von Björn Schöpe
13. Dezember 2018 – Wer bei Verona zuerst an Romeo, Julia und Oper im Amphitheater denkt, ist vermutlich kein Numismatiker. Münzsammlern fällt als erstes die Veronafil ein, Italiens größte Börse für Numismatik und Philatelie.
Dieses Jahr beschließe ich, mir die Börse in ihrer 131. Ausgabe endlich einmal persönlich anzusehen, und natürlich auch Verona. Aber bekanntlich haben die Götter vor den Erfolg ja den Schweiß gesetzt – und das erfahre ich früher als gedacht.
Selbst in herbstlicher Atmosphäre offenbart Verona seinen ganz eigenen Charme. Hier der Blick auf den mächtigen Dom und den Ponte Pietra, der die Etsch überspannt. Foto: BS.
Zurück auf Start, bevor es losgeht?
Als ich mit 25 Minuten Verspätung am Bahnhof Porta Nuova aussteige, steht mir der Angstschweiß schon auf der Stirn. Ich habe eben bemerkt, dass meine Unterkunft eine Bezahlung mit Kreditkarte erwartet. Die habe ich aber daheim gelassen. Während ich noch überlege, ob die Bahnhofsmission oder eher die Polizei der richtige Ansprechpartner ist, komme ich schon wieder ins Schwitzen. Ich bin zwar bekannt dafür, organisiert und gut vorbereitet zu sein. Aber ohne Internetverbindung und Stadtkarte muss ich mir doch eingestehen, dass ich mein Gedächtnis gnadenlos überschätzt habe.
So romantisch Veronas Altstadt ist – mit schwerem Marschgepäck in der Dunkelheit, ohne Kreditkarte und Straßenplan verliert man schnell den Sinn dafür. Foto: BS.
Ich irre also bei Nieselregen mit Gepäck durch die Straßen auf der Suche nach meinem Bed&Breakfast und frage irgendwann an einem Imbissstand nach der Straße, die ich suche. Der Mann ist überfragt. Zehn Meter weiter belehrt mich eine öffentliche Touri-Karte, dass ich bereits in der gesuchten Straße stehe! Offenbar dachte der Geschäftsmann eher global als lokal … Und auch meine Unterkunft kann ich nach einer netten Konversation selbstverständlich bar bezahlen (danke, Cristiano!). Somit steht meinem Besuch der Veronafil nichts mehr im Weg.
Andere Veranstaltungen weisen nachdrücklicher auf sich hin. Die Veronafil hat das anscheinend nicht nötig. Foto: BS.
Münzen und mehr
Das Messegelände findet sich schnell. Dort allerdings ist die Veronafil eher versteckt. Große Werbehinweise suche ich vergeblich. Doch dann streben immer mehr Menschen Richtung Eingang „San Zeno“. Und schnell merke ich: Hier bin ich richtig.
Die Spannung steigt, Punkt 9 schiebt sich die Masse hinaus auf das Messegelände. Foto: BS.
Um 9 Uhr öffnen sich pünktlich die Pforten zum Messegelände. Es ist auch höchste Zeit, denn die Besucher haben schon in den Startlöchern gescharrt.
Erst über dem Eingang zum Veronafil-Gebäude haben Besucher Gewissheit: Veronafil 2018. Foto: BS.
Wir eilen gemeinsam über einen gigantischen Parkplatz hin zur Halle, in der das Reich der Münzen wartet.
Kaum betrete ich die Halle, zweifle ich schon wieder: Keine Münzen zu sehen. Foto: BS.
Nun geht es los – und ich denke erst, ich bin auf der falschen Börse. Von Münzen zunächst keine Spur. (Und einen Hallenplan oder Infostand konnte ich auch nirgends erspähen.)
Alkoholische Getränke, Reisen und Kinofilme – dafür warb man in den Fünfzigern besonders gerne. Foto: BS.
Dagegen jede Menge Filmplakate, historische Postkarten und Werbedrucke für Campari, Städtereisen oder die brandneue Vespa der Fünfziger.
Für die italienische Philatelie ist die Veronafil ebenso wichtig wie für die Numismatik. Foto: BS.
Zwar ist die Veronafil berühmt für ihr numismatisches Angebot, aber man darf sie keineswegs darauf reduzieren. Auch die Philatelie ist stark vertreten – bis hin zur Deutschen Post.
Wollen wir mal nicht werten, sammeln kann man alles. Was dem einen seine Dekadrachme, ist dem anderen sein, äh … Plastikbärchen. Foto: BS.
Postkarten, Militaria und alles andere
Italien hat ein etwas anderes Verhältnis zu seiner Geschichte als Deutschland. Mussolini-Devotionalien, historische Soldatenhelme und Propagandamaterialien aller Art dürfen einen Besucher hier nicht verwundern. Was einen eher überrascht, ist das breite Angebot von Dingen, die man in Deutschland eher auf einem Flohmarkt erwartet: Von Kinder-Überraschungs-Ei-Inhalten bis zu Telefonkarten – hier wird kein Sammelgebiet diskriminiert.
Endlich der rettende Hinweis auf die Numismatik: Settore Numismatica! Foto: BS.
Doch dann finde ich endlich zur Numismatik! Es ist trubelig, es wird gefachsimpelt, lockere Zurufe fliegen durch die Luft, man klopft sich auf die Schultern, tauscht sich aus, trifft Bekannte und verhandelt – oder macht schnell mal Pause und lädt sich auf einen kräftigen Espresso an der Bar ein. Nicht umsonst pflegt Italien die Tradition des kurzen Kaffees zwischendurch.
Ein breites Angebot, immer Zeit für einen Plausch. So präsentiert sich mir der „Settore Numismatica“ auf der Veronafil. Foto: BS.
Die zahlreichen Stände spiegeln Italiens Münzlandschaft wider: kleinteilig, vielfältig, traditionsbewusst.
Münzen, Literatur, neue Kataloge und Zubehör: Hier wird jeder fündig. Foto: BS.
Von der klassischen Numismatik bis hin zu modernen Prägungen findet sich alles, der Wühltisch mit Münzen zu 50 Cent das Stück steht neben der eleganten Auswahl mit exquisitem Material im vier- oder fünfstelligen Bereich.
Auch Künker hat den weiten Weg von Osnabrück bis an die Etsch nicht gescheut. Foto: BS.
Wer mit numismatischen Augen durch italienische Städte bummelt, merkt schnell: Hier gibt es jede Menge kleiner Münzhandlungen. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille, die andere ist: Es mischen nur wenige Händler mit, die international agieren. Dennoch ist der Markt wichtig genug, um auch Kollegen aus dem Ausland nach Verona zu locken.
In den Korridoren tummelten sich durchaus noch zahlreiche Sammler. Aber der Höhepunkt der Börse war am zweiten Tag bereits vorbei. Foto: BS.
Eins, zwei, drei, vier Eckstein: alles muss versteckt sein
Einen Insidertipp habe ich leider zu spät erhalten, gebe ihn aber gerne weiter: Am ersten Tag der Börse ist mit Abstand am meisten los. Am zweiten Tag, als ich ankam, wird es vormittags ruhiger, gegen Mittag wird abgebaut und am dritten Tag kommt keiner mehr. Gut dass es keinen vierten gibt. Die Aussteller werden von den Veranstaltern nicht nachdrücklich angehalten, von Anfang bis Ende Präsenz zu zeigen. Das erklärt, warum ich morgens schon Tische mit Stühlen darauf gesehen habe – so manch ein Händler kam ausschließlich am ersten Tag. Übrigens findet die Veronafil jedes Jahr zweimal statt, aber die Frühjahrsausgabe ist deutlich kleiner.
Massimo Bosi (links) mit seinen Kollegen vertritt die italienische Auktionsplattform Bidinside. Foto: BS.
Das hat für mich natürlich den Vorteil, dass es an den Ständen entspannt zugeht. Ich kann also problemlos mit Kollegen plauschen.
Roberto Ganganelli ist einer der profiliertesten Fachjournalisten für Numismatik in Italien und ein exzellenter Kenner der Szene. Foto: BS.
Roberto Ganganelli, der Herausgeber der „Cronaca Numismatica“, nimmt mich unter seine Fittiche, führt mich herum und stellt mich Bekannten vor. Einen Espresso gab’s natürlich auch. Danke, Roberto!
Eine junge Besucherin inszeniert sich gekonnt über den Köpfen der staunenden Menge als Julia. Foto: BS.
Romeo und Julia: Mythos und Marktmodell
Die verbliebene Zeit nutze ich, um mich in der historischen Altstadt Veronas umzusehen, statt über eine mittlerweile vermutlich verwaiste Börse zu irren. Natürlich steht auf dem Programm das berühmte Haus der Capuleti mit dem Balkon, auf dem Julia einst ihrem dahinschmachtenden Liebsten gelauscht haben soll. Seien wir nicht pingelig mit dem Balkon, einer Zutat von 1935. Im Haus lebte eine Familie Cappelletti (erst Shakespeare macht daraus die Capuleti) und zimperlich war man damals wahrlich nicht bei den Familienfehden. Damals wird es aber kaum schlimmer gewesen sein als bei dem heutigen Gedränge im Torbogen. Schließlich will jeder Tourist einmal unter Julias Balkon stehen. Und das Marketing-Konzept geht auf. An allen Ecken und Enden begegnet man dem Liebespaar: in Form von Gebäckspezialitäten, T-Shirt-Aufdrucken oder als Name von Restaurants. Doch die Stadt ist reich an anderen Monumenten, vom Dom bis zum Castel Vecchio, von der Porta Borsari zur Piazza Bra mit dem römischen Amphitheater, dem viertgrößten Italiens.
Und so sehen die Besucher der Arena das Innere nie: Hier am Modell kann man verstehen, wie das Amphitheater in römischer Zeit aussah. Foto: BS.
Geheimtipp für Kulturinteressierte
Mein Tipp: Sparen Sie sich die zehn Euro Eintritt ins Amphitheater. Vor lauter Bühnen- und Tribünenaufbauten kann man ohnehin nicht viel erkennen. Im archäologischen Museum (Eintritt 4,50 Euro) haben Sie eine wunderbares Modell der „Arena“, wie das Amphitheater in Verona nur genannt wird, und können außerdem Fragmenten römischer Bronzeskulpturen bewundern – in atemberaubender Qualität und erstaunlicher Anzahl. Numismatiker müssen sich mit zwei Aurei begnügen. Mein Highlight unter den Unikaten und Kuriositäten: die Reste eines Fächers aus Schildpatt (darauf war natürlich eine spiegelnde Bronzeplatte angebracht)! Museumskatalog gibt es übrigens leider keinen, Sie müssen also schon selbst in die Stadt an die Etsch fahren, wenn Sie das sehen wollen. Aber es lohnt sich! Und statt in die Arena zu gehen, investieren Sie das gesparte Geld nach dem Museumsbesuch in einen guten Cappuccino und ein Cornetto in Veronas Laubengängen.
Dies ist die offizielle Seite der Veronafil.
Wer einen Besuch Veronas plant, kann sich auf der Seite der Stadt informieren.
Ebenso ist das Archäologische Museum zu empfehlen.
In diesem Youtube-Film hören Sie, wie es klingt, wenn in der „Arena“ der Triumphmarsch aus Verdis Aida geschmettert wird.
Und wenn Sie bis hierher gelesen haben, bekommen Sie noch meinen Geheimtipp für leckeres Essen in gemütlichem Ambiente: Al Bracere am Rande der Altstadt. (Am Wochenende wird es aber sehr voll, allerdings nicht mit Touristen, was für die Qualität des Angebots spricht!) Allemal besser und günstiger als in den überteuerten Restaurants rund ums Amphiteather oder das Haus der Julia.