von Ursula Kampmann
11. August 2016 – Der Iran ist groß. Ziemlich groß. Wie groß, das merkt man eigentlich erst, wenn man im Bus sitzt, und den Eindruck hat, dass diese Reise nie enden wird. Wir begeben uns in dieser Folge mitten hinein in eine Art iranisches Roadmovie. Aber keine Sorge, die eine oder andere Attraktion liegt auf der Strecke. Wir reisen nicht nur viele Kilometer, sondern sehen auf unserem Weg auch eine von den Urartäern zerstörte Stadt, viel zu viele Grabtürme und das wohl spannendste Relief, das uns aus sasanidischer Zeit erhalten ist – und das will was heißen, denn es gibt ziemlich viele sasanidische Reliefs im Iran.
Ein Blick auf den Urmia See. (Also das, was am linken Bildrand leicht silbern glänzt.) Foto: KW.
Donnerstag, 10. März 2016
Das war herrlich, ausschlafen. Wir wachten so früh auf, dass wir Zeit hatten, noch einen Blick auf den Urmia-See zu werfen. Beziehungsweise auf die Stelle, wo der Urmia-See früher war. Der Urmia-See ist nämlich ein Salzwassersee, dessen Inhalt sich ausschließlich über die natürliche Verdunstung regelt. Oder eben auch nicht. Derzeit wird dem armen Urmia-See so viel Wasser entnommen, dass sich das Seeufer schon mehrere hundert Meter zurückgezogen hat. Was für ein Ferienressort mit Seeblick natürlich ein gewisses Problem darstellt. Unser Zimmer verfügte durchaus über Seeblick, allerdings brauchte man dafür ein Fernglas.
Der Mihrab von Urumie. Foto: KW.
Unser erstes Ziel war ein kunstgeschichtlich höchst bedeutender Mihrab in Urmia selbst. Er stammt aus seldschukischer Zeit, und liegt mitten in einer modernen Medrese. In einer Medrese werden die islamischen Wissenschaftler unterrichtet. Also diejenigen, die wir wohl als Hardliner bezeichnen würden. Und dort trafen wir dann auch zum allerersten Mal auf unserer Reise einen unfreundlichen Iraner.
Detail des Mihrab in Urmia. Foto: KW.
Der Sittenwächter war mit der Art und Weise, wie wir unsere Kopftücher gebunden hatten, nicht zufrieden. Fromme Iranerinnen bedecken nämlich ihr gesamtes Haar mit dem Kopftuch; weniger fromme Iranerinnen lassen es immer wieder nach hinten rutschen. Das geht so weit, dass bei einigen das Kopftuch gerade noch von einem üppigen Haarknoten im Nacken gehalten wird. Bei uns Touristinnen ist das Problem anders gelagert. Wir haben schlichtweg keine Erfahrung wie wir die blöden Kopftücher so fixieren können, dass sie nicht rutschen. Sie haben eine Tendenz permanent nach hinten wegzugleiten. Und das stach dem Zerberus ins Auge. Schimpfend kam er aus seiner Loge, um seine Studenten vor dieser Versuchung zu beschützen. Wir stopften also folgsam unsere Haare unters Kopftuch und gingen, den Mihrab zu bewundern.
Grabturm, ebenfalls aus der Seldschukenzeit. Foto: KW.
Unser nächstes Ziel war ein Grabturm, ebenfalls aus der Seldschukenzeit. Ein großartiger Bau! Der mich überhaupt nicht interessierte. Irgendwie habe ich so meine Probleme mit der bildlosen Architektur.
Moderne Architektur – eindeutig von der Renaissance beeinflusst. Foto: KW.
Viel mehr faszinierte mich ein moderner Bau gleich neben dem Grabturm. Irgendwie war darauf die Kunst der Renaissance in Betonguss übersetzt worden. Aber hin und wieder glaubte man die Herkunft eines Details zu erraten.
Detail der Kunst am Bau. Foto: KW.
Nehmen wir zum Beispiel dieses kleine Kerlchen da, das mit einer so unerklärlichen Geste eine Weinrebe verbiegt.
Theben. Stater, 405-395. Aus Auktion Künker 182 (2011), 218.
Erinnert es nicht ein wenig an die Darstellungen des Heraklesknaben, der die von Hera geschickten Schlangen erwürgt?
Ein Überblick auf die heute zu sehenden Reste von Hasanlu. Foto: KW.
Wie auch immer. Wir stiegen ein in den Bus, und ab ging es auf die Landstraße. Knappe zwei Stunden später erreichten wir die wichtige Handelsstadt Hasanlu. Na ja, wichtig vor rund 3.500 Jahren. Wir machten Tausende von Fotos.
Junge Hunde sind überall süß, auch in Hasanlu. Foto: KW.
Ja, ein paar waren auch von der Grabung. Aber die unumstrittenen Stars waren zwei süße kleine Hunde, die sogar auf Youtube mithalten könnten.
Mauer der Zitadelle von Hasanlu. Foto: KW.
Auch wenn man es nicht auf den ersten Blick realisiert: Hasanlu war einst bedeutend, schon allein deshalb weil der kleine Hügel, auf dem heute die Ruinen zu sehen sind, vom 6. Jahrtausend v. Chr. bis um 300 n. Chr. bewohnt war. Archäologen haben die Schichten des Hügels in viele Phasen eingeteilt und lieben ihn, weil er ein archäologisches Zeugnis dafür ist, dass auch die Archäologie Sex’n Crime zu bieten hat.
Zum Thema Sex gibt es die Hasanlu Lovers, zwei menschliche Skelette, deren Haltung phantasievolle Archäologen an ein Liebespaar beim Kuss erinnert.
Und hinsichtlich Crime: Was halten sie von den Relikten von 150 Menschen, die getötet und verstümmelt wurden? Ist doch richtig spektakulär. Man will diese Knochen mit der Eroberung Hasanlus durch die Urartäer in Verbindung bringen.
Befestigungen von Hasanlu. Foto: KW.
Na ja, ich gebe zu, ich tue mich manchmal ein bisschen schwer, wenn ich mir zu viel vor irgendwelchen Ruinen vorstellen soll. Ich war also gar nicht traurig, als wir uns endlich unserem Picknick zuwandten. Das allerdings war bemerkenswert. Es fand nämlich im Hof des örtlichen Polizeipostens statt. Wir durften dort sogar die Toilette benutzen – eine andere gab es nämlich nicht. Das sollte man mal unserer Polizei vorschlagen, dass sie ihre sanitären Anlagen mit vorbeikommenden Touristen teilt.
Und noch’n Grabturm. Foto: KW.
Wir fuhren weiter. Und weiter. Ich geb’s zu, ich hätte so gerne einen frühen Feierabend gehabt und endlich mal wieder Tagebuch nachgeführt, aber wir hatten noch Besichtigungsschulden vom vierten Tag, als wir wegen eines Giganto-Umwegs zum Takht-i Suleiman die vier Grabtürme von Maragha nicht mehr ansehen konnten. Drei aus seldschukischer Zeit, einer aus der Periode der Ilchane. Und jetzt fragen Sie mich ja nicht, welcher was war. Wir sahen sie jedenfalls alle!
Schönheitssalons gibt es viele im Iran. Foto: KW.
Was wir auf unserem Weg zu den Grabtürmen auch zu sehen bekamen, war ein klein bisschen iranischer Alltag, nämlich ein Schönheitssalon. Mit rosafarbener Folie so abgedeckt, dass kein Mann auch nur die kleinste Chance hatte, einen Blick in diesen Tempel der Weiblichkeit zu werfen. Schönheit wird im Iran nämlich groß geschrieben. Noch größer als bei uns. Keine junge Iranerin von Welt würde ungeschminkt auf die Straße gehen. Und wer sich eine kosmetische Nasenoperation leisten kann, der zeigt das stolz mit einem Pflaster mitten im Gesicht. Ich habe sogar gehört, dass es sich um ein Statussymbol handelt, so dass sich einige Iranerinnen ein Pflaster auf die Nase kleben, um zu verstecken, dass sie sich diese Operation nicht leisten können.
Die schöne Stadt Miandoab spät abends. Foto: KW.
Wir kamen erst spät Abends in Miandoab an. Ich hatte mich entschieden, nicht mehr Abendessen zu gehen, um stattdessen Tagebuch zu schreiben. Eine blöde Idee. Ich änderte meine Entscheidung bereits in der Hotel-Lobby.
Ein Blick ins Zimmer, das Bad erspare ich Ihnen. Foto: KW.
Ich kann mich erinnern, in meiner Studentenzeit hin und wieder in ähnlichen Hotels übernachtet zu haben. Die Lösung lautete: So lange beim Abendessen bleiben wie möglich, so viel trinken wie möglich, irgendwann ist’s einem egal. Trinken fiel aus mangels Masse. Und das Restaurant war auch nicht gerade ein lauschiges Plätzchen. Gut, dass wir wenigstens so müde waren, dass wir vom Zimmer nicht mehr viel mitbekamen. Ausziehen vor dem zu Bett gehen wird sowieso weit überschätzt.
Eines muss ich aber an dieser Stelle lobend erwähnen! Kein einziges Mitglied der Gruppe beschwerte sich. Wir machten alle unsere Witzchen, aber niemand stimmte ein in das unter Pauschaltouristen so weit verbreitete „Geld-zurück-Gebrüll“. In Miandoab gab es eben kein besseres Hotel und Punkt.
Freitag, 11. März 2016
Ich war schon wach, als der Muezzin begann, die Gläubigen zum Morgengebet zu rufen. Warum können Sie sich denken. Schnell machten wir uns fertig. Duschen? Sicher nicht! Die Dusche bestand aus einem Brausekopf, der irgendwo an die Wand montiert war. Als eine rostbraune Brühe aus der Wasserleitung kam, verzichtete ich auch aufs Zähneputzen.
Im Frühstücksraum sah es nicht besser aus. Ein marginales Büfett war aufgebaut, aber Tassen und Teller, Gabeln und Messer lagen noch auf Tabletts. Kein Problem, so was haben Touristen schnell unter sich verteilt. Einzig mit den Teelöffeln gab es ein kleines Problem. Sie waren sozusagen nicht existent. Zucker stand zwar auf den Tischen, aber wie sich der in der Tasse verteilen sollte, blieb ein Rätsel. Was bei Zucker gerade noch geht, wird bei Honig – so süße ich meinen Tee, auch im Iran und sogar in der Antarktis, wenn nötig – zu einem Problem. Ich insistierte also auf einem Kaffeelöffel. Und nach kaum zehn Minuten hatten sie dann tatsächlich zwei Stück gefunden. Eine ziemlich dumme Zahl. Mir hätte einer genügt. Für die ganze Gruppe waren zwei ein bisschen wenig.
Foto aus dem Busfenster. Foto: KW.
Niemand war traurig, diesen Ort zu verlassen. Und so fuhren wir los. Wir fuhren. Und fuhren. Und fuhren. Und fuhren. Gefühlt nach einer halben Ewigkeit – tatsächlich waren es kaum sechs Stunden – kamen wir an einem Giganto-Hotel an, das nicht nur sehr neu aussah, sondern sich auch auf den Geschmack westlicher Touristen eingestellt hatte.
An den Straßenkreuzungen stehen bevorzugt Händler, die ihre Ware an die Vorbeifahrenden verkaufen. Hier ein Karren voll mit Orangen. Foto: KW.
Es gab Gemüse! Es gab sogar so viel Gemüse, dass sich alle daran satt essen konnten! Sollten Sie jemals durch den Iran reisen und an Gemüsemangel leiden, dann kann ich Ihnen das Büffet des Luxushotels Shadi in Sanandaj nur empfehlen. Und – wir konnten uns diesen Luxus inzwischen gar nicht mehr vorstellen – sogar in den öffentlichen Hoteltoiletten gab es Toilettenschüsseln nach westlichem Muster! Wir schwelgten.
Und fuhren dann doch wieder los. Wir fuhren. Und fuhren. Und fuhren. Und irgendwann hatten wir unser Tagespensum erfüllt. Na ja, fast.
Taq-e Bostan. Foto: KW.
Es kam das Highlight des Tages, einige sasanidische Felsreliefs, die als die besterhaltenen Beispiele feinster sasanidischer Kunst gelten.
Der große Iwan, Xusro II. gewidmet. Foto: KW.
Am eindrücklichsten ist der große Iwan – und kommen Sie ja nicht auf den Gedanken, dabei an einen Russen zu denken. Ein Iwan ist etwas aus der persischen Architektur, eine Art riesiger Nische, wie sie zum Beispiel die so genannten Moscheen des Vier-Iwan-Typs schmückt. Es handelt sich um eine Art hohe Halle, die nach einer Seite völlig offen ist. Alles klar? Also zurück zum großen Iwan des Xusro II.
Krönungszeremonie Xusros II. Foto: KW.
Der zeigt oben die Krönungszeremonie für Xusro II.: Also in der Mitte steht der sasanidische König, neben dem links Anahita und rechts Ahura Mazda. Ahura Mazda überreicht eine Art Ring, bei dem die Archäologen immer noch ins Stottern geraten, wenn sie sagen sollen, um was es sich da gehandelt habe.
Xusro II., 590-628. Drachme, Regierungsjahr 33. Aus Auktion Gorny & Mosch 237 (2016), 1573.
Xusro II. gehört zu den bedeutendsten sasanidischen Herrschern. Er kam 590 durch einen Putsch gegen seinen Vater an die Macht, wurde aber schnell von Vahram VI. vertrieben. Er verbündete sich ausgerechnet mit dem Erzfeind der Sasaniden, um seinen Thron zurückzugewinnen, nämlich mit dem byzantinischen Kaiser Mauricius Tiberius, dem er als Gegenleistung Amida und Karrhae sowie die Kontrolle über Armenien versprach.
Vahram VI., 590-591. Dinar, Susa(?). Aus Auktion CNG 100 (2015), 190.
Das Manöver gelang. Vahram VI. wurde nach nur einem Jahr der Herrschaft getötet, Xusro II. noch einmal gekrönt.
Vistahm, 591/2-597. Drachme. Aus Auktion CNG, Triton XIV (2011), Nr. 528.
Leider war damit die Sache nicht beendet. Xusro hatte Hilfe von zwei mächtigen Adligen gehabt, die nach seiner Thronbesteigung natürlich noch mächtiger geworden waren. Das störte den neuen König. Also brachte er den einen um. Der andere wollte nicht auch noch sterben – es war abzusehen, dass Xusro auch ihn auf der Liste hatte – und machte einen Aufstand. Vistahm blieben sechs Jahre, ehe Xusros Attentäter Erfolg hatten und Xusro wieder fest im Sattel saß.
Phokas, 602-610. Solidus, 604-607. Aus Auktion Gorny & Mosch 233 (2015), 2784.
Werfen wir einen Blick ins byzantinische Reich: Dort ließ Phokas 602 nach seinem Putsch Mauricius Tiberius umbringen. Xusro begriff dies als das Ende seines Vertrages. Er zog in den Krieg, natürlich nur um seinen Freund Mauricius zu rächen. Nebenbei eroberte er das zurück, was er dem einst für dessen Hilfe gegeben hatte. Und noch ein bisschen mehr.
Heraklius, 610-641. Solidus, 610-613. Aus Auktion Gorny & Mosch 237 (2016), 2215.
Die Thronbesteigung des Heraklius brachte die Wende. 627 siegte Heraklius in der Schlacht von Ninive und drohte, Ktesiphon zu belagern. Xusro II. floh.
Kavad II., 628. Drachme, Susa. Aus Auktion Peus 416 (2016), 151.
Und das war der Moment, in dem die Stunde für Kavad schlug. Das war der älteste Sohn Xusros, der bisher in Gefangenschaft gelebt hatte, weil Xusro einen anderen zu seinem Nachfolger machen wollte. Kavad wurde von Xusros Gegnern unterstützt, kam frei und ließ seinen Vater töten. Danach machte er Frieden mit Byzanz, und hätte sicher lange und erfolgreich geherrscht, hätte ihn nicht wenige Monate später eine Seuche dahingerafft.
Wildschweinjagd. Foto: Sigrid Hodel.
Xusro II. ist in Taq-e Bostan der Star, nicht wegen seines Krönungsreliefs, sondern wegen der Reliefs an den Seiten des Iwan, die Szenen aus dem sasanidischen Alltag zeigen – na ja, wenn man das Leben eines Königs denn als Alltag verstehen will. Am bekanntesten ist die Wildschweinjagd. Bitte beachten Sie all die Elefanten, die dem König die Schweinchen zutreiben.
Wildschweinjagd. Detail. Foto: Sigrid Hodel.
Der steht umgeben von Musikantinnen auf einem Boot, damit ihm auch ja kein Schweinchen ein Leid zufügen kann.
Wildschweinjagd. Detail. Foto: Sigrid Hodel.
Die sind nämlich mit ihren kurzen Hauern tückisch und gefährlich, was auf dem Relief durchaus zu sehen ist.
Wildschweinjagd. Detail. Foto: Sigrid Hodel.
Die Detailgenauigkeit ist hinreißend: Hier zerlegen ein paar Diener ein Wildschwein, um das Fleisch in die königliche Küche zu bringen.
Und damit erst einmal genug. Die nächste Folge bringt uns mitten hinein ins persische Reich, nach Bisotun zu Dareios dem Großen und ins königliche Ekbatana. Wenn’s doch dort nur nicht so heiß gewesen wäre…
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