Gotthard – Ab durch den Berg

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19. Mai 2016 – Der Gotthard, einst schier unüberwindbarer Pass, ist heute ein Hightech-Bauwerk. Innert 130 Jahren wurde der Berg drei Mal für den Schienen-und Auto-Verkehr durchbohrt. Das Forum Schweizer Geschichte in Schwyz lädt bis zum 2. Oktober 2016 in die Ausstellung „Gotthard. Ab durch den Berg“ ein, um die bauwerklichen Spitzenleistungen an diesem Berg zu würdigen.

Blick in den ersten Raum der Ausstellung „Gotthard. Ab durch den Berg“. © Schweizerisches Nationalmuseum, Foto Mara Truog.

Das Bergmassiv war hoch, die Zugangstäler eng – während der Gotthard im Mittelalter als kaum zu überwinden und als höchster Berg der Alpen galt, wurde er um 1350 dank innovativen Brückenbauern zum fast ganzjährig begehbarem Pass und damit zum Übergang. 500 Jahre später ermöglichte der technische Fortschritt im 19. Jahrhundert das Undenkbare: 1882 wurde der Eisenbahntunnel eröffnet, 1980 folgte der Autobahntunnel und 2016 der Gotthard-Basistunnel.

Der Durchbruch der Oströhre wird 2006 im Süden gefeiert. © AlpTransit Gotthard AG.

Die Ausstellung „Gotthard. Ab durch den Berg“ führt mitten ins Gotthardmassiv. Sie beleuchtet den Tunnelbau und die technischen Herausforderungen sowie auch die wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen. Sie zeigt Persönlichkeiten rund um die drei Tunnelbauten am Gotthard und beantwortet Fragen wie „Wann fuhr der letzte Postillion über den Gotthard? Wann erblühte der Gotthardbahn-Tourismus? Und welche Gefahren lauerten und lauern in den Tunnels?“ Der rote Faden der Ausstellung ist der Transit. Eine reiche Auswahl an Objekten, Fotografien, Filmen, Modellen und Plänen beweist: Der Gotthard ist ein Stück Schweizer Kulturgeschichte.

Bauprojekt von Visionären

Die Tunnelvorhaben am Gotthard haben die Schweiz geprägt wie kein anderes Bauprojekt. Sie sind das Werk visionärer Politiker und Ingenieure, die ein fast unbezwingbares Bergmassiv zur zentralen europäischen Transitachse zwischen Norden und Süden gemacht haben. Zur Zeit ihrer Entstehung waren sowohl der Eisenbahntunnel (1872-1882), als auch der Strassentunnel (1970-1980) die längsten Tunnels der Welt.

Tunnelbohrmaschine im Einsatz beim Gotthardbasistunnel. © AlpTransit Gotthard AG.

Mit der Eröffnung des 57 Kilometer langen Basistunnels zwischen Erstfeld und Bodio wird der Gotthard im Juni 2016 zum dritten Mal Schauplatz eines Weltrekordes sein. Doch der Gotthard ist weit mehr als ein technischer Superlativ. Er hat dazu beigetragen, staatspolitische Entwicklungen und wirtschaftliche Veränderungen einzuleiten und umzusetzen. Die Ausstellung zeigt, wie die drei Tunnels entstanden sind und welche Auswirkungen sie auf das Leben haben – damals wie heute.

Eisenbahn-, Straßen- und Basistunnel

Mitte des 19. Jahrhunderts verfügt die Schweiz über keine Eisenbahnverbindung in den Süden. Um nicht vom Schienennetz Europas abgeschnitten zu werden, beschliessen acht Kantone an der Gotthardkonferenz 1853 die Realisierung einer Eisenbahn durch den Gotthard.

Postkarte des Expresszugs am Gotthard. © ETH-Bildarchiv, Zürich.

1882 wird nach 10 Baujahren der Eisenbahn-Tunnel eröffnet und macht die Bahnstrecke durch den Gotthard zu einer der wichtigsten Transitachsen Europas. In den 1950er Jahren führen der wirtschaftliche Aufschwung und die zunehmende Motorisierung zum Bau des Nationalstrassennetzes. Mit der Eröffnung des Strassentunnels 1980, des zweiten Tunnels durch den Gotthard, wird auch die Südschweiz daran angeschlossen. Ökologische Überlegungen legen die Verlagerung des transeuropäischen Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene nahe. Mit dem Basistunnel für die Eisenbahn wird zwischen 1999 und 2016 eine Vision aus den 1940er Jahren realisiert. Es handelt sich dabei um das vorerst letzte Kapitel des Gotthards als Teil der europäischen Verkehrsgeschichte.

Säumerkarawane kämpft gegen Schneesturm. © Xylografie von H. Jenny, Reproduktion. Original: Zeitschrift Gartenlaube, 1862, S. 421.

Überwindung von Höhe

Die Topografie des Gotthardmassivs ist geprägt von grossen Steigungen und engen Seitentälern. Mit abenteuerlichen Plänen wird im 19. Jahrhundert versucht, Höhenmeter zu überwinden. Zwar wird keine der Ideen realisiert, aber sie zeugen vom technischen Erfindergeist der Ingenieure. Einzig Eduard Gruner formuliert 1947 mit einem Tunnel am Talboden eine Idee, die 70 Jahre später mit dem Basistunnel ansatzweise realisiert wird. Auch für die Beförderung werden visionäre Vorschläge ausgearbeitet: So soll der Autoverkehr bei Gruner in zweistöckigen Tunnels mit dem Bahnverkehr kombiniert, oder in doppelstöckigen Autozügen geführt werden.

Blick in den zweiten Raum der Ausstellung „Gotthard. Ab durch den Berg“. © Schweizerisches Nationalmuseum, Foto Mara Truog.

Den Berg vermessen

Voraussetzung für den Bau eines Tunnels, der Streckenführung und der Kostenberechnungen sind präzise Vermessungen. Die ersten Vermessungen des Gotthardmassivs gehen ins 18. Jahrhundert zurück und gipfeln 1845 bis 1865 in der Dufourkarte, der ersten topografischen Karte der Schweiz, die nach dem Ingenieur und Offizier Guillaume-Henri Dufour benannt ist. Erstmals werden Höhe und Ausmasse des Gotthardmassivs festgelegt. Obwohl die Dufourkarte das damals präziseste Kartenwerk darstellt, braucht es für die Gotthardbahn erneute Vermessungen, die von den deutschen Ingenieuren Otto Gelpke und Carl Coppe unabhängig voneinander 1869 und 1872 vorgenommen werden. Trotz einfacher technischer Geräte wie dem Vermessungseisen sind die Messungen von Gelpke und Coppe für den Eisenbahntunnel erstaunlich präzis. Die Abweichungen der von beiden Bergseiten aufeinander zulaufenden Stollen liegen bei lediglich 33 cm horizontal und 5 cm vertikal. 

Diskussionen

Wagemutige Infrastrukturprojekte wie die Tunnels durch das Gotthardmassiv setzen politische Diskussionen in Gang. Seit der Gründung des Bundesstaates 1848 wird auf Bundesebene mehr als 20 Mal über verkehrspolitische Vorlagen rund um den Gotthard abgestimmt. Mitte des 19. Jahrhunderts dominieren die Diskussionen um den idealen Standort für eine Nord-Süd-Verbindung. Im frühen 20. Jahrhundert ist es die Frage der Verstaatlichung der Bahnstrecke, die bis 1909 eine Privatbahn bleibt. Seit der Eröffnung des Strassentunnels in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind es ökologische Fragen, die mitunter zum Bau des Basistunnels führen. 

Blick auf Louis Favre und Alfred Escher. © Schweizerisches Nationalmuseum, Foto Mara Truog.

Bauen und Finanzieren

Der Bau des grossen Eisenbahntunnels zwischen Göschenen und Airolo ist ein privatrechtliches Projekt, das von zwei Persönlichkeiten geprägt ist: dem Bauunternehmer Louis Favre und dem Präsidenten der Gotthardbahn-Gesellschaft Alfred Escher, Politiker und Wirtschaftsführer.

Blick auf den Themenbereich „Bauen und Finanzieren / Tunnelgestaltung“. © Schweizerisches Nationalmuseum, Foto Mara Truog.

Der Bau der Gotthardeisenbahn von Immensee bis Chiasso wird grösstenteils privat finanziert. Die öffentliche Hand der Schweiz (Bund, Kantone, Städte) ist an den Gesamtkosten von rund 220 Millionen Franken mit nicht einmal 10% engagiert. Der Strassentunnel wird durch die Kantone Tessin und Uri gebaut und zu über 90% vom Bund finanziert. Die Aufträge für die Baustellen auf der Nord-und Südseite werden an zwei Unternehmergruppen vergeben. Für den Basistunnel wird die AlpTransit AG, eine Tochtergesellschaft der SBB gegründet, die gegenüber dem Bund für Termine und Budgets verantwortlich zeichnet. 

Entwicklung der Werkzeuge

Für den Eisenbahntunnel werden die mechanischen Bohrmaschinen des 1871 eröffneten Mont-Cenis-Tunnels in Frankreich verwendet. Neu wird am Gotthard mit Dynamit gesprengt, was die Arbeiten massiv beschleunigt.

Blick auf den Themenbereich „Entwicklung der Werkzeuge“. © Schweizerisches Nationalmuseum, Foto Mara Truog.

Im Autobahntunnel werden Fräsmaschinen für die Lüftungsschächte eingesetzt. Sie ermöglichen ein Ausbrechen ohne Sprengstoff und leiten den zusammenhängenden Prozess von Materialausbruch und Tunnelausbau ein. Mit den Tunnelbohrmaschinen, die im Basistunnel zum Einsatz kommen, wird dieser Ansatz perfektioniert: Während sie sich durch den Berg graben, fertigen sie zugleich einen Tunnel im Rohbau an.

Gefahren unter Tag

Im 19. Jahrhundert ist die Arbeit im Tunnel sehr gefährlich. Die auf engstem Raum eingesetzten Geräte und Sprengstoffe verursachen Unfälle. Die ungenügende Belüftung schwächt die Arbeiter und Krankheiten verbreiten sich wegen der Hitze im Tunnel rasend schnell.

Blick auf den Themenbereich „Gefahren unter Tag“. © Schweizerisches Nationalmuseum, Foto Mara Truog.

Der Bau des Eisenbahntunnels fordert mindestens 199 Menschenleben. Beim Strassentunnel wird die Sicherheit der Arbeiter höher bewertet und technische Fortschritte helfen die Zahl der Opfer auf 18 zu senken. Auf der Baustelle des Basistunnels schaffen Kühlung, Belüftung und Automatisierung bessere Arbeitsbedingungen. Trotzdem sterben während den 17 Jahren Bauzeit acht Tunnelbauer. 

Die Veränderung der Nutzung

Die drei Tunnels haben die Nutzung und Wahrnehmung des Gotthards stark verändert. Was für Jahrhunderte ein schwer zu überwindendes Hindernis war, wird innert weniger Jahrzehnte zu einer Durchgangsachse für die Massen. Mit dem technischen Fortschritt nimmt die Beschleunigung am Gotthard zu und bringt Norden und Süden einander näher. Je intensiver der Berg genutzt wird, umso mehr verliert er seine Anziehungskraft für Schriftsteller und Künstler. An ihre Stelle treten Tourismus, Verkehrsaufkommen, Warentransfer und die militärische Nutzung. Die touristische Nutzung beginnt 1830 mit der Postkutsche über den Pass zwischen Flüelen und Camerlata. Mit der Eisenbahnstrecke kommen ab 1882 die Reisenden in Scharen. Je stärker der Gotthard militärisch genutzt und verbaut wird, desto mehr geht der Tourismus gegen Mitte des 20. Jahrhunderts zurück. Mit dem Autobahntunnel wird der Gotthard endgültig zur Durchgangsachse: Heute werden jährlich 24,3 Millionen Tonnen Güter, 4 Millionen Zugpassagiere und 6 Millionen Fahrzeuge durch den Berg befördert.

Der letzte Postillion

1873 erhält Alfred Escher als zurücktretender Präsident der Nordostbahn Rudolf Kollers Gemälde Gotthardpost geschenkt. Es ist klar, dass die seit 1830 betriebene Pferdepost von Eschers Eisenbahn verdrängt werden wird.

Blick auf den Themenbereich „Der letzte Postillion“ mit Medienstation. © Schweizerisches Nationalmuseum, Foto Mara Truog.

Das Bild gibt die endende Ära in fast unwirklicher Dynamik wieder. Mit der Eisenbahn hält eine neue Geschwindigkeit am Gotthard Einzug. Die Pferdepost bedient nach der Eröffnung des Eisenbahntunnels 1882 nur noch die Route Göschenen–Airolo. 1922 wird sie durch das Postauto ersetzt. Kollers Gemälde gehört zu den am häuftigsten reproduzierten Schweizer Kunstwerke. Escher selbst soll keinen Gefallen daran gefunden haben.

Tor zum Süden

Mit der Eröffnung des Strassentunnels 1980 steigt das Verkehrsaufkommen sprunghaft an. Schon im ersten Betriebsjahr passieren 2,9 Millionen Fahrzeuge den Tunnel. Der Begriff der Blechlawine umschreibt die kilometerlangen, langsam vorankommenden Autoschlangen.

Blick auf die Gotthard-Zeitachse (Ausschnitt). © Schweizerisches Nationalmuseum, Foto Mara Truog.

Auf der Südseite ergiesst sich der Verkehr in die Dörfer der Leventina. 1986 wird die Autobahn zwischen Airolo und Bellinzona komplett ausgebaut und der Transitverkehr wird kanalisiert. Keine Touristen verweilen mehr in den Tälern zu beiden Seiten des Tunnels. Trotzdem prägen die Autobahnschneise und die Präsenz von Autos und Lastwagen – und mit ihnen Luftschadstoffbelastungen und Lärm – die Täler. 

Mehr zur Ausstellung und dem Rahmenprogramm finden Sie auf der Seite des Schweizer Nationalmuseums.

Die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels feiert auch eine Schweizer Neuausgabe. Dieses Ereignis würdigt unser Hauptartikel ausführlich.