Warum kann man die Frage nach dem Geldwert nicht so einfach beantworten?
Jeder, der jemals einem totalen Laien eine alte Münze gezeigt hat, kennt die Frage: Und was konnte man dafür kaufen? Eine Frage, die so einfach gestellt, so schwierig zu beantworten ist. Das Problem liegt an der unterschiedlichen Rolle, die das Geld in der Vergangenheit spielte. Ist in unseren modernen Kulturen jede Dienstleistung, jede Ware eingepreist, hatte Geld in der Vergangenheit eine ganz andere Funktion, und zwar noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein.
Um 1850 zum Beispiel lebte noch ein entscheidender Teil der Bevölkerung auf dem Land und erzeugte selbst alles, was im Alltag gebraucht wurde. 5 Franken bedeuteten deshalb für den Alphirten im Emmental, der sich vielleicht im Jahr 1851 diese Summe zusammengespart hatte, etwas ganz anderes als für die Zürcher Lehrerin des Jahres 2023, und zwar ganz ohne über die Geldentwertung zu reden. Der Alphirte brauchte in seinem Alltag nichts, wofür er 5 Franken hätte ausgeben müssen, während die Lehrerin damit gerade einmal ihren morgendlichen Kaffee-To-Go bezahlen kann. Selbst wenn wir jetzt also wüssten, wie hoch die Kaffeepreise im Jahr 1851 waren, sagt das nichts über den Wert dieser 5 Franken aus, weil der Alphirte keinen Kaffee konsumierte. Dass es durch die Veränderung der Marktlage noch zu weiteren Verwerfungen kommt, dafür ist Kaffee ein gutes Beispiel. Während Löhne und Preise heute durchwegs höher sind als im Jahr 1851, war der Kaffee als selten getrunkenes Luxusgut damals wesentlich teurer.
Wie kann man die Frage nach dem Wert des Geldes beantworten?
Nun wissen wir alle, dass gerade Fragen, die eigentlich nicht zu beantworten sind, die Wissenschaft reizen, es dennoch zu tun. Dazu haben Wirtschaftshistoriker phantastische Methoden entwickelt, mit Hilfe der Statistik und fiktiver Warenkörbe aus den uns bekannten Preisen und Löhnen der Vergangenheit einfachste Websites zu konstruieren, auf denen man ohne irgendwelches Vorwissen mal schnell nachgucken kann, wie viel eine bestimmte Summe in einer historischen Währung nach heutiger Kaufkraft wert wäre.
Einfach genial, möchte man rufen! Endlich können wir diese Frage als erledigt betrachten! Wenn es doch nur so einfach wäre. Dass das nicht so ist, das führt der Volkswirtschaftler Klaus Josef Pertz in seiner Abhandlung „Ist das viel? – Über historische Wertvergleiche“ vor.
Balzac und Jane Austen
Pertz beschäftigt sich nicht mit der Numismatik, sondern mit Literatur. Er will also nicht wissen, was man mit 5 Guineas in einem bestimmten Jahr an einem bestimmten Ort kaufen konnte, sondern was die konkreten Angaben zu Vermögen, Einkünften und Aufwand bedeuten, mit denen Jane Austen oder Balzac ihre Protagonisten charakterisieren. Immerhin wird deren finanzielle Situation oft zu einem elementaren Bestandteil der Romanhandlung.
Uns lassen all diese Zahlen eher ratlos. Als Beispiel zitiert Pertz die 2.500 Pfund, die Joseph Conrad im Jahr 1909 kurz vor seinem Durchbruch seinem Verleger schuldete. War er damit hoffnungslos überschuldet? Oder hatte der Verleger lediglich eine relativ hohe Summe in einen vielversprechenden Autor investiert? Klaus Josef Pertz zeigt, dass man diese Frage eben nicht mit einem Umrechnungsportal beantworten kann.
Was erwartet uns in dem Buch von Klaus Josef Pertz?
Zunächst eines: Erwarten Sie keine leichte Lektüre, auch wenn der Autor es meisterhaft versteht, übersichtliche Sätze zu bilden und mit einfachen Worten zu formulieren, wenn er anschauliche Beispiele benutzt und selbst dem mathematikfeindlichen Nutzer die Grundlagen der Statistik näherbringt. Aber gerade das zeigt dem Leser, wie komplex die Materie ist, mit der er sich herumschlägt.
So führt der Autor erst einmal beispielhaft vor, was die 100 Dukaten bedeuten, mit denen sich Mignon in Goethes 1795/6 erschienenem „Wilhelm Meister“ von den Zirkusleuten loskaufen könnte. In einem zweiten Kapitel geht er auf die derzeit im Internet verfügbaren Websites ein, die vorgeben, auf Knopfdruck historische Werte in moderne Währung umzurechnen. Seine Zusammenfassung dazu ist ernüchternd. Noch das zuverlässigste Portal berechnete das heutige Äquivalent für 40 Pfund des Jahres 1810 mit Summen zwischen 2.700 und 178.000 Pfund, je nachdem, welchen Maßstab man zugrunde legt. Mit anderen Worten: Keines der im Internet verfügbaren Portale gibt eine halbwegs brauchbare Antwort auf die Frage „Ist das viel?“.
Und hier setzt der Autor an. Er beginnt mit einer Bewertung von Preisen, Löhnen und Vermögen zwischen 1800 und heute, vor allem aus Großbritannien, Frankreich, aber auch mit einem Exkurs über Deutschland. Es ist wunderbar zu lesen und erhellend. Es zeigt, dass gewaltiger Reichtum im 19. Jahrhundert etwas ganz anderes meinte als heute. Man stelle sich vor: Der sagenhafte Bankier Rothschild, um nur ein Beispiel zu nennen, käme mit seinem gewaltigen Vermögen inflationsbereinigt heute nicht einmal unter die Top 100 des Bloomberg Billionaires Index.
In den letzten beiden Kapiteln wendet der Autor seine Ergebnisse auf Werke von Jane Austen und Balzac an. Es ist einfach nur genial zu nennen, wie sich plötzlich völlig andere Interpretationshorizonte erschließen!
Ist das viel? Wer soll das Buch kaufen?
Mir hat dieses Buch einen völlig neuen Zugang zu der Frage eröffnet, was historische Zahlungsmittel wert waren. Für Menschen, die nach der einfachen Abkürzung einer Tabelle suchen, um die Frage nach der Kaufkraft ihrer Münzen zu beantworten, ist es ernüchternd. Für Leser allerdings, die sich der Komplexität dieser Frage bewusst sind, ist es eine anregende Ermutigung, selbst eine sinnvolle Antwort auf diese Frage zu suchen.
Sie können das Buch direkt auf der Website des Metropolis Verlags kaufen.