von Ursula Kampmann
13. September 2018 – Die Abkürzung DAMIN steht für Dépréciation de l’Argent Monétaire et Relations International, ins Deutsche übersetzt also für „die Abwertung der Silberwährungen und die internationalen Verbindungen“. Hinter dem Titel steht ein Phänomen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wegen reichlicher Silberfunde und dramatisch sinkender Nachfrage fiel der Silberpreis in dieser Epoche ins Bodenlose. Das hatte eine entscheidende Auswirkung auf all die Staaten, die nicht wie zum Beispiel das deutsche Reich ihre Währung auf den Goldstandard umstellten. Länder wie Indien und China mussten wegen ihrer Silberwährungen auf einmal wesentlich höhere Preise für Importwaren zahlen und fielen als Abnehmer der industriellen Produkte des Westens mehr oder weniger aus. Es ist wahrscheinlich, dass der starke Druck auf die exportorientierten Industrien des Westens ein entscheidender Auslöser war für eine ständig wachsende Konkurrenz zwischen Deutschland, Großbritannien und Frankreich.
Die Teilnehmer des DAMIN-Kongresses. Foto: UK.
Im Rahmen des DAMIN Projekts werden unter anderem die offiziellen Akten über finanzpolitischen Entscheidungen möglichst vieler Länder editiert, um die tatsächlichen, weltweiten Auswirkungen besser abschätzen zu können. Und es finden regelmäßig Kongresse statt. Diese beschäftigen sich nicht nur mit dem 19. Jahrhundert. Sie thematisieren zeit- und nationenübergreifend das Thema Bergbau, Edelmetallhandel und Münzprägung. Die Idee dahinter ist, dass dieser Ansatz die Möglichkeit bietet, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen und so vielleicht auf andere Ideen zu kommen. Es gehört mit zum Konzept, dass auch die Teilnehmer diese Internationalität spiegeln. 12 Redner aus 10 Nationen trafen sich und stellten ihre jüngste Forschung vor.
Ivar Leimus (l.), Organisator des Kongresses, und Georges Depeyrot (r.), Initiator und Leiter von DAMIN. Foto: UK.
2018 läuft die Förderung von DAMIN aus. So war der Kongress in Tallinn vom 5. bis zum 7. September 2018 der letzte unter diesem Label. Ivar Leimus vom Historischen Museum Estlands hatte ihn vorbildlich organisiert, so dass die Teilnehmer in entspannter Atmosphäre diskutieren und voneinander lernen konnten. Wir fassen an dieser Stelle die behandelten Themen zusammen:
Christophe Flament (l.) spricht in der Festhalle des Hauses der großen Gilde. Die Sitzung präsidiert Jürgen Nautz (r.). Foto: UK.
Es begann sozusagen mit einem wissenschaftlichen Paukenschlag. Christophe Flament postulierte sehr überzeugend, dass die Münzstätte Athen nicht in erster Linie im Auftrag des Staates prägte, sondern private Investoren, hauptsächlich die Pächter der Minen des Laurion, ihr Rohsilber in die Münzstätte brachten und dafür zahlten, es in Münzen auszuprägen. Diese Münzen benutzten sie, um ihre beeindruckend hohen Kosten zu begleichen.
Die Menge des Ausstoßes sei deshalb nicht parallel zu kriegerischen Unternehmungen zu sehen, sondern stehe in einem Zusammenhang mit den jährlichen Erträgen der Silberminen.
Teil des Besichtigungsprogramms war der Besuch der erst 2017 ausgegrabenen Kogge. Foto: UK.
Über die römischen Münzfunde in der Ukraine und in Moldawien, die eine völlig andere Struktur zeigen als die Horte des römischen Reichs, nicht Umlaufgeld, sondern Statussymbol einiger Anführer waren, ging es weiter ins frühe Mittelalter. Ivar Leimus beschäftigte sich mit der Herkunft der Münzen des Balticum und zeigte, wie sich in 300 Jahren die Quellen veränderten. Erst kam das Geld aus dem Harz, dann aus Britannien und im 13. Jahrhundert aus Sachsen. Ivar Leimus stellte dazu die provokante Frage, ob die Silbermünzen nicht auch die Christianisierung des Balticums finanzierten.
Roman Zaoral gibt einen Überblick zur Münzgeschichte Böhmens. Foto: UK.
Zwei Vorträge beschäftigten sich mit der monetären Situation in Böhmen. Roman Zaoral von der Prager Karlsuniversität verfolgte die Münzgeschichte Böhmens, des wichtigsten Silberproduzenten Europas, vom Hoch- zum Spätmittelalter. Sein umfassender Vortrag verdeutlichte, von welch entscheidender wirtschaftlicher Bedeutung Böhmen in dieser Epoche war. Pawel Milejski beschäftigte sich mit den Prager Groschen aus polnischen und litauischen Hortfunden. Er verfolgte die Abnahme der Stücke in Feingehalt und Gewicht unter der Herrschaft von Wenzel IV. (1378-1419).
Übernachtet wurde in dem Birgitten-Kloster in Pirita, etwas außerhalb von Tallinn. Foto: UK.
Von Europa in die Neue Welt, vom Spätmittelalter an den Beginn der frühen Neuzeit führte der Vortrag von Claudia Jefferies. Sie untersuchte Briefe, die sich auf die wirtschaftlichen Probleme der Bergwerksbesitzer von Zacatecas beziehen, die in den Jahren zwischen 1550 und 1620 große Gewinneinbußen hinnehmen mussten. Sie versuchten vergeblich, einen Teil ihrer Verluste auf die Händler abzuwälzen, die ihr Rohsilber gegen das Geld eintauschten, das sie brauchten, um die laufenden Kosten ihrer Bergwerke zu begleichen.
Viktors Dabolins (l.) spricht über Riga. Ivar Leimus (r.) präsidiert die Sitzung. Foto: UK.
Zurück nach Europa, direkt ins Jahr 1621 ging es mit dem Vortrag von Viktors Dabolins. In diesem Jahr eroberte das schwedische Heer unter Gustav Adolph die Stadt Riga. Der König versuchte zunächst, die städtische Münzstätte in das schwedische Geldwesen zu integrieren, ein Versuch, der scheiterte. Die Geschehnisse dieses Jahres sind durch verschiedene archivalische Quellen ausgezeichnet dokumentiert. Das Beispiel Riga könnte für die gesamte Münzprägung des deutschen Reiches wichtig gewesen sein, denn vielleicht überzeugte das Geschehen in der wichtigen Handelsstadt Gustav Adolph, seine Politik zu ändern und das einheimische Geldsystem intakt zu belassen, um die Wirtschaft nicht noch zusätzlich zu belasten.
Ein Besuch der Klosterruinen von Pirita. Von l. nach r.: Roman Zaoral, Claudia Jefferies und Claudio Marsilio. Foto: UK.
Claudio Marsilio gab einen aufregenden Einblick in die Welt der italienischen Banker der angehenden Neuzeit, die sich seit dem Ende des 16. Jahrhunderts mehrmals im Jahr in Piacenza, Novi, Verona bzw. Bozen trafen, um Kreditbriefe aus aller Welt zu kaufen und zu verkaufen. Die „Währung“ in diesem internationalen Handel war virtuell. Sie nannte sich „scudo di marco“. Sie war die Grundlage einer Art „Fixing“ der Preise für Kreditbriefe, die am dritten Tag der Börsen festgelegt wurde. Listen dieser Preise kursierten unter Bankiers in ganz Europa und bildeten als eine Art Vorläufer der Financial Times mit ihren Kursen die Basis dafür, wie vor Ort Kreditbriefe gehandelt wurden.
Jürgen Nautz und Karin Schneider beschäftigten sich mit der Finanzierung der Kriegsschulden Frankreichs, die es nach den Napoleonischen Kriegen zu begleichen hatte. Innert drei Jahren, zwischen 1815 und 1818, wurden sie vollständig abgetragen, vor allem um so die englische Besatzung zu beenden, deren laufende Kosten von Frankreich getragen werden musste. Trotz der schweren Ernteeinbrüche nach dem Jahr ohne Sommer boomte der Geldmarkt. Der französischen Regierung war es mit sehr modern anmutenden Maßnahmen gelungen, Bankhäuser zu mobilisieren und die Investoren Europas von der Stabilität französischer Staatsanleihen zu überzeugen.
Simon Bytheway von der Nihon University in Tokyo steuerte einen Blick auf Japan bei. Er fragte, wo und wie Japan das Gold erhalten hatte, mit dem es seine Modernisierung oder, eindeutiger gesagt, seine „Verwestlichung“ finanzierte. Dank seines boomenden Handels mit Tee und Seide gelang es, genügend Gold zu erwirtschaften, um Waffen, Kriegsschiffe, Eisenbahnen und anderes mehr zu bezahlen. Der größte Teil des Goldes kam dabei nicht, wie eigentlich zu erwarten, aus Großbritannien, sondern aus den Vereinigten Staaten von Amerika.
Demnächst lesen Sie einen Beitrag über die numismatischen Schätze, die Tallinn zu bieten hat. Ivar Leimus gab uns einen kleinen Einblick in die Sammlung. Foto: UK.
Ursula Kampmann beschloss das Treffen mit einem Blick auf die Gegenwart. Anhand der Gedenkmünzenprägung des Jahres 2011 stellte sie die Frage, ob die Organisationsstruktur von Münzstätten einen Einfluss hat auf das Aussehen der Münzen. So einen Einfluss gibt es, aber er ist nicht entscheidend. Sobald eine Münze als Profitcenter agiert, wird sie sich hauptsächlich am Markt orientieren. Das Aussehen der Münzen wird dann aber zusätzlich bestimmt von der Art und dem Ausmaß der Kontrolle, die eine staatliche Stelle über die Prägung und ihre Münzbilder ausübt.
Wie immer war die Diskussion nach den einzelnen Vorträgen äußerst rege und fand in einer außergewöhnlich freundschaftlichen Art statt. Das hervorragend zusammengestellte Rahmenprogramm bot nicht nur einen tiefen Einblick in all das, was es in Tallinn zu sehen gibt, sondern ermöglichte auch, viele Themen der Konferenz im kleinen Kreis vertieft weiter zu diskutieren.
Alle Teilnehmer bedauerten, dass dies das letzte Treffen von DAMIN ist. Wobei es durchaus möglich erscheint, dass es ein Nachfolgeprojekt geben könnte. Die persönlichen Freundschaften, die über die Jahre gewachsen sind, werden das Ende des Projekts auf jeden Fall überleben.
Denn Kongresse sind eigentlich nur die Spitze eines Eisbergs, ein kurzer, wunderschöner Höhepunkt, bei dem die zahlreichen Verbindungen zwischen den Wissenschaftlern aufgefrischt werden. Die Numismatik lebt genauso wie die Wirtschaftsgeschichte davon, dass diese Beziehungen bestehen, denn das große Bild kann nicht ein einzelner malen, sondern viele müssen ihre kleinen Puzzleteile zusammenbringen, um gemeinsam das Panorama der Entwicklung unseres Geldes zu rekonstruieren. Und nur wenn wir von den Puzzleteilen der anderen wissen, können wir unsere eigenen Forschungen so darauf abstimmen, dass sie nahtlos passen.
Der Tagungsband mit den zugehörigen Artikeln wird im Dezember 2018 erscheinen. Er geht am Montag, dem 10. September 2018, vier Tage nach Ende der Konferenz, in Druck.
Wir haben das DAMIN Projekt bereits ausführlich vorgestellt.
Hier kommen Sie zur Webseite von DAMIN.
Die Inhaltsangaben aller Vorträge finden Sie auf der Website von DAMIN.
Wenn Sie an früheren DAMIN Kongressen interessiert sind: 2015 lag in Kopenhagen der Schwerpunkt auf den Münzstätten, und 2017 in Kalifornien auf dem Bergbau.
Übrigens, in einer der nächsten Ausgaben der MünzenWoche berichten wir über die numismatische Seite von Talinn.