Warschau: Numismatisches Zentrum im Herzen von Europa – Teil 2

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von Ursula Kampmann

14. Juni 2018 – Polen wurde dreimal geteilt, bis es das Land nicht mehr gab. Das haben wir schon in der Schule gelernt. Aber was das praktisch für die museale Identität der neu begründeten Nation bedeutete, darüber dürften die wenigsten nachgedacht haben. Denn natürlich wurden die bei den Teilungen die leicht beweglichen, kostbaren und damals äußerst begehrten Münzen und Medaillen der Sammlung des polnischen Königs Stanislaus Augustus mitgenommen…

Fassade des gewaltigen Nationalmuseums in Warschau im Jahr 1938. Foto: Encyklopedia Powszechna PWN 1959.

Das Polnische Nationalmuseum

Auch wenn man das als reiner Besucher kaum mitbekommt, verfügt das Polnische Nationalmuseum – Muzeum Narodowe w Warszawie – über die größte numismatische Sammlung Polens. Aber das ist nur ein kleiner Teil des Nationalmuseums. An dieser Stelle ein paar Zahlen: Das Museum wurde 1862 gegründet und erhielt 1916 seinen Status als polnisches Nationalmuseum. Es verfügt über umfangreiche Sammlungen, so besitzt es – und das ohne die numismatische Sammlung mitzuzählen – über 780.000 Kunstobjekte, … 

Blick in die Faras Gallerie mit nubischer und frühchristlicher Kunst. Foto: UK.

darunter die größte europäische Sammlung von nubischer Kunst und die größte Sammlung chinesischer Kunst in Polen. (Wobei auch ein interessanter Bestand chinesischer Zahlungsmittel in der Münzsammlung liegt…)

Schmerzensmann von 1502. Foto: UK.

Für mich war die Galerie mit religiöser Kunst des Mittelalters tief beeindruckend. Die dort ausgestellten Kunstwerke sind absolute Highlights. Der Besucher wird es zu schätzen wissen, dass er nicht mit Mittelmäßigem erschlagen wird, sondern jedes ausgestellte Objekt ein Meisterwerk ist.

Henryk Siemiradzki (1843-1902), Die christliche Dirke. Foto: UK.

Wer den Historismus liebt, darf auf keinen Fall das Nationalmuseum versäumen! Sie finden großartige Bilder! Und wenn Ihnen dieses Motiv irgendwie bekannt vorkommt, sollte ich Sie vielleicht daran erinnern, dass der Autor von „Quo Vadis“, Henryk Sienkiewicz, ein Pole war.

Geradezu eine Ikone des polnischen Historismus ist das Gemälde der Schlacht von Tannenberg (Grunwald) von Jan Matejko aus dem Jahr 1878. Foto: UK.

Geradezu ikonisch ist das Gemälde von Jan Matejko, das die Schlacht von Tannenberg (Grunwald) darstellt. Es entstand in Krakau, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte und 1878 eine relativ liberale Politik verfolgte. Das Gemälde – und die darin gespiegelte Sicht auf die Geschichte – wurde begeistert aufgenommen. Der Krakauer Stadtrat ehrte Matejko als König der Maler.
Darf man bei der Gelegenheit erwähnen, dass sich der spätere Nobelpreisträger Sienkiewicz von diesem Gemälde zu seinem sehr lesenswerten Roman über die Deutschordensritter inspirieren ließ? Lesenswert nicht im Sinne von literarisch wertvoll, sondern als historische Quelle unter dem Aspekt, wie Geschichte benutzt werden kann, um politische Botschaften zu transportieren.
Und damit wären wir bei der Tatsache, dass dieses Gemälde unter großer persönlicher Gefahr vor der deutschen Wehrmacht versteckt wurde, und Lech Kaczynski vor eben diesem Gemälde seine Kandidatur zum polnischen Staatspräsidenten ankündigte. Dieses Bild ist eben mehr als nur ein Bild. Es ist ein wichtiger Teil polnischer Identität.

Andrzej Romanowski vor einem seiner vielen großen Tresore. Foto: UK.

Aber genug der kulturhistorischen Umwege. Uns interessiert natürlich in erster Linie die Münzsammlung. Und auch die hat es in sich, wie mir Andrzej Romanowski in einer gut zweistündigen Führung zeigte. Und dafür mussten wir uns auf die absoluten Highlights beschränken.

Boleslaw I., genannt der Tapfere, seit 1025 erster König von Polen. Denar. – Das Münzbild inspirierte das Logo des Internationalen Numismatischen Kongresses. Foto: Nationalmuseum Warschau.

Die größte numismatische Sammlung Polens

Erst einmal ein paar Zahlen: Im Nationalmuseum liegt die größte numismatische Sammlung Polens mit rund einer Viertel Million Objekten. Das Spektrum reicht von der Antike bis zur Gegenwart, von der Münze bis zur Banknote, wobei natürlich die Sammlung der polnischen Münzen mit 58.000 Inventarnummern die umfangreichste ist.
Und dabei geht, wie bereits erwähnt die Sammlung nicht einmal auf eine königliche Sammlung zurück. Mit der ersten Teilung Polens im Jahr 1772 wurde der gesamte Bestand nach Kiew verbracht. Warum Kiew? Nun Kiew war einmal Teil des Königreiches Polen-Litauen und gehörte erst seit 1667 zu Russland. Heute liegt Kiew in der Ukraine, so dass die Sammlung im Nationalmuseum für die Geschichte der Ukraine zu sehen ist.
Der Vertrag von Riga, mit dem der Polnisch-Sowjetischen Krieg (1919-1921) endete, beinhaltete eine Klausel, dass als Wiedergutmachung vor allem der Plünderung der Münzsammlung der Universität von Warschau eine Auswahl von numismatischen Objekten aus sowjetrussischem Besitz der nationalen Münzsammlung von Polen übergeben werden sollte. Das Versprechen wurde eingehalten, und diese Münzen bildeten den Grundstock der neuen Münzsammlung. 

Die Sammlung des Grafen Sobanksi wurde von Gumowski, einem der großen Kenner der polnischen Numismatik, katalogisiert. Auf diesen Katalog kann Andrzej Romanowski heute noch zurückgreifen. Foto: UK.

Die Sammlung Sobanski

Im gleichen Jahr erhielt das Museum die Sammlung des Grafen Kazimierz Sobanski, dessen Kollektion schon zu seinen Lebzeiten als eine der kostbarsten von ganz Polen galt. Sie soll fast 11.000 polnische Münzen und Medaillen umfasst haben, die den Zeitraum zwischen König Sigismund dem Alten bis 1867 abdeckten. Graf Sobanski vermachte seine Sammlung kurz vor seinem Tod der Stadt Warschau zusammen mit einer Leibrente, mit der ein Kurator finanziert werden konnte. Aus verwaltungstechnischen Gründen kam die Sammlung jedoch erst nach dem Friedensschluss mit der Sowjetunion ins Nationalmuseum.

Jede Münze hat einen eigenen Eintrag. Foto: UK.

Heute liegen „nur“ noch 8.882 Stück der Sammlung in Warschau. Graf Sobanski besaß zahlreiche Goldmünzen, die während der deutschen Besatzung zum Teil geplündert und eingeschmolzen wurden.

Blick in die Arbeitsräume des Münzkabinetts. Foto: UK.

Die Sammlung des Nationalmuseums wuchs danach rasch. 1922 wurde die Sammlung frühmittelalterlicher Münzen des Baron Józef Weyssenhoff angekauft. Außerdem kamen alle wichtigen Hortfunde des Landes ins Museum.

Der Raum mit den Safes. Foto: UK.

Die deutsche Besatzung brachte den großen Einschnitt. Plünderungen kosteten das Museum mehr als 50 % seiner Bestände. Und so wurde wieder aufgebaut. Die Sammlung der zerstörten staatlichen Münzstätte wurde ins Nationalmuseum überführt. Dazu einige private Sammlungen, die von der neuen kommunistischen Regierung beschlagnahmt wurden. Als Beispiel sei hier die Sammlung der Familie Potocki genannt, die seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammengetragen worden war.

Magnentius. Solidus, Aquileia. Foto: Nationalmuseum Warschau.

Natürlich liegen nicht nur polnische Münzen im Nationalmuseum. Die Antike zum Beispiel ist mit über 40.000 Stücken vertreten. Hier stiftete Wladyslaw Semerau-Siemianowski 1921 den Grundstock mit seinem Vermächtnis von fast 30.000 Münzen. 

China. Provinz Fengtian. Dollar, 1903. Foto: Nationalmuseum Warschau.

Um die 50.000 Münzen und Medaillen aus Europa, ca. 4.000 chinesische Zahlungsmittel, rund 19.000 Banknoten, über 17.000 Siegel und deren Abdrücke und natürlich eine umfangreiche Sammlung von Orden und Auszeichnungen, die Bestände sind wirklich beeindruckend.

Umso trauriger ist es, dass derzeit keine feste Ausstellung von numismatischen Objekten im allgemein zugänglichen Teil des Nationalmuseums existiert. Die Münzgalerie, die 2012 eingerichtet wurde, hat man leider wieder geschlossen. Umso erfreulicher ist es, dass Alek Bursche uns mitteilt, dass diese Galerie eigens für den Internationalen Numismatischen Kongress geöffnet sein wird. Die Verträge dazu wurden gerade unterzeichnet.

Canaletto, Ansicht von Warschau mit Blick auf das königliche Schloss.

Das Warschauer Königsschloss

Zu Fuß nur eine halbe Stunde entfernt liegt der Warschauer Schlossplatz. Der Weg von Münzsammlung zu Münzsammlung ist wunderschön und bietet genügend hübsche Cafés und interessante Läden, wo man sich zwischenzeitlich entspannen kann.
Der Schlossplatz selbst ist der Eingang zur Altstadt. Er hat seinen Namen – o Überraschung – vom Warschauer Königschloss. 

Das königliche Schloss bei königlichem Wetter. Foto: sfu, cc-by3.0.

Das allerdings wurde am 4. September 1944 von den deutschen Soldaten vollständig niedergerissen. Heute steht das Königsschloss wieder.

Ein Blick in die numismatische Ausstellung, die nur auf Voranmeldung offen ist. Foto: UK.

Die numismatische Ausstellung

Und in diesem Königsschloss gibt es eine numismatische Ausstellung, die auf Voranmeldung auch besichtigt werden kann. 

Michal Zawadzki und Grzegorz Sniezko in der Dauerausstellung des Warschauer Schlosses. Foto: UK.

Ich hatte mich bei Michal Zawadzki angemeldet und wurde in der prachtvollen Galerie von ihm und seinem Kollegen Grzegorz Sniezko empfangen.

Die Ausstellung ist geteilt: Auf der einen Seite die Münzen, auf der anderen Medaillen, Banknoten und Orden. Foto: UK.

Beim Betrachten der Vitrinen merkt man nicht, dass die Sammlung des Königsschlosses erst 1981 gegründet wurde. Sie enthält mehr als 15.000 polnische Münzen, Banknoten und Abzeichen, die geschenkt oder mit gesponserten Mitteln auf dem freien Münzmarkt gekauft wurden. In den 80er Jahren waren die Vertreter der Schloss-Sammlung bekannte und beliebte Gäste der wichtigen europäischen Auktionen, und manches Stück stammt aus den großen Sammlungen, die damals verkauft wurden.

Bereits 1982 schenkten die Nachfahren des in Großbritannien lebenden polnischen Generals Jerzego Wesierskiego dessen Sammlung von 3.234 Münzen und Medaillen dem Schlossmuseum. Andere Sammlungen kamen hinzu und 1985 eröffnete die Dauerausstellung von Münzen und Medaillen aus Polen, die anhand spektakulärer Objekte die Geldgeschichte des Landes erzählt.

Porträt von Andrzej Chiechanowiecki.

Ein Wohltäter des Königsschlosses: Andrzej Ciechanowiecki

Besonders bemerkenswert ist die Sammlung des polnisch-britischen Kunsthistorikers Andrzej Ciechanowiecki, die heute als Dauerleihgabe im Kabinett zu besichtigen ist. Versäumen Sie es nicht, seine Biographie bei Wikipedia zu lesen. Sie schildert einen hochintelligenten, mutigen Mann, der Teil des polnischen Widerstands war, dem jungen Nachkriegspolen als Botschafter diente, was ihm die Kommunisten mit einer längeren Gefängnisstrafe vergalten. Er promovierte mit einer Dissertation in deutscher Sprache an der Universität Tübingen, während er selbst an der Tübinger Uni polnische Sprache und polnische Kultur lehrte. Er war Stipendiat der portugiesischen Gulbenkian Stiftung und entschied sich im London der 60er Jahre für eine Karriere als Kunsthändler.
Wie Kunsthändler halt so sind, nutzte er sein sehr respektables Einkommen, um die damals günstig zu kaufenden polnischen Antiquitäten zu sammeln. Er hoffte, sie irgendwann Polen zurückerstatten zu können. Als der Neubau des Warschauer Schlosses geplant wurde, gründete er seine Stiftung, die rund 3.000 Objekte zur Ausstattung des Königsschlosses zur Verfügung stellte. Darunter eben auch Münzen und Medaillen.

Die Publikation der Sammlung André van Bastelaer.

Und die Erwerbungspolitik geht weiter. 2016 erschien der Katalog der Sammlung André van Bastelaer, die jüngst dem Warschauer Königsschloss geschenkt wurde. Sie enthält 583 Münzen und Medaillen, bei denen der Schwerpunkt auf der römischen und byzantinischen Antike liegt sowie auf belgischen Prägungen liegt.
Viele davon sind aus Gold und eine Menge unik! Es ist geplant, dass die wichtigsten Stücke während des Internationalen Numismatischen Kongresses ausgestellt sein werden und ein englischer Katalog dazu gedruckt wird.

Ein für die Sammlung angefertigter Schrank mit den im 18. und 19. Jahrhundert so begehrten Abdrucksammlungen von Gemmen. Foto: UK.

Der zugehörige Schreibtisch, rechts eine antike Vase. Foto: UK.

Ein paar numismatische Seitenblicke beim Rundgang durchs Königsschloss

Neben dem Münzkabinett sollte man auf keinen Fall vergessen, die Räume des Schlosses zu besichtigen. Das lohnt sich auf jeden Fall, auch vom numismatischen Standpunkt. So ist das Zimmer, in dem Stanislaw Augustus seine Münzsammlung aufbewahrte, Teil des Rundgangs. 

Ein Becher mit Porträtmünzen der polnischen Könige. Foto: UK.

Und im Silbersaal sind einige prachtvolle Münzgefäße zu sehen.

Eine barocke Schale mit Gemmen. Foto: UK.

Wer Gemmen mag, wird sich überlegen, was er von dieser barocken Garnitur halten soll, die teils mit antiken und teils mit später geschnittenen Steinen geschmückt ist.

Polnische Geschichte zum Anfassen: Der Saal mit den Porträts der polnischen Könige. Foto: UK.

Ich mochte das gigantische Museum, in dem man sich die Füße wundlaufen kann, sehr, vor allem weil es so in den Händen der Jugend ist.

Eine Einblick ins alte Warschau: Canalettos Gemälde prägen nicht nur unsere Vorstellung von Warschau, sondern auch die reale Stadt, da die Bilder teilweise als Vorlage gedient haben. Foto: UK.

Einen Höhepunkt darf natürlich kein Besucher verpassen, den Raum, in dem Canalettos 22 Ansichten von Warschau ausgestellt sind. Weil die Deutschen sie aus dem Schloss geklaut haben, sind sie glücklicherweise erhalten geblieben. Und man konnte nach dem Zweiten Weltkrieg anhand ihrer detaillierten Darstellungen Teile der Altstadt rekonstruieren.

In der nächsten und letzten Folge stellen wir Ihnen die Polnische Numismatische Gesellschaft vor und machen einen Abstecher ins Polin-Museum, ins Museum der Geschichte der Polnischen Juden.

Zum 1. Teil unseres Berichts über Warschau kommen Sie hier.

Die Seite des polnischen Nationalmuseums finden Sie hier.

Wer Polnisch lesen kann (oder weiß, wie man Google Translate benutzt), finde hier ausführliche Informationen über die numismatische Sammlung mit tollen Bildern.

Hier finden Sie ein paar Highlights der polnischen Münzprägung.

Und hier ein Einblick in die antiken Münzen.

Wenn Sie Sphragistik lieben, hier ist der Link.

Wenn Sie sich für die Highlights des Nationalmuseums interessieren, hier ein Youtube Podcast von Radio Poland.

Was die Schlacht von Tannenberg in Polen bedeutet, darüber schreibt Artur Becker im Tagesspiegel einen lesenswerten Artikel.

Wie Hollywood die „christliche Dirke“ umgesetzt hat, sehen Sie sogar im Trailer von Quo vadis.

Das ist die englische Seite des königlichen Schlosses. 

Die dort genannte Sammlung Lanckoronski stammt übrigens nicht von dem in der Schweiz relativ bekannten Numismatiker namens Leo Lanckoronski, sondern von seinem wesentlich bekannteren Vater Karl.

Hier gibt es in polnischer Sprache Informationen über die Münzsammlung im Warschauer Königsschloss…

… und über den Sammler Kazimierz Sobanski.

Den Katalog der Sammlung André van Bastelaera können Sie für 99,00 Zloty plus Porto hier bestellen. Wer warten kann, 2021 soll der Katalog in englischer Sprache vorliegen!

Einen hübschen Film über Canaletto präsentiert die Alte Pinakothek in München.

Die Zeit bietet einen Artikel vom 2. Juli 1971, in dem über den Beschluss berichtet wird, das Warschauer Königsschloss neu aufzubauen.

Auch heute noch wird jeder Staatsbesuch im Warschauer Königsschloss empfangen, erst 2017 war dies Donald Trump.

Wesentlich weniger Menschen haben sich dieses beeindruckende Filmfragment über den Brand des Königsschlosses angesehen.

Und hier ein Podcast zum Wiederaufbau.