Der italienische Forscher Emanuele Sbardella beleuchtet erstmals die Rolle der Reichsbank in der Planung und Durchführung von NS-Kunstraub numismatischer Gegenstände. In knapp 1000 Seiten rekonstruiert der studierte Historiker, Numismatiker und Philosoph eine bis dato großenteils noch unbekannte Geschichte und bettet diese in einen kultur-, wirtschafts- und wissenschaftsgeschichtlichen Kontext akkurat ein. Fachkollegen sprechen von einem „monumentalen“, „erschlagenden“ Werk, von einer „beachtlichen Fülle des Archivmaterials“ und von einer „eindrucksvollen – auch im Layout sehr anspruchsvollen – Arbeit“.
Die 2020 an der TU Berlin eingereichte Dissertation von Emanuele Sbardella, die zunächst durch die Studienstiftung des deutschen Volkes, dann durch die Ursula Lachnit-Fixson Stiftung gefördert wurde, ist im November 2021 auf DepositOnce erschienen und ist kostenlos unter diesem Link herunterladbar.
Dadurch, dass die Reichsbank als erste Zentralbank der Welt gerade in Zusammenhang mit der Devisenbewirtschaftung und – wesentlicher – in Verbindung mit der Verwaltung der durch jüdische Sammler und Händler zwangsmäßig abgegebenen Münzen eine numismatische Sammlung aufbaute, kamen diese beiden Komponenten anders zur Geltung, bis alle Akteure des damaligen numismatischen Lebens untereinander ein neues Verhältnis instaurierten und schließlich die Numismatik selbst neu definiert wurde.
Das daraus resultierte Geldmuseum wird von Sbardella als ein ambitioniertes Museumsprojekt (Musikalien) dargestellt, das unter dem allgegenwärtigen Einfluss kriegsvorbereitender Rüstungspolitik (Munitionen) stand. Die Reichsbank instrumentalisierte bewusst den kulturellen Auftrag, den die Bezeichnung Geldmuseum evoziert, um kriegswirtschaftliche Zwecke zu verfolgen: sie handelte mit Musikalien, es handelte sich jedoch um Munitionen.
Das Buch weist nach den ersten einleitenden Kapiteln (Teil I) zwei Hauptteile auf, denen ein reichhaltiger wissenschaftlicher Apparat und Materialiensammlungen beigefügt (Seite 576‒940) sind. Im Teil II (Seite 68‒310) wird die Geschichte des Geldmuseums in drei Perioden gegliedert und historiographisch geschildert. Im Teil III (Seite 312‒562) wendet der Autor einen soziologischen und kulturwissenschaftlichen Ansatz an und beschreibt die Auswirkungen des Auftritts der Reichbank auf der numismatischen Bühne auf alle anderen Bereiche des numismatischen Lebens, insbesondere auf die öffentliche Sammeltätigkeit, auf den Münzhandel, auf das Vereinswesen. Ein eigenes Kapitel ist dem Verhältnis des Geldmuseums der Reichbank zu anderen Münzkabinetten und insbesondere zur numismatischen Sammlung des Sonderauftrags Linz gewidmet (Seite 361‒414), die bereits Gegenstand der zweiten Meisterarbeit desselben Autors gewesen ist.
Die bei der Reichsbank durch devisenwirtschaftliche und währungspolitische Bestimmungen veranlasste Entstehung sowie durch anti-jüdische Maßnahmen bestärkte Etablierung eines numismatischen Bewusstseins bedingten vor allem in Bezug auf den Münzhandel (Dimension F) und auf das Vereinswesen (Dimension V) einschneidende, anfangs der 1930er Jahre noch schwer vorherzusehende Änderungen der jeweiligen Kernbereiche.
Nach den Liquidierungen und den sog. Arisierungen aller bis 1933 von jüdischen Münzhändlern geführten Firmen waren die verbleibenden Aktanten der Dimension F von der Reichsbank eng abhängig. Selbst bei der Verwertung jener Münzen aus ehemaligem jüdischen Besitz, welche die Reichsbank unter Verzicht auf ihr Vorkaufsrecht nicht erwarb, übte sie ihren Einfluss aus, und zwar sowohl direkt, indem die Reichsbank die Dimension F von öffentlichen Aufträgen abhängig machte, als auch indirekt, indem sie ihre gesetzlichen Aufgaben so wahrnahm, dass die Akteure der Dimension F dazu gebracht wurden, sich anzupassen und die Reichsbank zu hofieren. Die Reichsbank konnte in wenigen Jahren ihre eigene Auffassung dessen, was sammelwürdig ist und darüber hinaus was die Numismatik überhaupt ausmacht, nicht nur bei ihrer Kollektion anwenden, sondern auch bei den übrigen Akteuren beeinflussend durchsetzen. Indem die Reichsbank sowohl den Geld- als auch den Sammelmünzenumlauf steuern konnte, nutzte sie beide Hebel, um die Preisentwicklung zu lenken und den Münzhandel zu beeinflussen, der im Laufe der Jahre zwischen abundantia und caritas nummorum hin und her geschoben wurde. Durch freigiebige und gezielte Spenden, dubiose Tauschaktionen sowie durch auffällige Auktionen wurden numismatische Ressourcen in Umlauf gebracht, womit die Reichsbank einen Prozess in Gang setzte, der gegen Ende des NS-Regimes den Anschein normaler numismatischer Aktivitäten vermittelte, bei denen Sammelmünzen zirkulierten und Münzexperten sich austauschen konnten. Der Markt hatte jedoch spätestens seit 1939 nichts mehr mit dem freien Markt zu tun, wie man ihn bis zur Weltwirtschaftskrise kannte.
Auch die Dimension V ist durch das Geldmuseum in allen Landschaften wesentlich beansprucht und mutiert worden. Nicht nur wurden die traditionellen Aktanten der Dimension V, die zahlreichen numismatischen Gesellschaften, gleichgeschaltet; dieser Bereich des numismatischen Lebens wurde durch das Eintreten eines neuen Subjektes komplett funktionalisiert und für die Ziele des Regimes und der Reichsbank dienstbar gemacht. Die neu gegründeten Münzsammlergruppen der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude und zum Teil auch die herkömmlichen Vereine wandelten sich zu Gruppierungen von Leuten, die bereit waren, das zu sammeln, was ihre Zustimmung für das Regime zeigen konnte und was die Reichsbank in den Markt pumpte. Als Zeichen der Dankbarkeit für gelegentliche Geschenke boten die verschiedenen Aktanten der Dimension V ihre Dienste auch in Form von Datenaustausch und Denunzierungen an. Im Rahmen dieses Funktionalisierungsprozesses ist die vorbestehende numismatische Leidenschaft der die Dimension V animierenden Akteure auf eine geregelte Sammeltätigkeit reduziert worden, die im Einklang mit den Produktionszielen des Regimes stand. Frische Sammlerenergien wurden nur im engeren Rahmen eines ideologisch und wirtschaftlich dienenden Leitfadens gefördert.
Die Förderung deutscher und gegenwartsbezogener Sammelgebiete bzw. sogar einer entarchäologisierten Numismatik war für die Reichsbank insofern systemfunktional, als diese Veränderung bei den Sammlern eine Ausdehnung der Sammeltätigkeit garantierte, und diese Ausdehnung wiederum sorgte – trotz eines Einfuhrrückgangs und einer Verknappung antiken Münzmaterials – für die künstliche Erneuerung des Marktes. Eine Beteiligung der Münzvereine an der Propagierung der neuen Sammelgebiete war auch deswegen entscheidend, weil sie dazu beitrug, dass die Umwandlung der einst als Devisen eingezogenen Münzen in Sammelmünzen nicht als von oben kommend, sondern als ein gesellschaftliches und daher legitimes Phänomen wahrgenommen wurde.
Das Geldmuseum ‒ ein ambitioniertes Museumsprojekt (Musikalien) unter dem allgegenwärtigen Einfluss kriegsvorbereitender Rüstungspolitik (Munitionen). Die Reichsbank instrumentalisierte bewusst den kulturellen Auftrag, den die Bezeichnung Geldmuseum evoziert, um kriegswirtschaftliche Zwecke zu verfolgen: sie handelte mit Musikalien, es handelte sich jedoch um Munitionen.
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Emanuele Sbardella sprach auch auf dem 6. Österreichischen Numismatikertag 2014.
Frühere Ergebnisse hat Emanuele Sbardella bereits in Vorträgen und Aufsätzen vorgestellt. Einige Vorträge finden sich über Youtube: