Das Interview führte Ursula Kampmann
UK: Können Sie sich erinnern, wann Sie zum ersten Mal Münzen als etwas Spannendes wahrgenommen haben?
Bernd Kluge in seinem Büro im Gespräch mit Ursula Kampmann.
BK: Das habe ich eigentlich erst begriffen, als ich schon im Münzkabinett war. Die Beschäftigung mit Münzen war mir nicht in die Wiege gelegt. Ich habe erst mit Münzen zu tun bekommen, als ich nach dem Studium der Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin versucht habe, irgendeinen geeigneten Arbeitsplatz im Bereich des Mittelalters zu finden. Die einzige Stelle, die sich damals auftat, war hier im Münzkabinett. Ich bin dann probeweise hierher gegangen, und eigentlich haben weniger die Münzen als die schönen Räume, die hohen Türen, die Bibliothek, dieses ganze noble und wissenschaftsfreundliche Ambiente, den Ausschlag gegeben. Also dachte ich, probier’ das mit der Numismatik einfach mal. Dass daraus etwas fürs Leben werden würde, war damals überhaupt noch nicht abzusehen.
UK: Können Sie sich an Ihren allerersten Arbeitstag erinnern?
Arthur Suhle, Direktor des Berliner Münzkabinetts 1898-1973. Aus B. Kluge, Das Münzkabinett, 2. Aufl., Berlin 2005, S. 27.
BK: An den kann ich mich genau erinnern. Das war am 1. Oktober 1972. Meine liebe Kollegin Lore Börner, die mich überhaupt erst für die Numismatik gewonnen hat, führte mich in den „Großen Tresor“, unser zentrales Sammlungsdepot. Dort saßen damals alle Wissenschaftler wie in einem Großraumbüro. Jeder hatte eine Schreibtischnische. Sie führte mich in eine der Nischen und sagte: „Das hier ist Ihr Platz, und hier hat bisher Professor Suhle gesessen. Ich habe Ihnen schon mal eine Schublade freigemacht.“ In die Schublade habe ich dann meine paar Utensilien reingelegt. Am nächsten Tag begann ich meine Selbstausbildung zum Numismatiker. Das erste, was ich gelernt habe, war, dass ein Groschen ein 1/24 Taler ist. Da ich im Zweitfach Bibliothekswissenschaft studiert hatte, war eine meiner ersten Aufgaben die Neuordnung der Bibliothek, speziell der Sonderdrucke. Auf diese Weise konnte ich mir ziemlich rasch einen Literaturüberblick verschaffen und die wichtigen Namen kennen lernen. Nach einem Jahr konnte ich schon etwas mitreden, nach drei Jahren habe ich meine erste numismatische Publikation veröffentlicht. (Das war: Brakteaten. Deutsche Münzen des Hochmittelalters, Berlin 1976 (Kleine Schriften des Münzkabinetts, Heft 2; Anm. d. Verf.).
UK: Wer waren damals Ihre Kollegen?
BK: Direktor war formell noch Arthur Suhle. Er war damals aber schon hoch in den Siebzigern und auf Grund von Krankheit auch nicht mehr in der Lage, regelmäßig Dienst zu tun. Er kam einmal die Woche und schaute nach dem Rechten, ließ sich unterhalten und hinterher wieder mit der Taxe nach Hause fahren. Mit den Geschäften im Kabinett hatte er eigentlich schon nichts mehr zu tun, das besorgte Lore Börner als seine Stellvertreterin. Fachlich war sie für die Medaillen und die neuzeitlichen Münzen zuständig. Den Bereich der Antike führte das Ehepaar Hans-Dietrich und Sabine Schultz. Meine Wenigkeit sollte das Mittelalter übernehmen und ferner Lore Börner für die Neuzeit entlasten. Ein Jahr nach mir kam noch Hermann Simon für die orientalischen Münzen hinzu. Außer diesen fünf Wissenschaftlern gab es zwei Restauratoren und eine Sekretärin.
UK: Was für Arbeiten standen damals an? Haben Sie die Münzen, die aus Russland zurückgekommen sind, erst mal ausgepackt?
Listen aus den sowjetischen Übergabeprotokollen zur Rückgabe der Münzen und Medaillen 1958. Aus B. Kluge, Das Münzkabinett, 2. Aufl., Berlin 2005, S. 29.
BK: Das Auspacken war schon lange passiert. Aber die große Arbeit, die immer noch anstand und in die ich mitten hinein kam, war die Generalrevision der Bestände nach der Rückführung aus der Sowjetunion 1958. Es hatte sich gezeigt, als man die Münztabletts wieder in die Schubladen einlegte, dass zwar alle Tabletts vorhanden waren, innerhalb der Tabletts aber eine ziemliche Unordnung herrschte. Daraufhin begann man dann richtig generalstabsmäßig eine Revision der Bestände von A-Z, indem in jedem Schrank, in jeder Lade systematisch von vorne bis hinten verglichen wurde, ob jede Münze auf dem richtigen Unterlagezettel mit der entsprechenden Provenienzangabe, liegt. Wir haben wirklich Stück für Stück über mehr als 20 Jahre überprüft, wobei die Aufgabe darin bestand, zu dem entsprechenden Unterlagezettel auch wieder die richtige Münze zu finden.
UK: Sind denn die Laden in Russland runtergefallen?
BK: Nein, sicher nicht. Die gesamte Sammlung war 1942 aus dem Kaiser Friedrich-Museum (heute Bode-Museum) in den Luftschutzkeller ins Pergamonmuseum evakuiert worden. Damals hatte man die Tabletts schon zu größeren Paketen verklebt und verschnürt, um sie zu transportieren. In diesen Paketen ist die Sammlung 1945 von der Roten Armee mit der Eisenbahn nach St. Petersburg, damals natürlich Leningrad, transportiert worden. In Leningrad sind dann wahrscheinlich zu Zwecken der Statistik und Zählung die Münzen von den Tabletts abgenommen worden und zwar nur die Gold- und Silbermünzen. Kupfer und Bronze wurden liegengelassen. Die Unordnung entstand dadurch, dass die Tabletts von den russischen Edelmetallzählern beim Wiedereinlegen der Münzen gedreht wurden. Unsere Tabletts liegen im Hochformat, die Russen haben ein Querformat draus gemacht, so dass zwar immer die richtigen Münzen im Tablett, aber auf völlig falschen Fächern lagen. Den Schlüssel dieser systematischen Unordnung zu finden, und die richtige Reihenfolge der Münzen wiederherzustellen, das war die kriminalistische Arbeit dieser Jahre.
UK: Wer hat damals gemerkt, dass es so funktionierte?
BK: Gemerkt haben es zuerst die Kollegen von der Antike. Für die Neuzeit war die Lage nicht so prekär, da die Münzen meist Jahreszahlen haben. Diese Jahreszahlen stehen auch auf den Unterlagezetteln, so dass man die Münzen vom Jahr 1768 relativ einfach wieder auf die Kartellen mit dem Jahr 1768 bringen konnte. Für Antike und Mittelalter gibt’s allerdings kaum Münzen mit Jahreszahlen. Da waren mitunter schon langwierige Provenienznachforschungen nötig, um die richtigen Münzen auf die Kartellen zu bringen. Beispielsweise sind die Fundprovenienzen für Mittelaltermünzen extrem wichtig, um Fragen zum Entstehungsort und zur Prägezeit der vielfach stummen Münzen zu klären, etwa bei den Brakteaten. Und das war manchmal so schwierig, dass man einen ganzen Tag an so einer Lade gebrütet hat.
UK: Wie war das Münzkabinett in die Museumsinsel eingebunden? Oder fragen wir lieber: Wer hat angeschafft, was wann wo ausgestellt wird?
Der Große Tresor, um 1975, damals noch ständiger Arbeitsplatz der wissenschaftlichen Mitarbeiter. Aus B. Kluge, Das Münzkabinett, 2. Aufl., Berlin 2005, S. 28.
BK: Das Münzkabinett war wie die Antikensammlung, Gemäldegalerie, Kupferstichkabinett oder wie das Museum für Vor- und Frühgeschichte eins von 13 Museen der Staatlichen Museen zu Berlin, Hauptstadt der DDR (so der offizielle Titel). Aber in der Frage, welche Ausstellung man macht, welche Erwerbung, welche Publikationen, da waren die einzelnen Museen frei.
UK: Sie haben gerade Erwerbungen gesagt. Konnte man zu Zeiten der DDR so problemlos ankaufen?
BK: Devisen, d. h. harte Währung, um international zu kaufen, gab es nicht. Aber wir hatten genug Geld für den Inlandsmarkt der DDR. Wir haben dieses Geld oft gar nicht restlos ausgeben können, weil das Angebot fehlte. Der DDR-Markt gab einfach nicht genug her. So haben wir vor allem gekauft im Bereich der neuzeitlichen Münzen und Medaillen. Wenig kaufen konnten wir im Bereich der antiken und mittelalterlichen Münzen, einfach weil das Angebot auch über den Staatlichen Kunsthandel dürftig war. Mehr haben wir aus Privathand erworben. Fast wichtiger als Kaufen war dabei das Tauschen. Privatsammler wollten ihre Münzen nicht gern verkaufen. Mit DDR-Geld konnten sie relativ wenig anfangen. Die wollten, wenn sie etwas abgaben, etwas anderes dafür haben.
UK: Und das war kein Problem? Sie konnten selbst entscheiden, welche Dublette sie hergeben wollten?
BK: Das konnten wir. Da unsere Sammlung 1945 in die Sowjetunion abtransportiert worden war und niemand wusste, ob sie je zurückkehren würde, hat Arthur Suhle versucht, die trostlos leeren Schränke irgendwie wieder zu füllen. Er hat aus dem Land rangekarrt, was nur irgendwie heranzuholen war. Darunter Leihgaben aus Museen, aber eben auch einen Haufen Ankäufe. Die Leihgaben aus Museen gingen nach 1958 alle wieder zurück, weil die Stammsammlung wieder da war, aber die zwischen 1945 und 1958 angekauften Münzen – und das war zahlenmäßig eine Menge (rund 22.000 Stücke, Anm. d. Verf.) – blieben natürlich. Was in der Sammlung fehlte, wurde eingelegt. Aber es blieb viel übrig, was nicht in die Sammlung passte, weil es schon vorhanden oder weil es von der Erhaltung nicht museumswürdig war. So ergab sich ein großer Dublettenbestand, aus dem wir solche Tauschaktionen mit privaten Sammlern bestritten haben. Das Gros dieser Dubletten ist übrigens erst 1993 nach der Wende verwertet worden, um die bedeutendste Erwerbung nach 1945, den Ankauf der Sammlung Stefan von völkerwanderungszeitlichen Münzen, mitzufinanzieren.
UK: Wie muss ich mir das Tauschen praktisch vorstellen?
BK: Das war mitunter eine ziemliche Feilscherei. Die Sammler hatten dabei ihren Vorteil im Auge, und wir wollten uns natürlich nicht zu überhöhten Preisen Zweitrangiges ins Haus holen. Ich erinnere mich an eine Aktion, als ich noch ganz neu im Kabinett war. Da kam der Berliner Korrespondent der Prawda, damals die größte Tageszeitung in der Sowjetunion, in das Münzkabinett und interessierte sich für deutsche Taler. Selber hatte er rollenweise russische Rubel. So kam der Rubel ins Rollen: ich habe mit ihm Rubel gegen Taler getauscht und auf die Art und Weise eine ganze Menge Rubel von Peter I. bis Nikolaus II. in die Sammlung gebracht.
UK: Bei dem heutigen Russlandboom war das eindeutig ein gutes Geschäft.
BK: Damals waren Rubel noch nichts Besonderes. Und das war nur ein Beispiel für eine solche größere Tauschaktion. Die richtigen, großen Sammler, die es auch in der DDR gab, die wussten schon, was sie von uns wollten. Und wenn es um Brandenburg-Preußen ging, da konnte es schon haarig werden. Schließlich fehlen uns da meist nur die hochkarätigen Sachen.
Freilich kam es auch vor, dass wir im Kunsthandel gekauft haben. Meist kam ja nichts Gutes, weil vieles schon vorher in den Westen verkauft wurde. Aber manchmal eben doch.
UK: Und wie funktionierte der Staatliche Münzhandel? Gab es da auch Auktionen?
BK: Auktionen zu DDR-Zeiten waren Massenereignisse. Oft in riesigen Sälen, die bis auf den letzten Platz gefüllt waren.
UK: Wie viele Leute kamen da?
BK: Ich würde sagen, manchmal 500 oder 1.000. Die meisten kauften gar nicht. Die schrieben nur die Preise mit. Das war die einzige Möglichkeit, sich über den Markt zu informieren. Wir hatten ja keinen Zugang zu West-Katalogen oder Münzpreisbüchern. Wir bekamen unsere Preisvorstellung aus der Marktbeobachtung. Deswegen waren Auktionen der große Treffpunkt. Und natürlich haben die Sammler außerhalb des Auktionssaals untereinander getauscht. Da hatten alle ihre Alben mit, und dann wurde kräftig gekauft und verkauft. Das durfte zwar offiziell nicht sein, aber trotzdem haben es alle gemacht.
Teil 2 des Interviews lesen Sie hier. Darin berichtet Bernd Kluge, wie das KoKo agierte, und wie das Münzkabinett nach der Wende die Hinterlassenschaften von Alexander Schalck-Golodkowski für die Numismatik sicherte.
Den letzten Teil finden Sie hier.