Das Interview führte Ursula Kampmann
16. Oktober 2014 – 2009 gab Bernd Kluge, Direktor des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin, Ursula Kampmann ein Interview, in dem er schilderte, was es hieß, zu Zeiten der DDR im Münzkabinett zu arbeiten und dieses durch Wende und Wiedervereinigung zu führen. Anlässlich seiner Pensionierung am 1. Oktober 2014 publizieren wir das Interview noch einmal in der MünzenWoche.
UK: Und wie war das mit den Münzen, die für den Export in den Westen gekauft wurden?
BK: Im Auktionsraum saß jedes Mal ein Aufkäufer für das von Alexander Schalck-Golodkowski geleiteten Außenhandelsimperiums der DDR. Offiziell hieß das Kommerzielle Koordinierung, im Volksmund Ko-Ko. Es war immer derselbe Herr M., der in der ersten Reihe saß. Der hat sein Bieterkärtchen nur so ganz leicht gelüftet. Kein Mensch im Saal sah, dass der geboten hat, nur der Auktionator, der sah es und alle wussten es. Und es ging immer höher und höher.
Ein paar Mal sind wir der KoKo in die Parade gefahren. Die DDR hatte ein Kulturgutschutzgesetz und das galt auch für die KoKo. Wenn wir damit kamen, dann konnten sie zwar die Münze kaufen, durften sie aber nicht exportieren. Damit war sie natürlich nichts mehr wert. Und dann kam der Herr M. und sagte: „Na, ihr könnt die Münze ja kriegen, aber ich will von Euch etwas Gleichwertiges haben.“ Das wollten wir natürlich nicht, weil der das sofort in den Westen verscherbelt hätte. Ich kann mich noch an eine schöne Goldmünze erinnern, ein Unikum des 17. Jahrhunderts aus dem Bistum Hildesheim. Das lag bei der KoKo, denn wir hatten es mit unserem Bannfluch belegt. Schließlich konnten wir es doch von dort kaufen, es hat uns aber so 7.000 Mark gekostet. Also, das war in der DDR richtig viel Geld.
UK: Wie hat man eigentlich in Sammlerkreisen auf den Schalck-Golodkowski reagiert?
BK: Es wurde natürlich überall die Faust in der Tasche geballt. Klar. Dass dahinter ein Herr Schalck-Golodkowski steckte, wussten wir damals nicht. Diese graue Eminenz trat selbst nirgendwo auf. Man kannte nur diesen Herrn M. und wusste, dass der für den Export kauft. Der war natürlich auf Auktionen ein gehasster Mann. Der hielt sein Kärtchen hoch und machte alle tot. Er hatte allerdings auch kein Vorkaufsrecht und musste sich gegen die Konkurrenz im Saal durchsetzen. Aber da er ja wusste, was er für die Münze im Westen bekam, konnte er die meisten ohne Probleme ersteigern.
Ein Teil der Mannschaft des Münzkabinetts bei der Verabschiedung von Dr. Lore Börner 1988. Von rechts: Wolfgang Steguweit, Lore Börner, Sabine Schultz, Hans-Dietrich Schultz, Günther Schade (Generaldirektor), Bernd Kluge, Gisela Stutzbach, Manuela Stolzenberger, Eva Frommhagen. Foto: Archiv Münzkabinett.
UK: Ich habe irgendwo gelesen, dass Wolfgang Steguweit nach der Wende die Bestände der KoKo für die Museen retten konnte. Können Sie mir da Näheres erzählen?
BK: Das war eine aufregende Geschichte. In der Wende waren plötzlich Dinge möglich, an die man vorher gar nicht gedacht hatte. Dazu gehörte, dass des Volkes Zorn das Koko-Imperium von Schalck-Golodkowski stürzte. Da war die Kunst nur ein kleiner Appendix, der in Mühlenbeck bei Berlin konzentriert war. Der letzte Kulturminister der DDR, Dietmar Keller, rief ein Komitee ins Leben, das die Verwertung dieser in Mühlenbeck angehäuften Kunstdinge irgendwie regeln sollte. Steguweit wurde in das Komitee berufen. In dieser Eigenschaft besichtigte er das Depot in Mühlenbeck. Dabei stellte sich heraus, dass sich darin auch etliche Tausend Münzen, Medaillen und Geldscheine befanden. Und da hat Steguweit natürlich gesagt: Das Wertvolle daraus müssen wir jetzt unter allen Umständen für die Museen retten. Und als das Ganze irgendwie wertmäßig beziffert wurde, kamen wir niedrig geschätzt so auf anderthalb Millionen. Dieses Geld wurde von der letzten DDR-Regierung zur Verfügung gestellt.
UK: Ostgeld oder Westgeld?
BK: Ostgeld, alles Ostgeld. Und dann kamen die Sachen zu uns. Wir haben sie verteilt: an die Münzkabinette in Dresden, Gotha, Halle, Schwerin, Weimar und Magdeburg. Was für Berlin wichtig war, blieb hier bei uns im Münzkabinett. Wir haben diese Bestände als Dokument der Wende und des Kunstbesitzes in der DDR beisammen gehalten und ein Inventar angelegt. Das ist ein halber Schrank voll, und das nennen wir die Sammlung Mühlenbeck.
UK: Wenn wir schon bei Wolfgang Steguweit sind. Sie verbindet ja eine Freundschaft, die über das Kollegiale hinausgeht. Wie und wann haben Sie ihn kennengelernt?
BK: Das weiß ich noch ziemlich genau. Das war Oktober 1974 in Prag auf einem von der Tschechischen Numismatischen Gesellschaft veranstalteten Symposion. Dazu waren auch ausländische Gäste geladen, aus der DDR, aber auch aus der Bundesrepublik und aus der Schweiz. Es war meine erste Auslandsreise und übrigens auch meine erste Flugreise. Von Berlin nach Prag. Steguweit und ich, wir waren damals die Jugendgruppe auf diesem Treffen, unter lauter würdigen älteren Damen und Herren, wie das ja heute auch bei den Numismatikern ist. Steguweit war damals kurz vor den 30ern und ich war kurz vor 25. Wir waren damals noch wirklich jung.
UK: Sie haben ihn gedrängt, nach Berlin zu kommen?
Blick in die Ausstellung des Münzkabinetts im Bode-Museum, 1956. Aus B. Kluge, Das Münzkabinett, 2. Aufl., Berlin 2005, S. 38.
BK: Ja, dass er nach Berlin gekommen ist, das kann ich mir ein bisschen auf meine Fahne schreiben. Er hat seit 1971 das Münzkabinett Gotha aus seinem Dornröschenschlaf geweckt und damit begonnen, die Sammlung auszulegen und neu zu inventarisieren. Allmählich stieß er an Grenzen, die in der Provinz schwerer zu verrücken waren als in Berlin. Seine Vorgesetzten waren bisweilen reine Parteikader. In Berlin ging es da doch etwas fachbezogener und weltoffener zu. Außerdem wollten wir gemeinsam etwas auf die Beine stellen.
Als er kam, musste er gleich als Direktor anfangen, nachdem Heinz Fengler (Direktor des Münzkabinetts von 1973-1988, Anm. d. Verf.) in den Ruhestand getreten war. Eigentlich wollte er ja nicht Direktor werden. Selbst hat er sich immer als Mann der zweiten Reihe gesehen. Aber dem Generaldirektor hatten Steguweits Ausstellungen in Gotha imponiert, und er wollte für das Münzkabinett wieder eine regere Ausstellungstätigkeit im Bode-Museum haben. Die kam unter Fengler nicht zustande bzw. beschränkte sich auf kleinere Sonderausstellungen und eine ständige Ausstellung antiker Münzen im Pergamonmuseum. Da sollte Steguweit nun Abhilfe schaffen.
UK: Wolfgang Steguweit ist aber nicht lang Direktor geblieben.
BK: Steguweit war immer der Ansicht, ich sollte das machen, weil ich viel länger hier war, und wissenschaftlich eine ganze Menge publiziert hatte. Und als dann nach der Wende die Gelegenheit für ihn kam, die Dinge so zu drehen, wie er es wollte, hat er es gemacht. Ich war damals aber ziemlich vor den Kopf gestoßen, als er mir eines Morgens plötzlich und unvermittelt seinen Entschluss kundtat, als Direktor zurückzutreten. Er hatte seine Sache sehr gut gemacht und nach meinem Eindruck überhaupt keinen Grund für einen Rücktritt. Nun war und ist Steguweit kein „Lafontaine“ und so führte er das Kabinettsschiff noch bis Ende 1991 über manche Klippe und nahm die Turbulenzen jener Zeit auf sich. Das Münzkabinett war auf einem guten Weg, und ich hatte unter Steguweit als sein Stellvertreter die Möglichkeit, vor allem meinen Wissenschaftsprojekten zu leben.
UK: Sie konnten das damals so steuern, dass Sie intern gewechselt haben?
BK: Ganz so einfach war das natürlich nicht. Wir waren damals schon unter dem Dach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und natürlich mussten Stiftungspräsident und Generaldirektor die Sache entscheiden. Generaldirektor der Museen war damals Wolf-Dieter Dube. Dube war ein sehr selbstbewusster Generaldirektor, der klare Vorstellungen hatte und sich von niemandem reinreden ließ. Er hat zusammen mit den Stiftungspräsidenten Werner Knopp, Jurist, Diplomat und Gentleman alter Schule, früher Präsident der Rektorenkonferenz der (west)deutschen Universitäten, die ganze Vereinigungsgeschichte der Staatlichen Museen, der Staatsbibliotheken und des Preußischen Staatsarchivs gemanagt. Es war ihm nicht daran gelegen, zu dem ganzen Zündstoff, der sich wegen der „Degradierung“ der Ostdirektoren zu Stellvertretern ohnehin angehäuft hatte, zusätzliche Konflikte reinzuholen. Er erkundigte sich bei seinen Kollegen im Westen: „Wo ist da wer, der numismatisch vergleichbar wäre mit Kluge in (Ost)Berlin?“ Und die müssen ihm wohl bestätigt haben, dass so sehr viel Bessere in der alten Bundesrepublik nicht verfügbar waren. Unter diesen Umständen, auch weil angesichts der drängenden Aufgaben eine schnelle Lösung her musste, wurde die Direktorenstelle des Münzkabinetts nur intern im Bereich der Stiftung ausgeschrieben. Ich habe mich beworben, obwohl ich auf den Posten eigentlich gar nicht scharf war, aber in dieser Situation konnte man nicht kneifen und natürlich wollte ich auch nicht gern einen der damals zahlreichen Westimporte vor die Nase gesetzt haben.
UK: Ich finde das unglaublich. Heute will jeder möglichst weit aufsteigen. Wieso wollten Sie das nicht?
BK: Zu DDR-Zeiten saßen im Museum viele Leute, die mehr oder weniger auf eine Karriere verzichtet hatten. Weil sie nicht in der Partei waren. Weil sie sich diesen Klamauk mit Parteiversammlungen und Ergebenheitsadressen nicht antun wollten. Weil sie ihre Ruhe haben, oder weil sie wissenschaftlich arbeiten wollten. Und in Ruhe wissenschaftlich arbeiten konnte man im Münzkabinett. Für Führungspositionen war natürlich das Parteibuch nötig oder wenigstens sehr hilfreich. Eine Führungsposition kam deshalb für mich nicht in Frage. Für mich war immer klar: Parteibuch is’ nich’. Es gab im Museum allerdings auch parteilose Direktoren bzw. solche, die nicht Mitglied der SED, sondern einer der sog. Blockparteien waren.
UK: Deshalb sind Sie auch von der Uni weggegangen?
BK: Ja, das war der einzige Grund. Ich wäre liebend gern an der Uni geblieben, und mein Professor, Bernhard Töpfer, übrigens auch kein Parteimitglied, hätte mich auch gerne behalten. Aber er sah keine Chance, jemanden, der nicht in der Partei war und nicht mal in der FDJ richtig mitmachte, an der Universität unterzubringen. Und zu viele politische Kompromisse schließen wollte ich auch nicht. Insofern hatte ich im Museum eigentlich mit Karriere abgeschlossen, mich ganz auf die Wissenschaft konzentriert und in diesem Bereich in den zwanzig Jahren auch einiges zustande gebracht.
Den 1. Teil des Interviews finden Sie hier.
Den letzten Teil lesen Sie hier.