Weltmacht Portugal Teil 9: Batalha, Tomar und Fatima

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Batalha heißt Schlacht. Oder ins Englische übersetzt, Battle. So einen aussagefähigen Namen erhält ein Ort nur dann wenn nicht eine, sondern „die“ Schlacht sich an jenem Ort zutrug. Für England ist es die Schlacht von Hastings, für Batalha die hierzulande wesentlich weniger bekannte Schlacht von Aljubarrota. Sie ist für die Portugiesen allerdings mindestens genauso wichtig wie für die Briten die Schlacht von Hastings.

 

Dienstag, 14. April 2015 – Batalha, Tomar und Fatima

Um halb neun fuhren wir los, denn für heute hatten wir ein wirklich volles Programm: Batalha, Tomar und Fatima, zwei Weltkulturerbe-Stätten und einer der berühmtesten Pilgerorte der Welt, fast ein bisschen zu viel für die paar Stunden.

Zuerst ging es über die Autobahn. Ich orientierte mich – dummerweise – an meiner Karte und nicht an den Wegweisern, so dass wir eine Ausfahrt nahmen, die zwar geographisch Batalha näher lag, aber über winzige Nester mehr oder minder wegweiserfrei zu unserem Ziel führte. Zwischendurch war ich der Überzeugung, wir hätten uns völlig verfahren, bis plötzlich die gigantische Kathedrale auftauchte. Sie überragte alles!

Batalha ist der Ort, an dem die Portugiesen „die“ Schlacht geschlagen haben, die Schlacht von Aljubarrota, die Schlacht, die Basis ihres Nationalgefühls ist, die Schlacht, die sie von Spanien trennte.

Im Oktober 1383 starb König Fernando I. von Portugal. Er hinterließ keinen Sohn, sondern eine Tochter, die ihr Vater ausgerechnet mit Juan I. von Kastilien verheiratet hatte. Damit wäre nach mittelalterlichem Rechtsverständnis die Krone an deren gemeinsamen Nachkommen gefallen.

Den Portugiesen passte das gar nicht. Sie wollten nicht von Kastilien geschluckt werden. Und da gab es ja einen Kronprätendenten, auf den man sich einigen konnte: Joao, Großmeister des Ritterorden von Avis, und dazu unehelicher Sohn von Pedro I., dem Vater des verstorbenen Fernando.

Der fand bald die Unterstützung Lissabons und vieler Adliger. Zusammen mit seinem Feldherrn, einem begnadeten Strategen namens Nuno Alvares Pereira, der englische Abwehrtaktik nutzte, um die Kastilier mehrfach zurückzuschlagen, gelang es ihm, sich einige Jahre zu behaupten, die als Interregnum in die portugiesische Geschichte eingegangen sind.

Zum entscheidenden Faktor wurde ein Bündnis mit England, das Joao genau 100 der berühmten Langbogenschützen einbrachte, die kaum eine Generation zuvor die Blüte der französischen Ritterschaft niedergemäht hatten. So wagte es Joao, sich am 6. April 1385 zum König von Portugal ernennen zu lassen, was natürlich sofort eine Gegenreaktion von Juan I. hervorrief. Er soll 31.000 Männer nach Portugal geführt haben, darunter zahlreiche französische Ritter. Die Portugiesen konnten dagegen nur 6.500 Männer aufbieten – und das inklusive der 100 englischen Bogenschützen. Auch wenn diese Zahlen den Anforderungen eines modernen Statistikers nicht statthalten würden, zeigen sie doch, dass die Kastilier weit überlegen gewesen sein dürften.

Am 14. August 1385 kam es zur Schlacht. Wieder einmal bereiteten die Langbogenschützen den siegessicheren Rittern eine vernichtende Niederlage. Mehr als 5.000 Kastilier sollen in der Schlacht von Aljubarrota umgekommen sein. Obwohl Juan von Kastilien seine Ansprüche auch danach nicht aufgab, war damit die Herrschaft von Joao gesichert. Fortan herrschte das Haus Aviz über das Land.

Und Joao heiratete eine Engländerin, Philippa von Lancaster, eine Schwester des englischen Königs. Diese Heirat war Teil des Vertrags von Windsor aus dem Jahr 1386, dem ältesten, heute noch gültigen diplomatischen Bündnis Europas.

Das Grab von Prinz Heinrich dem Seefahrer. Foto: KW.

Und dort, wo in der Schlacht die Standarte des Feldherrn Nuno Alvares Pereira gestanden hatte, wurde eine kleine Kapelle errichtet. 1388 übergab man sie an die Dominikaner, denen aus königlichen Mitteln ein unglaublich prächtiges Kloster erbaut wurde, das als Grablege der Dynastie geplant war.

Wer die Kirche betritt, ist erst einmal erschlagen von der mächtigen Architektur. Kein Wunder, dass es mehr als hundert Jahre dauerte, dieses Kloster zu bauen. Und selbst als man 1517 das Bauen einstellte, war der eindrucksvolle Komplex noch nicht vollendet.

Gleich neben dem Eingang befindet sich die Kapelle des Gründers, in deren Mitte der Sarkophag mit den Gebeinen Joaos I. und seiner Gattin Philippa steht.

Um das Königspaar herum sind ihre Kinder begraben, darunter natürlich auch der berühmte Heinrich der Seefahrer.

Ein Blick in den großen Kreuzgang. Foto: KW.

Von der Kirche aus betritt man den prächtigen Kreuzgang, der wahrlich dazu angetan ist, jeden Fotographen in der Kunst des Stoizismus zu unterweisen. Nicht dass er so voll wäre. Die Besucher tröpfeln eher in ihn hinein. Aber nichtsdestotrotz ist immer ein Besucher im Wege, der einen davon abhält, ein Foto des Kreuzgangs ohne Menschen aufzunehmen.

Wachablösung im Kreuzgang. Foto: KW.

Inzwischen fotografieren nämlich nicht mehr nur diejenigen, die einen Foto ihr eigen nennen, sondern auch die Tausende von Handybenutzern, die dringend Bilder benötigen, um sie auf den diversen sozialen Netzwerken mit anderen zu teilen. Ein verständliches Anliegen. Allerdings droht man denn doch manchmal die stoische Kontenance zu verlieren, wenn der Handy-Benutzer mitten im Kreuzgang nicht nur sein Foto macht, sondern dieses auch gleich an alle seine Freunde weiterleitet und nun malerisch, mitten im Kreuzgang drapiert, darauf wartet, ob seine Freunde das Bild auch liken. Währenddessen stehen hinter ihm ein Dutzend weitere Fotografen, die ebenfalls gerne ein Bild des Kreuzgangs machen würden, ohne dabei den Handy-Benutzer in der Mitte mit abzulichten.

Ach ja, solche Momente lehren einen wahrzunehmen, wie unterschiedlich die Wichtigkeit des Individuums eingeschätzt wird. Die Selbstwahrnehmung des Selfie-Produzenten weicht weit ab von der all der anderen Fotografen, die er daran hindert, ihr Foto ohne ihn zu erzeugen.

Der Kapitelsaal enthält heute die nationale Gedenkstätte für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, so dass es im Kreuzgang zu durchaus überraschenden Begegnungen mit marschierenden Soldaten kommen kann.

Damit erklärt sich auch die auf den ersten Blick ziemlich befremdliche Ausstellung über das portugiesische Heer im Refektorium.

Und wenn man denkt, man habe nun alles gesehen, schicken einen die Wegweiser zur den Capelas Imperfeitas oder Imperfect Chapels. Was man sich darunter vorzustellen hat, enthüllte sich uns nicht sofort.

Doch als wir den Anbau betraten, stockte uns der Atem. Ein wundervoller, elegant aufgeführter Bau mit allen Details und großartig ausgeführt. Aber kein Dach!

Der Sohn Joaos I., Dom Duarte, wollte hier für sich selbst eine eigene Grabkapelle anlegen. Er starb ein wenig zu früh, im Jahr 1438. Auch wenn seine Nachfolger pflichtbewusst noch ein bisschen an dem Bau weiterarbeiteten, stellten sie ihn nie fertig.

Der Eingang, Kunst in höchster Vollendung, auch wenn die Kapelle auf Deutsch die „unvollendete“ heißt. Foto: KW.

Sie ist ein perfektes Sinnbild für Portugal, diese mit höchster Kunst, Können und Raffinesse erbaute Kapelle, der gleichwohl das Entscheidende fehlt: Das Dach. Man könnte darin ein Sinnbild sehen für die weltumgreifenden Ambitionen des Landes, von dem aus so viel in Bewegung gesetzt wurde, ohne dass es letztendlich die Früchte dessen in Empfang nehmen konnte. Und es ist ein Glück, dass Portugal keinen Viollet-le-Duc hervorbrachte, der die monumentale Unvollkommenheit durch eine platte Ergänzung des 19. Jahrhunderts verstümmelte.

Noch hat Batalha erfrischend wenig von einem Weltkulturerbe. Es fehlen die Ladenstraßen voll mit Andenkenläden, überteuerten Cafés und billigen Restaurants mit schlechtem Essen. Im Café gleich gegenüber der Kathedrale, wo wir unser Sandwich verspeisten, saßen wir hauptsächlich mit Einheimischen – und das trotz bester Lage mit erstklassigem Blick auf die Kathedrale. Und das beste Geschäft des Tages machte der Patron nicht mit uns Touristen, sondern mit einer Horde von Schulkindern, von denen jedes ein Eis und jede Menge Süßigkeiten kaufte…

Wir jedenfalls blieben nicht lange, sondern fuhren weiter nach Tomar, dem wohl am ursprünglichsten erhaltenen Kloster der Tempelritter, das heute noch existiert. Man erinnere sich:

Philippe IV. von Frankreich hatte hohe Schulden. Die Templer hatten Geld. So nutzte der König seine Macht, verurteilte die Templer als Ketzer und Sodomiten und beschlagnahmte deren Vermögen in Frankreich.

In Portugal sah man die Sachlage anders, denn hier war die Reconquista noch im vollen Gange. Man erhoffte sich von den Templern schlagkräftige Unterstützung im Kampf gegen die Muslime. Umso besser, wenn der Orden der Pariser Zentrale nicht mehr unterstand. So schickte König Dinis einen Botschafter an den päpstlichen Hof, der damals in Avignon residierte.

Johannes XXII. Grosso tornese, o. J. Mzst. Pont de Sorgues. Aus Auktion Gorny & Mosch 226 (2014), 3393.
Manuel I., 10 Cruzados o. J., Lissabon. Aus Auktion Künker 117 (2006), 5476.

Tatsächlich gelang es nach mehr als einem Jahr, eine päpstliche Bulle zu erhalten, in der Johannes XXII., ja, genau der Papst, der so heftig gegen Ludwig den Bayern kämpfte, also, in dieser Bulle legte Johannes XXII. fest, dass der Besitz der Templer in Zukunft an den neu zu gründenden Christusorden übergehen solle. Man solle die Regeln des Ritterordens von Calatrava übernehmen, und damit war die Sache mehr oder minder erledigt. Die Templer waren in den Christusorden überführt.

Der König machte den Orden mehr oder minder zu seinem Werkzeug. Immer wieder wurde ein Sohn oder Bruder als Administrator des Christusordens eingesetzt, so dass dessen üppige Ressourcen in die Expansion des portugiesischen Reichs fließen konnten. Dass der Papst dazu dem Orden die Missionierung in den neu erworbenen Territorien anvertraut hatte, war auch nicht zu verachten.

1496 erhielten die Christusritter den päpstliche Dispens vom Zölibat, 1505 wurden die Ordensmitglieder von ihrem Armutsgelübde entbunden. Und damit traten auch weltliche Mitglieder bei. Zu den bekanntesten Christusrittern zählen Bartolomeu Diaz, Vasco da Gama, Pedro Alvares Cabral und der Nürnberger Martin Behaim.

Kein Wunder, dass Manuel I. kein besseres Wappen auf seine mit afrikanischem Gold aus den neu eroberten Gebieten geprägten Münzen zu setzen wusste, als das Kreuz der Christusritter.

Und das Hauptquartier der Templer in Portugal bzw. später des Christusordens war eben Tomar. Mit dem ursprünglichen Burgbau hatte man bereits im 12. Jahrhundert begonnen, aber die heutigen Gebäude gehen vor allem auf das Goldene Zeitalter Portugals unter Dom Manuel I. zurück, der als Prinz zum Administrator des Christusordens ernannt worden war.

So ist Tomar heute ein Musterbeispiel für die so genannte Manuelinik, einer Abart der Spätgotik, die unter König Manuel I. typisch wurde für Portugal. Der Stil verbindet Ornamente aus der Schifffahrt wie Knoten, Tauwerk oder die Armillarsphäre und der Welt des Meeres wie Seetang und Muscheln mit anderen, eher gewöhnlichen Formen wie Eichenblätter, Mohnkapseln und Disteln. Das Ganze ist recht üppig kombiniert und feinst ausgestaltet und – wenn man es einmal gesehen hat – unverwechselbar.

Für die Freunde der romanischen Kunst gibt es ein anderes Highlight: Die Kirche aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ist nach dem Vorbild des Heiligen Grabes in Jerusalem als sechzehneckiger Bau errichtet worden, in dem sich ein achteckiger Mittelraum erhalten hat. Er ist das am besten erhaltene Beispiel solch einer Abschrankung in ganz Europa.

Wir bewegten uns in Tomar zwischen zwei Reisegruppen. Eine hohe Kunst. Schnell, sobald die eine gegangen war, in den Saal huschen, sich alles ansehen, um schon wieder verschwunden zu sein, wenn die nächste Gruppe anrückt. Entspannend nenne ich etwas anderes. Aber die Templer machen sich eben gut in jedem Reiseprogramm, und so darf Tomar in keiner Pauschalreise fehlen.

Die Infrastruktur von Tomar ist dagegen noch optimierbar. Jedenfalls entdeckten wir kein vernünftiges Café in der Nähe – dabei hätte es vor der Burg so einen schönen, schattigen Garten gehabt…

So fuhren wir also weiter nach Fatima, denn bekanntlich wird an Wallfahrtsorten nicht nur für die Seele, sondern auch für den Leib hervorragend gesorgt.

Fatima geht auf eine Marienerscheinung zurück, die drei Hirtenkinder am 13. Mai 1917 wahrgenommen haben sollen. Jeweils am 13. des Monats erschien Maria Lucia, Jacinat und Francisco, was schon bald eine gewaltige Menge von Gläubigen anzog. Am 13. Oktober 1917 sahen mehrere 10.000 Pilger das „Sonnenwunder“, das ein Augenzeuge folgendermaßen beschrieb: „Die Sonne, in einem Moment umgeben von einer scharlachroten Flamme, in einem anderen umstrahlt in Gelb und Tiefpurpur, schien in einer außerordentlich schnellen und wirbelnden Bewegung zu sein, manchmal schien sie vom Himmel gelöst zu werden und sich der Erde zu nähern, starke Hitze ausstrahlend.“

Zum Liebling aller Medien wurde die Madonna, weil sie den drei Kindern drei Geheimnisse anvertraute, von denen eines erst 1960 publik gemacht werden sollte. Auch wenn die ersten beiden nicht wirklich originell waren, rief die Tatsache, dass der Vatikan das dritte Geheimnis zurückhielt, doch einige Spekulationen hervor. Erst im Jahr 2000 entschied Kardinal Joseph Ratzinger in seiner Funktion als Präfekt der Glaubenskongregation, das Geheimnis zu veröffentlichen. Es muss für die Zeitungen ziemlich enttäuschend gewesen sein, dass man den etwas konfusen Text nicht in eine publikumswirksame Schlagzeile zusammenfassen konnte.

Heute changiert Fatima wie so viele katholische Wallfahrtsorte irgendwie zwischen echter Frömmigkeit, Kitsch und Kommerz. Von der Madonna in Plastik bis hin zum Hotel Alleluja, das damit wirbt, dass es Travellers’ Choice 2015 geworden ist und sein Büffet auch die hungrigsten Pilger zufrieden stellen wird.

Weil die alte Kirche von Fatima lautstark renoviert wurde, verirrten wir uns in die neue Kirche der Heiligten Dreifaltigkeit, derzeit der größte Kirchenneubau des 21. Jahrhunderts. Etwa 9.000 Menschen sollen hier sitzend an der Messe teilnehmen können. Störende Säulen gibt es keine, damit jeder den Altar sehen kann.

Zwischen der alten und der neuen Kirche befindet sich der größte Kirchenvorplatz der Welt. Und das ist auch nötig. Allein am 13. Oktober 2007 versammelten sich hier 250.000 Gläubige, um den 90. Jahrestag der dritten Prophezeiung von Fatima zu feiern.

Das war uns zu heilig. Inzwischen hatte es auch zu regnen angefangen und der Tag war voll genug gewesen. Wir fuhren zurück in unser Hotel in Batalha.

Unsere nächste Folge zeigt uns völlig kontroverse Seiten Portugals: In Alcobaca hören wir von einer Liebesgeschichte, gegen die Romeo und Julia ein alter Hut ist. Und in Peniche müssen wir uns mit den langen und bedrückenden Jahren der Diktatur unter Salazar auseinandersetzen.

 

Hier finden Sie alle Folgen der Serie „Weltmacht Portugal“.