Weltmacht Portugal Teil 10: Von den Zisterziensern zu Salazar

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Portugal ist mehr als Algarve und Vinho Verde. Portugal ist ein Land mit einer höchst komplexen Geschichte. Dazu gehört unter anderem eine brutale Diktatur, die erst im Jahre 1968 endete. Der Schweizer Roman „Nachtzug nach Lissabon“ hat diese Episode publikumswirksam wieder in das kollektive Gedächtnis zurückgerufen. Doch in Portugal selbst gibt es Zeugnisse, die sind noch weit eindrücklicher…

 

Mittwoch, 15. April 2015 – Alcobaca

Portugal ist immer für eine Überraschung gut. Es war etwas regnerisch, als wir an diesem Morgen losfuhren. Über Dorfstraßen kamen wir nach Alcobaca. Das, was in jedem Reiseführer als der Inbegriff der Gotik und das bedeutendste Kloster des Mittelalters gepriesen wird, tat von außen so, als sei es von schönstem Barock.

Das Kloster von Alcobaca ist eng mit Bernhard von Clairvaux verbunden. Und über den kann man ja vielerlei sagen, nach modernen Maßstäben allerdings wenig Gutes. Er dürfte wohl einer der größten Eiferer des Hochmittelalters gewesen sein, der mit seinem Hass auf alles Nicht-Katholische einen Abelard als Häretiker ins Kloster trieb und den zweiten Kreuzzug so richtig in Schwung brachte.

Der hatte ja, wie allgemein bekannt, ein ziemlich beschämendes Ende genommen. Schon im Vorfeld hatte ein Ordensbruder des Bernhard Judenverfolgungen im Rheinland verursacht. Dann ertrank auch noch der deutsche Kaiser Friedrich Barbarossa im Saleph. König Ludwig von Frankreich zerstritt sich mit seiner Eleonore von Aquitanien. Und eine Eroberung des eigentlich mit den Kreuzfahrern verbündeten Damaskus – es war reich und ein lohnendes Ziel – scheiterte noch dazu. Bernhard war deprimiert. Gott hatte es nicht gewollt. (Natürlich nur, weil die Kreuzfahrer so sündig gewesen war, wie er in seinem Entschuldigungsschreiben an den Papst vorbrachte.) Bernhard litt unter den Vorwürfen, die ihm gemacht wurden, weil er diesen gescheiterten Kreuzzug initiiert hatte. Und das tat wiederum Afonso Henriques sehr leid, denn für ihn hatte der zweite Kreuzzug allerhand Gutes gebracht. Schließlich hatten die Kreuzfahrer des Zweiten Kreuzzugs in seinem Auftrag (und gegen Anteil an der Beute) Lissabon und sonst noch dies und das erobert. Der portugiesische König war Bernhard von Clairvaux also für seine Bemühungen in Sachen Glaubenskrieg enorm dankbar, und das zeigte er, indem er 1153, kurz vor Bernhards Tod, ein großes Zisterzienserkloster in Portugal gründete, als Dank für Bernhard und um an seine Siege über die Mauren zu erinnern.

Die Zisterzienser kamen, und 1178 begann man mit dem Bau des Klosters. Nun waren die Zisterzienser ja nicht einfach nur Mönche. Persönlich eher bescheiden, krempelten sie alles, was sie vorfanden, völlig um. Sie brachten neue Techniken in der Landwirtschaft, kauften ein frei werdendes Gelände nach dem anderen und wurden damit reich, aber so richtig reich, was man der Architektur heute noch ansieht.

Als wir die Kirche das erste Mal betraten, waren wir hingerissen darüber, wie wenig barocke Zutaten im Gemäuer untergestellt sind. Heutigen Besuchern gefällt’s. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden die Zisterzienser allerdings nicht so davon begeistert gewesen sein, dass die Soldaten Napoleons ihr Kloster plünderten, die Särge aufbrachen und die Innenausstattung der Kirche verbrannten. Die revolutionären Truppen machten dabei auch nicht vor den großen emotionalen Heiligtümern der Kirche halt. Es handelt sich dabei nicht etwa um Reliquien, sondern um die Sarkophage von zwei Menschen, die eine Liebe lebten, wie sie im Mittelalter eigentlich nicht hätte möglich sein sollen.

Ines de Castro war die illegitime Tochter eines portugiesischen Adligen, eine Frau, die nicht richtig zur guten Gesellschaft dazu gehörte, aber vom Rand aus zuschaute. Sie kam als bessere Dienstmagd der Frau des Kronprinzen ins Schloss. Sie muss anziehend gewesen sein, denn der Ehemann, Pedro, verliebte sich sofort in sie. Natürlich war sein Vater, Afonso IV., nicht begeistert. Vor allem nicht nachdem die Frau des Kronprinzen gestorben war. Pedro wollte seine Ines. Und sein Vater wollte standesgemäße Thronerben. Beides zusammen war nicht machbar, was Afonso dazu brachte, den Tod der Ines zu befehlen.

Detail des Sargs von Pedro I., die Rosette zeigt das Martyrium seiner geliebten Ines. Foto: KW.

Vor den Augen ihrer Kinder sollen ihre königlichen Mörder sie enthauptet haben. Pedro war zu tiefst getroffen. Nicht nur in seinen Gefühlen, auch in seiner Ehre als Kronprinz. Nachdem er selbst im Jahr 1357 als Pedro I. den Thron bestiegen hatte, ließ er ihre Mörder hinrichten, indem er ihnen das Herz aus dem Leibe reißen ließ – so wie sie mit dem Auftragsmord einst seines zerrissen hatten. So jedenfalls die offizielle Begründung für die Strafe. Und das ist nicht unglaubwürdig, denn im Mittelalter bemühte man sich immer, in der Strafe ein Abbild des Verbrechens zu schaffen.

Pedro behauptete, er habe Ines geheiratet (einen anderen Beweis als sein Wort gibt es dafür nicht), und die Kinder aus der Ehe seien ehelich. Nach seinem Tod sorgte das noch für ziemlichen Wirbel, da sein einziger (legitimer) Sohn relativ früh kinderlos verstarb und auf einmal nur noch uneheliche, bzw. vielleicht eheliche Nachkommen vorhanden waren. Von denen setze sich dann nicht etwa ein Sohn der Ines des Castro durch, sondern der anderthalb Jahre nach dem Tod der Ines gezeugte Joao I.

Wie auch immer, in Portugal kennt jedes Kind die Liebesgeschichte zwischen Pedro I. und der schönen Ines. Deshalb eilt eine Reisegruppe nach der anderen durch Kirche und Kloster. Da wird die Geschichte von Pedro und Ines auf englisch erzählt, auf deutsch, auf japanisch, und gerne auch auf portugiesisch. Dann geht es weiter, in den Kreuzgang des Schweigens, in dem allerdings kein Schweigen herrscht.

Als wir ihn betraten, tönte aus dem Kapitelsaal ein lieblicher Gesang. Ehrfürchtig lauschten wir zusammen mit einer deutschen Reisegruppe dem Sänger, der im Falsett der barocken Kastraten einige Paradestücke für Sopran zum Besten gab. Natürlich zuerst das unvermeidliche Ave Maria.

Die Gruppe gab ein anständiges Trinkgeld und eilte weiter. Wir gaben ebenfalls und setzten uns in den Kreuzgang, um die Atmosphäre zu schnuppern. Bis die nächste Gruppe herbeieilte, um ebenfalls mit einem Ave Maria beglückt zu werden. Nach der vierten Gruppe und dem vierten Ave Maria hätte ich meine Spende am liebsten verdoppelt, wenn der Sänger nur endlich mit diesem kitschigen Ave Maria aufgehört hätte.

Der Sandstrand von Peniche. Foto: KW.

Wir warfen noch einen Blick in die Küche mit ihrem enormen Schornstein auf vier Eisenfüßen und den großen Fischbecken, die einst vom vorbeifließenden Alcoa mit Wasser gespeist wurden, die vorindustrielle Variante von fließend kaltem Wasser…

Nicht zu vergessen, das gewaltige Dormitorium, in dem die Mönche gemeinsam schliefen. Trennwände für einzelne Zellen wurden erst im 16. Jahrhundert eingebaut.

Und damit verließen wir Alcobaca, um weiterzufahren nach Peniche.

Festung von Peniche. Foto: KW.

Peniche ist heute eine hübsche Halbinsel mit einem bekannten Sandstrand, an dem Touristen das tun, was man an Sandstränden so zu tun pflegt.

In den meisten Fällen werden sie viel zu beschäftigt sein, um die Festung von Peniche zu besuchen, die Ende des 16. Jahrhunderts errichtet wurde, um die Halbinsel vor Besuchen der Piraten zu verteidigen. Damit ersparen sie sich einiges. Denn der Besuch des Festungsmuseums kann den Glauben an das Gute im Menschen durchaus ins Wanken bringen.

Portugal, 1. Republik. Escudo 1910. Aus Auktion Rauch 17 (2015), 1820.

1910 wurde in Portugal die Republik ausgerufen. 16 Jahre lang versuchten die Anhänger der Demokratie ein funktionierendes Staatswesen aufzubauen. Sie scheiterten. Am 28. Mai 1926 endete der erste demokratische Versuch Portugals in einem Staatsstreich, der in dem mündete, was als Estado Novo in die portugiesische Geschichte eingegangen ist. Damit hielt die erste portugiesische Republik immerhin ein Jahr länger durch als ihr deutsches Äquivalent, die Weimarer Republik.

Portugal, Estado Novo. 2 1/2 Escudos 1933. Aus Auktion Heidelberger Münzhandlung 57 (2011), 551.

Man muss sich unter dem Estado Novo eine Militärdiktatur vorstellen, die einem ehemaligen Professor für Volkswirtschaftslehre unterstand. Antonio de Oliveira Salazar war 1928 zum Finanzminister ernannt worden. Er hatte sich die vollständige Handlungsfreiheit hinsichtlich der Staatsfinanzen ausbedungen und auch erhalten. Und über die Finanzen gelang es Salazar bald, die ganze Politik Portugals zu kontrollieren.

1932 wurde er zum Premierminister. 1933 erhielt Portugal eine neue Verfassung, die lediglich eine Partei vorsah, nämlich die seinige.

Pressezensur, Streikverbot, Parteienverbot, dazu eine Geheime Staatspolizei namens PIDE, die skrupellos mordete und folterte: Salazar richtete eine absolute Herrschaft der Angst in Portugal ein. Dass man seine Diktatur nicht als „faschistisch“ bezeichnet, sondern als „konservativ-autoritäre Diktatur mit klerikal-faschistischen Zügen“ dürften die Opfer Salazars nicht interessiert haben.

Portugal, 2. Republik. Prägung für Timor. 20 Avos 1945. Aus Auktion Münzen und Medaillen 8 (2001), 662.

Salazar gelang es, sich aus dem Zweiten Weltkrieg herauszuhalten, so dass Portugal seine Kolonien behalten konnte. In den 60er Jahren aber war die Zeit der europäischen Herrschaft vorbei, etwas, das Salazar nicht wahrhaben wollte. Vor allem der Unabhängigkeitskrieg Angolas ist durch die Grausamkeit, mit der er geführt wurde, bekannt geworden.

1968 erlitt Salazar einen Schlaganfall. Sein Nachfolger wurde Marcelo Caetano, auch er ein Professor, allerdings an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Er wurde 1974 durch die Nelkenrevolution außer Landes getrieben.

Festung Peniche. Foto: KW.

Und während all der Jahre diente Peniche als Gefängnis für politische Gefangene. Die lebten in den Katakomben des Baus, die bei Flut teilweise bis zu einem Meter mit Meereswasser überschwemmt wurden. Berühmt geworden ist Peniche durch die Flucht Alvaro Cunhals, der zwei Jahre später der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Portugals werden sollte. Er hatte acht Jahre in der Festung Peniche verbracht, ehe ihm am 3. Januar 1960 die Flucht aus der Festung gelang. Ein Wachposten war insgeheim auf der Seite der Kommunisten und betäubte seinen Kollegen mit Äther. Die Fliehenden seilten sich etwa 10 Meter tief ab, um dann – immer noch aus beträchtlicher Höhe – ins eiskalte Meer zu springen. Es war Januar. Sie hatten nur wenige Minuten, ehe das kalte Wasser sie töten würde. Trotzdem sprangen sie, in der Hoffnung, dass wie versprochen ein Fischerboot auf sie warten würde. Tatsächlich hatten die Fischer von Peniche Wort gehalten, und so gelang die Flucht. Die Zeichnung des Fluchtwegs ist heute noch im Museum zu sehen.

Eigentlich hatten wir vorgehabt, danach noch in die mittelalterliche Festung Obidos zu fahren. Aber ob es die Muscheln vom Mittagessen oder die Geschichten aus der Festung Peniche waren, mir war schlecht. Außerdem nieselte es. Und während wir losfuhren, wurde der Nieselregen zu einem Wolkenbruch. So fuhren wir zurück nach Batalha, nicht ganz so unbeschwert, wie wir am frühen Morgen aufgebrochen waren.

In der nächsten Folge begleiten Sie uns in die römische Stadt Conimbriga und nach Aveiro, das sein Fremdenverkehrsamt als Venedig Portugals anpreist.

 

Hier finden Sie alle Folgen der Serie „Weltmacht Portugal“.

Übrigens, noch ein Nachtrag zu Cunhals Flucht aus Peniche. Sie gilt zwar als spektakulär, aber immerhin mussten die Flüchtenden wohl nicht ins eiskalte Wasser springen, sondern flohen in Autos, die auf sie warteten. Diesen Hinweis verdanken wir dem Mitautor des DuMont-Kunstreiseführers zu Portugal, Jürgen Strohmaier.