9/11 und die einzige Auktion, die Stack’s je absagen musste

Ein Tag, der Geschichte schrieb und unvergessen ist: Die Terrorattentate von 9/11. Harvey Stack schildert, wie er und seine Familie in New York City diesen furchtbaren Tag erlebten. Foto: WikiImages / Pixabay.
[bsa_pro_ad_space id=4]

Stack’s plante 2001 eine wichtige Auktion für den 12. und 13. September in New York. Die Münzen reichte unser teurer Freund, der Sammler und große Lehrer Cornelius Vermeule ein. Er war der numismatische Leiter im Boston Museum of Fine Arts und der Massachusetts Historical Society, sammelte selbst und lehrte griechische und römische Geschichte. Außerdem interessierte er sich sehr für fernöstliche Münzen. Seine Sammlung war eine der bedeutendsten auf den verschiedenen Gebieten, die er pflegte.

Wir alle, die gesamte Familie Stack, waren eng befreundet mit „Bucky“ (so nannten ihn seine engsten Freunde und Kollegen) und wir hielten es für angemessen, seine Sammlung in unserer Auktion im Frühherbst zu versteigern. Der Termin lag noch nah an der Summer ANA Convention, so dass viele unserer Kunden, die von Übersee anreisten, noch immer in den USA sein würden, einen Besichtigungstermin für die Sammlung einplanen und entweder Vorabgebote abgeben oder sogar an der Auktion teilnehmen könnten. Der Termin sollte kurz nach dem Tag der Arbeit in diesem Jahr liegen, so entschieden wir uns für den 12. und 13. September 2001. Ein reichbebilderter Katalog wurde vorbereitet und wir planten eine lange Ausstellung vor der Auktion, um ein möglichst gutes Publikum zusammenzubekommen.

2001 lebte die gesamte Familie Stack auf Long Island, etwa 40 Minuten entfernt von unserem Geschäft. Diese Familienmitglieder waren ich selbst (Harvey), mein Sohn Larry, meine Frau Harriet und meine Tochter Susan. Wir fuhren alle in einem Auto mit Gepäck für mehrere Übernachtungen, hatten für unsere Angestellten Hotelzimmer reserviert und brachen frühmorgens auf, um pünktlich öffnen zu können. So wollten wir alle, die am 11. und 12. September die Stücke besichtigen wollten, rechtzeitig bedienen können. Manche kamen nämlich auch schon vorher und es gab einen riesigen Andrang für die Vorabbesichtigung.

Die Katastrophe

Wir fuhren also durch Queens auf unserem Weg zu der Brücke über den Fluss Harlem, nach Manhattan, dann zum Westside Drive den Hudson entlang ins Zentrum von New York. Als wir gerade auf die Brücke fuhren, kam eine Durchsage im Radio, dass ein Flugzeug in einen der Twin Towers geflogen sei, Menschen versuchten, aus dem Gebäude zu kommen. Tausende arbeiteten dort drinnen und viele seien in den Flammen und beim Zusammenbruch des Gebäudes umgekommen. Kurz danach folgte die Durchsage, auch der zweite Turm sei von einem weiteren Passagierflugzeug getroffen, so dass die Gebäude in noch mehr Feuer gehüllt wurden und immer mehr Trümmer herabstürzten. Diese Berichte waren furchtbar. Und die Familie Stack fuhr noch immer über die Brücke nach Manhattan und dem Westside Drive, Leute stürzten hinaus auf die Straße, ohne zu wissen, wohin sie gingen. Alle waren außer sich und schauten sich um, ob noch mehr Flugzeuge in ihre Richtung fliegen würden. An der 155. Straße fuhren wir an dem Hof vorbei, wo das Museum und die Bibliothek der American Numismatic Society für Jahrzehnte gelegen hatte. Dann bogen wir nach Süden auf den Broadway und fuhren ein paar Blocks weiter.

Wir konnten nach Osten auf die 86. Straße fahren und als wir zum Broadway kamen, ging es weiter nach Süden, da uns der Weg nach Osten von der gesamten Länge des Central Park versperrt war. Wir fuhren also weiter den Broadway runter, vorbei am Lincoln Center im 60er Gebiet und wieder auf den Broadway rauf. Da waren wir dann nur noch ein paar Blocks entfernt von der 56. Straße, wo wir einen Parkplatz in einem Parkhaus reserviert hatten zwischen 7th Avenue und Avenue of the Americas (der alten 6th Avenue) und fuhren auch gleich darauf ins Parkhaus. Wir schnappten uns unser Gepäck und gingen nach nebenan ins Parker Meridian Hotel, das Eingänge sowohl auf die 56. als auch auf die 57. Straße hatte, gerade schräg auf der anderen Straßenseite von unserem Geschäft 123 West 57. Straße. Was für eine Erleichterung, als wir sahen, dass die Fenstergitter noch immer unten waren, kein Zeichen von Vandalismus, unser bewaffneter Securitymann stand am Eingang. Wenigstens hatten wir es geschafft in unser „Heim fern von unserem Heim“!

Mitten in Downtown New York erlebte die Familie Stack 9/11 und die nächsten Tage. Sie wollte damals eine Auktion vorbereiten – die dann aber aufgrund der dramatischen Ereignisse entfiel. Foto: Jesse Echevarria auf Unsplash.

Die Entscheidung

Wir gingen durch die Lobby des Hotel Salisbury (unseres Vermieters). Ich öffnete den Laden vom Zugang der Hotellobby, wollte die Alarmanlage ausschalten (aber sie funktionierte nicht), schaltete das Licht an, das aber nur teilweise ging, und bemerkte, dass auch die Klimaanlage nicht richtig lief. Wir hörten weiter Radio (batteriebetrieben) und erfuhren von dem dritten Flugzeug, das das Pentagon getroffen hatte, und von einem vierten, das in Pennsylvania abgestürzt war. Niemand wusste, ob nicht noch mehr Flugzeuge kommen würden, woher sie kamen und wie groß genau der gewaltige Schaden und die Anzahl der Toten am Trade Center war. Aber wir und ein paar Angestellte, die mit der U-Bahn oder dem Bus gekommen waren, hatten es in den Laden geschafft.

Larry und ich gingen die ganze Situation durch und uns wurde klar, dass alle, die mit dem Flugzeug oder Zug aber auch mit dem Auto anreisen würden, kaum überhaupt bis nach New York kommen könnten, um ihre Lose zu besichtigen und an der Auktion teilzuehmen.

Was tun? Wir entschlossen uns, die Auktion abzusagen! Die meisten Geschäfte in New York verhielten sich so, die Stadt konnte weiterhin ein Angriffsziel sein und die Menschen dort oder auf dem Weg dorthin wären dann nicht sicher. Wir überlegten, dass wir den Katalog noch einmal herausgeben und die Auktion Cornelius Vermeule im November abhalten könnten, wenn sich die Situation, die einen Tag vor der Auktion entstanden war, entspannt hätte.

Wenn jemand anrief, erklärten wir, dass die Auktion abgesagt sei. Wer zu Fuß vorbeischaute bekam gesagt, dass die Auktion abgesagt war. Auch im Internet machten wir dieselbe Ankündigung. Stack’s hatte zwischen 1935 und 2001 über 700 Auktionen durchgeführt oder die Kataloge dafür erstellt, doch das war die allerste Auktion, die abgesagt werden musste. Es war ohne Zweifel die richtige Entscheidung gewesen.

Anmerkung: Eine ähnliche Situation 1963

Eine numismatische Anmerkung noch: Am Tag, als John Kennedy 1963 in Dallas erschossen wurde, sahen wir uns vor ein ähnliches Problem gestellt. Wäre es unpatriotisch, an einem solchen Tag eine Auktion durchzuführen? Wir waren ratlos. Zu Hilfe kam uns einer unserer großartigen Numismatiker, James C. Risk, der im Zweiten Weltkrieg in der Navy gedient und später als Diplomat in England gearbeitet hatte. Er rief für uns einen engen Freund im Außenministerium an, um zu fragen, ob diese Auktion unpatriotisch wäre. Die Antwort: Da diese Auktion vor dem Attentat bereits geplant gewesen war und Leute angereist waren und vor Ort auf die Veranstaltung warteten, empfahl man, dass der Organisator (in dem Fall der Auktionator) vor Auktionsbeginn alle Teilnehmenden auffordern sollte, sich zu einem Schweigemoment zu erheben, ein Gebet zu sprechen und etwa zwei Minuten in ruhigem Nachdenken zu verweilen. Danach sollte die Auktion wie geplant stattfinden. Ich, Harvey G. Stack, war der vorgesehene Auktionator für die Auktion. Ich sprach also die entsprechende Aufforderung und ließ alle über zwei Minuten stillstehen. Dann rief ich das erste Los aus. Es war ein so bewegender Moment für mich und alle Teilnehmer, dass ich beim ersten Ausruf ins Stammeln geriet. Auch das Bieten zog sich und das Los ging dann an einen Bieter im Saal. Auch bei den nächsten vier oder fünf Losen stammelte ich noch, aber die Lose wurden verkauft. Als diese emotionale Welle dann von mir gewichen war, rief ich alle verbliebenen Lose des Abends erfolgreich aus. In meinem Leben als professioneller Auktionator waren diese ersten Lose die schwierigsten, die ich je ausgerufen habe. Aber ich bin sicher, Sie können die Gefühle erahnen, die mich an diesem Abend bewegten.

Der Abend von 9/11

Kommen wir zurück zum Abend von 9/11. Unsere nächste Aufgabe bestand darin, etwas zu essen zu finden. Die meisten Restaurants waren geschlossen, manche hatten sich regelrecht verrammelt, weil sie Plünderer fürchteten. Bei den Stromausfällen, zu denen es immer wieder kam, bei den unterbrochenen Telefonleitungen und den eingestellten Lieferungen, mussten alle schauen, wie sie überlebten und am besten versuchen, zu sich nach Hause zu kommen. Glücklicherweise gab es gleich auf der anderen Straßenseite ein sehr gutes griechisches Restaurant und wir bekamen alle etwas zu essen – in kleinen Gruppen – und versuchten danach, auf unsere Hotelzimmer zu bekommen. Noch so eine Herausforderung. Wer auf einem der unteren Stockwerke untergebracht war, konnte laufen. Für die anderen von uns brachten die Angestellten des Hotel Salisbury ein paar Feldlager in unser Büro, wobei dort die Klimaanlage hakte. Also wechselten wir uns ab, um bei ein paar Schritten vor der Tür immer wieder mal frische Luft schnappen zu können – es war eine heiße und schwüle Nacht, aber wir haben durchgehalten.

Harvey G. Stack hat viel erlebt in seiner langen Karriere als Münzhändler, Auktionator und Mitgründer von Stack’s Bowers. Aber 9/11 war ein Moment, den er nie vergessen wird.

Der Tag danach

Unser Geschäft konnten wir nicht verlassen, denn unsere Alarmanlage funktionierte nicht. Und wenn jemand eingebrochen wäre, hätte es zu einer Katastrophe kommen können. Am 12. September 2001 funktionierten die Dinge langsam wieder, das Radio informierte uns über den Zusammensturz des World Trade Center, den Anschlag auf das Pentagon und den Absturz in Pennsylvania. Grauenvolle Nachrichten. Auch während wir im Büro waren, hielt unser bewaffneter Securitymann Wache, damit niemand einbrach. Die Firma kümmerte sich darum, dass die Alarmanlage dank ein paar provisorischer Verbindungen wieder stabil lief, aber der Strom fiel dennoch dauernd aus, ebenso Telefon und Licht, und auch der Großteil unserer Elektrogeräte pausierte. Wir waren zwar da, aber praktisch in einem „Bitte bleiben Sie in der Leitung, bis der nächste freie Mitarbeiter für Sie da ist“-Modus!!!

Ein paar Restaurants hatten wieder Strom und geöffnet und wir fanden uns ein Frühstück und ein paar Sandwiches fürs Mittagessen. Am Tag nach dem Angriff erfuhren wir, dass unser Lieblingssteakhouse nur ein paar Blocks weiter geöffnet war. Also lud ich die Mitarbeiterinnen, die bei uns ausgehart hatten und meine ganze Familie zum berühmten Ben Benson’s, in der Hoffnung, nach all dem Ausharren endlich wieder eine anständige Mahlzeit zu bekommen. Die Kühlanlagen dort schienen zu laufen, so dass die meisten von uns einen Meeresfrüchtecocktail bestellten, Steak oder Lammkoteletts, aber kein Brot. Durch den Terrorangriff kamen nämlich keine Lieferungen von frischen Lebensmitteln mehr nach Manhattan. Wegen Bombendrohungen kamen die Laster nicht durch. Also hatten wir nur Cracker, aber wir waren dankbar dafür!!!

13. September 2001

Am 13. September 2001, zwei Tage nach den Anschlägen, gab es wieder ganz normal Strom, die Telefone funktionierten, die Klimaanlage ebenso (wir hatten noch immer ein sehr heißes und schwüles Sommerwetter für New Yorker Verhältnisse, aber die Stadt fing langsam wieder an, zu einer gewissen Ordnung zurückzufinden). Auf den Straßen patrouillierten ständig wechselnd Polizeiwagen, Krankenwagen und Feuerwehrwagen. Stack’s überlebte diese Krise und unsere Kunden dankten uns dafür, dass wir die Auktion abgesagt hatten. Kurz darauf konnte unser Geschäft glücklicherweise wieder seinen Betrieb aufnehmen. Noch heute läuft mir ein Schauer den Rücken herunter und ich hoffe, dass wir nicht noch einmal eine solche Situation erleben müssen wie 9/11.

 

Für weitere Informationen gehen Sie auf die Seite von Stack’s Bowers.

In unserem Who’s who lesen Sie mehr über Harvey G. Stack.

Letztes Jahr eröffnete Stack’s Bowers eine weitere Filiale in der New Yorker Innenstadt.