von Björn Schöpe
3. Januar 2013 – Bei einem Selbstmordattentat in Jerusalem am 4. September 1997 erlitt der Amerikaner Stuart Hersh schwere Verletzungen. Dafür sprachen ihm US-Gerichte 12 Millionen US-Dollar Schadenersatz zu. Zu zahlen hätte diese Summe der Staat Iran, der als Drahtzieher hinter dem Attentat der Hamas gilt. Iran zahlt natürlich nicht.
Als kürzlich der iranische Präsident Ahmadinedschad in New York residierte, wo er an der Generalversammlung der UN teilnahm, kam Hershs Anwalt eine glänzende Idee: Er verlangte von dem Warwick Hotel das Geld, welches Iran für die Unterkunft der Delegation bezahlt hatte. Obwohl ein Gericht dies abwies, zeigte sich der Anwalt des Klägers tief enttäuscht darüber, dass das Hotel sich zum „Handlanger“ des Iran mache und ein „technisches Minidetail“ in der Klage ausnutze. Warum jemand Geld nicht zurückzahlt, das er legal für eine Dienstleistung erhielt, nur weil der Geldgeber irgendwo Schulden hat, kann wohl nur ein Jurist für ein „technisches Minidetail“ halten.
Doch diese Logik ist gefährlich und triff auf eine zweite gefährliche Modeerscheinung: die Annahme, jedes Land habe automatisch Anspruch auf alles, was jemals auf seinem Grund und Boden gefunden wurde, oder mit ihm auch nur in Verbindung steht. Auch dies demonstriert ein Gerichtsverfahren in den USA zur Zeit aufs Trefflichste.
Bei dem tragischen Bombenattentat in Jerusalem gab es neben Stuart Hersh zahlreiche weitere Opfer. Zusammen warten diese auf über 70 Millionen US-Dollar Entschädigung und versuchen seit Jahren an ihr Geld zu kommen. Aktuell profitieren vor allem ihre Anwälte von einer Politisierung von Kulturgütern, die fatal an die Zeiten der großen Imperien erinnert, als diese ihre Archäologen und Grabungen in Akteure und Spielsteine internationaler Politik verwandelten.
Die Anwälte der Attentatsopfer verklagen seit Jahren verschiedene Museen und Forschungseinrichtungen. Sie wollen iranische Kulturgüter pfänden. Ganz ähnlich wie in der Logik von Stuart Hershs Anwalt behaupten sie, die Institutionen machten sich im Weigerungsfalle zu Handlangern Irans. Auf der Anklagebank sitzen – neben Iran – illustre Einrichtungen wie das Museum of Fine Arts in Boston, das Oriental Institute der Universität Chicago und die Museen der Universität Harvard.
Ein altbekanntes Argument begegnet auch hier: Die Eigentümer könnten ja nicht beweisen, dass ihnen tatsächlich die Objekte gehören, da es sich um „iranische“ Kulturgüter handele (dass es meist persische Objekte sind, ist wohl in einem juristischen Sinn als „technisches Minidetail“ anzusehen …), liege das Recht an ihnen zunächst beim Staat Iran. Der hat übrigens ein solches Recht nie beansprucht. Aber wer fragt auch schon den Schurkenstaat Iran?
Bei einem Teil der umstrittenen Stücke handelt es sich tatsächlich um Dauerleihgaben Irans. Die meisten jedoch entstammen Grabungen aus der Zeit vor 1930 oder wurden später rechtmäßig erworben (laut Klägern illegal, man weiß ja nicht so genau, wie die Stücke ins Ausland gekommen waren). Ein Bezirksgericht gab einem Antrag statt, Iran müsse sämtliche Güter auf US-amerikanischem Hoheitsgebiet offenlegen, ein Bundesberufungsgericht hob das Urteil wieder auf.
Eigentlich wäre es ja recht einfach, jedenfalls mit einer Nichtjuristenlogik. Entweder die Stücke gehören den Museen. Dann gibt es keinen Grund, sie ihres Eigentums zu berauben. Oder sie gehören dem Iran (etwa im Fall der Dauerleihgaben), dann dürften diese gleichfalls nicht angerührt werden, weil sie gemäß US-amerikanischem und internationalem Recht geschützt sind. Doch hier kommen Sonderklauseln der Antiterrorgesetze zum Zuge und die Ansicht der Verteidiger, die Immunität von Leihgaben als „Kulturaustausch“ greife nicht, da es sich um „wirtschaftliche Aktivitäten“ handele. Die Wirtschaftssanktionen gegen Iran könnten greifen, weil beispielsweise die wissenschaftliche Zusammenarbeit als „wirtschaftliche Aktivität“ gedeutet wird. Zur Zeit sind die Kläger mit einer absurden sprachwissenschaftlichen Analyse beschäftigt, indem sie nachweisen wollen, dass das Wörtchen „of“ (von) keineswegs nur Eigentumsverhältnisse meint, sondern auch den Ursprung, dass also der Iran gar nicht Eigentümer der Kulturgüter sein müsse, um von ihm „iranisches Kulturgut“ pfänden zu dürfen …
Einzelprozesse dieses Verhandlungskonglomerates gingen an den Obersten Gerichtshof, wurden zurückverwiesen, wanderten vom Bundesgericht zum Bezirksgericht usw. Man erinnert sich unwillkürlich an den Erbschaftsprozess Jarndyce & Jarndyce in Charles Dickens’ grandiosem „Bleak House“ – der leider reale Vorbilder hatte. Eine enorme Erbschaft weckte Gelüste bei vielen Menschen, weil der Verstorbene leider Gottes eine Vielzahl völlig unterschiedlicher und sich widersprechender Testamente hinterließ. Wer auch immer an die Erbschaft Ansprüche stellte, vermachte diese über Generationen hinweg. Letztendlich erschuf sich dieser Prozess einen eigenen Kosmos, eine Welt, in der die Gerichte und Juristen auf Kosten der vergeblichen Hoffnungen einer Unzahl von Klägern lebten, die nur noch für dieses Verfahren lebten, abgekapselt von der sie umgebenden Realität. Am Ende fraßen die Gerichtskosten übrigens das gewaltige Jarndyce-Vermögen vollständig auf …
Wer auch immer heute Interesse an solchen langwierigen Prozessen hat, muss sich im Klaren darüber sein, wie gefährlich dieses Spiel ist. Sollten tatsächlich die Museen geplündert werden, so trifft es damit Unschuldige. Darüber hinaus wird internationale wissenschaftliche Kooperation in Zukunft kaum noch zwischen Ländern möglich sein, deren Regierungen Konflikte miteinander austragen. Leihgaben wären nicht einmal mehr durch rechtliche Bestimmungen gesichert und würden kaum noch an Orte vergeben werden, wo potentielle absurde Prozesse das Eigentumsrecht an ihnen bedrohen könnten.
Langfristig werden Wissenschaft, Forschung und Kultur politisiert und könnten in einer düsteren Zukunft jede Autonomie verlieren. Da ist es nicht mehr weit hin zu einer Welt, in der die Forscher diktiert bekommen, wie die eigene Vergangenheit rekonstruiert werden möge, damit sie möglichst glorreicher dasteht als die des verhassten Feindes.
Das wollen auch keine Kunstsammler, obwohl die sich noch am ehesten freuen könnten. Schließlich müssten die „iranischen Objekte“ ja irgendwie noch zu Geld gemacht werden. Doch wäre es nicht gefährlich, so etwas zu kaufen? Was passiert, wenn man sein in den USA legal erworbenes persisches Relief weiterverkauft? Ob die Legalität einer solchen Aktion international anerkannt würde, oder auch nur in einem anderen Bundesstaat der USA, das wäre eine spannende Frage. Als real existierenden Fall wünscht sich das aber niemand. Außer den Anwälten und ihren Mandaten.
Über den Versuch, vom Warwick Hotel in Manhattan das Geld zu erhalten, welches Iran für die Unterbringung seiner Delegation gezahlt hatte, berichtet die Iran Times.
Wir berichteten vor kurzem davon, wie auch der Staat Belize Ansprüche an der Nutzung von Objekten erhebt, die vorgeblich mit Belize in Verbindung gebracht werden, das lesen Sie hier.
http://muenzenwoche.de/Der-Kristallschaedel-des-Verderbens“http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunstmarkt/kulturgueter-aus-iran-in-amerika-pfaenden-11985756.html“ target=“_blank“>FAZ-Artikel.
Über die Bedeutung von „of“ im juristischen Sinne finden Sie mehr hier.
Detailliertere Berichte des Prozesses finden Sie hier, hier und hier.
Dickens’ Bleak House finden Sie übrigens auch als Teil des Gutenberg Projekts.