Das Interview führte Ursula Kampmann
30. Oktober 2014 – 2009 gab Bernd Kluge, Direktor des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin, Ursula Kampmann ein Interview, in dem er schilderte, was es hieß, zu Zeiten der DDR im Münzkabinett zu arbeiten und dieses durch Wende und Wiedervereinigung zu führen. Anlässlich seiner Pensionierung am 1. Oktober 2014 publizieren wir das Interview noch einmal in der MünzenWoche.
UK: Das muss für Sie persönlich ja eine gewaltige Umstellung gewesen sein, als dann die Wende kam.
Die Mannschaft des Münzkabinetts auf einem Ausflug 2008 (Von rechts: Elke Bannicke, Norbert Kneidel, Gisela Stutzbach, Ingrid Feist, Bernd Kluge, Viola Gürke, Regina Boreck, Wolfgang Steguweit, Bernhard Weisser. Foto: Privat.
BK: Also diese ganze Wende, d. h. die Monate von Oktober 1989 bis Oktober 1990, war eine Zeit, die man heute aus der Rückschau kaum noch begreift. Was sich da alles in ganz kurzer Zeit tat. Unglaublich! Es wurden im Osten erst mal alle Strukturen vernichtet. Also, Generaldirektoren, Parteiknechte zählen nicht mehr. Wählen wir ab, am besten an die Wand stellen. So ging das erst mal los. Basisdemokratie. Es wurden dann Wissenschaftlerräte, Restauratorenräte gegründet, alle möglichen Berufsgruppen organisierten sich in Räten und wollten die Museen regieren. Diese Zeit der Basisdemokratie war sehr lebendig, führte aber auch zu Verwerfungen. Ich habe mich nicht so sehr daran beteiligt. Das wurde schnell zum Forum für Leute, die sonst eher im hintersten Winkel saßen, bisher nicht durch besonderen Tatendrang aufgefallen waren und nun ihre Chance witterten, mit den alten Eliten abzurechnen. Außerdem war ich in dieser Zeit gerade sehr mit meinem Buch (Deutsche Münzgeschichte von der späten Karolingerzeit bis zum Ende der Salier (ca. 900 bis 1125), Sigmaringen 1991. Anm. d. Verf.) und der Vorbereitung der großen Salier-Ausstellung in Speyer 1991 beschäftigt.
UK: Ganz konkret: Erinnern Sie sich an den ersten Arbeitstag nach dem Mauerfall?
BK: Aber klar. Der erste Arbeitstag nach dem Mauerfall war Freitag. Steguweit und ich haben an diesem Tag, wie es sich für preußische Beamte gehört – obwohl wir damals ja noch gar keine Beamten waren – Dienst getan. Alle anderen im Münzkabinett auch. Ich hatte die berühmte Schabowski-Meldung am Abend zuvor zwar im Radio gehört, aber das nicht so aufgefasst, als wenn nun ab sofort die Grenzen offen wären. Ich bin also nicht am 9. November losgestürmt und über die Bornholmer Brücke in den Westen gegangen. Außerdem hatten wir, lange geplant, eine Freundin meiner Frau aus der brandenburgischen Provinz zu Gast, die just am nächsten Tag ihre erste offiziell genehmigte Verwandten-Westreise machen sollte. Die mussten wir in all der Aufregung erst mal beruhigen. Am Morgen hieß es dann: Ja, die Mauer ist offen. Sind wir natürlich an der Friedrichstraße gucken gegangen. War aber gar nicht soviel los. Erst am Samstag sind wir über die Grenze nach Westberlin, um die neue Welt zu erleben. Außerdem brauchte man für den Grenzübertritt mit Kindern unter 14 Jahren – wir hatten damals drei, alle unter 14 – noch besondere Dokumente, die wir uns erst am Samstag nach langem Anstehen bei der Volkspolizei besorgen konnten. Ohne die Kinder wären wir natürlich nicht gegangen. Es war ja überall der Teufel los.
UK: Wie hat sich die Situation im Museum weiter entwickelt?
BK: Nach der SED-Diktatur hieß die Losung jetzt Basisdemokratie. Da entlud sich viel angestauter Frust und auch Ungerechtigkeit. Über den Verbleib des Generaldirektors der Ostberliner Staatlichen Museen, Günther Schade, gab es zum Beispiel eine Abstimmung der Museumsmitarbeiter. Auch ich habe damals abgestimmt, für sein Verbleiben im Amt. Mehr als 50% haben so votiert, deshalb blieb Günther Schade Generaldirektor und hat in der Zusammenführung von Ost und West dann eine gute Rolle gespielt. Nach der Vereinigung ist er in die Rolle des Stellvertretenden Generaldirektors gerückt, wie überhaupt fast alle Ost-Direktoren die zweite Geige gegenüber ihren West-Kollegen übernehmen mussten. Beamtenrecht! Wenn wir Schade abgewählt hätten? Keine Ahnung, was dann passiert wäre. Er blieb im Amt, aber andere gingen gleich von selber. Von heut auf morgen ward zum Beispiel die Parteisekretärin nicht mehr gesehen. Die war einfach weg.
UK: Und wie ging es dann weiter? Die Ostberliner Staatlichen Museen wurden ja der Stiftung Preußischer Kulturbesitz unterstellt.
BK: Ja, nach der Phase der Basisdemokratie übernahm dann die Stiftung Preußischer Kulturbesitz das Kommando. Mit dem 3. Oktober 1990 wurden wir Bestandteil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Es ist gleich unmittelbar danach eine große Belegschaftsversammlung Ost einberufen worden, wo der Präsident der Stiftung Werner Knopp, der Generaldirektor Wolf-Dieter Dube und der Personalchef erschienen, um nun zu verkünden, dass wir alle nunmehr Angehörige der Stiftung Preußischer Kulturbesitz seien. Hat mir gefallen, ich wollte immer schon das Preußische im Namen der Museen haben.
UK: Gab es da keine Probleme? Konnte man die Personalstruktur Ost so einfach auf westliche Verhältnisse umstellen?
BK: Das gab ziemliche Probleme. Die erste Phase nach der Wiedervereinigung war damit ausgefüllt, dass man für jeden Mitarbeiter ellenlange Tätigkeitsdarstellungen verfasste, in denen genau aufgeschrieben wurde, wofür und mit welchen Zeitanteilen wer womit beschäftigt war. Damit sollte ermittelt werden, in welche Besoldungsgruppe einer gehörte. Das war eine fürchterliche Arbeit, weil wir nach Maßstäben urteilen mussten, die wir praktisch nicht kannten. Wir haben uns nach Kräften bemüht. Das ging dann an einen Prüfungsausschuss. Dessen Mitgliedern standen vermutlich die Haare zu Berge, was die Ostler da alles fabriziert hatten, um ihre Leute auf auskömmliche Gehälter zu bringen.
UK: Und waren Sie mit Ihrem neuen Gehalt zufrieden?
BK: Für uns Wissenschaftler veränderten sich die Dinge paradiesisch. Dafür, dass man in der DDR-Museumsnische seine Ruhe hatte, wurde man mit einem bescheidenen Gehalt bezahlt. Ich bekam jahrelang 800 DDR-Mark, bis zur Wende waren es dann über 1.000 DDR-Mark, brutto natürlich. Plötzlich mehr als das Doppelte und dann auch noch in D-Mark. Aber unter den Arbeitern hat es viel Knatsch gegeben – die Museen hatten eigene Schlosser, Tischler, Elektriker, Maler. Zu DDR-Zeiten war der Arbeiter König und zahlte nur den halben Steuersatz eines Angestellten. Das wurde nun anders und plötzlich hatten die Arbeiter netto weniger. Ob die deshalb angestimmten Klagelieder immer so berechtigt waren, kann ich nicht beurteilen.
UK: Sie hatten zu DDR-Zeiten viel mehr Leute am Museum als im Westen. Kam es da zu einer großen Entlassungswelle?
BK: Nein. Die Ostberliner Museen waren zwar nach dem Stellenkegel des Westens überbesetzt. Aber die Stellen waren nun mal da, und die darauf sitzenden Leute konnten ja nicht alle entlassen werden. Man fand eine Lösung, indem nur ganz wenige Stellen sofort wegfielen und man KW-Stellen einrichtete. KW hieß „Kann wegfallen“. Alles gestaffelt nach Jahren: KW 1995, KW 2000, KW bei Berentung. So wurde mit dem Personal doch recht menschlich umgegangen. Auch in dieser Beziehung haben Knopp und Dube den Vereinigungsprozess im Großen und Ganzen sehr erfolgreich über die Bühne gebracht. Das Münzkabinett hat dafür freilich harte Opfer bringen müssen. Zum Zeitpunkt der Wende hatten wir sieben Wissenschaftlerstellen. Heute sind es vier. Alles Opfer für die Einheit.
UK: Wenn Sie den Alltag vor und nach der Wende vergleichen, wo sind die Unterschiede?
Der große Empfang im Märkischen Museum anlässlich des XII. Internationalen Numismatischen Kongresses in Berlin im Jahre 1997. Foto: Reinhard Saczewski.
BK: Kommt drauf an, in welchem Bereich. Da hat jeder Ostdeutsche seine eigenen Erfahrungen gemacht, einschneidend waren sie für alle. Wenn ich heute Wein trinke oder Käse esse, wird mir immer noch bewusst, wie großartig manche Genüsse sein können, von denen wir in der DDR fast keine Ahnung hatten. Das Arbeiten war zu DDR-Zeiten in der Rückschau dagegen fast paradiesisch. Gesicherter Arbeitsplatz, wenig Leistungsdruck. Natürlich auch geringe Bezahlung, aber es reichte angesichts der niedrigen Mieten und Lebensmittelpreise zum Leben, allerdings bei einer fünfköpfigen Familie auch nur, wenn beide Eltern berufstätig waren. Man hatte im Museum seine Ruhe und konnte forschen oder auch nicht. Das war zwar nicht egal, aber es wurde nicht so stark am tatsächlichen Ergebnis gemessen wie heute. Und es gab natürlich mehr Leute. Heute muss einer das leisten, was früher zwei gemacht haben. Als ich ab 1992 in die Direktorenfunktion kam, gerieten meine Wissenschaftsprojekte in die Warteschleife. Dafür hat das Kabinett auf anderen Feldern gewonnen. Seit 1993 lehre ich mittelalterliche Numismatik an der Humboldt-Universität. Mit der Rückkehr des Kabinetts auf die internationale Bühne haben die Aufgaben enorm zugenommen. Noch unter Steguweit ist der XII. Internationale Numismatische Kongress für 1997 nach Berlin vergeben worden. Für die Vorbereitung einschließlich des immer zum Kongress erscheinenden dicken „Survey of Numismatic Research“ und der anschließenden zweibändigen Publikation der Kongressvorträge ist viel Zeit draufgegangen. Der Kongress hat uns aber auch internationales Ansehen zurück gewonnen. 2000 zog Steguweit mit der Organisation des XXVII. Kongresses der Medaillengesellschaft FIDEM in Weimar nach. Außerdem haben wir neue Schriftenreihen gegründet: Die Kunstmedaille in Deutschland (bisher 26 Bände), Berliner Numismatische Forschungen, Neue Folge (bisher 9 Bände), Das Kabinett (bisher 11 Bände). Auch aus allen diesen Gründen gibt es heute noch keinen neuen Dannenberg – was mir gelegentlich angekreidet wird. Museen müssen heute sehen, dass sie Besucher ins Haus bringen. Veranstaltungen, Ausstellungen, Events stehen im Vordergrund. Damit ist heute die Zeit für Forschung und selbst die für die wissenschaftliche Bearbeitung der eigenen Sammlung extrem minimiert.
Baustelle Münzkabinett mit Bauleiter. Eingang nur durchs Fenster. Foto: Bernd Kluge.
UK: Und dann kam auch noch die große Renovierung. Warum hat man eigentlich nicht bereits zu DDR-Zeiten damit angefangen?
Restaurierung der 14.500 Stahlschubladen im Großen Tresor 2003. Foto: Bernd Kluge.
BK: Wenn wir bei den technischen Möglichkeiten und den Materialengpässen der DDR versucht hätten, das Münzkabinett grundlegender umzubauen, wäre das nur schlechter geworden. Deswegen haben wir nur das wirklich Notwendigste zugelassen und Verschlimmbesserungen verhindert. Das war richtig, aber es war natürlich 1990 alles in einem recht desolaten Zustand. Die Restaurierungswerkstatt war technisch gesundheitsgefährdend ausgestattet, die Panzertüren und –fenster des Großen Tresors waren nur noch mit besonderen Tricks und jahrelanger Erfahrung zu öffnen und zu schließen, Sanitäranlagen, Beleuchtung und elektrische Anlagen stammten aus den 1950er Jahren. Einzelmaßnahmen begannen sofort 1990, ab 1998 kam es dann zur kompletten Schließung und Generalsanierung des Bode-Museums. Das Münzkabinett ist bis auf die nackten Grundmauern zurückgebaut und neu aufgebaut worden. Das hat uns viel Zeit und Kraft und den Steuerzahler knapp zehn Millionen D-Mark gekostet. Schon allein unsere Sammlung während der Rekonstruktion des Bodemuseums geschützt vom Baubetrieb benutzbar für uns zu halten war enorm aufwändig! Das bedeutete ständiges Umziehen. Jede Benutzung war schwierig. Wir saßen mit Büros und Bibliothek oben im Pergamonmuseum, und die Sammlung war unten im Bodemuseum. Das bedeutete Treppe runter, Treppe rauf, mit Tabletts übern Hof. Das war kompliziert, hat Zeit gefressen und bedeutete auch ein hohes Risiko für die Sammlung. Die Anekdoten aus dieser Zeit sind etwas für meine Memoiren.
Tage des offenen Tresors. Wolfgang Steguweit führt nach der Renovation durch den Tresorraum des Berliner Münzkabinetts 2004. Foto: Reinhard Saczewski.
UK: Man hätte doch eine praktischere Zwischenlösung bauen können.
BK: Hätte man, aber wir wollten natürlich alles Geld, das für den Bau zur Verfügung stand, auch in den Bau stecken. Wenn wir ein Ersatzquartier für uns hätten zimmern lassen, dann wäre einiges aus der Bausumme dafür draufgegangen. Also haben wir uns mit Provisorien begnügt, die zum Teil wirklich grenzwertig waren. Erst jetzt sehen wir, dass die Sammlung in diesen sechs Jahren doch gelitten hat. Im Bereich der Kupfer- und Bronzemünzen beobachten wir heute stärkere Korrosionserscheinungen als vor der Rekonstruktion. Wir sind gegenwärtig dabei, die Sammlung von A bis Z durchzuprüfen und zu reinigen. Tablett für Tablett wird von den Restauratoren durchgegangen und zum Teil auch ausgetauscht.
UK: Als abschließende Frage: Wie sehen Sie die Zukunft des Münzkabinetts Berlin?
BK: Da ist eine Prognose gar nicht so einfach. Im Moment geht es ja mit der Numismatik eher abwärts. Das ist einerseits ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Gesamtkrise und auch ein Problem der kleinen Fächer generell, wie man an der akuten Krise der „Hilfswissenschaften“ an den Universitäten noch drastischer sehen kann. Wo immer Leute in Ruhestand gehen, wird nicht mehr in der gleichen Weise nachbesetzt. Je schlimmer es bei den kleineren Instituten wird, umso wichtiger ist es, dass wir in Deutschland wenigstens ein, zwei Institute in der alten Funktionsfähigkeit als Leuchttürme erhalten, damit das Feuer nicht ausgeht. Ein solcher Leuchtturm der Numismatik ist sicherlich Berlin. Mein Bemühen in den letzten Jahren wird es sein, das nach Möglichkeit so zu erhalten. Inzwischen bringt sich eine aktive neue Generation in Stellung, der ich für die Zukunft viel zutraue, auch die Erhaltung des Münzkabinetts Berlin als wissenschaftliches und museales Zentrum der Numismatik in Deutschland.
Den 1. Teil des Interviews finden Sie hier.
Den 2. Teil des Interviews finden Sie hier.