von Björn Schöpe
6. November 2014 – Die Taliban gelten als Sinnbild für religiöse Fundamentalisten ohne Respekt vor der Geschichte ihres eigenen Landes und vor Kulturgütern. Betrachten wir allerdings die Entwicklung in Mekka, dem religiösen Zentrum des Islams, dann müssen wir feststellen: Die saudi-arabische Regierung ist in dieser Hinsicht keinen Deut besser. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden nach einer Schätzung des Gulf Institute etwa 95 Prozent der historischen Bauten in Mekka zerstört. Sie sind modernen Projekten gewichen, Luxushotels und Prestigearchitektur. Wo einst das Haus von Chadidscha, der Frau des Propheten stand, findet man sich heute vor 1.400 Toiletten.
Mekka im Jahr 1889. Im Hintergrund links sieht man die Adschjad-Festung. Quelle: Wikicommons.
Ganz in der Nähe der Großen Moschee, dem wichtigsten religiösen Ort Mekkas, wurde eine türkische Festung aus dem 18. Jahrhundert planiert für ein 15-Milliarden-Dollar-Projekt: das 76-stöckige Abraj al-Bait, ein Gebäude, das dem Londoner Uhrenturm mit Big Ben nachempfunden ist.
Heute steht anstelle der Festung der Abraj al-Bait-Turm mit Big-Ben-Nachbau. Foto: King Eliot / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0
Neben einer Shopping Mall bietet ein Gebetsraum Platz für 10.000 Gläubige. Der türkische Kulturminister Istemihan Talay nannte dieses Vorgehen offen einen „Akt der Barbarei“.
Selbst vor den Innenräumen der Großen Moschee schrecken die Architekten nicht zurück: Fünfhundert Jahre alte osmanische und abbassidische Säulen mit historischen Inschriften fielen der Zerstörung anheim. Man stelle sich vor, im Petersdom würden sämtliche Säulen durch moderne Betonpfeiler ersetzt, die Pietà Michelangelos zerschlagen und die Sixtinische Kapelle gesprengt, um die gläubigen Pilger nicht vom Beten abzulenken.
Aber wie ist eine solche Kulturbarbarei in Saudi-Arabien, einem Land mit stabiler Regierung, möglich? Dahinter steht die sehr streng-religiöse Strömung des Wahhabismus. Die Wahhabiten sind in Saudi-Arabien äußert einflussreich und fürchten besonders in Mekka eine kultische Verehrung des Propheten – anstelle der Verehrung Allahs. Um „Götzenanbetung“ zu verhindern, sehen die Eiferer das sicherste Mittel in der Zerstörung aller möglichen Verehrungsorte und mithin ihres eigenen kulturellen Erbes.
Protest aus der westlichen Welt ist selten. Angeblich fürchten westliche Archäologen, dass sie keinen Zugang mehr zu Ausgrabungsstätten erhalten. Dr. Irfan al-Alawi, Leiter des saudi-arabischen Islamic Heritage Research Foundation, beklagte gegenüber dem Independent, dass man Muslimen zentrale Gedächtnisorte nimmt: „Niemand hat den Mumm dagegen aufzustehen und diesen Kulturvandalismus zu verurteilen. Wir haben bereits 400 bis 500 Stätten verloren. Ich hoffe nur, dass es nicht zu spät ist, diese Entwicklung umzukehren.“
Dieser Artikel des Committee for Cultural Policy gibt einen umfassenden Überblick über den Stand der Dinge.
Diese älteren Artikel bieten zahlreiche Beispiele für die Zerstörungen und dokumentieren sie mit Fotos: im Independent …
… und im Guardian.
Hier finden Sie die Seite des Islamic Heritage Research Foundation.