Zerstört und geplündert: Was der Krieg für das ukrainische Kulturgut bedeutet

In der Nationalgalerie in Kiew wurden die Gemälde in Schutzräume abtransportiert. Foto: Kyivcity.gov.ua, CC BY 4.0
[bsa_pro_ad_space id=4]

Hinweis: Die Informationen im nachfolgenden Artikel stammen größtenteils von ukrainischen Quellen und damit von einer Kriegspartei. Sie lassen sich momentan nur begrenzt unabhängig überprüfen.

Am Dienstag, den 10. Oktober 2022, schlugen russische Raketen in Stadtzentren in der ganzen Ukraine ein. Es waren die schwersten Angriffe dieser Art seit Juni. Auch in Kiew gab es erstmals seit Monaten wieder zivile Todesopfer zu beklagen.

Seit bald 8 Monaten herrscht nun Krieg in der Ukraine. Es ist Krieg, der durch das brutale und rücksichtlose Vorgehen der russischen Streitkräfte gegenüber Zivilisten gekennzeichnet ist. Russische Raketen und Artillerie haben ganze Stadtviertel in Schutt und Asche gelegt. Dabei gehen neben Wohnhäusern, Krankenhäusern und Fabriken auch immer wieder Kultureinrichtungen in Flammen auf – Museen, Kirchen, Bibliotheken: das kulturelle Erbe der Ukraine. Am 5. Oktober 2022 listete die UNESCO 199 Kultureinrichtungen in der Ukraine auf, die vollständig oder teilweise zerstört wurden. Darunter: 84 religiöse Gebäude, 37 historische Stätten, 37 Kulturzenten, 18 Monumente, 13 Museen und 10 Bibliotheken. Die ukrainischen Angaben sind teilweise deutlich höher.

In den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine droht dem ukrainischen Kulturerbe eine weitere Gefahr: Plünderungen. Immer wieder wurde in den vergangenen Monaten berichtet, in welchem Maß russische Soldaten in der Ukraine plündern, dass sie Lebensmittel, Computer, ja selbst Waschmaschinen mitnähmen. Doch das scheint nicht die Art von Plünderungen zu sein, unter denen die Museen in den besetzten Gebieten zu leiden haben. Es sollen staatlich-organisierte Plündertrupps sein, die gezielt Museen durchforsten und wertvolle Objekte abtransportieren.

Anfang dieser Woche ließ der Kulturminister der Ukraine, Oleksandr Tkachenko, verlautbaren, dass inzwischen tausende Objekte aus etwa 40 ukrainischen Museen verschleppt worden seien. Als ein herausragendes Beispiel nannte er ein kostbares 1500 Jahre altes Golddiadem aus der Zeit Attilas des Hunnen. Es wurde 1948 in einer hunnischen Grabkammer gefunden und soll eines von nur wenigen Stücke seiner Art sein.

Skythengold, das sich bisher im Museum von Melitopol befand. Foto: Büro des Generalstaatsanwalts der Ukraine.

Melitopol

Das verschwundene Diadem befand sich im Museum für Heimatgeschichte in Melitopol. Bereits im Mai hieß es, russische Soldaten hätten ca. 200 Objekte aus dem Museum entwendet, darunter skythische Artefakte aus Gold. Wie die Museumsdirektorin Leila Ibrahimova der New York Times sagte, hatten Soldaten eine Museumsmitarbeiterin entführt. Unter vorgehaltener Waffe brachten sie sie dazu ihnen zu verraten, wo sich die Objekte befanden, die vorher vor den Invasoren im Keller des Museums versteckt worden waren. Auch die Museumsdirektorin war zwischenzeitlich von russischen Soldaten verschleppt worden. Inzwischen sollen über 1700 Exponate allein aus dem Museum in Melitopol geraubt worden sein.

Ein skythischer Goldhelm aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., wie er in Amsterdam zu sehen war. Foto: VoidWanderer / CC BY-SA 4.0

Streitpunkt Skythengold

Es ist nicht das erste Mal, dass skythische Goldobjekte im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eine Rolle spielen. Als Russland 2014 die Krim annektierte, befanden sich Topstücke aus vier Museen auf der Krim in Amsterdam in der Ausstellung „Die Krim: Gold und Geheimnisse des Schwarzen Meeres“. In der Folge entstand eine hochpolitische juristische Frage: Wem müssen die Objekte zurückgegeben werden – den Museen auf der inzwischen russischen Krim oder dem ukrainischen Staat? Dieser Konflikt zwischen Russland und der Ukraine wird nun seit acht Jahren vor den Instanzen der niederländischen Justiz ausgetragen, umfassend kommentiert von den Staatschefs beider Seiten. Ein Ergebnis des höchsten niederländischen Gerichts liegt bis heute nicht vor. Es dürfte also kein Zufall sein, dass das skythische Gold aus Melitopol früh ins Fadenkreuz der russischen Plündertrupps geraten ist. Die Beschlagnahmung der Objekte war im russischen Fernsehen zu sehen, wobei der große kulturelle Wert „für die ganze frühere Sowjetunion“ hervorgehoben wurde.

Mariupol

Auch die Museen in Mariupol sollen laut Kulturminister Tkachenko umfassend geplündert worden sein. In der lang umkämpften Stadt wurden demnach 2.000 Objekte aus Museen entwendet. Laut dem Exil-Stadtrat von Mariupol sind darunter Gemälde, Skulpturen, christliche Ikonen, eine wertvolle jüdische Tora-Rolle und über 200 Münzen und Medaillen.

Wohin diese Objekte verbracht wurden und was mit ihnen geschieht, ist nicht bekannt. Was die einfachen Soldaten mitgehen lassen, wird laut Medienberichten zumeist über die berüchtigten Diebesgut-Basare in Russland und Belarus in alle Himmelsrichtungen verstreut. Doch was passiert mit den von staatlicher Seite erbeuteten Stücken? Werden sie in russischen Museumsdepots verschwinden, wie die Millionen Museumsobjekte aus ganz Mittel- und Osteuropa, die seit der Zeit des Zweiten Weltkriegs dort lagern? Oder werden sie auf dubiosen Wegen zu Geld gemacht, das in die Taschen des Staats oder hochrangiger Armeeangehöriger fließt?

Fest steht, das das systematische Plündern von Kulturgut gegen die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten verstößt, die auch Russland unterzeichnet hat.

Die Situation in den Museen der besetzten – inzwischen annektierten – Gebiete lässt sich zur Zeit nicht sicher unabhängig dokumentieren. Bereits jetzt zeichnet sich jedoch ab, dass das ukrainische Kulturerbe herbe Verluste zu beklagen hat. Der Kulturminister sagte dazu: „Die Haltung der Russen gegenüber dem ukrainischen Kulturerbe ist ein Kriegsverbrechen“.

 

Im Juni berichteten wir über deutsche Hilfslieferungen für den Kulturgutschutz in der Ukraine

Hier finden Sie den Bericht einer Philatelistin aus Charkiw über den Krieg.

Hier erfahren Sie, wie sich der Münzmarkt zu Russlands Angriffskrieg positioniert.

Wir berichteten 2014 über den Konflikt ums Krimgold.

Hier finden Sie einen Artikel über das Selbstbild der Ukraine auf ihren Gedenkmünzen