von Ursula Kampmann
20. September 2012 – Es ist doch einfach immer wieder beeindruckend, wie hemmungslos in den Ritterfilmen die Zeiten durcheinandergewirbelt werden. Ob 9. oder 14. Jahrhundert, immer legen die Ritter die Lanze ein und werfen damit den Bösen vom Pferd. Dabei war das Turnier ein Sport, dessen Regeln und Moden sich auch im Mittelalter änderten. Begleiten Sie uns nach St. Wendel, wo ein Turnier nachgespielt wurde, an dem Maximilian I. hätte teilnehmen können.
Maximilian I., 1490-1519. Doppelter Schauguldiner, geprägt 1517 in Antwerpen. Aus Auktion Künker 188 (2011), 577.
Denn exakt vor 500 Jahren besuchte Kaiser Maximilian I. die Stadt St. Wendel, die ihre Bekanntheit im Mittelalter dem heiligen Wendalinus verdankte. Seine Reliquien lagen in der von Pilgern gern besuchten Kirche. Am 31. März des Jahres 1512 kam Kaiser Maximilian I. in die Stadt. Er hielt sich wegen eines Reichstags in Trier auf. Dort mag es ihm zu langweilig geworden sein, denn er machte einen kleinen Ausflug, der ihn auch in das Städtchen St. Wendel führte, wo er übernachtete. Recht viel mehr ist über seine Exkursion nicht bekannt. Trotzdem entschied die Verwaltung der sehr aktiven Kreisstadt, aus diesem Anlass etwas Besonderes zu veranstalten, ein Turnier, an dem „der letzte Ritter“ sicher selbst gerne teilgenommen hätte.
Der Einzug der Ritter. Foto © Kreisstadt St. Wendel.
Die fürstliche Hofreitschule zu Bückeburg hat sich in den letzten Jahren auf reenactment spezialisiert, auf die Wiedererweckung vergangener Feste und Veranstaltungen, in denen die Reiterei eine entscheidende Rolle spielte. Bei diesen Veranstaltungen geht es nicht darum, einfach spektakulär vom Pferd zu fallen wie es Stuntmen in den ach so beliebten populären Turnieren machen. Hier gibt es keine Lanzen aus Balsaholz oder angesägte Waffen. Hier wird mit echten Lanzen getjostet. Rüstung und Kleidung entspricht der Epoche genauso wie Waffen, Zaum- und Sattelzeug. Ja, sogar der Reitstil soll dem entsprechen, den vor 500 Jahre die Ritter pflegten.
Wussten Sie zum Beispiel, dass die Pferde der Ritter zwar für ihre Größe bekannt waren, aber sicher nicht mit den plumpen Zugpferden verwechselt werden dürfen. Sie waren kleiner, aber im Verhältnis dazu unglaublich stark, sehr intelligent und in einer langwierigen Ausbildung hervorragend geschult.
Die Ritter präsentieren sich vor dem Tjost den Damen. Foto: KW.
Nur so konnte Ross und Reiter zu der Einheit verschmelzen, die notwendig war, um ein Pferd dazu zu bringen, in vollem Galopp auf ein anderes Pferd zuzulaufen, so dass der Ritter seine eingelegte Lanze am Schild des Gegners brechen konnte.
Denn darum ging es bei dem ersten Teil des Turniers. Der Gegner muss nicht aus dem Sattel gehoben werden, sondern die Lanze soll formschön am Schild oder am Helm des Gegners zersplittern.
Keine Punkte für die Teilnehmer, auch wenn es noch so spektakulär aussieht. Foto © Kreisstadt St. Wendel.
Zwischen einem und sieben Punkte kann der Ritter pro Gang erhalten. Gezielt werden muss auf den Schild oder auf den Helm. Letzteres gibt mehr Punkte, da hier die Lanze leichter abrutscht als von dem Schild.
Wenn der Gegner gesperrt wird oder der linke Fuß weiter als 40 ca. von der Mittelbande entfernt ist, dann gilt dies als Foul, für das der Gegner Punkte erhält.
Sollte durch einen auf Schild oder Helm gezielten Stich der Gegner tatsächlich vom Pferd fallen, werden dem Sieger 20 Punkte gut geschrieben.
Die Damen: Sie können jederzeit in das Geschehen eingreifen. Foto: KW.
Eine entscheidende Stimme steht den Damen zu. Sie können die Ritterlichkeit und den Umgang des Ritters mit seinem Pferd bewerten. Mit ihrem Votum kann sich das Glück eines Teilnehmers ganz schnell drehen, der Besiegte zum Sieger werden.
Glauben Sie nicht, dass so ein Turnier ungefährlich wäre! Foto: © Kreisstadt St. Wendel.
Übrigens ist so ein Turnier sicher nicht ungefährlich. Schon nach dem ersten Durchgang musste Dr. Tobias Capwell – begeisterter Fahrender Ritter seit 20 Jahren und Kurator für historische Waffen in der Wallace Collection / London – ins Krankenhaus gebracht werden, um den von der Lanze abgeschnittenen Daumen wieder annähen zu lassen.
Turniermeister Wolfgang Krischke nach dem Turnier mit einem durchgebrochenen Sattel. Foto: KW.
Welcher Druck durch die Lanze auf Ross, Reiter, aber auch Ausrüstung ausgeübt wird, sieht man erst an diesem Turniersattel, der schlicht und ergreifend durchgebrochen ist. Hier erkennt man auch, dass ein klassischer Reitersattel nichts mit einem Turniersattel zu tun hat. Letztere sind vorne und hinten besonders hoch gezogen, um dem Reiter Halt im Kampf zu geben.
Auf zur zweiten Runde. Foto: © Kreisstadt St. Wendel.
Fast noch eindrücklicher als der Tjost ist das Melée, also der Kampf zweier Rittergruppen gegeneinander. In St. Wendel bestand jede Gruppe aus vier Rittern und einem Knappen, der die Fahne führt.
Ein Blick auf das Melée. Foto: KW.
Beim Melée kämpfen die Ritter mit stumpfen Schwertern, in diesem Fall durch Holzschwerter ersetzt. Ziel ist es, einen feindlichen Ritter durch mehrere Schläge mit dem Schwert von vorne und von hinten innert kurzer Frist zu treffen, so dass er aus dem Kampf ausscheidet. Im Melée ist die Beherrschung des Pferdes besonders wichtig, denn die Manöver geschehen auf engstem Raume. Auf einmal werden die Figuren der Hohen Schule verständlich, denn das Pferd schützt mit seinen Manövern den Reiter und ermöglicht ihm so im Sattel zu bleiben.
Es soll nur etwa 20 Männer geben, die auf so einem hohen Niveau den Sport des Adels im Mittelalter zu neuem Leben erwecken können. Sie kamen bis aus Neuseeland nach Sankt Wendel, um sich miteinander im Turnier zu messen.
Der Tagessieger trinkt aus dem Horn. Foto: KW.
Aus der Mannschaft, die zum Zeitpunkt der Schlussfanfare noch am meisten Reiter im Turnier hat, erhält jeder Mann 25 Punkte. Darüber hinaus können die Damen zusätzliche 40 Punkte für Ritterlichkeit und reiterisches Können verleihen, und zwar gleichgültig ob an ein Mitglied der überlegenen oder der unterlegenen Mannschaft.
Im Lager: prachtvolle Kostüme und einfach schöne Bilder. Foto: KW.
Das Turnier war nur der Höhepunkt eines ganzen Tages voll mit Einblicken ins Mittelalter und die frühe Neuzeit. Mehrere Reenactmentgruppen hatten sich vor Ort getroffen und boten schöne Bilder für die Augen und die Kamera. Hier ein weibliches Mitglied der Compania Città del Grifo, die das Lagerleben einer militärischen Kompanie unter dem Befehl der Republik Venedigs darstellte.
Condottiere im Dienste der Republik Venedig. Foto: KW.
Auch ihr männlicher Kollege sieht aus, als wäre er einem Bild entsprungen.
Mittelalterlicher Schwertkunst. Foto: KW.
Die Gruppe „Lebendige Schwertkunst“ führte Kampftechniken aus dem Mittelalter vor, die sie mittels süddeutscher Fechtbüchern des 13. bis 16. Jahrhunderts wieder zum Leben erweckten. Wer bis jetzt gedacht hatte, dass Fechten vor allem darin bestehen würde, die Klingen zu kreuzen, wurde enttäuscht. Nicht einfach draufhauen, das hätten die messerscharfen Schneiden nicht lange ausgehalten. Stattdessen gab es jede Menge Kniffe und Tricks, um den Gegner ohne großen körperlichen Einsatz abzustechen.
In der Schmiede. Foto: KW.
Eine Schmiede zeigte alte Formen der Eisenbearbeitung. Und, fällt Ihnen auf, was in diesem Bild nicht stimmt? Richtig, kein echter Schmied hätte seine Hemdsärmel nach außen aufgekrempelt. Zu leicht könnten dabei Funken hängenbleiben.
So sah im späten 15. Jahrhundert ein Geschütztyp aus. Foto: KW.
Haben Sie schon einmal von einer Hornessel gehört? Müssen Sie auch nicht, dies ist der Spitzname der Brettener Artillerie 1504 e. V. für ihre neueste Attraktion, eine Art Maschinengewehr aus dem 16. Jahrhundert. Sieben einzelne Detonationen kommen aus den stählernen Rohren. Der Lärm, der dabei entsteht, ist ohrenbetäubend. Er wird eigentlich nur von der dicken Franziska übertroffen, die aus ihrem etwa 400 Kilo wiegenden Rohr mit 320 Gramm Schwarzpulver ein Geschoß mit etwa 8,5 Zentimeter entlässt.
Die Dame, der Falkner und ein Merlin oder Zwergfalke. Foto: KW.
Ten in one, so nannte man ein modisches englisches Gericht, für das zehn Vögel ineinander gestopft wurden, um so einen nach dem anderen den überraschten Gästen zu präsentieren. Dafür mussten nicht nur Reiher und Schwäne, sondern auch kleine Singvögel wie die Lerche gefangen werden. Dafür brauchte man ganz kleine Falken, hier einen Merlin, den die Dame mit auf die Jagd bringt.
Der Zwergfalke nach Feierabend. Foto: KW.
Ich gebe zu, dass ich dieses kleine Tier ganz allerliebst fand – und von der Vorführung selbst, vor allem von den äußerst fachkundigen Kommentaren begeistert war. Die Hofreitschule Bückeburg gab mit mehreren Greifvögeln einen Einblick in die Kunst der Falknerei.
Wer mehr wissen möchte über das Turnier, die Ritter, die Pferde, der sollte die extra von der Stadt St. Wendel aufgeschaltete Website besuchen.
Eine Website mit vielen Fotos, Audiobeiträgen und einem kurzen Film finden Sie hier.
Und natürlich gibt es bei Youtube auch einen Film zum Thema.
Hier geht’s zur Website der Fürstlichen Hofreitschule Bückeburg.
Dort ist man nicht auf Mittelalter fixiert. Hier gibt es einen Film über das barocke Pferdekarussel, das die Hofreitschule in Sanssouci aufführte.