Ein großer Anfängerfehler bei der Beschäftigung mit Münzen ist zu glauben, das aufgeprägte Nominal sei auch der Wert der Münze. Das trifft bei unseren Umlaufmünzen noch zu, aber spätestens, wenn die Münzen aus Silber und Gold sind, ignoriert man das Nominal am besten vollständig, denn das ist um ein wirklich Vielfaches geringer als der eigentliche Materialwert. So steht auf dem American Gold Eagle zwar etwas von 50 Dollar, der Materialwert liegt aber bei etwa 2.000 Dollar. Stattdessen sollte man sich auf die Angabe von Gewicht und Feingehalt konzentrieren, die den Materialwert mit den aktuellen Edelmetallpreisen realistisch einschätzbar machen. Und dann gibt es noch einen Sammlerwert, der natürlich nicht so einfach zu beziffern ist und von vielen Kriterien abhängen kann. Schauen wir uns als Beispiel doch mal die 2017 gestohlene Riesengoldmünze Big Maple Leaf an – da gibt es nämlich neue Entwicklungen.
Sind 100 Kilo Feingold nur 1 Million Dollar wert?
Die Grundzüge des berühmten Falls müssen wohl nicht mehr erklärt werden. (Falls doch: Hier finden Sie unsere bisherigen Artikel dazu.) Die gestohlene Goldmünze hatte ein beeindruckendes Nominal: „1 MILLION DOLLARS“ liest man da – gemeint sind natürlich kanadische Dollar, das wären umgerechnet momentan etwa 680.000 Euro. Schon nicht schlecht, aber die Münze bestand aus 100 Kilo Feingold. Und damit lag der Materialwert zur Zeit des Diebstahls bei etwa 4,2 Millionen Euro. Und zu dieser Summe war die Münze auch versichert worden, bevor sie ihr Besitzer, ein Düsseldorfer Kunstsammler, dem Münzkabinett im Berliner Bode-Museum auslieh. Sicher könnte man in diesem Fall auch von einem darüberhinausgehenden Sammlerwert ausgehen, ist die Münze doch eines von nur 5 Exemplaren und durch die außergewöhnliche Größe herausstechend. Ob das in der Versicherungssumme berücksichtigt ist, lässt sich nicht sagen.
Wer zahlt?
Den Dieben, die die Münze stahlen, ging es nur um den Materialwert. Denn soweit bekannt, wurde die Münze zersägt, eingeschmolzen und als Goldbarren weiterverkauft. Zwar sind die Täter inzwischen gefasst und verurteilt, doch eine Frage stellt sich: Wer kommt für den Schaden auf? Die Münze gehörte nicht der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die die meisten großen Museen in Berlin betreibt und zu der auch Münzkabinett und Bode-Museum gehören, sondern eben einem Privatmann, der wenig davon hat, dass ein paar junge Männer nun für vier Jahre im Gefängnis sitzen müssen – seine Münze bleibt verschwunden. Wer kommt für den Schaden auf, Versicherung oder Stiftung? Keine einfache Frage, nimmt doch niemand gern die Schuld und die damit einhergehenden Verpflichtungen auf sich. Der Sammler selbst sagte dazu in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: „Mein Problem ist, dass ich zwischen den Stühlen sitze, weil sich sowohl das Museum als auch die Versicherung nicht bewegen. Mir wäre es am liebsten, die beiden würden das untereinander klären, denn ich kann am wenigsten dafür. Meine Münze ist weg, und Geld habe ich auch keines bekommen.“
Geld gab es dann doch, allerdings nicht viel: Die Versicherung sah gravierende Sicherheits-Versäumnisse durch die Stiftung und zahlte deshalb nur einen Teil der Versicherungssumme, 20%, 840.000 Euro (wir berichteten).
Der Eigentümer war damit nicht zufrieden. (Wer wäre das schon?) Er klagte auf weitere Erstattung, verlor aber 2020 vor dem Berliner Landgericht. Doch er gab nicht auf und konnte nun am 26. Mai 2021 in der nächsten Instanz einen Teilerfolg erzielen.
Grobe Verletzung der Anzeigepflicht
Das Berliner Kammergericht befasste sich mit der Berufung des Eigentümers, der die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übrigens – sicher nicht ganz uneigennützig – als „Streithelferin des Verfahrens auf Klägerseite“ beitrat.
Grundsätzlich bestätigte das Gericht die schweren Versäumnisse von Seiten der Stiftung, die eine Minderung der Zahlung durch die Versicherung rechtfertigen. In der gerichtlichen Pressemeldung zu dem Prozess finden sich interessante Details dazu:
„Der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Versicherungsnehmerin habe nämlich grob fahrlässig die Anzeige einer eingetretenen Gefahrerhöhung (…) unterlassen. Der Defekt der Fensterflügel in dem Herrenumkleideraum im Bode-Museum sei aber eine anzeigepflichtige Gefahrenerhöhung gewesen. Dieser Defekt habe dazu geführt, dass die Öffnungssicherung der elektronischen Sicherungsüberwachung nicht mehr funktioniert, sondern stets einen Alarm wegen einer Öffnung des Fensters in diesem Raum angezeigt habe. Deswegen sei das Fenster im Herrenumkleideraum aus der Öffnungssicherung herausgenommen worden, um die Alarmanlage mit der Öffnungssicherung wenigstens in den übrigen aufgeschalteten Räumen wieder in Betrieb nehmen zu können. Dieser Umstand habe zu einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit eines Einbruchs in das Museum mit dem Ziel eines Diebstahls der Münze geführt und sei auch nicht durch andere Umstände kompensiert worden. (…)
Der 6. Zivilsenat des Kammergerichts sei daher davon überzeugt, dass die Beklagte die Einzelpolice nicht mit dem konkreten Inhalt abgeschlossen hätte, wenn sie von einer dauerhaften Deaktivierung der Öffnungssicherung am Fenster im Umkleideraum gewusst hätte.“
Und noch etwas kommt erschwerend hinzu: Diese Sicherheitslücken waren bekannt, wurden aber über Jahre nicht behoben und weder dem Leihgeber noch der Versicherung angezeigt:
„Die besonders grobe Verletzung der Anzeigepflicht liege (…) darin begründet, dass es die Stiftung Preußischer Kulturbesitz nach Eintritt der Gefahrerhöhung im Laufe des Jahres 2014 dennoch über Jahre hinweg unterlassen habe, diese Anzeige zu erstatten. Die Frist zur Anzeige der Gefahrerhöhung sei damit bei Eintritt des Versicherungsfalls im März 2017 bereits lange abgelaufen. Der Beklagten sei dagegen diese Gefahrerhöhung bis zum Eintritt des Versicherungsfalls nicht bekannt gewesen, sondern erst bei der Bearbeitung des Versicherungsfalls nach dem März 2017 bekannt geworden.“
Die Schuld der Stiftung wurde also bestätigt, allerdings urteilte das Gericht, dass die Versicherung zwar die Schadenssumme kürzen dürfe, allerdings nur auf 50%, die Versicherung muss also nun 2,1 Millionen statt 840.000 Euro bezahlen. Ob der Versicherer das Urteil akzeptiert, ist noch unklar.
Ein fatales Signal
Das Urteil war also Teilerfolg für den Eigentümer, der auf 3,34 Millionen Euro geklagt hatte. Immerhin, doch nach jetzigem Stand würde er weiterhin auf der Hälfte der Versicherungssumme sitzen bleiben – er als der Leihgeber, der am wenigsten für die Sache kann und bei dem es um private Vermögenswerte geht. Das wäre ein fatales Signal, das einige private Leihgeber sicher davon abschreckt, ihren Besitz zukünftig Museen zur Verfügung zu stellen. Ob der Eigentümer nun versuchen wird, die Stiftung in der Trägerschaft des Bundes für die verbleibenden 2,1 Millionen Euro aufkommen zu lassen, ist bisher nicht bekannt. Die gerichtlichen Feststellungen zu den gravierenden Sicherheits-Versäumnissen scheinen dies vorstellbar zu machen. Außerdem geht aus dem Urteil hervor, dass die Stiftung selbst Versicherungsnehmerin ist. Es wirkt daher befremdlich, dass es der Eigentümer, nicht der Versicherungsnehmer ist, der mit der Versicherung um seine Entschädigung streiten muss.
Um abschließend auf unsere Frage nach dem Wert zurückzukommen, soll dazu noch eins festgehalten werden: Selbst wenn der Eigentümer den vollen Versicherungswert von 4,2 Millionen Euro erhalten würde, wäre damit lediglich der Materialwert von vor 10 Jahren erreicht. Heute liegt dieser nochmal deutlich höher, nämlich bei ca. 5 Millionen Euro!
Alle unsere Beiträge zum Thema Big Maple Leaf finden Sie hier.
Die vollständige gerichtliche Pressemeldung zum Urteil finden Sie hier.