. Nehmen wir das Beispiel Syrien. Da werden die Münzen folgendermaßen beschrieben: „Metallmünzen (Gold, Silber, Bronze): Hellenistisch: Mit König(innen)porträts (Vorderseite), stehenden oder sitzenden Gottheiten, umgeben von griechischen Inschriften, mit Tieren und Gegenständen (Rückseite). Römisch: Mit Kaiser-Porträt (Vorderseite) und einer Vielzahl an Motiven, lateinischen Inschriften, oftmals mit Buchstaben SC (Rückseite). Byzantinisch: Mit Kaiser-Porträt (Vorderseite), aber mit Buchstaben und / oder christlichen Symbolen (Rückseite). Islamisch: Mit arabischen Inschriften auf Vorder- und Rückseite.“ Mit anderen Worten, außer keltischen Münzen sowie griechischen Münzen der archaischen und klassischen Zeit macht allein diese eine Red List jede Erleichterung der Sorgfaltspflicht für numismatische Objekte unmöglich.
Wenn nun unser Gordian III. Antoninian vom Händler weiterverkauft wird, muss er dem Käufer seine komplette Dokumentation überlassen, also wann er ihn wo für welchen Preis von wem gekauft hat und wo das Stück die 20 Jahre zuvor war. Die Aufbewahrungspflicht für diese Unterlagen beträgt 30 Jahre.
Datenschutz und Vertraulichkeit sind eine Sache der Vergangenheit. § 46 regelt, dass auf Verlangen der zuständigen Behörde Auskunft über alle über ein Kulturgut gewonnenen Informationen erteilt werden müssen.
Die wichtigste Regelung des letzten Abschnitts zur Rückgabe von Kulturgut enthält wieder die Umkehr der Beweislast. § 51 legt fest, dass das Kulturgut als nach dem Beginn der Rechtsgültigkeit des neuen Gesetzes auf Bundesgebiet verbracht gilt, wenn sich nicht klären lässt, ob das Stück vor dem 26. April 2007 im Bundesgebiet, im Binnenmarkt oder einem Drittstaat war.
Wie gering die Anforderungen an einen Staat sind, der ein Kulturgut zurückfordert, zeigt § 60.3: „Eine Rückgabeklage ist nur dann zulässig, wenn der Klageschrift folgende Unterlagen beigefügt sind: 1. eine geeignete Beschreibung des Kulturgutes, 2. eine Erklärung, dass es sich um ein nach nationalen Rechtsvorschriften oder Verwaltungsverfahren des ersuchenden Staates nationales Kulturgut handelt, und 3. eine Erklärung des ersuchenden Staates, dass das Kulturgut unrechtmäßig aus seinem Hoheitsgebiet ausgeführt worden ist.“ Beweise? Wofür denn?
Eine Entschädigung erhält der Eigentümer nur dann, wenn er beim Erwerb des Kulturgutes mit erforderlicher Sorgfalt vorgegangen ist, sprich wenn er 20 Jahre zurück dessen Aufenthalt lückenlos nachverfolgen kann. Dabei wird immer nur der Kaufpreis erstattet, nicht der aktuelle Wert eines Objekts.
47 Seiten lang ist der Gesetzesentwurf. Fast 100 Seiten lang der Kommentar. Und alles ist auch nur halb so schlimm, sagt die Bundesregierung auf ihrer Internetseite in einer Pressemeldung, die anlässlich eines vernichtenden Artikels in der Welt verfasst wurde. Schließlich sei im Gesetzesentwurf „ausdrücklich geregelt, dass die Länder sicherstellen, dass auch die berechtigten Interessen des Handels und der privaten Sammlerinnen und Sammler“ berücksichtigt werden. Merkwürdig, dass man das nicht so recht glauben mag.
Aber mir wird es wohl genauso gehen wie dem Journalisten Cornelius Tittel, Autor des oben genannten Artikels. Über seinen Diskussionsbeitrag ließ die Bundesregierung in einer Pressemeldung verlauten, seine Kritik basiere „auf Fehlinterpretationen, Missverständnissen oder Unkenntnis und erschwere eine sachliche Debatte über die Novellierung des Kulturgutschutzes.“
Kalkulieren Sie also bei der Lektüre ein, verehrter Leser, dass ich den Entwurf falsch interpretiert habe, ihn nicht verstehe und mich in Sachen Kulturgüterschutz halt einfach nicht so gut auskenne wie Frau Grütters. Ich möchte wirklich nicht die sachliche Debatte erschweren…
Den Artikel von Cornelius Tittel mit dem Titel „Denn die Gesetzgeber wissen nicht, was sie tun“ finden Sie hier.
Die Stellungnahme der Bundesregierung dazu finden Sie unter diesem Link.
Leider hat es die zuständige Behörde bis zum 14. Juli 2015, dem Tag der Erstellung dieses Artikels, nicht geschafft, den Referentenentwurf ins Internet zu stellen, damit Sie sich selbst ein Urteil bilden können.
Na ja, sie war ja auch nicht in der Lage, die Kommentare, die anlässlich der Anhörung im April 2015 von Seiten der betroffenen Parteien gemacht wurden, als Protokoll zu veröffentlichen. Warum denn auch, wo doch das Gesetz sicherstellt, dass die berechtigten Interessen des Handels und der Sammler berücksichtigt werden…