Werden vertriebene Atoll-Bewohner in Sammlermünzen entschädigt?

Das British Indian Ocean Territory schaut stürmischen Zeiten entgegen, wenn es nach Anwalt Jonathan Levy geht. Er vertritt das Volk der Chagossianer, das vor Jahrzehnten aus seiner Heimat vertrieben wurde. Klagesumme: 1 Milliarde Pfund – in Sammlermünzen. Foto: Shutterstock.
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Was haben Sammlermünzen mit Jahrzehnte andauernden Menschenrechtsklagen eines Südseevolkes zu tun? Das klingt verworren und zugegeben, die Vorgeschichte ist komplex. Bevor wir zu den Münzen kommen, müssen wir daher ein wenig ausholen und zurückreisen in das Jahr 1966, in den Indischen Ozean, rund 1.500 Kilometer südlich von Sri Lanka …

Der Chagos-Archipel zwischen Kolonialgeschichte und US-Geheimdienst

Eine ehemalige Kolonie nach der anderen löste sich damals vom britischen Empire und 1965 wurde auch die Insel Mauritius unabhängig. Um das Chagos-Archipel, das bislang zu Mauritius gehört hatte, nicht zu verlieren, fassten es die Briten einfach mit anderen Atollen zu einer eigenen Einheit zusammen. Sie bildeten das sogenannte British Indian Ocean Territory (BIOT). Dabei handelt es sich nicht um einen eigenen Staat, sondern um ein besonderes Gebiet, das der britischen Krone untersteht und von einem eingesetzten Kommissar (Commissioner) im Londoner Außenministerium verwaltet wird.

Auf Diego Garcia haben die Amerikaner nicht nur einen Geheimdienststützpunkt, sondern beobachten auch den Weltraum mit ihrem modernen Ground-Based Electro-Optical Deep Space Surveillance System (GEODSS).

1966 verpachtete das Vereinigte Königreich das gesamte Insel-Archipel für 50 Jahre an die Vereinigten Staaten von Amerika. Diese richteten auf der Hauptinsel Diego Garcia 1971 einen Militärstützpunkt ein. Der wurde zum Sperrgebiet erklärt und dient bis heute als Geheimdienstbasis. Teil des Deals war die Evakuierung des kompletten Gebiets. Die damals etwa 1.200 Einwohner, das Volk der Chagossianer, wurde zwischen 1967 und 1973 auf die Seychellen und nach Mauritius zwangsumgesiedelt. Ihnen wurde es gesetzlich verboten, ihre Heimat wieder zu betreten.

Seit ihrer Vertreibung dürfen die Chagossianer nicht mehr in ihre idyllische Heimat im indischen Ozean zurückkehren. Am Strand sonnen sich höchsten Angehörige der Militäreinheiten, die dort stationiert sind. Foto: Shutterstock.

Warum leben die Chagossianer noch immer im Exil?

Damit begann eine juristische Odyssee, denn die Chagossianer klagten gegen diese Entscheidung. Ein britischer Gerichtshof gab ihnen im Jahr 2000 Recht. 2003 entschied ein Gericht, dass den Chagossianer keine Entschädigung zustehe. Außerdem bekräftigte die Queen per Kronratserlass (Order-In-Council) die Verbannung. 2017 empfahl die UN, den Fall dem Internationalen Gerichtshof vorzulegen, der 2019 in einem völkerrechtlich nicht bindenden Gutachten zu dem Ergebnis kam, dass die britische Herrschaft rechtswidrig sei und das Atoll zu Mauritius gehöre.

Doch Recht haben und Recht bekommen sind bekanntermaßen zwei verschiedene Dinge. Mauritius drohte, den Commonwealth zu verlassen. Das Vereinigte Königreich ignorierte den Fall und verlängerte 2016 den Pachtvertrag mit den USA für weitere 20 Jahre.

Und was hat das alles nun mit Sammlermünzen zu tun?

Die Gewässer um das Chagos-Atoll sind reich an Fischen. Die Chagossianer hätten diese eigentlich wirtschaftlich nutzen können. Das ist die Grundlage für die Entschädigungsklage in Milliardenhöhe. Foto: Shutterstock.

Werden die Chagossianer in Sammlermünzen aus Silber und Gold entschädigt?

Das BIOT braucht eigentlich kein Geld. Dort leben nur Militärangehörige, die im Alltag mit US-Dollar zahlen. Trotzdem darf der britische Kommissar laut einer Anordnung von 2008 Banknoten und Münzen ausgeben. Der Knackpunkt: Von einer Obergrenze ist keine Rede und das BIOT-Pfund ist 1:1 konvertierbar in britische Pfund. (Man dachte damals anscheinend nur an die Ausgabe von Sammlermünzen.) Das hat Jonathan Levy recherchiert, ein Anwalt, der die beiden Chagossianer Bernard Nourrice und Solomon Prosper als Stellvertreter für ihr Volk vertritt. Sie haben am 27. April 2021 das Vereinigte Königreich in Person der Queen auf Entschädigung verklagt.

Jonathan Levy machte seine Position gegenüber der MünzenWoche deutlich: „Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Fischrechte des Chagos-Archipels sowohl einen materiellen als auch einen kulturellen Wert darstellen. Und die Chagossianer dürfen nicht einmal die Gewässer des Gebietes betreten. Die Kolonieverwaltung hat die Möglichkeit, das geforderte Geld zu prägen und keine Entschuldigung für den andauernden Diebstahl an dem Eigentum und den Rechten der Einwohner.“

Levy führt afrikanische und internationale Rechtsprechung an, die seinen Mandanten erlaubt hätte, in den vergangenen Jahrzehnten die reichen Fischgründe um das Atoll zu nutzen. Auch nach englischem Recht, so führt er in seiner Klageschrift aus, sei den Chagossianern ihr Fischrecht durch die Vertreibung nicht genommen worden.

Als Entschädigung fordert er 1 Milliarde Pfund (rund 1,16 Milliarden Euro) – nicht vom Vereinigten Königreich, sondern von dem Territorium. Denn Levy fand heraus, was für Sammler moderner Münzen kein Geheimnis ist: Die britische Pobjoy Mint prägt seit Jahren Sammlermünzen im Namen des Territoriums und diese Münzen sind auf dem Atoll gesetzliches Zahlungsmittel. Levy betont, dass dem Kommissar offenbar kein Ausgabelimit gesetzt ist. Er könnte also einfach anordnen, solche Münzen im Gesamtnennwert von einer Milliarde BIOT-Pfund zu prägen (oder auch Geldscheine zu drucken), welche die Chagossianer danach im Vereinigten Königreich in britische Pfund umtauschen können – zu einem Kurs von 1:1!

Ob das British Indian Ocean Territory die Entschädigung im Fall einer gerichtlichen Niederlage tatsächlich mit einer halben Milliarde Sammlermünzen in farbigem Titan begleichen wird? Foto: Pobjoy Mint.

Aktuell prägt die Pobjoy Mint zum Beispiel eine 2-Pfund-Münze „Parrotfish“, offizieller Ausgabepreis: £12,46. Eine halbe Milliarde von diesen Münzen zu produzieren wäre natürlich absurd, sie wären auf dem Sammlermarkt wertlos, von Ausgaben mit speziellem Farbdruck oder exklusiven Metallen wie Titan wollen wir gar nicht sprechen. Theoretisch könnte der Kommissar vermutlich eine einzige Münze mit dem Nennwert von 1 Milliarde BIOT-Pfund prägen lassen: Was für ein Sammlerstück (abgesehen natürlich vom Nennwert)!

Welche Auswirkungen dieser Rechtsstreit auf den Markt der Sammlermünzen haben wird, bleibt abzuwarten. Levy weist darauf hin, dass die Rechtslage im britischen Territorium in der Antarktis die gleiche ist. (Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Pobjoy-Münze von 2020 zum Klimawandel, ausgegeben für das British Antarctic Territory?)

Bei Pobjoy Mint sieht man die Sache gelassen, dort versteht man sich lediglich als Produzent der Münzen. Die politischen Fragen sollen die britische Regierung oder der Kommissar des Territoriums beantworten. Jonathan Levy sieht das naturgemäß anders. In seinen Augen unterstützen Pobjoy und Sammler, die diese Münzen kaufen, die „rechtswidrige britische Apartheidverwaltung einer Kolonie“.

 

Hier können Sie ein Interview mit Jonathan Levy sehen:

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Und hier können Sie die detaillierte Klageschrift herunterladen.

Über die Geheimdienstbasis der USA auf Diego Garcia Island hat die NZZ schon 2010 ausführlich berichtet.

In unserer Datenbank Cosmos of Collectibles finden Sie die Münzen der Pobjoy Mint.